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Skizze eines Plans zur Taktik
oder Gefechtslehre

by Carl von Clausewitz

[Probably c.1816]

This text of the "Skizze eines Plans zur Taktik oder Gefechtslehre" is exerpted from Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Bd. 3. Berlin, 1834, was copied from the German Text Archive. It has been partially reformatted here for ClausewitzStudies.org.

An English translation entitled "Sketch of a Plan For Tactics, Or the Theory of the Combat Guide to Tactics, Or the Theory of the Combat" can be found in a posting of the 1873 J.J. Graham translation of Vom Kriege at "The Online Library of Liberty." NOTE: The information provided at that URL concerning the author (i.e., Clausewitz) and especially on the translation, the translator (Col. J.J. Graham), and the much later editor (Col. Frederick Natusch Maude), is quite erroneous. For more accurate information, see our page discussing J.J. Graham.

A recent discussion of this document (i.e., the English translation) can be found at: Olivia A. Garard, Review of the Graham translation in The Strategy Bridge, 23 MAR 2020. She then published a full and annotated translation: An Annotated Guide to Tactics: Carl von Clausewitz’s Theory of the Combat (Quantico, VA: Marine Corps University Press, 2021). See also her Review of the Graham translation in The Strategy Bridge, 23 MAR 2020.

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Vom Kriege

Hinterlassenes Werk

Dritter Theil


Berlin, bei Ferdinand Dümmler
1834

Skizze eines Plans zur
Taktik oder Gefechtslehre

des Carl von Clausewitz


18*
|0290 : [276]|
|0291 : [277]|
I. Einleitung. Feststellung der Begriffsgrenze zwischen Strategie und Taktik.
II. Allgemeine Theorie des Gefechts. (Gefecht. — Quartiere. — Lager. — Märsche.)
1. Natur des Gefechts. Wirksame Prinzipien in demselben. Haß und Feindschaft — Modifikation — Andere Gemüthskräfte — Verstand und Talent.
2. Nähere Bestimmung eines Gefechts — Selbstständiges Gefecht — Theil-Gefecht — wie die letztern entstehen.
3. Zweck des Gefechts: Sieg — Grade, Farben und Gewicht des Sieges.
4. Ursachen des Sieges d. i. des feindlichen Abzuges.
5. Arten des Gefechts nach den Waffen — Handgefecht — Feuergefecht.
6. Verschiedene Akte des Gefechts. Zerstörungs- und Entscheidungsakt.
7. Arten des Gefechts nach positiver oder negativer Ursache desselben. Angriff und Vertheidigung.
8. Plan des Gefechts. Strategischer Zweck des Gefechts. — Ziel in demselben — Mittel — Bestimmung der Art des Gefechts — der Zeit — des Raumes — Wechselwirkung — Führung.
NB. Nach dieser Eintheilung ist der Faden dieses ersten Theils auszuarbeiten.

III. Gefechte, bestimmte Abtheilungen ohne alle Anwendung.

(Formation — Schlachtordnung — Elementartaktik.)

A. Die einzelnen Waffen.
|0292 : 278|
1. Infanterie
2. Artillerie
3. Kavallerie
ihre Wirkungen und daraus hervorgehende Formation und Elementartaktik bei Angriff und Vertheidigung.
B. Vereinigte Waffen bei Angriff und Vertheidigung.
1. Theorie der Waffenvereinigung.
a) Infanterie und Artillerie.
b) Infanterie und Kavallerie.
c) Kavallerie und Artillerie.
d) Alle drei vereinigt.
2. Bestimmte Abtheilungen die dadurch gebildet werden.
a) Brigaden
b) Divisionen
c) Korps
d) Armeen
Schlachtordnung derselben — Stellung — Bewegung — Gefecht.
IV. Gefechte in Verbindung mit Gegend und Boden.
A. Über den Einfluß des Terrains auf das Gefecht im Allgemeinen.
1. Bei der Vertheidigung.
2. Beim Angriff.
NB. Wenn die Betrachtung hier den logischen Faden verläßt, so geschieht es aus praktischen Rücksichten. Das Terrain muß so früh als möglich in die Betrachtung gezogen werden und man kann es nicht in die Betrachtung ziehen ohne sich gleich das Gefecht unter einer der beiden Formen von Angriff oder Vertheidigung zu denken, daher die Verschmelzung beider Gegenstände.
B. Allgemeine Theorie der Vertheidigung.
C. Allgemeine Theorie des Angriffs.
D. Vertheidigungsgefechte bestimmter Abtheilungen.
|0293 : 279|
1. Eines kleinen Haufens.
2. Einer Brigade.
3. Einer Division.
4. Eines Korps.
5. Einer Armee.
E. Angriffsgefechte bestimmter Abtheilungen.
1. Eines kleinen Haufens.
2. Einer Brigade.
3. Einer Division.
4. Eines Korps.
5. Einer Armee.
V. Gefechte mit bestimmten Zwecken.
A. Vertheidigung.
1. Sicherheitsanstalten.
a) Wachen.
b) Patrouillen.
c) Soutiens.
d) Kleine Posten.
e) Vorpostenketten.
f) Verbindungsposten.
g) Avantgarden.
h) Arriergarden.
i) Vorgeschobene Korps.
k) Seitendeckung beim Marsch.
l) Nachrichtendetaschements.
m) Beobachtungsdetaschements.
n) Rekognoszirungen.
2. Bedeckungen.
a) Einzelner Posten.
b) Von Wagenkolonnen.
c) Fouragirungen.
|0294 : 280|
3. Postirungen. Verschiedenheit der Zwecke.
a) Im Gebirge.
b) An Flüssen.
c) An Morästen.
d) In Wäldern.
4. Schlachten. Verschiedenheit der Zwecke. Vernichtung feindlicher Streitkraft — Besitz einer Gegend — Das bloße moralische Gewicht — Die Waffenehre.
a) Vertheidigungsschlacht ohne Vorbereitung.
b) In einer eingerichteten Stellung.
c) In einer verschanzten Stellung.
5. Rückzüge.
a) Der einzelne Rückzug (Abzug) im Angesicht des Feindes.
α. Vor einem Gefecht.
β. Im Lauf desselben.
γ. Nach einem Gefecht.
b) Strategischer Rückzug, d. h. mehrere auf einer folgende einzelne Rückzüge in ihren taktischen Anordnungen.
B. Der Angriff.
1. Nach den Objekten der Vertheidigung eingetheilt und abgehandelt.
2. Nach ihm eigenthümlichen Objekten.
a) Überfall.
b) Durchschlagen.
VI. Von den Lagern und Quartieren.
VII. Von den Märschen.

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Leitfaden zur Bearbeitung der Taktik oder Gefechtslehre.

I. Allgemeine Theorie der Gefechte.
Zweck der Gefechte.

1. Was ist der Zweck des Gefechtes?

a) Vernichtung der feindlichen Streitkräfte.
b) Besitz irgend eines Gegenstandes.
c) Der bloße Sieg als Waffenehre.
d) Mehrere oder alle drei zusammengenommen.
Theorie des Sieges.

2. Alle diese vier Gegenstände werden nur durch den Sieg erreicht.

3. Sieg ist der Abzug des Feindes vom Kampfplatz.

4. Dies kann der Feind nur thun;

a) wenn er zu Viel verloren hat,
α. also die Übermacht fürchtet
β. oder findet daß der Zweck ihn zu Viel kosten würde.
b) Wenn er in seiner Ordnung zu sehr gestört ist, also in der Wirksamkeit des Ganzen.
c) Wenn er in den Nachtheil des Terrains geräth, also zu viel Verluste bei Fortsetzung des Gefechts fürchtet. (Hierin ist also der Verlust der Stellung mit inbegriffen.)
|0296 : 282|
d) Wenn die Form in der Aufstellung der Streitkräfte von zu großen Nachtheilen begleitet ist.
e) Wenn er überrascht oder gar überfallen wird, also nicht Zeit hat seine Anordnungen zu treffen, seine Maßregeln gehörig zu entwickeln.
f) Wenn er gewahr wird daß sein Gegner ihm in der Zahl zu sehr überlegen ist.
g) Wenn er gewahr wird daß sein Gegner ihm an moralischen Kräften zu sehr überlegen ist.

5. In allen diesen Fällen kann ein Feldherr vermocht werden das Gefecht aufzugeben, weil er keine Hoffnung zur bessern Wendung hat, sondern Schlimmeres befürchtet als schon eingetreten ist.

6. Ohne einen dieser Gründe wäre ein Rückzug nicht motivirt, kann also nicht der Entschluß des Feldherrn oder Befehlshabers sein.

7. Aber der Rückzug kann ohne seinen Willen faktisch geschehen:

a) Wenn die Truppen aus Mangel an Muth oder gutem Willen davongehen.
b) Wenn der Schrecken sie vertreibt.

8. Unter diesen Umständen kann gegen den Willen des Befehlshabers und selbst bei vortheilhaften Resultaten, welche aus den übrigen von a bis f berührten Verhältnissen hervorgehen mögen, der Sieg des Gegners anerkannt werden.

9. Dieser Fall kann und muß bei kleinen Haufen oft vorkommen. Die geringe Dauer des ganzen Aktes läßt da dem Befehlshaber oft kaum Zeit einen Entschluß zu fassen.

10a. Bei großen Massen aber kann sich dieser Fall nur bei den Theilen ereignen, nicht wohl beim Ganzen.

|0297 : 283|

Indem aber mehrere Theile dem Gegner diesen zu leichten Sieg einräumen, kann für das Ganze in den von a bis e genannten Verhältnissen ein nachtheiliges Resultat entstehen und so der Entschluß des Feldherrn zum Abzug dadurch bedingt werden.

10b. Die unter a b c und d genannten nachtheiligen Verhältnisse zeigen sich bei großen Massen dem Feldherrn nicht in den arithmetischen Summen aller einzelnen Nachtheile welche stattgefunden haben, denn so vollkommen ist die Übersicht niemals, sondern sie zeigen sich da wo diese Nachtheile in engem Raume zusammengedrängt eine beträchtliche Masse bilden, welches nun entweder bei der Hauptmasse der Truppen oder bei einem bedeutenden Gliede der Fall ist. Nach dieser Haupterscheinung des ganzen Aktes richtet sich dann der Entschluß.

11. Endlich kann der Feldherr noch durch Gründe die nicht im Gefecht liegen, sondern als äußerlich betrachtet werden müssen, z. B. Nachrichten welche den Zweck aufheben oder die strategischen Verhältnisse merklich ändern, zum Aufgeben des Gefechts und also zum Rückzug bewogen werden. Dies würde ein Abbrechen des Gefechts sein und gehört nicht hierher, weil es kein taktischer, sondern ein strategischer Akt ist.

12. Das Aufgeben eines Gefechts ist also die Anerkennung der augenblicklichen Überlegenheit des Gegners, sie sei physisch oder moralisch und das Nachgeben in seinen Willen. Darin liegt die erste moralische Kraft des Sieges.

13. Da man ein Gefecht nicht anders aufgeben kann als wenn man den Kampfplatz verläßt, so ist der Abzug vom Schlachtfelde das Zeichen dieser Anerkennung, das Senken des Paniers.

|0298 : 284|

14. Aber das Merkmal des Sieges entscheidet noch Nichts über seine Größe, Wichtigkeit und seinen Glanz. Diese drei Dinge fallen oft zusammen, sind aber keineswegs identisch.

15. Die Größe des Sieges hängt von der Größe der Massen über die er erfochten wird, so wie von der Größe der Trophäen ab. Eroberte Geschütze, Gefangene, genommenes Gepäck, Todte, Verwundete. Über einen kleinen Haufen kann man also keinen großen Sieg erfechten.

16. Die Wichtigkeit des Sieges hängt von der Wichtigkeit des Zwecks ab der erreicht wird. Die Einnahme einer wichtigen Stellung kann einen an sich unbedeutenden Sieg sehr wichtig machen.

17. Der Glanz des Sieges besteht in der relativen Größe welche die Trophäen zur siegenden Armee haben.

18. Es giebt also Siege verschiedener Art, besonders aber sehr vieler Abstufungen. Streng genommen kann kein Gefecht ohne Entscheidung bleiben, folglich ohne Sieg, aber der Sprachgebrauch und die Natur der Sache will daß man nur solche Gefechtsresultate als Siege betrachtet, denen beträchtliche Anstrengungen vorhergegangen sind.

19. Wenn der Feind nur so Viel thut als nöthig ist unsere ernstliche Absicht zu erforschen und sobald ihm diese kund ist nachgiebt, so kann man das keinen Sieg nennen; thut er mehr, so kann das nur sein um wirklich Sieger werden zu wollen und in diesem Fall ist er also, wenn er das Gefecht aufgiebt, als besiegt zu betrachten.

20. Da ein Gefecht nur aufgegeben werden kann wenn einer der beiden Theile oder beide die im Kontakt begriffenen Truppen etwas zurücknehmen, so kann man

|0299 : 285|

eigentlich niemals streng sagen daß beide das Schlachtfeld behauptet hätten. Insofern man aber, wie die Natur der Sache und der Sprachgebrauch will, unter Schlachtfeld nur die Stellung der Hauptmassen versteht, weil nur beim Rückzug der Hauptmassen die ersten Folgen des Sieges eintreten, so kann es allerdings Schlachten geben welche ganz unentschieden bleiben.

Das Mittel zum Siege ist das Gefecht.

21. Das Mittel zum Siege ist das Gefecht. Da die in Nr. 4. von a bis g genannten Gegenstände den den Sieg bedingen, so ist auch das Gefecht auf diese Gegenstände als seinen nähern Zweck gerichtet.

22. Wir müssen das Gefecht nun nach seinen verschiedenen Richtungen kennen lernen.

Was ist ein einzelnes Gefecht?

23. Materiell läßt sich jedes Gefecht in so viel einzelne Gefechte auflösen als Fechtende da sind. Der Einzelne erscheint aber nur als eigene Größe wenn er einzeln d. h. selbstständig ficht.

24. Von dem einzelnen Fechten steigen die Einheiten mit den Befehlsabtheilungen hinauf zu neuen Einheiten.

25. Diese Einheiten sind durch Zweck und Plan verbunden, aber nicht so eng daß die Glieder nicht eine gewisse Selbstständigkeit behielten. Diese wird immer größer je weiter die Ordnung hinaufsteigt. Wie diese Lösung der Glieder entsteht, werden wir erst später zeigen können (Nr. 97. seq.).

26. Es besteht also jedes Gesammtgefecht aus einer großen Menge einzelner Gefechte in absteigender Ordnung der Glieder bis zum letzten selbstständig handelnden Gliede.

|0300 : 286|

27. Es besteht aber auch ein Gesammtgefecht aus einzelnen auf einander folgenden Gefechten.

28. Alle einzelnen Gefechte nennen wir Theilgefechte und das Ganze Gesammtgefecht; den Begriff des Gesammtgefechts aber knüpfen wir an die Bedingung des persönlichen Befehls, so daß nur Dasjenige zu einem Gefechte gehört was von einem Willen geleitet wird. (Bei Kordonstellungen können die Grenzen nie bestimmt werden.)

29. Was hier von der Theorie des Gefechts gesagt wird soll sich sowohl auf das Gesammtgefecht als auf die Theilgefechte beziehen.

Prinzip des Gefechts.

30. Jeder Kampf ist eine Äußerung der Feindschaft die instinktmäßig in denselben übergeht.

31. Dieser Instinkt zum Anfall und zur Vernichtung seines Feindes ist das eigentliche Element des Krieges.

32. Auch beim rohesten Menschen bleibt dieser Feindschaftstrieb nicht bloßer Instinkt; der überlegende Verstand tritt hinzu und es wird aus dem unabsichtlichen Instinkt eine Handlung der Absicht.

33. Auf diese Weise werden die Gemüthskräfte dem Verstande untergeordnet.

34. Niemals aber kann man sie als ganz eliminirt betrachten und die bloße Verstandesabsicht in ihre Stelle setzen, denn wären sie wirklich in der Verstandesabsicht ganz untergegangen, so würden sie sich im Kampf selbst wieder entzünden.

35. Da unsere Kriege nicht Äußerungen der Feindschaft Einzelner gegen Einzelne sind, so scheint das Gefecht aller eigentlichen Feindschaft zu entbehren und also ein rein verstandesmäßiges Handeln zu sein.

|0301 : 287|

36. So ist es aber keineswegs. Theils fehlt es nie an dem Kollektivhaß der beiden Parteien, der sich dann in dem Einzelnen mehr oder weniger wirksam zeigt, so daß er von der gehaßten und befeindeten Partei auch den einzelnen Mann haßt und befeindet; theils entzündet sich ein wirkliches Feindschaftsgefühl im Kampfe selbst mehr oder weniger bei dem Einzelnen.

37. Ruhmbegierde, Ehrgeiz, Eigennutz und ésprit de corps vertreten mit andern Gemüthskräften die Feindschaft wo diese nicht vorhanden ist.

38. Es wird also in einem Gefechte selten oder nie der bloße Wille des Befehlshabers, der bloße vorgeschriebene Zweck das einzige Motiv des Handelns in den Fechtenden, sondern es wird immer ein sehr merklicher Theil der Gemüthskräfte wirksam sein.

39. Diese Wirksamkeit wird dadurch erhöht daß der Kampf sich in der Region der Gefahr bewegt, wo alle Gemüthskräfte mehr gelten.

40. Aber auch die Intelligenz welche den Kampf leitet kann nie eine bloße Verstandeskraft und der Kampf also nie Gegenstand bloßer Berechnung sein.

a) Weil er ein Stoß lebendiger physischer und moralischer Kräfte gegen einander ist, die nur allgemeinen Schätzungen aber keinen bestimmten Berechnungen unterworfen werden können.
b) Weil die Gemüthskräfte welche ins Spiel treten den Kampf zum Gegenstand einer Begeisterung und dadurch eines höhern Urtheils machen können.

41. Der Kampf kann also ein Gegenstand des Talentes und des Genius sein im Gegensatz des berechnenden Verstandes.

42. Die Gemüthskräfte und der Genius nun welche

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sich im Kampfe zeigen, müssen als eigene moralische Größen betrachtet werden, die in ihrer großen Ungleichheit und Elastizität unaufhörlich über die Linie des berechnenden Verstandes hinausspielen.

43. Es ist die Aufgabe der Kriegskunst in der Theorie und in der Ausführung diese Kräfte zu berücksichtigen.

44. Je höher sie genutzt werden können, um so kräftiger und erfolgreicher wird der Kampf sein.

45. Alle Erfindungen der Kunst, als Waffen, Organisation, eingeübte Taktik und die Grundsätze für den Gebrauch der Truppen im Gefechte sind Beschränkungen des natürlichen Instinkts, indem er auf Umwegen zu einem wirksameren Gebrauche seiner Kräfte geführt werden soll. Aber die Gemüthskräfte lassen sich nicht so zuschneiden, und indem man sie zu sehr zum Instrument machen will raubt man ihnen Schwung und Kraft. Es muß ihnen also überall, sowohl zwischen den Bestimmungen der Theorie als ihren stehenden Einrichtungen, durchaus ein gewisser Spielraum gelassen werden. Dazu gehört für die Theorie ein hoher Standpunkt und große Umsicht, für die Ausführung ein großer Takt des Urtheils.

Zwei Gefechtsarten. Handgefecht und Feuergefecht.

46. Von allen Waffen die der menschliche Verstand erfunden hat sind diejenigen welche die Kämpfer einander am nächsten bringen, dem rohen Faustkampfe am ähnlichsten sind, die natürlichsten, welche dem Instinkt am meisten zusagen. Der Dolch, die Streitaxt sind es mehr als die Lanze, der Wurfspieß, die Schleuder.

47. Die Waffen womit der Feind schon in der Entfernung bekämpft wird sind mehr Instrumente des Verstandes; sie lassen die Gemüthskräfte und den eigentlichen

Kampf-
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Kampfinstinkt fast ganz ruhen, und zwar um so mehr je größer die Entfernung ist in der sie wirksam sind. Bei der Schleuder kann man sich noch einen gewissen Ingrimm denken mit der sie geworfen wird, weniger schon beim Büchsenschuß, noch weniger beim Kanonenschuß.

48. Obgleich auch hier Übergänge stattfinden, so bleibt doch bei allen neueren Waffen eine große Theilung sichtlich, nämlich in die Hieb- und Stoßwaffen und in die Feuerwaffen; weil jene zum Handgefecht, diese zum Gefecht aus der Ferne führen.

49. Es entstehen daher zwei Fechtarten: das Handgefecht und das Feuergefecht.

50. Beide haben die Vernichtung des Gegners zum Zweck.

51. Im Handgefecht ist diese eine ganz unzweifelhafte; im Feuergefecht nur eine mehr oder weniger wahrscheinliche. Aus diesem Unterschiede folgt eine sehr verschiedene Bedeutung beider Gefechtsformen.

52. Weil im Handgefecht die Vernichtung nun ganz unzweifelhaft ist, so ist das geringste Übergewicht der Vortheile oder des Muthes entscheidend, und es sucht Der welcher sich im Nachtheil befindet oder welcher schwächern Muthes ist sich der Gefahr durch die Flucht zu entziehen.

53. Dies tritt bei allen Handgefechten zwischen Mehreren so regelmäßig und gewöhnlich auch so früh ein daß die eigentliche Vernichtungskraft dieses Gefechts dadurch sehr geschwächt wird und seine Hauptwirkung mehr im Vertreiben als im Vernichten des Feindes besteht.

54. Sieht man also auf die Wirksamkeit welche das Handgefecht in der praktischen Welt hat, so muß man seinen Zweck nicht in die Vernichtung, sondern in die

III 19
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Vertreibung des Feindes setzen. Die Vernichtung wird zum Mittel.

55. So wie im Handgefecht ursprünglich die Vernichtung des Feindes der Zweck war, so ist im Feuergefecht ursprünglich die Vertreibung des Feindes der Zweck und die Vernichtung nur Mittel dazu. Man beschießt den Feind um ihn zu verjagen und sich das Handgefecht zu ersparen wozu man sich nicht ausgerüstet fühlt.

56. Aber die Gefahr welche das Feuergefecht bringt ist keine ganz unvermeidliche, sondern eine mehr oder weniger wahrscheinliche; sie ist also für den sinnlichen Eindruck des Einzelnen nicht so groß, sondern wird es erst durch die Dauer und summarische Wirkung, die keinen so sinnlichen, also keinen so unmittelbar wirksamen Eindruck macht. Darum ist nicht nothwendig einer der beiden Theile in dem Falle sich ihr zu entziehen. Hieraus folgt daß die Vertreibung des Einen nicht sogleich und in vielen Fällen gar nicht erfolgt.

57. Ist dies der Fall, so muß in der Regel am Schlusse des Feuergefechts das Handgefecht zur Vertreibung gebraucht werden.

58. Dagegen wächst die Vernichtungskraft des Feuergefechts durch die Dauer eben so sehr, wie die des Handgefechts durch die schnelle Entscheidung verloren ging.

59. Daraus ist entstanden daß der generelle Zweck des Feuergefechts nicht mehr in die Vertreibung, sondern in die unmittelbare Wirkung des angewendeten Mittels gesetzt wird, nämlich in die Vernichtung, d. i. auf das Kollektivgefecht angewendet, in die Zerstörung oder Schwächung der feindlichen Streitkräfte gesetzt wird.

60. Hat das Handgefecht den Zweck der Vertreibung, das Feuergefecht den der Zerstörung der feind

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lichen Streitkraft, so ist jenes als das eigentliche Instrument der Entscheidung, dieses als das der Vorbereitung zu betrachten.

61. Beiden bleibt aber darum doch einige Wirksamkeit des andern Prinzips. Das Handgefecht ist nicht ohne zerstörende Kraft, das Feuergefecht nicht ohne vertreibende.

62. Die zerstörende Kraft des Handgefechts ist in den meisten Fällen höchst unbedeutend, sehr oft ist sie völlig Null; sie würde daher kaum noch in Betrachtung kommen wenn sie nicht in einigen Fällen durch die Gefangenen wieder sehr stiege.

63. Aber es ist wohl zu merken daß diese Fälle meistens erst eintreten wenn das Feuergefecht schon gewirkt hat.

64. Das Handgefecht ohne Feuergefecht würde also bei dem jetzigen Verhältniß der Waffen eine sehr unbedeutende Vernichtungskraft haben.

65. Die Vernichtungskraft des Feuergefechts kann durch die Dauer bis aufs Äußerste, d. h. bis zur Erschütterung oder Erschöpfung des Muthes gesteigert werden.

66. Die Folge ist daß bei Weitem der größte Antheil an der Vernichtung feindlicher Streitkräfte dem Feuergefecht zukommt.

67. Durch die im Feuergefecht entstehende Schwächung des Feindes wird entweder

a) sein Rückzug selbst motivirt werden,
b) oder dem Handgefecht vorgearbeitet werden.

68. Durch die beim Handgefecht beabsichtigte Vertreibung des Feindes wird ein eigentlicher Sieg erhalten, weil Vertreiben vom Kampfplatz Sieg ist. Ist das Ganze sehr klein, so kann dieser Sieg das Ganze umfassen und über den Erfolg entscheiden.

19*
|0306 : 292|

69. Wo das Handgefecht nur zwischen Theilen des Ganzen stattfand oder wo mehrere successive Handgefechte das Gesammtgefecht ausmachen, kann der Erfolg im Einzelnen nur als ein Sieg im Theilgefechte betrachtet werden.

70. Wäre dieser Theil ein bedeutender des Ganzen, so könnte das Ganze dadurch mit fortgerissen werden und also aus dem Siege des Theils unmittelbar ein Sieg über das Ganze folgen.

71. Wenn aber der Erfolg des Handgefechts nicht ein Sieg des Ganzen ist, so ist er immer einer der folgenden Vortheile:

a) Gewinn an Terrain;
b) Brechung der moralischen Kraft;
c) Zerstörung der Ordnung beim Gegner;
d) Zerstörung physischer Streitkraft.

72. Für das Theilgefecht ist also das Feuergefecht als ein Zerstörungsakt, das Handgefecht als ein Entscheidungsakt zu betrachten. Wie es für das Gesammtgefecht angesehen werden muß, werden wir später betrachten.

Beziehung beider Gefechtsformen auf Angriff und Vertheidigung.

73. Das Gefecht besteht ferner aus Angriff und Vertheidigung.

74. Der Angriff ist die positive Absicht; die Vertheidigung die negative. Jener will den Gegner vertreiben, diese will sich bloß erhalten.

75. Aber das Erhalten ist kein bloßes Aushalten, also kein Leiden, sondern es hängt von einer aktiven Rückwirkung ab. Diese Rückwirkung ist Vernichtung der angreifenden Streitkraft. Also ist nur der Zweck, nicht das Mittel als negativ zu betrachten.

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76. Da aber aus der Behauptung der Stellung bei der Vertheidigung von selbst folgt daß der Gegner weichen muß, so ist trotz des negativen Zwecks auch für den Vertheidiger der Abzug, also das Weichen des Gegners das Siegeszeichen.

77. Ursprünglich ist wegen des gleichen Zwecks das Handgefecht das Element des Angriffs.

78. Da aber das Handgefecht ein so schwaches Zerstörungsprinzip in sich hat, so würde der Angreifende welcher sich desselben ganz allein bedienen wollte, in den meisten Fällen kaum als ein Fechtender zu betrachten und in jedem Falle das Spiel sehr ungleich sein.

79. Nur bei kleinen Haufen oder bei bloßer Reiterei kann das Handgefecht den ganzen Angriff ausmachen. Je größer die Massen werden, je mehr Artillerie und Infanterie ins Spiel kommen, um so weniger reicht es zu.

80. Es muß also auch der Angriff so Viel von dem Feuergefecht in sich aufnehmen als nöthig ist.

81. In diesem, nämlich im Feuergefecht sind beide Theile in Beziehung auf die Gefechtsart als sich gleich zu betrachten. Je größer also das Verhältniß desselben zum Handgefecht wird, um so mehr nimmt die ursprüngliche Ungleichheit zwischen Angriff und Vertheidigung ab. Was nun noch für das Handgefecht, zu dem der Angreifende zuletzt schreiten muß, an Nachtheilen übrig bleibt, muß durch die eigenthümlichen Vortheile desselben und durch Überlegenheit ausgeglichen werden.

82. Das Feuergefecht ist das natürliche Element des Vertheidigers.

83. Wo der glückliche Erfolg (Abzug des Angreifenden) schon durch dasselbe bewirkt wird, bedarf es der Handgefechte nicht.

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84. Wo jener Erfolg nicht bewirkt wird und der Angreifende zum Handgefecht übergeht, muß auch der Vertheidiger sich desselben bedienen.

85. Überhaupt schließt die Vertheidigung das Handgefecht auf keine Weise aus wo die Vortheile desselben größer erscheinen als die des Feuergefechts.

Vortheilhafte Bedingungen in beiden Gefechtsarten.

86. Wir müssen nun die Natur beider Gefechte im Allgemeinen näher betrachten, um die Dinge kennen zu lernen welche die Überlegenheit darin geben.

87. Das Feuergefecht.

a) Die Überlegenheit im Gebrauch der Waffen (sie liegt in der Organisation und dem Werthe der Truppen).
b) Überlegenheit in der Formation und der niedern Taktik als stehender Dispositionen. Bei dem Gebrauch ausgebildeter Streitkräfte im Gefecht können diese Dinge nicht in Betrachtung kommen, da sie mit den Streitkräften schon gegeben sind. Aber sie können und müssen selbst als Gegenstand der Gefechtslehre im ausgedehntesten Sinne betrachtet werden.
c) Die Zahl.
d) Die Form der Aufstellung, so weit sie nicht schon in b enthalten ist.
e) Das Terrain.

88. Da wir nur den Gebrauch ausgebildeter Streitkräfte abhandeln, so gehören a und b nicht hierher, sondern sind nur als ein Gegebenes gewissermaßen faktisch in Betracht zu ziehen.

89a. Überlegenheit der Zahl.

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Wenn zwei ungleiche Massen Infanterie und Artillerie parallel in gleichem Raume gegen einander aufgestellt sind, so würde, wenn alle Schüsse Zielschüsse auf die einzelnen Individuen wären, die Zahl der Treffer sich verhalten wie die Zahl der Schießenden. Ebenso würden sich die Treffer verhalten wenn nach einer vollen Scheibe geschossen würde, also wenn das Ziel nicht mehr der einzelne Mann sondern ein Bataillon, eine Linie u. s. w. ist. So aber sind die Schüsse im Kriege selbst bei den Schützengefechten in der großen Mehrheit wirklich anzusehen. Nun ist aber die Scheibe nicht voll, sondern sie besteht aus Menschen und Zwischenräumen. Diese letztern nehmen in dem Maaße ab als die Zahl der Fechtenden auf demselben Raume zunimmt. Folglich wird die Wirkung eines Feuergefechts zwischen ungleicher Zahl zusammengesetzt sein aus der Zahl der Schießenden und der Zahl der feindlichen Truppen auf welche geschossen wird; d. h. mit andern Worten: die Überlegenheit in der Zahl giebt im Feuergefecht keine überlegene Wirkung, weil man Das was man durch die Menge seiner Schüsse gewinnt, dadurch daß die feindlichen um so viel besser treffen, wieder verliert.

Angenommen 50 Mann befänden sich in demselben Raume einem Bataillon von 500 gegenüber. Es sollen von den 50 Schüssen 30 in die Scheibe gehen, d. h. in den Quadratraum den das feindliche Bataillon einnimmt, so werden von den feindlichen 500 Schüssen 300 in den Raum gehen den unsere 50 Mann einnehmen. Nun stehen aber die 500 Mann noch zehnmal so dicht als die 50, es treffen also von unsern Kugeln zehnmal so viel als von den feindlichen, und mithin werden von unsern

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50 Schüssen gerade so viel der Feinde wie von den feindlichen 500 Schüssen der Unsrigen getroffen.

Wenn gleich dies Resultat in der Wirklichkeit nicht genau zutreffen wird und im Allgemeinen ein kleiner Vortheil für die Überlegenheit der Zahl bleiben mag, so ist doch gewiß daß es im Wesentlichen zutrifft: daß nämlich die einseitige Wirkung, d. i. der Erfolg im Feuergefecht, weit entfernt mit der Überlegenheit der Zahl genau Schritt zu halten, kaum davon affizirt wird.

Dies Resultat ist von einer durchgreifenden Wichtigkeit, denn es macht die Basis derjenigen Ökonomie der Kräfte im vorbereitenden Zerstörungsakte aus, welche als eins der sichersten Mittel zum Siege betrachtet werden kann.

89b. Man glaube nicht daß dieses Resultat zu einem Absurdum führen könnte, und daß z. B. 2 Mann (die kleinste Zahl welche einen längern Raum einnehmen kann, der hier als Scheibe gedacht ist) dann eben so Viel leisten müßten als 2000, vorausgesetzt daß die 2 Mann so weit auseinander ständen wie die 2000. Wenn jene 2000 immer gerade vor sich hinschössen, so würde es allerdings der Fall sein. Wenn aber die Zahl des Schwächern so gering ist daß der Stärkere sein Feuer konzentrirt auf die einzelnen Leute richtet, so muß natürlich eine große Verschiedenheit der Wirkung eintreten; denn nun findet die gemachte Voraussetzung bloßer Scheibenschüsse nicht mehr statt. Ebenso würde eine zu schwache Feuerlinie den Gegner gar nicht vermögen das Feuergefecht anzunehmen, sondern gleich von ihm vertrieben werden. Man sieht also daß man die obige Folgerung nicht zu weit treiben darf, aber sie bleibt darum doch unendlich wichtig. Hundertmal hat man gesehen daß eine Feuerlinie einer doppelt so starken feindlichen das Gleichgewicht gehalten hat, und es ist

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leicht einzusehen welche Folgen das in der Ökonomie der Kräfte hat.

89 c. Man kann also sagen daß jeder der beiden Theile es in seiner Gewalt hat die gegenseitige d. i. die Gesammtwirkung des Feuers zu verstärken oder zu schwächen, je nachdem er mehr Streiter in die Feuerlinie bringt oder nicht.

90. Die Form der Aufstellung kann sein:

a) In grader Fronte und in gleicher Ausdehnung, dann ist sie gleichgültig von beiden Seiten.
b) In grader Fronte und in größerer Ausdehnung, dann ist sie vortheilhaft. Dies ist begreiflicherweise wegen der Schußweite sehr beschränkt.
c) Umfassend. Dann ist sie vortheilhaft wegen der doppelten Wirkung der Schüsse und weil die größere Ausdehnung von selbst daraus folgt.

Die Gegensätze von b und c ergeben sich von selbst als Nachtheile.

91. Das Terrain wirkt im Feuergefecht vortheilhaft:

a) Durch Deckung, wie eine Brustwehr.
b) Durch Verbergung gegen den Feind, also als Hinderniß beim Zielen.
c) Als Hinderniß des Zugangs, wodurch der Feind in unserm Feuer lange aufgehalten, auch selbst am Feuern mehr gehindert wird.

92. Die Vortheile welche sich im Handgefecht wirksam zeigen, sind die nämlichen wie beim Feuergefecht.

93. Die beiden ersten Gegenstände (a und b Nr. 87.) gehören nicht hierher. Zu bemerken ist aber daß Überlegenheit im Gebrauch nicht so große Unterschiede wie beim Feuergefecht hervorbringen kann, daß dagegen der Muth

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hier eine ganz entscheidende Rolle spielt. Die unter b berührten Gegenstände werden wegen der Reiterei, die einen großen Theil der Handgefechte liefert, besonders wichtig.

94. Die Zahl ist hier sehr viel entscheidender als im Feuergefecht; sie ist fast die Hauptsache.

95. Die Form der Aufstellung ist gleichfalls noch viel entscheidender als im Feuergefecht und zwar ist bei gerader Linie umgekehrt die geringere Ausdehnung die vortheilhaftere.

96. Das Terrain.

a) Als Hinderniß des Zugangs. Dies ist beim Handgefecht bei weitem die Hauptwirksamkeit desselben.
b) Durch Verbergung. Dies begünstigt die Überraschung, welche im Handgefecht vorzüglich wichtig ist.
Vereinzelung der Gefechte.

97. Wir haben in Nr. 23. gesehen daß ein jedes Gefecht ein viel gegliedertes Ganze ist, bei dem die Selbstständigkeit der Glieder ungleich ist, indem sie nach Unten hin abnimmt. Wir können jetzt diesen Gegenstand näher untersuchen.

98. Man kann in jedem Gefecht füglich als ein einfaches Glied betrachten was durch das Kommandowort geführt wird. Z. B. ein Bataillon, eine Batterie, ein Kavallerieregiment u. s. w., wenn diese Massen wirklich vereinigt sind.

99. Wo das Kommandowort nicht mehr zureicht tritt der Befehl ein, sei es mündlich oder schriftlich.

100. Das Kommandowort ist keiner Gradation fähig, es ist schon ein Theil der Ausführung. Der Befehl aber hat Abstufungen von der höchsten an das Kommandowort grenzenden Bestimmtheit bis zur höchsten Allge

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meinheit. Er ist nicht die Ausführung selbst, sondern nur ein Auftrag.

101. Alles was unter dem Kommandowort steht, hat keinen Willen; so wie aber statt desselben der Befehl eintritt, so hebt auch eine gewisse Selbstständigkeit der Glieder an, weil der Befehl allgemeiner Natur ist und der Wille des Führers ihn ergänzen muß wenn er nicht zureicht.

102. Ließe sich ein Gefecht in allen seinen neben und nach einander liegenden Theilen und Ereignissen genau vorher bestimmen und übersehen, könnte also der Plan desselben bis in die kleinsten Theile durchdringen wie bei der Einrichtung einer todten Maschiene, so würde der Befehl diese Unbestimmtheit nicht haben.

103. Aber die Fechtenden hören nie auf Menschen und Individuen zu sein, können nie zur willenlosen Maschine gemacht werden und der Boden auf dem sie fechten wird selten oder nie ein vollkommenes und leeres Planum sein, welches ohne allen Einfluß auf das Gefecht bliebe. Es ist also ganz unmöglich alle Wirkungen vorher zu berechnen.

104. Dieses Unzureichende des Plans nimmt zu mit der Dauer des Gefechts und mit der Zahl der Fechtenden. Das Handgefecht eines schwachen Haufens ist fast ganz in seinem Plan enthalten; im Feuergefecht, selbst kleiner Haufen, kann dagegen der Plan wegen der Dauer desselben und der eintretenden Zwischenfälle nicht in dem Maaße durchdringen. Von der andern Seite kann auch das Handgefecht großer Massen, z. B. einer Kavalleriedivision von 2. oder 3000 Pferden, nicht so von den Bestimmungen des ersten Plans durchdrungen werden, daß nicht häufig der Wille einzelner Führer ihn ergänzen müßte.

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Von einer großen Schlacht aber kann der Plan außer der Einleitung nur die Hauptumrisse angeben.

105. Da also dies Unvermögen des Plans (Disposition) mit der Zeit und dem Raum welche das Gefecht einnimmt, wächst, so wird auch in der Regel den größern Truppenabtheilungen ein größerer Spielraum gegeben werden müssen als den kleinern; und die Bestimmtheit des Befehls wird zunehmen in absteigender Ordnung bis zu den Theilen die durch das Kommandowort regiert werden.

106. Die Selbstständigkeit der Theile wird aber ferner verschieden sein nach den Umständen in welchen sie sich befinden. Raum, Zeit, Charakter des Bodens und der Gegend, Natur des Auftrags müssen sie bei ein und derselben Abtheilung schwächen oder verstärken.

107. Außer dieser planmäßigen Trennung des Gesammtgefechts in gesonderte Glieder, wird auch eine unabsichtliche entstehen können und zwar:

a) indem die beabsichtigte größer wird als im Plane lag;
b) indem da eine Trennung eintritt wo sie gar nicht sein, sondern das Kommandowort Alles führen sollte.

108. Diese rührt von Umständen her die sich nicht vorhersehen ließen.

109. Die Folge ist ungleicher Erfolg bei Theilen die zusammengehören (weil sie sich nämlich in ungleichen Verhältnissen befinden können).

110. Es entsteht dadurch bei einzelnen Theilen das Bedürfniß einer Veränderung die nicht im Plane des Ganzen gelegen hat.

a) Indem sie sich Nachtheilen des Terrains, der Zahl, der Aufstellung entziehen wollen.
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b) Indem sie in allen diesen Punkten Vortheile erhalten die sie benutzen wollen.

111. Die Folge ist daß oft unwillkührlich oft mehr oder weniger absichtlich ein Feuergefecht in ein Handgefecht und umgekehrt das letztere in das erstere übergehen wird.

112. Die Aufgabe ist dann diese Veränderungen in den Plan des Ganzen einzupassen, indem sie:

a) im Fall des Nachtheils auf eine oder die andere Weise gut gemacht;
b) im Fall des Vortheils so weit benutzt werden als ohne Gefahr eines Umschlagens geschehen kann.

113. Es ist also die absichtliche und unabsichtliche Vereinzelung des Gesammtgefechts in mehr oder weniger selbstständige Theilgefechte, welche einen Wechsel der Gefechtsformen, sowohl von Handgefecht und Feuergefecht, als von Angriff und Vertheidigung innerhalb des Gesammtgefechts hervorbringt.

114. Jetzt bleibt in dieser Beziehung noch das Ganze zu betrachten.

Das Gefecht besteht aus zwei Akten, dem Zerstörungs- und dem Entscheidungsakt.

115 a. Aus dem Feuergefecht mit seinem Zerstörungsprinzip und aus dem Handgefecht mit seinem Vertreibungsprinzip gehen nach Nr. 36. für das partielle Gefecht zwei verschiedene Akte hervor: ein Zerstörungsakt und ein Entscheidungsakt.

115 b. Je kleiner die Massen sind, um so mehr werden diese beiden Akte aus einem einfachen Feuergefecht und einem einfachen Handgefecht bestehen.

116. Je größer die Massen werden, um so mehr

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werden diese beiden Akte kollektiv genommen werden müssen, so daß der Zerstörungsakt aus einer Reihe von neben und nach einander bestehenden Feuergefechten und der Entscheidungsakt eben so aus mehrern Handgefechten besteht.

117. Auf diese Weise setzt sich die Theilung des Gefechts nicht nur fort, sondern erweitert sich auch immer mehr, je größer die kämpfenden Massen werden, indem der Zerstörungsakt und der Entscheidungsakt in der Zeit immer weiter von einander getrennt werden.

Der Zerstörungsakt.

118. Je größer das Ganze ist, um so wichtiger wird die physische Vernichtung, denn

a) um so geringer ist der Einfluß des Führers. Dieser Einfluß aber ist beim Handgefecht viel wesentlicher als beim Feuergefecht.
b) Um so geringer die moralische Ungleichheit. Bei großen Massen, ganzen Armeen z. B., bleibt Nichts als die nationale Verschiedenheit; bei kleinern kommen die der Korps und die der Individuen, endlich besondere zufällige Umstände hinzu, die sich bei großen Massen ausgleichen.
c) Um so tiefer ist die Aufstellung, d. h. um so mehr Reserven zur Erneuerung des Gefechts sind vorhanden, wie wir in der Folge sehen werden. Es nimmt also die Zahl der einzelnen Gefechte zu und folglich die Dauer des Gesammtgefechtes und dadurch wird der Einfluß des ersten Augenblicks vermindert, der beim Vertreiben immer so Viel entscheidet.

119. Aus der vorigen Nummer folgt daß je größer das Ganze ist um so mehr muß die physische Vernichtung die Entscheidung vorbereiten.

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120. Diese Vorbereitung liegt darin daß sich die Masse der Kämpfenden von beiden Seiten verkleinert, das Verhältniß aber sich zu unserm Besten verändert.

121. Das Erste ist zureichend wenn wir moralisch oder physisch überlegen sind, das Zweite erforderlich wenn dies nicht der Fall ist.

122. Die Zerstörung der feindlichen Streitkräfte besteht:

a) in Allem was physisch außer Gefecht gesetzt ist. Todte, Verwundete und Gefangene.
b) In dem was physisch und moralisch erschöpft ist.

123. In einem Feuergefecht von mehreren Stunden in welchem eine Truppe einen namhaften Verlust macht, z. B. ¼ oder ⅓ des Ganzen, ist der übrige Theil vor der Hand fast wie eine ausgebrannte Schlacke zu betrachten. Denn:

a) die Leute sind körperlich erschöpft.
b) Sie haben sich verschossen.
c) Die Gewehre sind verschleimt.
d) Viele haben sich mit den Verwundeten entfernt, ohne selbst verwundet zu sein.
e) Die Übrigen fühlen für diesen Tag das Ihrige gethan zu haben und gehen, wenn sie einmal aus der Sphäre der Gefahr zurückgenommen sind, nicht gern wieder hinein.
f) Das ursprüngliche Gefühl des Muthes ist abgestumpft, die Kampflust befriedigt.
g) Die ursprüngliche Organisation und Ordnung ist zum Theil gestört.

124. Die Folgen e und f treten mehr oder weniger ein je nachdem das Gefecht unglücklich oder glücklich gewesen ist. Eine Truppe die Terrain gewonnen oder das

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ihr anvertraute glücklich behauptet hat, ist eher wieder zu gebrauchen als eine die zurückgeworfen ist.

125 a. Es sind zwei Folgen von Nr. 123. in Betracht zu ziehen.

Die erste ist die aus dem Gebrauch einer geringern Streitkraft im Feuergefecht als der Gegner sie anwendet erwachsende Ökonomie der Kräfte. Denn wenn die Zerstörung der Kräfte im Feuergefecht nicht blos durch die Verluste an Solchen die außer Gefecht gesetzt werden, entsteht, sondern auch dadurch daß Alles was gefochten hat in seiner Kraft geschwächt ist, so wird natürlich die Schwächung für Den geringer sein der weniger angewendet hat.

Wenn 500 Mann im Stande gewesen sind 1000 Mann das Gleichgewicht im Gefecht zu halten, so bleiben bei gleichen Verlusten auf beiden Seiten, die wir auf 200 annehmen wollen, dem Einen 300 Mann mit erschöpften Kräften, dem andern 800 Mann, wovon 300 erschöpft, 500 aber frisch sind.

125 b. Die zweite Folge ist daß die Schwächung des Gegners, also die Zerstörung der feindlichen Streitkräfte, viel mehr Umfang hat als die Zahl der Todten, Verwundeten und Gefangenen. Die Zahl der letztern beträgt vielleicht nur ⅕ des Ganzen, es sollten also ⅚ übrig bleiben. Aber unter diesem ⅚ sind eigentlich nur die ganz intakten Reserven und die Truppen welche zwar gebraucht worden sind aber noch wenig gelitten haben, als brauchbar und die übrigen (vielleicht 4/6) als ein caput mortuum zu betrachten.

126. Diese Verkleinerung der wirkenden Massen ist die erste Absicht des Zerstörungsakts, weil die Entscheidung nur mit den kleinern Massen gegeben werden kann.

127. Es ist aber nicht die absolute Größe der

Massen
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Massen welche bei der Entscheidung ein Hinderniß ist (wiewohl auch diese absolute Größe etwas thut; 50 Mann gegen 50 Mann können auf der Stelle zur Entscheidung schreiten, aber nicht 50,000 gegen 50,000) sondern die relative Größe. Wenn nämlich ⅚ des Ganzen im Zerstörungsakt ihre Kräfte schon an einander abgemessen haben, so sind beide Feldherrn, wenn sie auch beide vollkommen im Gleichgewicht geblieben wären, dem endlichen Beschluß welchen sie zu fassen haben dennoch viel näher und es gehört nur noch ein verhältnißmäßig kleiner Anstoß dazu um die Entscheidung zu geben. So ist es, das übrig gebliebene Sechstheil mag einer Armee von 30,000 Mann angehören, also 5000 Mann sein, oder einer von 150,000, also 25,000 Mann.

128. Aber die Hauptabsicht beider Theile im Zerstörungsakt geht dahin, sich in demselben ein Übergewicht für den Entscheidungsakt zu verschaffen.

129. Dieses Übergewicht kann in Vernichtung feindlicher physischer Kräfte, aber auch in den übrigen unter Nr. 4. angegebenen Gegenständen erreicht werden.

130. Es besteht also in dem Zerstörungsakt ein natürliches Bestreben alle Vortheile welche sich darbieten so gut als es die Verhältnisse erlauben zu benutzen.

131. Nun zerfällt das Gefecht größerer Massen immer in mehrere partielle Gefechte (Nr. 23) die mehr oder weniger selbstständig sind und also häufig in sich einen Zerstörungs- und einen Entscheidungsakt haben müssen, wenn man die Vortheile welche man durch den ersten erhalten hat benutzen will.

132. Durch diese geschickte und glückliche Einmischung des Handgefechts wird man hauptsächlich die Vortheile erhalten welche man in Zerstörung des feindlichen

III 20
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Muths und der feindlichen Ordnung und im Terraingewinn sucht.

133. Aber selbst die physische Zerstörung der feindlichen Streitkräfte wird dadurch sehr gesteigert, denn Gefangene kann man nur durch das Handgefecht machen.

Wenn also ein Bataillon durch unser Feuer erschüttert ist, wenn unser Bajonetangriff es aus seiner vortheilhaften Stellung wirft und wir senden ihm auf seiner Flucht ein Paar Schwadronen nach, so begreift man wie dieser partielle Erfolg bedeutende Vortheile aller Art in die Waagschale des allgemeinen legen wird; aber es ist freilich Bedingung daß es geschehe ohne in Verlegenheit mit dieser siegenden Truppe zu gerathen, denn wenn unser Bataillon und unsere Schwadronen dabei überlegenen feindlichen Kräften in die Hände fielen, so wäre diese partielle Entscheidung unzeitig gewesen.

134. Die Benutzung dieser partiellen Erfolge liegt in der Hand der Unterbefehlshaber und giebt derjenigen Armee eine große Überlegenheit, welche erfahrne Offiziere an der Spitze ihrer Divisionen, Brigaden, Regimenter, Bataillone, Batterien u. s. w. hat.

135. So sucht jeder der beiden Feldherrn schon im Zerstörungsakt sich diejenigen Vortheile zu verschaffen die die Entscheidung geben und dadurch diese wenigstens vorzubereiten.

136. Die wichtigsten Gegenstände unter allen sind hier stets genommene Geschütze und genommenes Terrain.

137. Das Letztere nimmt an Wichtigkeit zu wenn der Feind sich in der Vertheidigung einer starken Stellung begriffen befand.

138. So ist der Zerstörungsakt von beiden Seiten,

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vorzugsweise aber von Seiten des Angreifenden schon ein behutsames Vorschreiten zum Ziele.

139. Da im Feuergefecht die Zahl so wenig entscheidet (Nr. 53), so folgt von selbst das Bestreben in demselben mit so wenig Kräften als nur möglich auszureichen.

140. Da im Zerstörungsakt das Feuergefecht vorherrscht, so herrscht auch das Bestreben der höchsten Ökonomie der Kräfte in demselben.

141. Da beim Handgefecht die Zahl ein so wesentlicher Gegenstand ist, so wird bei den Entscheidungen der partiellen Gefechte im Zerstörungsakt auch häufig eine Mehrzahl angewendet werden müssen.

142. Im Ganzen muß aber der Charakter der Sparsamkeit auch hier vorherrschen, und es werden in der Regel nur die Entscheidungen angemessen sein die sich ohne große Überlegenheit der Zahl gleichsam von selbst machen.

143. Ein unzeitiges Bestreben nach Entscheidung hat zur Folge:

a) wenn sie mit Ökonomie der Kräfte eingerichtet ist daß man in überlegenen Massen hineingeräth; oder
b) wenn die gehörigen Kräfte angewendet werden daß man sich zu früh erschöpft.

144. Die Frage ob es zeitgemäß ist eine Entscheidung zu geben, widerholt sich also innerhalb des Zerstörungsaktes sehr oft, sie tritt aber auch für die Hauptentscheidung am Ende desselben ein.

145. Der Zerstörungsakt hat deshalb das natürliche Bestreben auf einzelnen Punkten in den Entscheidungsakt überzugehen, weil jeder Vortheil der sich in seinem Verlauf darbietet, erst durch die zum Bedürfniß gewordene Entscheidung sein volles Maaß erreichen kann.

146. Je erfolgreicher die im Zerstörungsakt ange

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wendeten Mittel sind oder je größer die physische oder moralische Überlegenheit war, um so stärker wird diese Tendenz des Ganzen sein.

147. Bei geringen oder negativen Erfolgen oder bei der Überlegenheit des Gegners kann sie aber auch in den einzelnen Punkten so selten und so schwach sein daß sie für das Ganze gar nicht vorhanden ist.

148. Diese natürliche Tendenz kann im Einzelnen und im Allgemeinen zu unzeitigen Entscheidungen führen, ist aber, weit entfernt darum ein Übel zu sein, vielmehr eine ganz nothwendige Eigenschaft des Zerstörungsaktes, weil ohne sie viel versäumt werden würde.

149. Das Urtheil des Führers auf jedem Punkt und des Feldherrn für das Allgemeine muß bestimmen ob die sich darbietende Gelegenheit zu einer Entscheidung vortheilhaft ist oder nicht, d. h. ob sie nicht zu einem Rückschlag und damit zu einem negativen Resultat führt.

150. Die Leitung eines Gefechts in Beziehung auf die der Entscheidung vorangehende Vorbereitung oder vielmehr Zubereitung desselben besteht also darin ein Feuergefecht und im weitern Sinne einen Zerstörungsakt anzuordnen und demselben eine angemessene Dauer zu geben, d. h. die Entscheidung erst eintreten zu lassen wenn man glaubt daß der Zerstörungsakt eine hinreichende Wirkung gethan hat.

151. Dieses Urtheil wird aber nicht sowohl nach der Uhr abzunehmen sein, nicht aus den bloßen Zeitverhältnissen hervorgehen, sondern aus den Umständen welche sich ergeben haben, aus den Zeichen einer schon gewonnenen Überlegenheit.

152. Da nun der Zerstörungsakt, wenn er von gutem Erfolg begleitet ist, schon zur Entscheidung selbst

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strebt, so kommt es für den Führer mehr darauf an zu beurtheilen wann und wo es Zeit ist ihm die Zügel schießen zu lassen.

153. Wenn die Tendenz zur Entscheidung in dem Zerstörungsakt sehr schwach wäre, so würde dies schon ein ziemlich sicheres Zeichen sein daß auf keinen Sieg zu rechnen sei.

154. Es werden also die Führer und Feldherrn in diesem Falle meistens die Entscheidung nicht geben sondern empfangen.

155. Wo sie dennoch gegeben werden soll da geht sie von dem ausdrücklichen Befehl aus, der von allen der Führung zu Gebote stehenden persönlichen Mitteln der Ermunterung und des fortreißenden Einflusses begleitet sein muß.

Der Entscheidungsakt.

156. Die Entscheidung ist dasjenige Ereigniß wodurch der Entschluß zum Abzuge in dem einen der Feldherrn hervorgerufen wird.

157. Die Gründe zum Abzug haben wir in der 4ten Nummer angegeben. Diese können nach und nach entstehen, indem sich schon im Zerstörungsakt ein kleiner Nachtheil zum andern häuft und der Entschluß also ohne eigentlich entscheidendes Ereigniß gefaßt wird. In diesem Falle findet ein besonderer Entscheidungsakt nicht Statt.

158. Der Entschluß kann aber auch durch ein einzelnes bedeutend nachtheiliges Ereigniß, also plötzlich hervorgebracht werden, nachdem bis dahin Alles noch im Gleichgewicht geschwebt hatte.

159. In diesem Falle nun ist die Handlung des

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Gegners welche dieses Ereigniß hervorgebracht hat als die gegebene Entscheidung zu betrachten.

160. Der gewöhnlichste Fall aber ist daß die Entscheidung im Laufe des Vernichtungsaktes nach und nach reift, daß aber der Entschluß des Besiegten durch ein besonderes Ereigniß den letzten Anstoß erhält. Also auch in diesem Falle ist die Entscheidung als eine gegebene zu betrachten.

161. Ist die Entscheidung eine gegebene, so muß sie eine positive Handlung sein.

a) Dies kann ein Angriff sein.
b) Aber auch ein bloßes Anrücken neuer Reserven die versteckt gehalten worden.

162. Bei kleinen Haufen ist das Handgefecht in einem einzigen Anfall oft zur Entscheidung schon zureichend.

163. Bei größern Haufen kann der Angriff vermittelst des bloßen Handgefechts auch noch zureichen, doch wird es dann schwerlich bei einem einzelnen Anfall bleiben.

164. Werden die Haufen noch größer, so mischt sich das Feuergefecht ein. Wie bei dem Angriff bedeutender Kavalleriemassen die reitende Artillerie.

165. Bei großen aus allen Waffen bestehenden Massen wird die Entscheidung niemals in einem bloßen Handgefecht bestehen, sondern es wird ein neues Feuergefecht nothwendig werden.

166. Aber dieses Feuergefecht wird dann im Charakter des Anfalls selbst sein; es wird in dichtern Massen, also mit einer in Zeit und Raum sehr konzentrirten Wirkung als eine kurze Vorbereitung des eigentlichen Anfalls gebraucht werden.

167. Besteht die Entscheidung nicht mehr aus einem einzelnen Handgefecht, sondern aus einer Reihe von gleich

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zeitigen und successiven Gefechten beider Art, so wird sie dadurch ein eigner Akt des Gesammtgefechts, wie das Nr. 115 ff. schon im Allgemeinen gesagt ist.

168. In diesem Akte wird das Handgefecht vorherrschen.

169. In eben dem Maaße wie das Handgefecht vorherrscht, wird der Angriff vorherrschen, wiewohl auf einzelnen Punkten auch die Vertheidigung stattfinden kann.

170. Gegen das Ende einer Schlacht wird die Rücksicht auf den Rückzugsweg immer wichtiger, daher wird die Wirkung auf diesen Weg ein wichtiges Vehikel zur Entscheidung.

171. Wo die Verhältnisse es zulassen, wird deshalb schon von Hause aus der Plan der Schlacht auf diesen Punkt gerichtet.

172. Je mehr die Schlacht oder das Gefecht sich im Sinne dieses Planes ausbildet, um so mehr werden sich auch die Mittel entwickeln auf den feindlichen Rückzugsweg zu wirken.

173. Ein anderes großes Vehikel zum Siege ist die gebrochene Ordnung. Die künstliche Struktur mit welcher die Streitmassen in das Gefecht gehen, leidet in dem langen Zerstörungskampfe in dem sich ihre Kräfte ausringen sehr beträchtlich. Ist diese Erschütterung und Schwächung bis auf einen gewissen Punkt gekommen, so kann ein schnelles Vordringen mit konzentrirten Massen von Seiten des Einen in die Schlachtlinie des Andern eine große Verwirrung hervorbringen, die an keinen Sieg mehr denken läßt, sondern alle Kräfte in Anspruch nimmt um die einzelnen Theile in Sicherheit zu bringen und einen nothdürftigen Zusammenhang des Ganzen herzustellen.

174. Aus allem bisher Gesagten geht hervor daß

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wenn in dem Vorbereitungsakte die höchste Ökonomie der Kräfte vorherrscht, im Entscheidungsakte die Überwältigung durch die Zahl vorherrschen muß.

175. So wie im Vorbereitungsakte Geduld, Standhaftigkeit und Kälte vorherrschen sollen, so sollen im Entscheidungsakte Kühnheit und Feuer vorherrschen.

176. Von beiden Feldherrn pflegt nur einer die Entscheidung zu geben, der andere nimmt sie an.

177. Wenn Alles noch im Gleichgewicht ist, so kann der welcher die Entscheidung giebt

a) der Angreifende,
b) der Vertheidigende sein.

178. Da der Angreifende den positiven Zweck hat, so ist es am natürlichsten daß er sie giebt und daher tritt dieser Fall auch am häufigsten ein.

179. Ist aber das Gleichgewicht schon merklich gestört, so kann die Entscheidung gegeben werden

a) von dem Feldherrn der im Vortheil ist,
b) von dem welcher im Nachtheil ist.

180. Das Erstere ist offenbar das Natürlichere, und ist dieser Feldherr zugleich der Angreifende, so wird es noch natürlicher und daher wird es nur wenig Fälle geben wo die Entscheidung nicht von diesem Feldherrn ausginge.

181. Ist es aber der Vertheidiger welcher im Vortheil ist, so ist es auch natürlich daß er die Entscheidung giebt, so daß das nach und nach eingetretene Verhältniß mehr entscheidet als die ursprüngliche Absicht von Angriff und Vertheidigung.

182. Ein Angreifender welcher schon in merklichem Nachtheil ist und doch noch die Entscheidung giebt, sieht es als den letzten Versuch an seine ursprüngliche Absicht

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zu erreichen. Wenn der im Vortheil befindliche Vertheidiger ihm Zeit dazu läßt, so ist es allerdings in der Natur der positiven Absicht des Angreifenden einen solchen letzten Versuch zu machen.

183 a. Ein Vertheidiger der in merklichem Nachtheil ist und dennoch die Entscheidung geben will, thut Etwas was ganz gegen die Natur der Dinge und als eine Handlung der Verzweiflung zu betrachten ist.

183 b. Der Erfolg im Entscheidungsakt richtet sich nach den eben entwickelten Verhältnissen, so daß er in der Regel nur für Den sein wird welcher die Entscheidung giebt wenn diese aus natürlichen Verhältnissen hervorgeht.

184. Wo noch Alles im Gleichgewicht war ist der Erfolg gewöhnlich für Den welcher die Entscheidung giebt, denn in dem Augenblick einer zur Entscheidung gereiften Schlacht, wo sich die Kräfte an einander ausgerungen haben, ist das positive Prinzip von viel größerem Gewicht als im Anfang derselben.

185. Der Feldherr welcher die Entscheidung empfängt kann entweder sich dadurch augenblicklich zum Rückzug bestimmen lassen und allem weitern Gefecht ausweichen, oder er kann das Gefecht noch fortsetzen.

186. Setzt er es fort so kann es nur sein

a) als Anfang seines Rückzugs, indem er dadurch Zeit zu gewinnen sucht seine Einleitungen zu treffen;
b) als einen wirklichen Kampf worin noch Erfolg zu hoffen ist.

187. Befindet sich der Feldherr welcher die Entscheidung annimmt in sehr günstigen Verhältnissen, so kann er dabei auch auf der Vertheidigung bleiben.

188 a. Ist aber die Entscheidung aus natürlichen d. h. günstigen Verhältnissen dessen der sie giebt hervorgegangen,

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so wird auch der Feldherr welcher sie annimmt mehr oder weniger zu einer aktiven Vertheidigung übergehen, d. h. dem Anfall mit Anfall begegnen müssen, theils weil die natürlichen Vortheile der Vertheidigung (Stellung, Ordnung, Überraschung) im Verlaufe des Gefechts sich nach und nach erschöpfen und zuletzt nicht mehr beträchtlich vorhanden sind, theils weil, wie wir Nr. 184 gesagt haben, das positive Prinzip ein immer größeres Gewicht bekommt.

Ihre Trennung in der Zeit.

188 b. Die hier gegebene Ansicht daß jedes Gefecht in zwei getrennte Akte zerfällt, wird bei der ersten Betrachtung viel Widerspruch finden.

189. Dieser Widerspruch wird theils aus einer eingewohnten falschen Ansicht vom Gefecht, theils daraus entstehen daß man auf den Begriff des Getrennten eine zu pedantische Wichtigkeit legt.

190. Man denkt sich den Gegensatz zwischen Angriff und Vertheidigung zu groß, beide Thätigkeiten zu rein antithetisch, oder vielmehr man legt den Gegensatz dahin wo er sich in der Ausführung nicht findet.

191. Die Folge ist daß man sich den Angreifenden vom ersten Augenblick bis zum letzten mit einem gleichmäßigen unausgesetzten Streben zum Vorschreiten und die Ermäßigung der vorschreitenden Bewegung immer nur wie eine ganz unwillkührlich erzwungene denkt, die unmittelbar vom Widerstande ausgeht.

192. Nach dieser Vorstellungsart ist Nichts natürlicher als daß jeder Angriff mit der höchsten Energie des des Sturmes anfinge.

193. Für die Artillerie hat man doch auch bei dieser Vorstellungsart sich schon an einen Vorbereitungsakt

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gewöhnt, weil es doch zu einleuchtend war daß sie sonst größtentheils unnütz sein würde.

194. Sonst aber hat man jenes unvermischte Streben zum Vorschreiten für so naturgemäß gehalten daß man den Angriff ohne einen Schuß zu thun wie eine Art Ideal betrachtet hat.

Selbst Friedrich der Große hat bis zur Schlacht von Zorndorf das Feuer beim Angriff wie etwas Ungehöriges betrachtet.

195. Wenn man auch davon später etwas zurückgekommen ist, so glaubt doch noch heute der große Haufe daß der Angreifende sich der bedeutendsten Punkte einer Stellung nicht zu früh bemächtigen könne.

196. Diejenigen welche dem Feuer noch die meisten Concessionen machen, wollen doch gleich zum Angriff vorrücken, in großer Nähe einige Bataillonssalven geben und dann mit dem Bajonet draufgehen.

197. Aber ein Blick auf die Kriegsgeschichte und ein Blick auf unsere Waffen zeigt daß die absolute Verwerfung des Feuers beim Angriff ein Absurdum ist.

198. Etwas mehr Bekanntschaft mit dem Gefecht und besonders die anschauliche Erfahrung lehrt auch daß eine Truppe die einmal ins Feuern verfällt selten noch zu einem kräftigen Sturme zu brauchen ist. Folglich ist die in Nr. 196 erwähnte Concession Nichts werth.

199. Endlich zeigt die Kriegsgeschichte eine unermeßliche Menge von Fällen wo man einen errungenen Vortheil mit großem Verlust wieder hat aufgeben müssen, weil man unvorsichtig vorgedrungen war. Es kann also auch der in Nr. 195 ausgesprochene Grundsatz nicht zugestanden werden.

200. Wir behaupten also daß die ganze hier be

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rührte Vorstellungsart von der ungemischten Natur des Angriffs, wenn man uns diesen Ausdruck erlauben will, falsch ist, weil sie nur äußerst wenigen sehr eigenthümlichen Fällen entspricht.

201. Ist aber ein Anfang mit dem Handgefecht und der Entscheidung bei größern Gefechten nicht in der Natur der Dinge, so entsteht von selbst eine Theilung in Vorbereitung der Entscheidung durch das Feuer und in Entscheidung, also in die beiden Akte mit denen wir uns beschäftigt haben.

202. Wir haben zugegeben daß sie bei ganz kleinen Gefechten wegfallen kann (z. B. kleinen Kavalleriehaufen). Es entsteht nun die Frage ob sie nicht am Ende auch wieder aufhört wenn die Massen eine gewisse Größe bekommen. Nicht als ob die Anwendung des Feuers aufhören könnte, das wäre ein Widerspruch in sich, sondern ob die distinkte Trennung beider Thätigkeiten aufhören wird, so daß man sie nicht mehr als zwei getrennte Akte betrachten kann.

203. Man könnte vielleicht sagen ein Bataillon solle schießen ehe es Sturm läuft; das Eine muß dem Andern vorhergehen, es entstehen also zwei verschiedene Akte; aber nur für das Bataillon, nicht für die größere Abtheilung, die Brigade. Diese hat keinen für alle Bataillone bestimmten Feuer- und Entscheidungsabschnitt, sie sucht von Hause aus das Objekt zu erreichen das ihr aufgegeben ist und überläßt das den Bataillonen.

204. Wer sieht nicht ein daß so alle Einheit verloren gehen müßte? Bei der großen Nähe in welcher ein Bataillon neben dem andern sicht, müssen die Erfolge und Nichterfolge des einen nothwendig Einfluß auf die andern haben, und bei der geringen intensiven Wirkung unsers

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Flintenfeuers und folglich seiner beträchtlichen Dauer wenn es wirksam werden soll, muß jener Einfluß wegen dieser Dauer größer und entscheidender werden. Aus diesem Grunde schon muß eine gewisse allgemeine Zeiteintheilung für das Zerstörungs- und Entscheidungsgefecht auch bei der Brigade entstehen.

205. Aber ein noch wesentlicherer Grund ist daß man sich zur Entscheidung gern frischer, wenigstens anderer Truppen als zum Zerstörungsakte bedient; diese aber werden von den Reserven genommen und die Reserven müssen ihrer Natur nach ein gemeinschaftliches Gut sein, können nicht bataillonsweise vorher vertheilt werden.

206. So wie nun das Bedürfniß eines allgemeinen Abschnittes des Gefechts von den einzelnen Bataillonen zu der Brigade übergeht, so geht es von dieser zur Division über und von der Division zu noch größern Abtheilungen.

207. Da aber die Theile eines Ganzen (Glieder der ersten Ordnung) immer unabhängiger werden je größer das Ganze ist, so wird allerdings auch die Einheit des Ganzen weniger beschränkend auf sie wirken, und so entsteht es daß innerhalb eines Theilgefechts immer mehr Entscheidungsakte vorkommen können und werden je größer das Ganze ist.

208. Es werden also die Entscheidungen bei einem größern Theile sich nicht in dem Maaße zu einem einzigen Ganzen vereinigen, wie dies bei dem kleinern Theile der Fall ist, sondern sich in Zeit und Raum mehr vertheilen, doch wird immer noch eine merkliche Sonderung der beiden verschiedenen Thätigkeiten nach Anfang und Ende hin bemerkbar bleiben.

209. Nun können die Theile so groß, ihre Trennung von einander kann so bedeutend werden daß ihre Thätig

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keit in dem Gefechte zwar noch von dem Willen des Feldherrn ausgeht (wodurch die Selbstständigkeit des Gefechts bedingt wird), daß aber diese Leitung sich auf eine anfängliche Bestimmung oder höchstens auf ein Paar im ganzen Verlaufe des Gefechts beschränkt; in diesem Falle vereinigt ein solcher Theil den ganzen Organismus des Gefechts fast vollständig in sich.

210. Je größer die Entscheidungen sind die einem Theil nach seinem Verhältnisse zustehen, um so mehr werden sie schon die Entscheidung des Ganzen mitbestimmen, und man kann sich die Verhältnisse der Theile so denken daß in ihrer Entscheidung schon die des Ganzen enthalten, ein eigener Entscheidungsakt für das Ganze also nicht mehr nöthig ist.

211. Beispiel. Eine Brigade kann in einer großen Schlacht, deren Glieder erster Ordnung Korps sind, gleich von vorn herein den Auftrag haben ein Dorf zu nehmen. Sie wird sich dazu ihres Zerstörungs- und ihres Entscheidungsaktes für sich bedienen. Die Eroberung dieses Dorfes kann nun auf die Entscheidung des Ganzen mehr oder weniger Einfluß haben, aber es ist nicht in der Natur der Dinge daß sie diese Entscheidung in einem hohen Grade bestimme oder gar schon selbst ausmache, weil eine Brigade im Anfange der Schlacht dazu ein zu unbedeutender Theil des Ganzen wäre; dagegen kann man sich sehr wohl denken daß die ganze Eroberung dieses Dorfes noch zu den Zerstörungsmaaßregeln gehöre wodurch die feindlichen Streitkräfte nur geschwächt und erschüttert werden sollen.

Denken wir uns dagegen ein bedeutendes Korps welches vielleicht den dritten Theil oder gar die Hälfte des Ganzen ausmacht, mit dem Auftrage einen gewissen bedeu

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tenden Theil der feindlichen Stellung zu nehmen, so kann dieser Theil sehr leicht so wichtig sein daß er über das Ganze entscheidet und daß, wenn das Korps seinen Zweck erreicht hat, eine weitere Entscheidung nicht mehr nöthig wird. Nun können die Verhältnisse leicht so gedacht werden daß diesem Korps wegen der Entfernung und wegen der Gegend im Laufe der Schlacht nur wenig Bestimmungen zugehen können, es muß ihm also die Vorbereitung und die Entscheidung zugleich mitaufgetragen werden. Auf diese Weise kann der gemeinschaftliche Entscheidungsakt ganz wegfallen und in abgesonderte Entscheidungsakte einiger großer Glieder zerlegt werden.

212. Dies ist nun in großen Schlachten allerdings oft der Fall und eine pedantische Vorstellung von der Trennung beider Theile, in welche wir das Gefecht zerlegen, würde also im Widerspruche mit dem Hergange einer solchen Schlacht sein.

213. Aber indem wir diesen Unterschied in der Gefechtsthätigkeit feststellen und darauf einen großen Werth legen, war es gar nicht unsere Absicht diesen Werth auf die regelmäßige Absonderung und Trennung dieser beiden Thätigkeiten zu legen und dies als einen praktischen Grundsatz zu fordern, sondern wir wollen nur was wesentlich verschieden ist auch in der Vorstellung sondern und zeigen wie diese innere Verschiedenheit auch die Form des Gefechts von selbst beherrscht.

214. Die Trennung in der Form zeigt sich am genauesten in dem ganz kleinen Gefechte, wo das einfache Feuer- und Handgefecht einander gegenüberstehen. Der Kontrast wird weniger stark wenn die Theile größer werden, weil sich da in den beiden Akten die beiden Gefechtsformen von welchen sie ausgegangen sind, wieder zusam

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menfinden; aber die Akte selbst werden größer, nehmen mehr Zeit ein und rücken folglich in der Zeit weiter auseinander.

215. Die Trennung für das Ganze kann auch aufhören insofern die Entscheidung schon den Gliedern erster Ordnung übertragen ist; aber selbst dann wird sich doch auch im Ganzen noch eine Spur davon zeigen, da man doch dahin streben wird die Entscheidungen dieser verschiedenen Glieder in Beziehung auf die Zeit in Zusammenhang zu bringen, sei es daß man ein ganz gleichzeitiges Eintreten der Entscheidung oder ein Eintreten nach einer gewissen Ordnung für nöthig hält.

216. Es wird sich also der Unterschied dieser beiden Akte auch für das Ganze niemals ganz verlieren, und was davon für das Ganze verloren gegangen ist wird sich in den Gliedern erster Ordnung wiederfinden.

217. So muß also unsere Ansicht verstanden werden, und so verstanden wird ihr von der einen Seite die Realität nicht fehlen, von der andern wird sie in dem Führer eines Gefechts, sei es groß oder klein, Theilgefecht oder Gesammtgefecht, die Aufmerksamkeit darauf richten jedem der beiden Thätigkeitsakte sein gebührendes Theil zu geben, damit eben so wenig Etwas übereilt als versäumt werde.

218. Übereilt werden die Sachen wenn dem Zerstörungsprinzip nicht Raum und Zeit genug gegeben, wenn die Sache übers Knie zerbrochen wird; ein unglücklicher Ausgang der Entscheidung ist die Folge, die entweder gar nicht wieder gut zu machen ist oder doch ein wesentlicher Nachtheil bleibt.

219. Versäumt wird überall wo eine reife Entscheidung aus Mangel an Muth oder aus falscher Ansicht unter

bleibt;
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bleibt; die Folge ist in jedem Falle Kraftverschwendung, sie kann aber auch ein positiver Nachtheil sein, weil die Reife der Entscheidung nicht ganz allein von der Dauer der Zerstörung abhängt, sondern auch von andern Umständen d. h. von der günstigen Gelegenheit.

Plan des Gefechts. Definition.

220a. Der Plan des Gefechts macht die Einheit desselben möglich; jedes gemeinschaftliche Handeln bedarf einer solchen Einheit. Diese Einheit ist nichts Anderes als der Zweck des Gefechts; von ihm gehen die Bestimmungen aus welche für alle Theile nöthig sind um den Zweck auf die beste Art zu erreichen. Die Feststellung des Zwecks und der aus ihm folgenden Bestimmungen ist also der Plan.

220b. Wir verstehen hier unter Plan alle Bestimmungen welche für das Gefecht gegeben werden, sei es vor demselben bei seinem Anfange oder in seinem Verlaufe; also die ganze Einwirkung der Intelligenz auf die Materie.

220c. Offenbar besteht aber ein wesentlicher Unterschied zwischen solchen Bestimmungen die nothwendig vorher gegeben werden müssen und die sich vorher geben lassen auf der einen Seite und solchen auf der andern die der Augenblick erzeugt.

220d. Das Erstere ist der Plan im eigentlichen Sinne, das Letztere kann man die Führung nennen.

221. Da diese Bestimmungen die der Augenblick erzeugt ihren reichhaltigsten Quell in der Wechselwirkung beider Gegner haben, so werden wir erst dann diesen Unterschied festhalten und näher betrachten wenn wir uns mit der Wechselwirkung beschäftigen.

222. Ein Theil des Plans liegt schon stereotypisch

III 21
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in der Formation der Streitkräfte, wodurch die große Zahl der Glieder auf wenige zurückgeführt wird.

223. Beim Theilgefecht ist diese Formation mehr die Hauptsache als beim Gesammtgefecht, sie macht da oft den ganzen Plan aus und zwar um so mehr je kleiner der Theil ist. Ein Bataillon macht in einer großen Schlacht nicht viel andere Dispositionen als ihm durch das Reglement und den Übungsplatz vorgeschrieben sind; eine Division aber reicht damit nicht aus, hier werden schon individuelle Bestimmungen nöthiger.

224. Im Gesammtgefecht ist aber auch beim kleinsten Haufen die Formation selten der ganze Plan, sondern dieser löst oft die Formation auf um Freiheit zur individuellen Disposition zu bekommen. Eine Schwadron die einen Überfall auf einen kleinen feindlichen Posten unternimmt theilt sich in mehrere getrennte Kolonnen so gut wie die größte Armee.

Ziel des Plans.

225. Der Zweck des Gefechts macht die Einheit des Plans; wir können ihn als das Ziel desselben betrachten, nämlich als diejenige Richtung nach der alle Thätigkeiten hinlaufen sollen.

226. Zweck des Gefechts ist der Sieg, also alles Dasjenige was den Sieg bedingt und was in Nr. 4. aufgezählt ist.

227. Alle die in Nr. 4. genannten Gegenstände können im Gefechte nur durch Vernichtung feindlicher Streitkraft erreicht werden, sie erscheint also bei allen als das Mittel.

228. Sie ist aber in den meisten Fällen der Hauptzweck selbst.

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229. Wo das Letztere der Fall ist, ist der Plan auf die möglichst größte Vernichtung feindlicher Streitkraft gerichtet.

230. Wo andere von den in Nr. 1. genannten Gegenständen höher gestellt werden als die Vernichtung der feindlichen Streitkraft, nimmt diese als Mittel eine untergeordnete Stelle ein. Dann ist nicht mehr die größtmöglichste sondern nur eine genügende Vernichtung gefordert. Man darf dann die nächsten Wege zum Ziel einschlagen.

231a. Es giebt Fälle wo die in Nr. 4. c d e f g genannten Gegenstände welche den Abzug des Feindes bestimmen, ganz ohne Vernichtung feindlicher Streitkräfte erreicht werden können; dann hat man den Feind durch ein Manöver überwunden und nicht durch ein Gefecht. Aber dies ist kein Sieg, also nur brauchbar insofern man ganz andere Zwecke als einen Sieg hat.

231b. In diesen Fällen wird zwar die Anwendung der Streitkräfte immer noch den Begriff eines Gefechts, also einer Vernichtung feindlicher Streitkräfte voraussetzen, aber nur als möglich, nicht als wahrscheinlich. Denn indem man seine Absicht auf andere Dinge als die Vernichtung feindlicher Streitkräfte richtet, setzt man voraus daß diese andern Dinge wirksam sein und es nicht zu einem namhaften Widerstande kommen lassen werden. Dürfte man diese Voraussetzung nicht machen, so könnte man auch diese andern Gegenstände nicht zu seiner Absicht wählen, und irrte man sich in der Voraussetzung, so wäre der Plan ein verfehlter.

232. Aus der vorigen Nummer folgt daß überall wo eine bedeutende Vernichtung feindlicher Streitkräfte die Bedingung des Sieges wird, sie auch der Hauptgegenstand des Plans sein müsse.

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233. Da nun ein Manöver als solches kein Gefecht ist sondern dasselbe nur anwendet insofern es als Manöver nicht gelingen will, so können die Gesetze für das Gesammtgefecht auch nicht auf den Fall eines Manövers passen, und die eigenthümlichen Dinge welche im Manöver wirksam sind, können in der Theorie des Gefechts nicht zur Gesetzgebung beitragen.

234. Es kommen freilich in der Ausführung häufig gemischte Verhältnisse vor, das hindert aber nicht die Dinge die in ihrem Wesen verschieden sind in der Theorie zu trennen; weiß man was man an jedem Theile hat, so lassen sich die Kombinationen nachher wieder machen.

235. Es ist also die Vernichtung feindlicher Streitkräfte in allen Fällen die Absicht, und die in Nr. 4. b c d e f genannten Gegenstände werden dadurch erst hervorgerufen und treten dann freilich als eigene Potenzen damit in Wechselwirkung.

236. Das was von diesen Gegenständen immer wiederkehrt, d. h. nicht die Folge individueller Verhältnisse ist, ist auch lediglich als eine Wirkung der Vernichtung feindlicher Streitkraft zu betrachten.

237. Insofern etwas ganz Allgemeines über den Plan des Gefechts festzustellen ist kann es sich also nur auf die wirksamste Anwendung der eigenen Streitkraft zur Vernichtung der feindlichen beziehen.

Verhältniß zwischen Größe und Sicherheit des Erfolgs.

238. Da man es im Kriege und folglich auch im Gefechte mit moralischen Kräften und Wirkungen zu thun hat, die sich nicht bestimmt berechnen lassen, so bleibt immer eine große Ungewißheit über den Erfolg der angewendeten Mittel.

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239. Diese wird noch vermehrt durch die Menge der Zufälle mit welchen die kriegerische Handlung im Kontakt ist.

240. Wo Ungewißheit ist wird das Wagen ein wesentliches Element.

241. Wagen in der gewöhnlichen Bedeutung heißt auf Dinge bauen die mehr unwahrscheinlich als wahrscheinlich sind. Wagen in der weitesten Bedeutung aber heißt Dinge voraussetzen die nicht gewiß sind. In dieser letzten Bedeutung müssen wir es hier nehmen.

242. Gäbe es nun bei allen vorkommenden Fällen eine Linie zwischen Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit, so könnte man auf den Gedanken kommen sie zur Grenzlinie des Wagens zu machen, und also das Wagen über dieselbe hinaus, nämlich das Wagen im engeren Sinne für unzulässig zu halten.

243. Allein erstlich wäre eine solche Linie eine Chimäre, zweitens ist der Kampf nicht bloß ein Akt der Überlegung sondern auch der Leidenschaft und des Muthes. Man kann diese Dinge nicht ausschließen, wollte man sie aber zu sehr beschränken, so würde man seinen eigenen Kräften die stärksten Prinzipe nehmen und dadurch in konstanten Nachtheil gerathen; denn in der Mehrheit der Fälle gleicht sich das unvermeidliche häufige Zurückbleiben hinter der Linie nur dadurch aus daß zuweilen darüber hinausgegangen wird.

244. Je günstiger die Voraussetzungen sind die man macht, d. h. je mehr man wagen will, um so größer sind die Erfolge welche man bei denselben Mitteln erwartet, also die Zwecke welche man sich vorsetzt.

245. Je mehr man wagt um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, also die Sicherheit des Erfolgs.

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246. Größe des Erfolgs und Sicherheit desselben stehen also bei denselben Mitteln im entgegengesetzten Verhältnisse.

247. Die erste Frage wäre nun wie viel Werth man auf das eine oder andere dieser beiden entgegengesetzten Prinzipe legen soll?

248. Darüber kann nichts Allgemeines bestimmt werden, es ist vielmehr das Individuellste im ganzen Kriege. Einmal bestimmen es die Verhältnisse die in manchen Fällen das größte Wagniß zur Nothwendigkeit machen können, und zweitens ist der Unternehmungsgeist und der Muth etwas rein Subjektives, was nicht vorgeschrieben werden kann. Man kann von einem Führer fordern daß er seine Mittel und Verhältnisse mit Sachkenntniß beurtheile, ihre Wirkungen nicht überschätze; thut er das Erstere, so muß man ihm überlassen was er vermöge seines Muthes damit auszurichten denkt.

Verhältniß zwischen Größe des Erfolgs und des Preises.

249. Die zweite Frage in Beziehung auf die zu vernichtenden feindlichen Streitkräfte betrifft den Preis mit welchem man sie bezahlen will.

250. Bei der Absicht feindliche Streitkräfte zu vernichten ist freilich gewöhnlich die Bedingung gedacht, davon mehr zu vernichten als wir selbst dabei aufopfern; aber diese Bedingung ist keineswegs nothwendig, denn es kann Fälle geben (z. B. den großer Überlegenheit) wo die bloße Verminderung der feindlichen Kraft ein Vortheil ist, wenn wir sie auch mit einer größern der unsrigen bezahlen.

251. Aber selbst dann wenn unsere Absicht bestimmt darauf gerichtet ist mehr feindliche Streitkräfte zu ver

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nichten als wir selbst dabei aufopfern, bleibt immer die Frage noch stehen über die Größe dieser Opfer, denn mit ihnen wächst und fällt natürlich das Resultat.

252. Man sieht wohl daß die Beantwortung dieser Frage von dem Werth abhängt den unsere Streitkräfte für uns haben, also von den individuellen Verhältnissen. Diesen muß es überlassen bleiben, und man kann weder sagen daß die möglichste Schonung der eigenen Streitkräfte, noch daß der rücksichtslose Verbrauch derselben ein Gesetz sei.

Bestimmung der Art des Gefechts für die einzelnen Glieder.

253. Der Plan des Gefechts bestimmt für die einzelnen Glieder wann, wo und wie gefochten werden soll, d. h. er bestimmt Zeit, Raum und Art des Gefechts.

254. Hier, wie überall, lassen sich die allgemeinen d. h. die aus dem bloßen Begriff hervorgehenden Verhältnisse von denen unterscheiden die der individuelle Fall herbeiführt.

255. Die mannigfaltigste Verschiedenheit der Gefechtspläne muß natürlich aus den letztern hervorgehen, indem die eigenthümlichen Vortheile und Nachtheile aufgesucht, jene zur Wirksamkeit gebracht, diese neutralisirt werden.

256. Aber auch die allgemeinen Verhältnisse geben gewisse Resultate und wenn diese der Zahl nach nur wenige und der Form nach sehr einfache sind, so sind sie auch dafür um so wichtiger, weil sie das eigentlichste Wesen der Sache betreffen und mithin bei allen übrigen Entscheidungen das Fundament ausmachen.

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Angriff und Vertheidigung.

257. In Beziehung auf die Art des Gefechts giebt es nur zwei Unterschiede die überall vorkommen, also allgemein sind; der erste entspringt aus der positiven oder negativen Absicht und giebt den Angriff und die Vertheidigung, der andere aus der Natur der Waffen und giebt das Feuergefecht und das Handgefecht.

258. Strenge genommen wäre Vertheidigung ein bloßes Abwehren des Stoßes und gebührte ihr also keine andere Waffe als der Schild.

259. Dies wäre aber eine reine Negation, ein absolutes Leiden; Kriegführen aber ist kein Leiden; der Vertheidigung kann also niemals der Begriff durchgehender Passivität zum Grunde gelegt werden.

260. Genau betrachtet ist die passiveste der Waffen, das Feuer, noch etwas Positives und Aktives. Aber die Vertheidigung bedient sich ja überhaupt derselben Waffen wie der Angriff und auch derselben Gefechtsformen von Feuergefecht und Handgefecht.

261. Man muß also die Vertheidigung als einen Kampf betrachten, so gut wie den Angriff.

262. Dieser Kampf kann nur um den Sieg geführt werden, der also eben so gut Zweck der Vertheidigung wie des Angriffs ist.

263. Man ist durch Nichts berechtigt sich den Sieg des Vertheidigers wie etwas Negatives zu denken; wenn er in einzelnen Fällen so Etwas ist, so liegt das in den individuellen Bedingungen; in den Begriff der Vertheidigung darf es nicht aufgenommen werden, sonst wirkt es logisch auf die ganze Vorstellung des Kampfes zurück und bringt Widersprüche hinein, oder führt bei strenger

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Konsequenz wieder auf das Absurdum eines absoluten Leidens zurück.

264. Und doch besteht ein höchst wesentlicher Unterschied zwischen Angriff und Vertheidigung, welcher aber auch der einzige im Prinzip ist: nämlich der daß der Angreifende die Handlung (das Gefecht) will und ins Leben ruft, der Vertheidiger aber dies abwartet.

265. Dies Prinzip geht durch den ganzen Krieg und also durch das ganze Gebiet des Gefechtes durch und aus ihm fließen ursprünglich alle Unterschiede zwischen Angriff und Vertheidigung.

266. Wer aber eine Handlung will muß damit etwas bezwecken und dieser Zweck muß etwas Positives sein, weil die Absicht daß Nichts geschehe keine Handlung hervorrufen könnte. Der Angreifende muß also eine positive Absicht haben.

267. Der Sieg kann diese nicht sein, denn er ist bloßes Mittel. Selbst in dem Falle wo man den Sieg ganz um seiner selbst Willen suchte, der bloßen Waffenehre wegen oder um in den politischen Unterhandlungen mit seinem moralischen Gewichte zu wirken, ist immer diese Wirkung und nicht der Sieg selbst der Zweck.

268. Die Absicht des Sieges muß der Vertheidiger mit dem Angreifenden gemeinschaftlich haben, aber sie entspringt bei Beiden aus verschiedenen Quellen: bei dem Angreifenden aus dem Zweck welchem der Sieg dienen soll, bei dem Vertheidiger aus dem bloßen Faktum des Gefechts. Jenem kommt sie von oben herab, diesem bildet sie sich von unten herauf. Wer sich schlägt kann sich nur des Sieges willen schlagen.

269. Warum schlägt sich nun der Vertheidiger, d. h. warum nimmt er das Gefecht an? Weil er die positive

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Absicht des Angreifenden nicht zulassen, d. h. zunächst weil er den status quo erhalten will. Dies ist die nächste und nothwendige Absicht des Vertheidigers, was sich weiter daran anknüpft ist nicht nothwendig.

270. Die nothwendige Absicht des Vertheidigers oder vielmehr der nothwendige Theil in der Absicht des Vertheidigers ist also negativ.

271a. Überall wo diese Negativität des Vertheidigers vorhanden ist d. h. überall und immer wo er das Interesse hat daß Nichts geschehe sondern die Sachen bleiben wie sie sind, muß er dadurch bestimmt werden nicht zu handeln sondern abzuwarten bis der Gegner handelt; von dem Augenblick an aber wo dieser handelt kann der Vertheidiger seine Absicht durch bloßes Abwarten und Nichthandeln nicht mehr erreichen; nun handelt er also eben so wie sein Gegner und es hört also der Unterschied auf.

271b. Wendet man dies zuvörderst blos auf das Gesammtgefecht an, so würde der ganze Unterschied zwischen Angriff und Vertheidigung darin bestehen daß die letztere den erstern abwartet, der Gang des Gefechts selbst aber dadurch nicht weiter bedingt werden.

272. Nun kann man aber dieses Prinzip der Vertheidigung auch auf das Theilgefecht anwenden; es kann auch für Glieder und Theile des Ganzen das Interesse vorhanden sein daß keine Veränderung entstehe und sie können also dadurch zum Abwarten bestimmt werden.

273. Dies ist nicht allein möglich für Glieder und Theile des Vertheidigers sondern auch des Angreifenden und findet auch wirklich bei Beiden Statt.

274. Es liegt aber in der Natur der Sache daß es beim Vertheidiger häufiger vorkommen wird als beim Angreifenden, was sich erst zeigen läßt wenn die mit dem

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Vertheidigungsprinzip in Verbindung tretenden individuellen Umstände in Betrachtung kommen.

275. Je weiter man sich in einem Gesammtgefecht das Vertheidigungsprinzip hinu[n]tersteigend denkt bis zu den kleinsten Gliedern und je allgemeiner auf alle Glieder ausdehnt, um so passiver wird der ganze Widerstand, um so mehr würde sich die Vertheidigung jener Linie eines absoluten Leidens nähern die wir als ein Absurdum ansehn.

276. Wo in dieser Richtung der Vortheil des Abwartens für den Vertheidiger aufhört, d. h. seine Wirksamkeit erschöpft ist, wo gewissermaßen der Sättigungspunkt eintritt, werden wir erst in der Folge näher betrachten können.

277. Für jetzt ziehen wir nur den Schluß aus dem Bisherigen daß die Absicht von Angriff oder Vertheidigung nicht blos über den Anfang eines Gefechtes Etwas bestimmt, sondern dasselbe auch in seinem Verlaufe durchdringen kann, daß also dadurch wirklich zwei verschiedene Arten des Gefechts gegeben werden.

278. Der Plan des Gefechts hat also in jedem Falle für das Ganze zu bestimmen ob dasselbe Angriffs- oder Vertheidigungsgefecht sein soll.

279. Eben diese Bestimmung muß er für diejenigen Theile enthalten die er einer von ihrem Ganzen abweichenden Bestimmung unterwerfen will.

280. Lassen wir alle individuelle Verhältnisse welche über die Wahl von Angriff und Vertheidigung entscheiden können jetzt noch unberücksichtigt, so ergiebt sich nur ein Gesetz, nämlich daß man da wo man die Entscheidung aufhalten will vertheidigend, da wo man sie sucht angriffsweise geht.

281. Wir werden diesen Grundsatz gleich mit einem

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andern in Verbindung treten und dadurch sich näher gestalten sehen.

Feuergefecht und Handgefecht.

282. Der Plan des Gefechts müßte ferner die Wahl der aus den Waffen hervorgehenden Gefechtsformen nämlich des Feuergefechts und des Handgefechts bestimmen.

283. Allein diese beiden Formen sind nicht sowohl Glieder des Gefechts als primitive Bestandtheile desselben. Sie sind durch die Bewaffnung gegeben, gehören zu einander und machen zusammen erst das vollständige Gefechtsvermögen aus.

284. Die Wahrheit dieser Ansicht, die übrigens nur eine approximative, die Mehrheit der Fälle umfassende, keine absolute ist, beweist sich durch die Verbindung der Waffen in dem einzelnen Streiter und durch die zum Bedürfniß gewordene innige Verbindung der Truppengattungen.

285. Aber eine Trennung dieser beiden Elemente und ein Gebrauch des einen ohne das andere bleibt nicht nur möglich, sondern kommt auch sehr häufig vor.

286. In Beziehung auf das Zusammengehören beider und ihre natürliche Ordnung unter sich hat nun der Plan eines Gefechts Nichts zu bestimmen, da dies ganz allgemein durch den Begriff, durch die Formation und die Übungsplätze feststeht, und es gehört also dies wie die Formation zu dem stereotypen Theile des Plans.

287. Über den getrennten Gebrauch dieser beiden Formen giebt es gar kein allgemeines Gesetz, wenn man nicht das dafür gelten lassen will daß er immer nur wie ein nothwendiges Übel, d. i. wie eine schwächere Wirkungsform betrachtet werden muß. Sämmtliche Fälle wo man veranlaßt sein kann sich dieser schwächern Form zu bedienen,

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gehören in das Reich individueller Umstände. Z. B. für den Gebrauch des bloßen Handgefechts, wenn man überfallen will oder wenn sonst die Zeit zum Feuergefecht fehlt oder wenn man auf einen sehr überlegenen Muth der Seinigen rechnen darf, sind offenbar Vorkommenheiten einzelne Fälle.

Bestimmung von Zeit und Raum.

288. Für die Bestimmung von Zeit und Raum ist zuerst für beide gemeinschaftlich zu bemerken, daß für das Gesammtgefecht die Raumbestimmung allein der Vertheidigung, die Zeitbestimmung dem Angriff angehört.

289. Für die Theilgefechte aber hat sowohl der Plan eines Angriffs- wie der eines Vertheidigungsgefechts Bestimmungen für beide zu geben.

Die Zeit.

290. Die Zeitbestimmung für die Theilgefechte welche auf den ersten Blick den Gegenstand höchstens in ein Paar Punkten zu berühren scheint, nimmt gleichwohl bei näherer Betrachtung eine ganz andere Wendung und durchdringt ihn von einem Ende bis zum andern mit einem höchst entscheidenden gesetzgebenden Gedanken, nämlich der Möglichkeit eines successiven Gebrauchs der Streitkräfte.

Successiver Gebrauch der Streitkräfte.

291. An und für sich ist bei der gemeinschaftlichen Wirkung einzelner Kräfte die Gleichzeitigkeit eine Grundbedingung. Dies ist nun auch im Kriege und namentlich im Gefecht der Fall. Denn da die Zahl der Streitkräfte in dem Produkt derselben ein Faktor ist, so wird bei übrigens gleichen Umständen die gleichzeitige Anwen

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dung aller Streitkräfte, d. h. die höchste Vereinigung derselben in der Zeit gegen einen Feind der sie nicht alle zugleich anwendet, den Sieg geben und zwar zuerst über den Theil der feindlichen Streitkräfte der gebraucht worden ist; da aber durch diesen Sieg über einen Theil die moralischen Kräfte des Siegers überhaupt zu- und die des Besiegten abnehmen müssen, so folgt, wenn auch der Verlust der physischen Kräfte auf beiden Seiten gleich groß wäre, daraus schon daß ein solcher Theilsieg die Gesammtkräfte des Siegers über die Gesammtkräfte des Besiegten erhebt und folglich auch den Sieg im Gesammtgefecht bedingt.

292. Aber die in der vorigen Nummer gemachte Folgerung setzt zwei Bedingungen voraus die nicht vorhanden sind: nämlich erstens daß die Zahl kein Maximum haben könnte, zweitens daß der Gebrauch ein und derselben Streitkraft so lange noch Etwas von ihr übrig ist keine Gränzen hätte.

293. Was den ersten Punkt betrifft so begrenzt schon der Raum die Zahl der Streiter, denn was nicht zur Wirksamkeit kommen kann muß als überflüssig betrachtet werden. Dadurch wird also die Tiefe und die Ausdehnung der Aufstellung aller zur gleichzeitigen Wirksamkeit bestimmten Streiter beschränkt und mithin die Zahl der Streiter.

294. Aber eine viel wichtigere Beschränkung der Zahl liegt in der Natur des Feuergefechts. Wir haben gesehen (89. c.) daß die größere Zahl in demselben innerhalb gewisser Grenzen nur die Wirkung hat die beiderseitige also die Gesammtkraft des Feuergefechts zu verstärken. Da also wo für einen Theil in dieser Verstärkung

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nicht schon ein Vortheil liegt, hört sie auf wirksam für ihn zu sein; sie erreicht also da leicht ein Maximum.

295. Dies Maximum bestimmt sich ganz nach dem individuellen Fall, nach dem Terrain, dem moralischen Verhältniß der Truppen und den nähern Zwecken des Feuergefechts. Hier ist es genug zu sagen daß es ein solches giebt.

296. Es hat also die Zahl der gleichzeitig anzuwendenden Streitkräfte ein Maximum, über welches hinaus eine Verschwendung entstehen würde.

297. Eben so hat der Gebrauch einer und derselben Streitkraft seine Grenzen. Wie die im Feuergefecht gebrauchte Streitkraft nach und nach unbrauchbar wird haben wir (Nr. 123.) gesehen; aber auch im Handgefecht entsteht eine solche Verschlechterung. Ist die Erschöpfung der physischen Kräfte hier geringer als im Feuergefecht, so ist die der moralischen bei unglücklichem Erfolge viel größer.

298. Durch diese Verschlechterung welche die Streitkräfte im Gebrauch auch an allen übrig bleibenden Theilen erfahren, kommt ein neues Prinzip in das Gefecht, nämlich die innere Überlegenheit frischer Streitkräfte gegen schon gebrauchte.

299. Es kommt aber noch ein zweiter Gegenstand in Betrachtung, der in einer vorübergehenden Verschlechterung gebrauchter Streitkräfte besteht, nämlich in der Krise welche jedes Gefecht in ihr hervorbringt.

300. Das Handgefecht hat, praktisch genommen, keine Dauer. In dem Augenblick wo sich ein Kavallerieregiment auf das andere stürzt ist die Sache entschieden und die wenigen Sekunden des wirklichen Herumhauens sind als Zeit nicht der Rede werth; nicht viel anders ist

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es bei der Infanterie und bei großen Massen. Aber die Sache ist darum noch nicht ganz abgemacht; der kritische Zustand der sich in der Entscheidung entladen hat, ist mit ihr noch nicht ganz vorüber; das siegende Regiment welches dem besiegten mit verhängtem Zügel folgt, ist nicht gleich dem Regiment welches in geschlossener Ordnung auf dem Kampfplatz hielt; seine moralische Kraft ist allerdings gestiegen, aber seine physische und die Kraft seiner Ordnung in der Regel vielmehr geschwächt. Es ist nur der Verlust den der Gegner an moralischer Kraft gemacht hat und der Umstand daß er eben so aufgelöst ist wodurch der Sieger sein Übergewicht behielt; kommt nun ein anderer Gegner der seine moralische Kraft noch nicht eingebüßt hat und die Ordnung auch nicht, so ist keine Frage daß er bei gleichem Werth der Truppen den Sieger schlagen wird.

301. Auch im Feuergefecht findet eine solche Krise statt, so daß Derjenige welcher durch sein Feuer eben siegreich gewesen und den Gegner abgewiesen hat, sich doch in dem Augenblicke in einem merklich geschwächten Zustande seiner Ordnung und Kraft befindet, der so lange dauert bis Alles was sich in dem Ordnungsgefüge gelöst hatte wieder in sein Verhältniß gebracht worden ist.

302. Was wir hier von kleinern Theilen gesagt haben gilt auch von größern.

303. An sich ist die Krise bei kleinern Theilen größer, weil sie das Ganze gleichartiger durchdringt, aber sie ist von kürzerer Dauer.

304. Am schwächsten ist die Krise des Ganzen, besonders ganzer Armeen; sie dauert aber auch am längsten, bei beträchtlichen Armeen oft viele Stunden.

305. So lange die Krise des Gefechtes beim Sieger dauert, liegt darin ein Mittel für den Besiegten das

selbe
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selbe herzustellen, d. i. seinen Erfolg zu wenden, wenn er frische Truppen in angemessener Zahl herbeiführen kann.

306. Dadurch wird also der successive Gebrauch der Streitkräfte auf einem zweiten Wege als ein wirksames Prinzip eingeführt.

307. Ist aber der successive Gebrauch der Streitkräfte in einer Reihe hinter einander folgender Gefechte möglich und ist der gleichzeitige Gebrauch nicht unbegrenzt, so folgt von selbst daß die Kräfte welche nicht im gleichzeitigen Gebrauch wirksam sein, es im successiven werden können.

308. Durch diese Reihe hinter einander liegender Theilgefechte wird die Dauer des Gesammtgefechts bedeutend ausgedehnt.

309. Diese Dauer nun bringt einen neuen Grund für den successiven Gebrauch der Streitkräfte in die Betrachtung, indem es eine neue Größe in die Rechnung bringt; diese Größe ist das unvorhergesehene Ereigniß.

310. Ist überhaupt ein successiver Gebrauch der Streitkräfte möglich, so ist der Gebrauch welchen der Gegner von den seinigen macht nicht mehr bekannt; denn nur was er zu gleichzeitiger Wirkung anwendet liegt unserer Beurtheilung vor, das Andere nicht und wir können uns nur im Allgemeinen darauf gefaßt machen.

311. Aber die bloße Dauer der Handlung bringt auch noch den reinen Zufall in die Rechnung und dieser ist der Natur der Sache nach im Kriege sehr viel größer als sonst irgendwo.

312. Dieses unvorhergesehene Ereigniß also erfordert eine allgemeine Berücksichtigung und diese kann nichts An

III 22
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ders sein als das Zurückstellen einer angemessenen Kraft, welches die eigentlichen Reserven sind.

Tiefe der Aufstellung.

313. Alle Gefechte die successiv geliefert werden sollen, erfordern nach den Gründen aus welchen sie entspringen frische Streitkräfte. Diese können entweder noch ganz frisch d. i. ungebraucht sein, oder schon gebraucht, aber durch eine Erholung von dem Zustande der Schwächung wieder mehr oder weniger hergestellt. Man sieht leicht ein daß dies viel Abstufungen hat.

314. Beides, der Gebrauch ganz frischer Streitkräfte, so wie der Gebrauch solcher die sich hergestellt haben, bedingt eine Zurückstellung derselben, d. h. eine Aufstellung außerhalb der Region der Zerstörung.

315. Auch dies hat seine Abstufungen, denn die Region der Zerstörung hört nicht mit einemmale auf, sondern verliert sich nach und nach bis sie zuletzt ganz aufhört.

316. Aber sehr merkliche Stufen bilden das Flintenund das Kartätschenfeuer.

317. Je weiter eine Truppe zurückgestellt worden ist, um so frischer wird sie sich beim Gebrauch zeigen.

318. Jede Truppe aber die im wirksamen Flintenund Kartätschenfeuer gestanden hat, ist nicht mehr als eine frische zu betrachten.

319. Wir haben also einen dreifachen Grund für das Zurückstellen gewisser Streitkräfte:

a) Zum Ablösen oder Verstärken erschöpfter Kräfte, besonders im Feuergefecht.
b) Zur Benutzung der Krise in welcher der Sieger sich unmittelbar nach dem Erfolge befindet.
c) Gegen unvorhergesehene Ereignisse.
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320. Alles was zurückgestellt ist gehört in diese Kategorien, es mag sein von welcher Waffe es will, es mag zweites Treffen oder Reserve heißen, einem Theil oder dem Ganzen angehören.

Polarität des gleichzeitigen und des successiven Gebrauchs der Streitkräfte.

321. Da der gleichzeitige und der successive Gebrauch der Streitkräfte einander entgegengesetzt sind und jeder seine Vortheile hat, so sind sie als ein Paar Pole zu betrachten welche den Entschluß jeder für sich an sich ziehen und ihn dadurch auf den Punkt stellen wo sie sich ausgleichen, vorausgesetzt daß dieser Entschluß die gegenseitige Kraft richtig schätzt.

322. Es kommt jetzt darauf an die Gesetze dieser Polarität, d. h. die Vortheile und Bedingungen beider Kraftverwendungen kennen zu lernen und dadurch auch ihr Verhältniß unter einander.

323. Die gleichzeitige Anwendung der Streitkräfte kann eine Steigerung erleiden:

A. Bei gleicher Fronte und zwar
a) im Feuergefecht,
b) im Handgefecht.
B. Bei größerer Fronte, d. h. umfassend.

324. Nur was zu gleicher Zeit zur Wirksamkeit gebracht wird, kann als gleichzeitig angewendet betrachtet werden. Es ist also bei gleicher Fronte begrenzt durch die Möglichkeit wirksam zu werden. Drei Glieder z. B. können allenfalls im Feuergefecht noch zugleich wirken, sechs unmöglich.

325. Wir haben (Nr. 89) gezeigt daß zwei Feuerlinien von ungleicher Stärke sich das Gleichgewicht

22*
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halten können und daß die Verminderung des einen Theils wenn sie gewisse Grenzen nicht überschreitet, nur den Erfolg hat die gegenseitige Wirkung zu schwächen.

326. Je schwächer aber die Zerstörungskraft des Feuergefechts wird, um so mehr Zeit wird erforderlich die gehörige Wirkung hervorzubringen. Daher ist derjenige welcher hauptsächlich Zeit gewinnen will (gewöhnlich der Vertheidiger) in dem Interesse die gemeinschaftliche (d. i. die Summe der gegenseitigen) Zerstörungskraft des Feuergefechts so viel als möglich zu mäßigen.

327. Ferner ist auch der in der Zahl bedeutend Schwächere in diesem Fall, denn bei gleichen Verlusten sind die seinen relativ immer größer.

328. Die entgegengesetzten Bedingungen werden die entgegengesetzten Interessen hervorbringen.

329. Wo kein besonderes Interesse für die Beschleunigung der Wirkung vorherrscht, werden beide Theile das Interesse haben sich mit so Wenigem als möglich zu behelfen, d. h. wie schon (Nr. 89 b.) gesagt ist, nur so viel anzuwenden um nicht durch die geringe Zahl den Gegner zu veranlassen sogleich ins Handgefecht überzugehen.

330. Auf diese Weise ist also die gleichzeitige Anwendung der Streitkräfte im Feuergefecht durch den Mangel des Vortheils beschränkt und auf den successiven Gebrauch der entbehrlichen Kräfte hingewiesen.

331. Im Handgefecht entscheidet die Überlegenheit der Zahl vor allen Dingen und die gleichzeitige Anwendung der Kräfte hat so sehr den Vorzug vor der successiven, daß diese durch den bloßen Begriff fast ganz ausgeschlossen und erst durch die Nebenumstände wieder möglich wird.

332. Das Handgefecht ist nämlich eine Entscheidung

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und zwar eine die fast ohne alle Dauer ist; dies schließt die successive Kraftanwendung aus.

333. Aber wir haben schon gesagt daß die Krisis des Handgefechts die successive Kraftanwendung sehr begünstigt.

334. Ferner sind die Entscheidungen der einzelnen Handgefechte wenn sie Theilgefechte eines größern Ganzen sind, keine absolute; es müssen also die fernern möglichen Gefechte bei der Kraftverwendung gleich mitberücksichtigt werden.

335. Dies führt also auch beim Handgefecht dahin, nicht mehr Kraft zu gleicher Zeit anzuwenden als man eben nöthig erachtet um des Erfolges gewiß zu sein.

336. Hier giebt es kein anderes allgemeines Gesetz als daß Umstände welche die Wirksamkeit erschweren (hoher Muth des Feindes, starkes Terrain u. s. w.) eine größere Anzahl Streitkräfte nothwendig machen.

337. Wichtig aber bleibt für die allgemeine Theorie die Bemerkung daß eine Kraftverschwendung beim Handgefecht nie so nachtheilig ist als im Feuergefecht, weil bei dem erstern die Truppen nur im Augenblick der Krise unbrauchbar werden, nicht dauernd.

338. Es ist also beim Handgefecht die gleichzeitige Anwendung der Kräfte so bedingt: daß sie in jedem Falle für den Erfolg hinreichend sein müssen und daß der successive Gebrauch die Unzulänglichkeit auf keine Weise ersetzen kann, weil sich nicht wie im Feuergefecht die Erfolge addiren lassen, daß aber wenn dieser Grad erreicht ist, eine größere gleichzeitige Kraftanwendung Verschwendung fein würde.

339. Nachdem wir beim Feuer- und Handgefecht die Anwendung großer Streitkräfte durch Vermehrung der Dichtigkeit derselben betrachtet haben, kommen wir zu

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derjenigen welche in einer größern Fronte, d. h. der umfassenden Form möglich ist.

340. Eine größere Summe von Streitkräften gleichzeitig durch eine größere Fronteausdehnung ins Gefecht zu bringen, ist auf zwei Arten denkbar. Nämlich:

1. Indem man durch eine größere Fronte auch den Gegner zu einer Verlängerung der seinigen veranlaßt. In diesem Falle giebt es uns keine Überlegenheit über den Feind, aber es hat die Wirkung daß von beiden Seiten mehr Kräfte gleichzeitig ins Spiel gebracht werden.
2. Durch das Umfassen der feindlichen Fronte.

341. Die Wirkung von beiden Seiten mehr Kräfte sogleich zur Anwendung zu bringen, könnte nur in wenigen Fällen für einen der beiden Theile einen Werth haben, und es ist ungewiß ob der Feind diese weitere Fronteausdehnung gleichfalls annehmen wird.

342. Nimmt er sie nicht an, so wird entweder ein Theil unserer Fronte, also unserer Streitkräfte müßig oder wir müssen den überschießenden Theil unserer Fronte zu einem Umfassen des Feindes verwenden.

343. Die Furcht vor diesem Umfassen ist es denn auch allein die den Feind bewegen könnte sich eben so weit auszudehnen.

344. Allein wenn der Feind umfaßt werden soll, so ist es offenbar besser sich gleich von Hause aus dazu einzurichten und es ist also die größere Fronte nur unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.

345. Die umfassende Form in dem Gebrauch der Streitkräfte hat nun das Eigenthümliche daß sie nicht blos die Summe der gleichzeitig angewendeten Streitkräfte von beiden Seiten vermehrt, sondern auch gestattet eine

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größere Streitkraft als der Gegner in Wirksamkeit zu bringen.

346. Wenn ein Bataillon, z. B. von 180 Schritt Fronte, nach vier Seiten gegen einen umfassenden Feind Fronte machen muß und dieser sich auf die wirksame Gewehrschußweite (150 Schritt) von diesem Bataillon befindet, so hat er Raum für acht Bataillone welche gegen dies eine wirksam sein können.

347. Wegen jener Eigenthümlichkeit also gehört die umfassende Form hierher; wir müssen aber zugleich ihre andern Eigenthümlichkeiten, nämlich ihre andern Vortheile und ihre Nachtheile hier mit in Betrachtung ziehen.

348. Ein zweiter Vortheil der umfassenden Form ist die stärkere Wirkung konzentrischer Feuer, insofern die Kugeln doppelt treffen können.

349. Ein dritter Vortheil ist das Abschneiden des Rückzugs.

350. Diese drei Vortheile des Umfassens nehmen ab je größer die Streitkräfte oder vielmehr ihre Fronten werden und nehmen zu je kleiner sie sind.

351. Denn was den ersten betrifft (345), so bleiben die Schußweiten dieselben, die Truppenmasse mag groß oder klein sein (wenn sie aus denselben Waffen besteht) und es bleibt also auch die Differenz der umfassenden Linie mit der umfaßten dieselbe und bekommt folglich einen immer geringeren Werth je größer die Frontelänge wird.

352. Ein Bataillon könnte auf 150 Schritt Entfernung von 8 Bataillonen umschlossen werden; 10 Bataillone würden nur von 20 Bataillonen umschlossen werden können, also nicht vom Acht- sondern nur vom Zweifachen.

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353. Aber die umschließende Form kommt selten oder nie ganz d. h. im vollen Kreise vor, sondern nur theilweise, gewöhnlich unterhalb 180°. Denkt man sich nun die Streitkraft von der Größe einer beträchtlichen Armee, so sieht man wohl ein wie gering der oben entwickelte erste Vortheil unter solchen Umständen bleiben wird.

354. Genau so verhält es sich mit dem zweiten Vortheil, wie der Augenschein zeigt.

355. Auch der dritte Vortheil muß merklich abnehmen je größer die Fronte ist, wie sich von selbst versteht; obgleich hier noch andere Verhältnisse in Betrachtung kommen werden.

356. Aber die umfassende Form hat auch einen eigenthümlichen Nachtheil; nämlich daß die Kräfte dabei im größern Raum zerstreut und deshalb in zwei Beziehungen in ihrer Wirksamkeit geschwächt sind.

357. Es kann nämlich die Zeit welche angewendet wird einen gewissen Raum zu durchlaufen, nicht zum Schlagen angewendet werden. Nun sind alle Bewegungen die nicht gerade senkrecht auf die feindliche Linie sind, bei dem Umfassenden im größern Raum als bei dem Umfaßten; denn dieser bewegt sich mehr oder weniger auf den Radien seines kleinern Kreises, jener auf der Circumferenz seines größern, welches sehr bedeutende Unterschiede giebt.

358. Hieraus folgt die Möglichkeit daß jener seine Kräfte leichter auf verschiedenen Punkten brauchen kann.

359. Aber auch die Einheit des Ganzen wird geschwächt durch die größern Räume welche Nachricht und Befehl zu durchlaufen haben.

360. Diese beiden Nachtheile des Umfassens nehmen mit der Fronteausdehnung zu. Bei einem Paar Bataillo

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nen sind sie noch gar nicht merklich vorhanden, bei großen Armeen sind sie sehr beträchtlich.

361. Denn die Differenz zwischen Radius und Umkreis bleibt dieselbe, es werden also die absoluten Unterschiede immer größer je größer die Fronten sind; auf diese absoluten Unterschiede aber kommt es hier an.

362. Außerdem aber kommen bei ganz kleinen Theilen wenig oder keine Seitenbewegungen vor, und sie nehmen zu je größer die Theile werden.

363. Endlich fällt für das Durchlaufen der Nachrichten aller Unterschied weg so lange man die Räume übersehen kann.

364. Sind also die Vortheile des Umfassens bei kleinen Fronten sehr groß und die Nachtheile sehr klein, nehmen die einen ab die andern zu mit dem Wachsen der Fronte, so folgt daß es einen Punkt geben wird wo sie sich das Gleichgewicht halten werden.

365. Über diesen Punkt hinaus kann also die Fronteausdehnung dem successiven Kraftgebrauch keine Vortheile mehr entgegenstellen, sondern es entstehen Nachtheile.

366. Das Gleichgewicht zwischen den Vortheilen successiver Kraftverwendung und denen einer größern Fronte (Nr. 341) muß sich also diesseit jenes Punktes finden.

367. Um diesen Punkt des Gleichgewichts aufzusuchen müssen wir die Vortheile der umfassenden Form noch bestimmter in Betrachtung ziehen. Der einfachste Weg dazu ist folgender.

368. Eine gewisse Fronte ist nothwendig um sich der Wirksamkeit der beiden ersten Nachtheile des Umfaßtwerdens zu entziehen.

369. Was die konzentrische (doppelte) Wirkung des Feuers betrifft, so giebt es eine Frontelänge wo diese ab

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solut aufhört; nämlich wenn die Entfernung der zurückgebogenen Theile, im Fall man vom Feinde umfaßt wird, größer ist als die Schußweiten.

370. Aber man braucht hinter jeder Aufstellung auch einen unbeschossenen Raum für die Reserve, für die Kommandirenden u. s. w., die sich hinter der Fronte befinden. Wenn diese von drei Seiten beschossen werden sollten, so würden sie aufhören das zu sein wozu sie bestimmt sind.

371. Da diese Gegenstände bei größern Massen selbst größere Massen bilden und folglich mehr Raum brauchen, so muß der unbeschossene Raum hinter der Fronte auch um so größer sein je größer das Ganze ist, mithin muß um deßwillen die Fronte mit der Größe der Massen wachsen.

372. Aber der Raum hinter einer beträchtlichen Truppenmasse muß nicht bloß darum größer sein weil die Reserven u. s. w. mehr Platz brauchen, sondern er muß auch außerdem noch größer sein um die Sicherheit zu vermehren (zu steigern). Denn erstens würden verlorne Schüsse gegen größere Truppenmassen und Trains eine viel größere Wirkung haben als gegen ein Paar Bataillone; zweitens dauern die Gefechte der großen Massen viel länger und die Verluste welche hinter der Fronte bei den Truppen entstehen die nicht eigentlich im Gefechte sind, werden dadurch viel größer.

373. Setzte man also für die nothwendige Frontelänge eine gewisse Größe fest, so müßte sie mit der Größe der Massen steigen.

374. Der andere Vortheil der umfassenden Form (die Überlegenheit der gleichzeitig wirkenden Kräfte) führt auf keine bestimmte Größe für die Frontelänge, sondern wir müssen hauptsächlich dabei stehen bleiben daß er mit der Länge der Fronte abnimmt.

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375. Aber zur nähern Bestimmung müssen wir sagen daß sich die gleichzeitige Wirksamkeit größerer Streitkräfte hauptsächlich auf das Flintenfeuer bezieht; denn für das Geschütz wird, so lange dasselbe allein wirkt, es auch in der kleinern Kreislinie des Umfaßten niemals an Raum fehlen eben so viel aufzustellen als der Gegner in seiner größern; denn man hat niemals so viel Geschütz um damit eine zusammenhängende Linie zu bilden.

376. Man wende nicht ein daß dem Gegner immer noch der Vortheil des größern Raumes bleiben würde, weil seine Geschütze nicht so dicht stehen und also weniger getroffen werden; denn man kann seine Batterien nicht gleichmäßig in einzelnen Kanonen auf dem großen Raume vertheilen.

377. Bei einem bloßen Artilleriegefechte oder einem Gefechte wo die Artillerie die Hauptwaffe ist, wird der Vortheil der größern umfassenden Fronte allerdings vorhanden und wegen der größern Schußweite, also der großen Differenz beider Fronten sehr groß sein. Dieser Fall tritt z. B. bei einzelnen Redouten ein. Aber bei Streitkräften wo die andern Waffen die Hauptsache sind und die Artillerie untergeordnet ist, hört dieser Vortheil auf, weil es da, wie gesagt, auch dem Umfaßten nicht an Raum fehlt.

378. Es ist also hauptsächlich das Infanterie-Feuergefecht wo sich die Vortheile der größern Fronte zur gleichzeitigen Anwendung größerer Streitkräfte zeigen müssen. Hier beträgt die Differenz beider Fronten dreimal die Flintenschußweite (wenn das Umfassen bis auf 180° getrieben ist), also etwa 600 Schritt. Dies giebt für eine Fronte von 600 Schritt das Doppelte, ist also dann sehr fühlbar; für eine Fronte von 3000 Schritt aber

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würde sie nur ⅕ geben, welches schon nicht mehr als ein sehr wirksamer Vortheil zu betrachten ist.

379. Man kann also sagen daß in dieser Beziehung die Frontelänge hinreicht sobald die Differenz welche die Flintenschußweite giebt, aufhört eine merkliche Überlegenheit zu geben.

380. Aus allem bisher über diese beiden Vortheile des Umfassens Gesagten geht hervor daß kleine Massen Mühe haben sich die gehörige Frontelänge zu verschaffen, und dies ist so wahr daß sie, wie wir aus der Erfahrung sehen, meistens genöthigt sind die stereotype Ordnung ihrer Formation zu verlassen und sich viel mehr auszudehnen. Höchst selten wird ein sich selbst überlassenes Bataillon ein Gefecht in der bloßen Frontelänge seiner gewöhnlichen Aufstellung (150 bis 200 Schritt) annehmen, sondern sich in Kompagnien und diese wieder in Tirailleurs weiter auseinanderziehen und, nachdem es einen Theil zur Reserve zurückbehalten hat, mit dem Übrigen einen zwei-, drei- oder viermal so großen Raum einnehmen als es eigentlich sollte.

381. Je größer aber die Massen werden um so leichter wird man zu der nothwendigen Frontelänge kommen, weil diese zwar mit den Massen wächst (373), aber nicht in demselben Maaße.

382. Große Massen haben also nicht nöthig die Formationsordnung zu verlassen und können vielmehr Truppen zurückstellen.

383. Dies hat dahin geführt daß man für die größern Massen auch eine stereotype Ordnung mit zurückgestellten Theilen eingeführt hat, wie die gewöhnlichen Schlachtordnungen in zwei Treffen; gewöhnlich noch ein drittes von Kavallerie dahinter, auch außerdem noch eine Reserve von ⅛ bis ⅙ u. s. w.

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384. Bei ganz großen Massen (Armeen von 100-, 150- bis 200,000 Mann) sehen wir die Reserven immer größer werden (¼ bis ⅓), ein Beweis daß die Kräfte das Frontebedürfniß immer mehr übersteigen.

385. Wir führen das jetzt hier bloß an um durch einen Blick auf die Erfahrung die Wahrheit unserer Entwickelung mehr in die Augen fallen zu lassen.

386. So verhält es sich also mit den beiden ersten Vortheilen des Umfassens. Anders ist es mit dem dritten.

387. Die beiden ersten wirken auf die Sicherheit des Erfolgs, indem sie unsere Kräfte steigern, der dritte thut das auch, aber nur bei ganz kurzen Fronten.

388. Er wirkt nämlich auf den Muth der in der feindlichen Fronte Fechtenden, indem er ihnen die Vorstellung eines verlornen Rückzugs giebt, die immer auf den Soldaten sehr stark wirkt.

389. Aber dies ist doch nur da der Fall wo die Gefahr abgeschnitten zu werden so nahe und augenscheinlich ist, daß der Eindruck davon alle Gesetze der Disciplin und des Befehls überwältigt und den Soldaten unwillkührlich fortreißt.

390. Bei größern Entfernungen wo der Soldat nur durch das in seinem Rücken entstehende Kanonen- und Flintenfeuer mittelbar darauf hingeführt wird, können Besorgnisse bei ihm entstehen, aber wenn der Geist nicht schon ganz schlecht ist, so werden sie ihn nicht verhindern den Befehlen des Führers zu gehorchen.

391. In diesem Falle ist also der Vortheil des Abschneidens welchen der Umfassende hat, nicht mehr als ein solcher zu betrachten der die Sicherheit d. i. die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs erhöht, sondern als einer der die Größe eines schon eingetretenen Erfolgs steigert.

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392. Auch in dieser Beziehung ist der dritte Vortheil des Umfassens dem Gegensatz unterworfen daß er bei kurzer Fronte am größten ist und mit der zunehmenden Fronte abnimmt, wie der Augenschein lehrt.

393. Dies verhindert aber nicht daß die größeren Massen nicht einer größeren Fronte bedürfen sollten wie die kleinen, denn da der Rückzug niemals in der ganzen Breite einer Aufstellung geschieht, sondern auf einzelnen Wegen, so folgt von selbst daß große Massen mehr Zeit dazu brauchen als kleine; diese längere Zeit bedingt also eine breitere Fronte, damit der Feind der diese Fronte umfaßt nicht so schnell an die Punkte gelangt durch welche der Rückzug geht.

394. Wirkt (nach 391) der dritte Vortheil des Umfassens in der Mehrheit der Fälle (nämlich bei nicht zu kurzen Fronten) nur auf die Größe, nicht auf die Sicherheit des Erfolgs, so folgt daraus daß er nach den Verhältnissen und Absichten des Fechtenden einen ganz verschiedenen Werth bekommt.

395. Wo die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs ohnehin gering ist muß für diese zunächst gesorgt werden; in solchem Falle kann also ein Vortheil der hauptsächlich auf die Größe desselben geht nicht sehr in Betrachtung kommen.

396. Wenn dieser Vortheil aber gar der Wahrscheinlichkeit des Erfolgs entgegen wäre (365), so würde er in solchem Falle ein positiver Nachtheil werden.

397. In einem solchen Falle werden also die Vortheile successiver Kraftanstrengungen denen der größern Fronte früher das Gleichgewicht halten.

398. Man sieht also der Indifferenzpunkt zwischen den beiden Polen der gleichzeitigen und der successiven Kraftverwendung, der Ausdehnung und Tiefe

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liegt nicht bloß anders bei großen als bei kleinen Massen, sondern auch anders nach Verhältnissen und Absichten beider Theile.

399. Der Schwächere und der Vorsichtige muß der successiven, der Stärkere und der Kühne der gleichzeitigen Kraftanstrengung den Vorzug geben.

400. Es liegt in der Natur der Sache daß der Angreifende der Stärkere oder der Kühnere ist; gleichviel ob aus Charakterzug des Feldherrn oder aus Nothwendigkeit.

401. Die umfassende Form des Gefechts, also die welche die meiste gleichzeitige Kraftanstrengung bei uns und beim Gegner bedingt, ist also dem Angreifenden natürlich.

402. Die umfaßte, d. h. die welche die meiste successive Kraftanstrengung sucht und sich darum dem Umfassen aussetzt, ist also die natürliche Form der Vertheidigung.

403. In dem Erstern liegt die Tendenz einer schnellen Entscheidung, in dem Letztern die des Zeitgewinnes, und diese Tendenzen sind mit dem Zweck beider Gefechtsformen in Harmonie.

404. Aber in der Natur der Vertheidigung kommt noch ein anderer Grund vor warum sie die tiefere Aufstellung sucht.

405. Einer ihrer bedeutendsten Vortheile ist der Beistand der Gegend und des Bodens, von diesem aber macht die örtliche Vertheidigung desselben ein wichtiges Element aus.

406. Nun sollte man glauben dies führte dahin die Fronte so lang als möglich zu machen, um diesen Vortheil so weit als möglich zu treiben. (Wirklich ist diese

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einseitige Ansicht als eins der hauptsächlichsten Motive zu betrachten welches die Feldherren zu den ausgedehnten Stellungen hingezogen hat.)

407. Allein wir haben bisher die Fronteausdehnung stets so gedacht daß sie entweder zu einer eben so großen des Feindes führte oder zur Überflügelung, d. i. Umfassung der feindlichen Fronte.

408. So lange man sich beide Theile gleich aktiv, also noch nicht unter dem Gesichtspunkte von Angriff und Vertheidigung denkt, hat die Verwendung einer größern Fronte zum Umfassen auch keine Schwierigkeit.

409. Sobald aber mit dem Frontalgefecht mehr oder weniger örtliche Vertheidigung verbunden wird, wie das bei der Vertheidigung der Fall ist, so hört jene Verwendung der überschießenden Frontetheile auf; sie ist entweder gar nicht oder schwer mit der Überflügelung zu vereinigen.

410. Um diese Schwierigkeit richtig zu schätzen muß man immer an die Gestalt der wirklichen Fälle denken, wo die natürlichen Deckungsmittel des Bodens die Maaßregeln des Feindes so schwer übersehen lassen und also ein Scheingefecht die zu einer örtlichen Vertheidigung angewiesenen Streitkräfte so leicht täuschen und in Unthätigkeit erhalten kann.

411. Hieraus folgt daß man es in der Vertheidigung als einen sehr entschiedenen Nachtheil ansehen muß wenn man eine größere Fronte hat als diejenige ist welche der Angreifende nothwendig zur Entwickelung seiner Kräfte braucht.

412. Wie groß die Fronte des Angreifenden nothwendig werden muß soll uns später beschäftigen; hier haben wir nur zu sagen daß wenn der Angreifende eine zu

kleine
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kleine Fronte annimmt, der Vertheidiger ihn dafür nicht dadurch bestraft daß er seine eigene Fronte von vorn herein größer bestimmte, sondern durch offensive umfassende Gegenmaaßregeln.

413. Es ist also gewiß daß der Vertheidiger, um in keinem Falle in den Nachtheil einer zu großen Fronte zu gerathen, die kleinste nehmen wird die ihm die Umstände gestatten, denn dadurch bekommt er mehr Kräfte zum Zurückstellen; diese können aber nie in den Fall kommen müßig zu bleiben, wie die Theile einer zu großen Fronte.

414. So lange der Vertheidiger sich mit der kleinsten Fronte begnügt und die größte Tiefe sucht, d. h. der natürlichen Tendenz seiner Gefechtsform folgt, so lange hat der Angreifende die entgegengesetzte Tendenz: die Fronteausdehnung so groß als möglich zu machen, d. h. den Gegner so weit als möglich zu umfassen.

415. Aber dies ist nur eine Tendenz und kein Gesetz, denn wir haben gesehen daß die Vortheile dieses Umfassens abnehmen mit der Größe der Fronten und also auf gewissen Punkten dem Vortheil successiver Kraftverwendung nicht mehr das Gleichgewicht halten können. Diesem Gesetze ist der Angreifende wie der Vertheidiger unterworfen.

416. Hier sind nun zwei verschiedene Fronteausdehnungen zu unterscheiden: die welche der Vertheidiger durch seine genommene Aufstellung und die welche der Angreifende durch seine Überflügelung bestimmt.

417. Ist die erste schon so groß daß alle Vortheile der Überflügelung verschwinden oder unkräftig werden, so muß diese wegfallen; der Angreifende muß dann den

III 23
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Vortheil auf einem andern Wege suchen, wie wir gleich sehen werden.

418. Ist aber die erste Fronte so klein wie sie nur irgend sein konnte, hat mithin der Angreifende ein Recht durch Überflügelung und Umfassung nach Vortheilen zu streben, so muß doch die Grenze dieses Umfassens wieder bestimmt werden.

419. Diese bestimmt sich durch die in einem übertriebenen Umfassen liegenden (Nr. 356 bis 365 genannten) Nachtheile.

420. Jene Nachtheile entstehen wenn das Umfassen trotz einer zu großen feindlichen Fronteausdehnung gesucht wird; sie entstehen aber noch viel stärker wenn die Übertreibung in einem zu weiten Umfassen einer kurzen Linie liegt, wie der Augenschein lehrt.

421. Stellen sich dem Angreifenden diese Nachtheile entgegen, so müssen die Vortheile successiver Kraftverwendung, die der Gegner durch seine kurze Fronte erhält, um so mehr Gewicht bekommen.

422. Nun scheint es zwar daß Der welcher die kurze Fronte und tiefe Aufstellung nimmt dadurch nicht in dem einseitigen Genusse der successiven Kraftanwendung bleibt; denn wenn der Gegner eine eben so kleine Fronte nimmt und ihn also nicht umfaßt, so haben beide den Genuß der successiven Kraftverwendung in gleichem Grade; wenn der Gegner ihn aber umfaßt, so muß er ihm überall eine Fronte entgegenstellen, also (mit Ausnahme des geringen hier nicht zu berücksichtigenden Unterschiedes beider konzentrischen Kreisstärken) in eben so großer Fronte fechten. Aber es kommen hier vier Gegenstände zur Betrachtung.

423. Erstlich bleibt es, wenn auch der Gegner seine Fronte eben so sehr verkürzt, immer ein Vortheil des

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Vertheidigers daß das Gefecht aus der Region der ausgedehnten und schnell entschiedenen in die der konzentrirten dauernden übergeht; denn die Dauer des Gefechts ist das Interesse des Vertheidigers.

424. Zweitens ist der Vertheidiger wenn er vom Gegner umfaßt wird nicht immer gezwungen die umfassenden Glieder in paralleler Fronte zu bekämpfen, sondern er kann sie in der Flanke und in dem Rücken angreifen, wozu die geometrischen Verhältnisse gerade die beste Gelegenheit geben; dies ist aber schon ein successiver Gebrauch der Streitkräfte, denn dieser bedingt ja nicht nothwendig daß die späteren gerade so verwendet werden wie die früheren oder daß die späteren überhaupt in die Stelle von früheren treten, wie wir gleich näher angeben werden. Ohne das Zurückstellen von Streitkräften wäre ein solches Umfassen des Umfassenden nicht thunlich.

425. Drittens läßt die kurze Fronte mit viel zurückgestellten Kräften die Möglichkeit eines übertriebenen Umfassens von Seiten des Angreifenden zu (Nr. 420), wovon dann eben vermittelst der zurückgestellten Kräfte Nutzen gezogen werden kann.

426. Viertens endlich muß es als ein Vortheil betrachtet werden daß der Vertheidiger dadurch vor dem entgegengesetzten Fehler einer Kraftverschwendung durch unangegriffene Frontetheile gesichert ist.

427. Dies sind die Vortheile der tiefen Aufstellung, d. h. der successiven Kraftverwendung. Sie halten der Ausdehnung nicht bloß beim Vertheidiger auf einem gewissen Punkte das Gleichgewicht, sondern auch dem Angreifenden, d. h. sie veranlassen ihn eine gewisse Grenze des Umfassens nicht zu überschreiten; die Tendenz zur Ausdehnung bis zu dieser Grenze hin können sie nicht aufheben.

23*
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428. Diese Tendenz aber wird geschwächt oder ganz aufgehoben wenn der Vertheidiger sich zu sehr ausgedehnt hat.

429. Zwar kann der Vertheidiger unter diesen Umständen, da es ihm an zurückgestellten Massen fehlt, den Angreifenden für seine eigne große Ausdehnung beim Umfassen nicht bestrafen, aber die Vortheile des Umfassens werden eo ipso zu gering.

430. Der Angreifende wird also die Vortheile des Umfassens nun nicht mehr suchen, wenn er nicht seiner Verhältnisse wegen einen sehr großen Werth auf das Abschneiden legen muß. Auf diese Weise ist also die Tendenz zum Umfassen geschwächt.

431. Sie wird aber ganz aufgehoben wenn der Vertheidiger eine so große Fronte genommen hat daß der Angreifende einen großen Theil derselben müßig lassen kann, denn dies ist ihm ein höchst wirksamer Gewinn.

432. In solchen Fällen kommt also der Angreifende dazu seine Vortheile gar nicht mehr in der Ausdehnung und dem Umfassen, sondern auf der entgegengesetzten Seite, nämlich in der Konzentrirung seiner Kräfte gegen einen Punkt zu suchen. Daß aber dies mit einer tieferen Aufstellung gleichbedeutend ist lehrt der Augenschein.

433. Wie weit der Angreifende die Verkleinerung seiner Fronte treiben darf hängt ab

a) von der Größe der Massen;
b) von der Größe der feindlichen Fronte;
c) von seiner Bereitschaft zur Gegenoffensive.

434. Bei kleinen Massen kann man keinen Theil der feindlichen Fronte mit Vortheil unbeschäftigt lassen; denn diese Theile können, da Alles übersehen wird und die

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Räume nur klein sind, auf der Stelle zu anderer Wirksamkeit gebracht werden.

435. Hieraus folgt eo ipso daß auch bei großen Massen und Fronten die angegriffene Fronte nicht zu klein sein darf, weil sonst der eben berührte Nachtheil wenigstens theilweise daraus entstehen würde.

436. Im Allgemeinen aber ist es in der Natur der Sache daß der Angreifende, wenn er seinen Vortheil im Konzentriren der Kräfte suchen darf, weil ihn die übermäßige Fronte des Vertheidigers oder dessen Passivität dazu berechtigt, in der Verkürzung seiner Fronte weiter gehen darf als der Vertheidiger, weil sein Gegner nicht so auf die offensive Gegenwirkung des Umfassens eingerichtet ist.

437. Je größer die Fronte des Vertheidigers ist um so mehr Theile kann er davon unbeschäftigt lassen.

438. Eben so je stärker die Absicht örtlicher Vertheidigung ausgesprochen ist.

439. Endlich je größer überhaupt die Massen sind.

440. Am meisten Vortheil wird also der Angreifende im Vereinigen seiner Kräfte finden wenn sich alle diese günstigen Umstände vereinigen, nämlich große Massen, zu lange Fronte und viel örtliche Vertheidigung des Gegners.

441. Bei der Raumbestimmung kann dieser Gegenstand erst seine volle Erledigung finden.

442. Den Nutzen successiver Kraftverwendung haben wir bereits (Nr. 291 u. ff.) gezeigt. Wir haben hier nur noch darauf aufmerksam zu machen daß die Ursachen welche ihn bedingen nicht bloß auf die Erneuerung desselben Gefechts mit frischen Truppen führen, sondern auch jede spätere Anwendung der Streitkräfte in sich schließen.

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443. In diesem spätern Gebrauch liegt ein Hauptvortheil, wie sich in der Folge zeigen wird.

444. Durch alle diese Entwickelungen sehen wir wie sich der Indifferenzpunkt zwischen dem gleichzeitigen und successiven Kraftgebrauch anders stellt nach der Größe der Theile, nach dem Verhältniß der Macht, nach Lage und Absicht, nach Kühnheit und Vorsicht.

445. Daß Gegend und Boden ebenfalls einen großen Einfluß darauf haben versteht sich von selbst und wird hier, wo wir von aller Anwendung abstrahiren, bloß berührt.

446. Bei so vielfältigen Beziehungen und zusammengesetzten Verhältnissen können keine absolute Zahlen als Normalgrößen festgestellt werden, aber es muß doch irgend eine Einheit geben welche zum festen Punkte für diese zusammengesetzten wandelbaren Verhältnisse dient.

447. Solcher Anhaltpunkte giebt es nun zwei, nämlich nach beiden Seiten hin einen. Der erste ist daß eine gewisse Tiefe als eine solche angesehen wird deren Kräfte gleichzeitig wirken. Zum Besten der Ausdehnung eine geringere anzunehmen muß also nur wie ein nothwendiges Übel betrachtet werden. Dies bestimmt also die nothwendige Tiefe. Der zweite ist die Sicherheit der Reserve, wovon wir schon gesprochen haben. Dies bestimmt die nothwendige Ausdehnung.

448. Die eben erwähnte nothwendige Tiefe liegt allen stehenden Formationen zum Grunde, und wir werden erst in der Folge, wenn wir in das Einzelne der Waffenordnung gehen, dies Resultat feststellen können.

449. Ehe wir aber mit Antizipirung dieses Resultats unsere allgemeine Betrachtung zu einem Schlußresultate bringen können, müssen wir noch die Raumbestimmung entwickeln, weil diese gleichfalls Einfluß darauf hat.

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Raumbestimmung.

450. Die Raumbestimmung beantwortet die Frage wo gefochten werden soll, sowohl für das Ganze als die Theile.

451. Der Ort des Gefechts für das Ganze ist eine strategische Bestimmung die uns hier Nichts angeht. Wir haben es hier nur mit der Konstruktion des Gefechts zu thun und müssen also voraussetzen daß beide Theile an einander kommen; also wird der allgemeine Ort des Gefechts entweder der sein wo die feindliche Armee ist (beim Angriff), oder der wo wir sie erwarten dürfen (bei der Vertheidigung).

452. Was die Raumbestimmung für die Glieder des Ganzen betrifft, so ist darin die geometrische Figur enthalten welche die gegenseitigen Streitkräfte im Gefechte einnehmen sollen.

453. Wir abstrahiren hier von den in der stehenden Formation enthaltenen Formen, welche wir später betrachten wollen.

454. Die geometrische Gestalt des Ganzen kann auf zwei zurückgeführt werden: die geradlinige und die konzentrischer Kreise. Auf Eins von Beidem läuft alles Andere hinaus.

455. Was nämlich wirklich mit einander im Gefecht gedacht werden soll muß in parallelen Grundlinien gedacht werden. Wenn also eine Armee senkrecht auf die Grundlinie der andern aufmarschirt ist, so muß diese entweder ihre Fronte ganz verändern und sich parallel mit jener stellen, oder sie muß es wenigstens mit einem Theile thun. Unsere Armee aber muß den Theil gegen welchen kein Theil der feindlichen herumgeschwenkt ist selbst herum

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schwenken, wenn sie zur Wirksamkeit kommen will; so entsteht also eine Aufstellung in konzentrischen Kreis- oder Polygonstücken.

456. Die gradlinige Form ist offenbar als indifferent zu betrachten, denn die Verhältnisse sind von beiden Theilen ganz gleich.

457. Aber man kann nicht sagen, wie es auf den Blick scheint, daß die gradlinige Form nur aus dem graden und parallelen Angriff entspringt, sie kann auch entstehen wenn der Vertheidiger sich einem schiefen Angriff parallel entgegengestellt hat. In diesem Falle werden die übrigen Umstände freilich nicht immer gleich sein, denn oft wird die neue Stellung nicht gut, oft wird sie nicht ganz vollendet sein u. s. w. Wir antizipiren dies hier nur um einer Verwechslung der Begriffe vorzubeugen. Die Indifferenz welche wir in diesem Falle sehen, liegt nur in der Form der Aufstellung.

458. Welcher Natur die Form in konzentrischen Kreisstücken (oder Polygonstücken, welches uns hier immer dasselbe ist) sei, haben wir bereits oben ausführlich entwickelt, es ist die umfassende und die umfaßte Form, es bleibt uns darüber gar Nichts zu sagen übrig.

459. Die Raumbestimmung für die Theile würde durch die geometrische Form der Grundlinien erschöpft sein, wenn überall den feindlichen Streitkräften eigene entgegengesetzt werden müßten, dies ist aber nicht nothwendig und es entsteht jedesmal die Frage: sollen alle Theile der feindlichen Streitkräfte bekämpft werden oder nicht? und im letztern Falle welche?

460. Können wir einen Theil der feindlichen Streitkräfte unbekämpft lassen, so werden wir dadurch stärker gegen die andern, entweder im gleichzeitigen oder successi

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ven Gebrauch der Streitkräfte. Ein Theil der feindlichen Macht wird dann durch unsere ganze bekämpft.

461. Auf diese Weise werden wir also auf den Punkten wo wir unsere Macht brauchen entweder der feindlichen überlegen oder wenigstens stärker als es das allgemeine Machtverhältniß mit sich bringt.

462. Diese Punkte aber können bei der Voraussetzung daß wir die übrigen unbekämpft lassen dürfen, für das Ganze genommen werden; es entsteht also eine künstliche Steigerung unserer Macht durch eine größere Vereinigung derselben im Raume.

463. Daß dieses Mittel ein höchst wichtiges Element aller Gefechtsplane ist leuchtet von selbst ein, es ist das am meisten gebrauchte.

464. Es kommt also darauf an diesen Gegenstand näher zu betrachten, um die Theile der feindlichen Macht zu bestimmen welche in diesem Sinne für das Ganze genommen werden können.

465. Wir haben in Nr. 4. die Motive angegeben welche den Rückzug eines Fechtenden bestimmen. Es ist klar daß sich die Thatsachen aus welchen diese Motive entspringen, entweder auf die ganzen Streitkräfte oder wenigstens auf einen so wesentlichen Theil derselben beziehen daß dieser mehr gilt als alle übrigen, also über diese mitbestimmt.

466. Daß sich diese Thatsachen auf die ganze Streitkraft beziehen, kann bei kleinen Massen sehr gut gedacht werden, aber bei größern Massen nicht. Hier beziehen sich war auch die unter d f g angegebenen Motive auf das Ganze, aber die übrigen, besonders der Verlust, beziehen sich immer nur auf gewisse Theile, denn bei größern

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Massen ist es höchst unwahrscheinlich daß alle Theile auf gleiche Weise affizirt werden.

467. Die Theile nun deren Zustand die Ursache des Rückzugs wird, müssen natürlich bedeutende Theile des Ganzen sein; wir wollen sie der Kürze wegen die überwundenen nennen.

468. Diese überwundenen Theile können entweder bei einander liegen oder in der ganzen Streitkraft mehr oder weniger gleichmäßig vertheilt sein.

469. Es ist kein Grund vorhanden sich das Eine wirksamer als das Andere zu denken. Ist von einer Armee ein Korps vollkommen geschlagen, alles Übrige aber intakt, so kann das in diesem Falle schlimmer, in jenem besser sein als wenn diese Verluste auf die ganze Masse gleichförmig vertheilt wären.

470. Aber der zweite Fall setzt eine gleichmäßige Anwendung der entgegenstehenden Kräfte voraus; wir aber beschäftigen uns hier mit der Wirkung einer ungleichmäßigen (auf einem oder einigen Punkten mehr vereinigten) Anwendung der Kräfte; wir haben es also nur mit dem ersten Falle zu thun.

471. Liegen die überwundenen Theile bei einander, so kann man sie kollektiv als ein Ganzes betrachten und so verstehen wir es wenn wir von dem angegriffenen oder besiegten Theile oder Punkte sprechen.

472. Kann man bestimmen wie dieser Theil beschaffen sein muß um das Ganze zu beherrschen und in seiner Richtung mit fortzuziehen, so hat man dadurch auch bestimmt gegen welchen Theil des Ganzen die Kräfte gerichtet sein müssen die den eigentlichen Kampf kämpfen sollen.

473. Wenn wir von allen Gegenständen des Ter

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rains absehen, so haben wir den anzugreifenden Theil nur nach Lage und Größe zu bestimmen. Wir wollen zuerst die Größe in Betracht ziehen.

474. Es sind zwei Fälle zu unterscheiden: der erste wenn wir unsere Kräfte gegen einen Theil der feindlichen vereinigen und den übrigen gar nichts entgegenstellen; der zweite wenn wir dem übrigen Theil blos geringere Kräfte entgegenstellen um ihn zu beschäftigen. Beides ist offenbar eine Vereinigung der Kraft im Raum.

475. Wie groß im erstern Falle der Theil der feindlichen Streitkraft ist den wir nothwendig bekämpfen müssen, ist offenbar gleichbedeutend mit der Frage: wie klein unsere Fronte sein darf? Diesen Gegenstand aber haben wir bereits in Nr. 433 seq. entwickelt.

476. Um den Gegenstand im zweiten Falle näher kennen zu lernen, wollen wir uns zuerst denken daß der Gegner eben so positiv und thätig sei als wir, woraus folgt daß wenn wir mit einem größern Theile unsers Ganzen einen kleinern des seinigen schlagen, er dasselbe thut.

477. Wollen wir also den Totalerfolg für uns haben, so müssen wir es so einrichten daß der Theil der feindlichen Macht den wir schlagen wollen, ein größeres Verhältniß zu seinem Ganzen habe als der von unserer Macht Preis gegebene Theil zu unserm Ganzen hat.

478. Wollen wir z. B. den Hauptkampf mit ¾ unserer Macht führen und ¼ zur Beschäftigung der nicht angegriffenen Theile verwenden, so muß der Theil der feindlichen Macht den wir ernsthaft bekämpfen größer sein als ¼, also etwa ⅓. Treten in diesem Falle die Erfolge in entgegengesetzten Richtungen ein, so schlagen wir mit ¾ unserer Macht ⅓ der feindlichen; der Feind aber mit ⅔

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der seinigen ¼ der unsrigen, welches uns offenbar im Vortheil läßt.

479. Wären wir dem Feinde sehr überlegen, so daß die ¾ unserer Macht hinreichten uns über ½ der seinigen einen gewissen Sieg zu versprechen, so würde der Totalerfolg noch entscheidender für uns sein.

480. Je überlegener wir in der Zahl sind, um so größer darf der Theil der feindlichen Macht sein den wir ernstlich bekämpfen und um so größer wird dann der Erfolg sein. Je schwächer wir sind um so kleiner muß der ernsthaft bekämpfte Theil sein, welches mit dem natürlichen Gesetze daß der Schwache seine Kräfte mehr konzentriren muß zusammenfällt.

481. Aber hierbei ist schweigend vorausgesetzt daß der Feind ungefähr eben so viel Zeit braucht unsern schwachen Theil zu schlagen wie wir zur Vollbringung unsers Sieges über den seinigen nöthig haben. Wäre das nicht sondern es fände ein sehr merklicher Unterschied Statt, so würde er einen Theil der Truppen die er dort angewendet hat noch gegen unsere Hauptmacht brauchen können.

482. Nun ist aber ein Sieg in der Regel um so schneller erfochten je ungleicher die Macht ist; es folgt also daraus daß wir den Theil welchen wir aufopfern wollen nicht willkührlich klein machen dürfen, sondern daß er zu der feindlichen Macht die er beschäftigen soll ein erträgliliches Verhältniß behalten muß. Das Konzentriren hat also beim Schwachen seine Grenzen.

483. Aber die Nr. 476 gemachte Voraussetzung findet äußerst selten Anwendung. Gewöhnlich ist ein Theil des Vertheidigers örtlich verwendet und dieser nicht im Stande das Vergeltungsrecht so schnell zu üben wie nöthig wäre, woraus denn hervorgeht daß der Angreifende beim Kon

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zentriren seiner Kräfte auch jenes Verhältniß noch etwas überschreiten darf und daß er z. B. noch immer einige Wahrscheinlichkeit des Gesammterfolges für sich hat wenn er mit ⅔ seiner Kräfte ⅓ der feindlichen schlägt, weil das von ihm übrig gebliebene Drittheil schwerlich in eben dem Maaße ins Gedränge kommen wird.

484. Wollte man aber in dieser Folgerung weiter gehen und den Schluß machen daß wenn der Vertheidiger gar nichts Positives gegen den schwächern Theil des Angreifenden thäte (ein Fall der so sehr oft eintritt), daraus immer der Sieg des Angreifenden folgen müßte, so würde man einen Fehlschluß thun; denn in den Fällen wo der Angegriffene sich nicht an dem schwächern Theile der feindlichen Macht zu entschädigen sucht, unterbleibt dies hauptsächlich weil er noch Mittel findet einen Theil seiner nicht angegriffenen Macht in das Gefecht gegen unsere Hauptmacht zu bringen und also den Sieg derselben zweifelhaft zu machen.

485. Je kleiner der Theil der feindlichen Macht ist den wir angreifen um so eher wird das möglich sein, theils wegen des kleinen Raumes, theils und besonders weil die moralische Kraft des Sieges bei kleinen Massen so sehr viel geringer ist; der Sieg über einen kleinen Theil macht den Feind nicht so leicht Kopf und Muth verlieren die noch vorhandenen Mittel zur Wiederherstellung anzuwenden.

486. Nur wenn der Feind sich in den Fall gesetzt hat weder das Eine noch das Andere thun zu können, d. h. sich weder durch einen positiven Sieg über unsern schwächern Theil zu entschädigen, noch sich mit den dort überflüssigen Kräften dem Hauptangriff entgegenzustellen, oder wenn er aus Unentschlossenheit nicht dazu kommt, so darf der Angreifende hoffen auch mit einer verhältnißmä

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ßig sehr kleinen Macht ihn durch das Mittel der Konzentrirung zu überwinden.

487. Aber die Theorie darf nicht blos den Vertheidiger als in dem Nachtheil befangen darstellen, die Konzentrirung der Kräfte des Gegners nicht gehörig vergelten zu können, sondern sie muß auch darauf hinweisen daß, ohne Bezichung auf Angriff und Vertheidigung, einer der beiden Theile es in der Regel sein wird.

488. Es ist nämlich die unverhältnißmäßige Vereinigung von Kräften auf einem Punkte um dadurch auf diesem überlegen zu werden, immer mit auf die Hoffnung gebaut den Gegner damit zu überraschen, damit er weder Zeit hat auf diesen Punkt eben so viel Kräfte hinzubringen noch sich auf eine Wiedervergeltung einzurichten. Daß diese Überraschung gelingen werde hat einen Grund für sich, nämlich den des frühern Entschlusses d. i. der Initiative.

489. Dieser Vortheil der Initiative hat aber auch wieder seinen Gegensatz, wovon weiter unten gehandelt werden soll; wir bemerken also hier blos daß er kein absoluter Vortheil ist, dessen Wirkungen sich in allen Fällen zeigen müßten.

490. Aber wenn auch von dem Grunde des Gelingens der Überraschung, welcher in der Initiative liegt, abgesehen und kein objektiver Grund übrig gelassen wird, so daß das Gelingen nichts mehr für sich hat als das Glück, so ist das doch in der Theorie nicht verwerflich, denn der Krieg ist ein Spiel von dem das Wagen unmöglich ausgeschlossen werden kann. Es bleibt also zulässig da wo alle andere Motive fehlen, auf gut Glück einen Theil seiner Macht zu konzentriren in der Hoffnung damit den Gegner zu überraschen.

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491. Gelingt diese Überraschung auf der einen oder andern Seite, so wird daraus, es mag der Angreifende oder der Vertheidiger sein dem sie gelingt, für den andern Theil ein gewisses Unvermögen folgen sich durch Wiedervergeltung zu entschädigen.

492. Bisher haben wir uns mit der Größe des zu bekämpfenden Theils oder Punktes beschäftigt, jetzt kommen wir zur Lage desselben.

493. Sieht man von allem Terrain und andern individuellen Umständen ab, so können wir nur die Flügel, die Flanken, den Rücken und das Centrum unterscheiden als Punkte die ihre Eigenthümlichkeiten haben.

494. Die Flügel weil man dort die feindlichen Streitkräfte umfassen kann.

495. Die Flanken weil man hoffen darf dort auf einem Terrain zu schlagen auf welchem der Feind nicht eingerichtet ist und ihm den Rückzug zu erschweren.

496. Den Rücken eben so wie die Flanken, nur daß das Erschweren oder völlige Abschneiden des Rückzugs hier noch mehr vorherrscht.

497. Bei Flanken und Rücken aber wird nothwendig vorausgesetzt daß man den Feind zwingen könne uns dort Streitkräfte entgegenzustellen; wo man dieser Wirkung unsers Erscheinens nicht gewiß ist, würde es gefährlich sein, denn wo man keinen Feind zu bekämpfen hat ist man müßig, und wo dies mit der Hauptmacht der Fall wäre würde man unzweifelhaft seinen Zweck verfehlen.

498. Ein solcher Fall daß der Gegner Flanken und Rücken Preis giebt, ist nun zwar höchst selten, aber er kommt doch vor und zwar am leichtesten wenn der Gegner sich durch offensive Gegenunternehmungen schadlos hält (Wagram, Hohenlinden, Austerlitz gehören z. B. hierher).

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499. Das Centrum, worunter wir nichts verstehen als einen Theil der Fronte der nicht Flügel ist, hat die Eigenthümlichkeit daß es zur Trennung der Theile führt, welches gewöhnlich das Sprengen genannt wird.

500. Das Sprengen steht offenbar dem Umschließen entgegen. Beide wirken im Fall des Sieges sehr zerstörend auf die feindlichen Kräfte, aber jedes anders und zwar:

a) Das Umfassen trägt zur Sicherheit des Erfolges durch seine moralische Wirkung bei indem es den Muth des Gegners schwächt.
b) Das Sprengen im Centro trägt zur Sicherheit des Erfolges bei indem es unsere Kräfte mehr bei einander läßt. Beides ist schon vorgekommen.
c) Das Umfassen kann unmittelbar zu einer Vernichtung der feindlichen Armee führen wenn es mit sehr überlegenen Kräften ausgeführt wird und gelingt. In jedem Falle ist, wenn es zum Siege führt, der Erfolg der ersten Tage dabei größer als beim Sprengen.
d) Das Sprengen kann nur indirekt zur Vernichtung der feindlichen Armee führen und zeigt seine Wirkungen nicht leicht schon am ersten Tage so groß, sondern mehr strategisch in den folgenden.

501. Aber das Sprengen der feindlichen Armee durch Vereinigung unserer Hauptkräfte gegen einen Punkt setzt eine übertriebene Frontelänge beim Feinde voraus, denn es ist viel schwerer die übrigen Streitkräfte des Feindes durch geringere zu beschäftigen, weil die dem Hauptangriff zunächst liegenden feindlichen Kräfte leicht zur Bekämpfung desselben verwendet werden können. Nun liegen aber bei einem Centralangriff dergleichen zu beiden Seiten, bei einem Flügelangriff nur auf einer Seite.

502.
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502. Die Folge ist daß ein solcher Centralangriff in Gefahr ist durch einen konzentrischen Gegenangriff in eine sehr nachtheilige Gefechtsform zu gerathen.

503. Es wird also die Wahl unter diesen Punkten nach den bestehenden Verhältnissen geschehen. Länge der Fronte, Beschaffenheit und Lage der Rückzugslinie, Werth der feindlichen Truppen und Eigenthümlichkeit des Feldherrn, endlich das Terrain werden bei dieser Wahl bestimmen. Wir werden diese Gegenstände erst in der Folge näher betrachten.

504. Wir haben die Vereinigung der Hauptmacht zum wirklichen Kampf auf einen Punkt betrachtet, sie kann aber allerdings auf mehreren Punkten, auf zweien, ja auf dreien Statt finden ohne daß es aufhört eine Kraftvereinigung gegen einen Theil feindlicher Macht zu sein. Nur wird freilich mit der Mehrzahl der Punkte die Kraft des Prinzips geschwächt.

505. Bisher haben wir nur die objektiven Vortheile einer solchen Kraftvereinigung im Auge gehabt, nämlich ein besseres Kraftverhältniß für den Hauptpunkt. Aber es giebt auch einen subjektiven Grund für die Führer oder Feldherrn, nämlich den den Haupttheil seiner Macht mehr in seiner Hand zu haben.

506. Wenn gleich in einer Schlacht der Wille des Feldherrn und seine Intelligenz das Ganze leitet, so dringt doch dieser Wille und diese Intelligenz nur in einem sehr geschwächten Grade bis zu den untern Gliedern durch und dies ist um so mehr der Fall je entfernter sich die Truppen von dem Feldherrn befinden; die Wichtigkeit und Selbstständigkeit der Unterbefehlshaber nimmt zu und dies ist auf Kosten des obersten Willens.

III 24
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507. Es ist aber nicht nur natürlich, sondern, so lange keine Anomalie Statt findet, auch vortheilhaft daß der Befehlshaber die größte Wirksamkeit behalte die die Umstände nur gestatten wollen.

Wechselwirkung.

508. Hiermit haben wir Alles erschöpft was sich über die Verwendung der Streitkräfte im Gefecht, aus ihrer Natur selbst Allgemeines entwickeln läßt.

509. Nur einen Gegenstand haben wir noch zu betrachten: es ist die Wechselwirkung der beiderseitigen Pläne und Handlungen.

510. Da der eigentliche Plan eines Gefechts nur Das feststellen kann was sich in der Handlung vorhersehn läßt, so ist er meistens auf drei Dinge beschränkt:

1. Die großen Umrisse.
2. Die Vorbereitungen.
3. Die Einzelnheiten des Anfangs.

511. Es ist also nur der Anfang durch den Plan wirklich ganz festgestellt, der Verlauf muß es werden durch neue aus den Umständen hervorgehende Bestimmungen und Befehle, d. i. durch die Führung.

512. Es ist klar daß es wünschenswerth wäre die Grundsätze welche bei dem Plan befolgt werden auch bei der Führung zu befolgen, denn Zweck und Mittel bleiben ja dieselben; wenn es also nicht überall geschehen kann, so ist das nur als eine unvermeidliche Unvollkommenheit zu betrachten.

513. Aber es ist nicht zu verkennen daß das Handeln der Führung ganz anderer Natur ist als das des Entwurfs. Dieser wird außer der Region der Gefahr

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und mit völliger Muße gemacht, jene liegt immer im Drange des Augenblicks. Der Plan entscheidet immer von einem höhern Standpunkt aus mit einem weitern Gesichtskreise; die Führung wird von dem nächsten und individuellsten bestimmt, oft mehr als bestimmt, fortgerissen. Wir wollen später von dem Unterschiede in dem Charakter dieser beiden Thätigkeiten der Intelligenz reden, hier aber noch davon absehen und uns damit begnügen sie als verschiedene Epochen von einander getrennt zu haben.

514. Denkt man sich beide Theile so daß keiner etwas von den Anordnungen des Gegners kennt, so wird jeder die seinigen nur nach den allgemeinen Grundsätzen der Theorie machen können. Ein großer Theil davon liegt in der Formation und der sogenannten Elementartaktik der Heere, die natürlich nur auf das Allgemeine gegründet ist.

515. Es ist aber offenbar daß eine Anordnung die sich nur auf das Allgemeine bezieht, nicht die Wirksamkeit einer solchen haben kann die auf individuelle Umstände gebaut ist.

516. Folglich muß es ein sehr großer Vortheil sein seine Anordnungen später als der Feind und mit Berücksichtigung der feindlichen zu treffen; es ist die Hinterhand des Spielers.

517. Selten oder nie wird ein Gefecht ohne Berücksichtigung individueller Umstände angeordnet. Der erste dessen Kenntniß niemals ganz fehlen kann ist das Terrain.

518. Die Kenntniß des Terrains wohnt vorzugsweise dem Vertheidiger bei, denn nur er weiß genau und

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vorher in welcher Gegend das Gefecht sein wird und hat also Zeit diese Gegend gehörig zu untersuchen. Hier schlägt die ganze Theorie der Stellungen, insofern sie in die Taktik gehört, Wurzel.

519. Auch der Angreifende lernt die Gegend kennen noch ehe das Gefecht angeht, aber nur unvollkommen, denn der Vertheidiger ist im Besitz und erlaubt ihm nicht näher zu untersuchen. Was er von Fern etwa erkennen kann dient ihm zur nähern Bestimmung seines Plans.

520. Will der Vertheidiger einen andern Gebrauch von der Gegend machen als den der bloßen Kenntniß, will er sie zu lokaler Vertheidigung benutzen, so folgt daraus mehr oder weniger eine bestimmte, ins Einzelne gehende Verwendung seiner Streitkräfte; dadurch kommt der Gegner in den Fall sie kennen zu lernen und bei seinem Plane zu berücksichtigen.

521. Dies ist also die erste Berücksichtigung des Gegners welche eintritt.

522. In den meisten Fällen ist diese Station als diejenige zu betrachten wo die Pläne beider Theile abschließen, was weiter geschieht gehört schon zur Führung.

523. In Gefechten wo keiner der beiden Theile als eigentlicher Vertheidiger zu betrachten ist, wo beide einander entgegenkommen, vertreten Formation, Schlachtordnung und Elementartaktik, als stereotype Disposition, etwas modifizirt durch das Terrain, die Stelle eines eigentlichen Plans.

524. Bei kleinen Ganzen kommt dies sehr häufig vor, bei großen Ganzen sehr selten.

525. Ist aber die Handlung in Angriff und Vertheidigung getheilt, so befindet sich auf der Nr. 522 genannten

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Station der Angreifende, was die Wechselwirkung betrifft, offenbar im Vortheil. Zwar hat er die Initiative des Handelns ergriffen, aber der Gegner hat durch seine Vertheidigungsanstalten einen großen Theil dessen was er thun will kund geben müssen.

526. Es ist aus diesem Grunde daß in der Theorie bisher der Angriff als eine überwiegend vortheilhafte Form des Gefechtes betrachtet worden ist.

527. Den Angriff als die vortheilhaftere oder mit einem bestimmteren Ausdruck als die stärkere Form des Gefechts betrachten, führt zu einem Absurdum, wie wir in der Folge zeigen werden. Dies hat man übersehen.

528. Der Fehler des Schlusses liegt in der Überschätzung des Nr. 525 genannten Vortheils. Er ist wichtig in Beziehung auf die Wechselwirkung, aber diese ist nicht Alles. Der Vortheil sich des Terrains als einer Hülfsmacht zu bedienen und damit seine Streitkräfte gewissermaßen zu multipliziren ist in sehr vielen Fällen von größerer Bedeutung und könnte es mit gehörigen Anordnungen in den meisten sein.

529. Aber ein falscher Gebrauch des Terrains (sehr ausgedehnte Stellungen) und ein falsches System der Vertheidigung (bloße Passivität) haben allerdings jenem Vortheil des Angreifenden, mit seinen Maaßregeln des Plans in der Hinterhand zu bleiben, eine solche Wichtigkeit gegeben daß der Angriff diesem Punkt allein fast die ganze Wirksamkeit zu danken hat die er in der Praxis über sein natürliches Maaß hinaus zeigt.

530. Aber die Einwirkung der Intelligenz hört mit dem eigentlichen Plan nicht auf und wir müssen das Ver

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hältniß der Wechselwirkung durch das Gebiet der Führung verfolgen.

531. Das Gebiet der Führung ist der Verlauf oder die Dauer des Gefechts; diese ist aber um so größer je mehr successive Kraftverwendung Statt findet.

532. Wo man also auf die Führung viel rechnen will bedingt dies eine große Tiefe der Aufstellung.

533. Es entsteht zuerst die Frage ob es besser ist mehr dem Plane oder mehr der Führung anzuvertrauen?

534. Es wäre offenbar widersinnig irgend ein vorhandenes Datum absichtlich unberücksichtigt zu lassen und wenn es für die beabsichtigte Handlung irgend einen Werth hat, diesen nicht mit in die Überlegung aufzunehmen. Hiermit aber ist nichts Anderes gesagt als daß man den Plan in die Handlung so weit hineingreifen lassen wird als Data vorhanden sind und daß das Feld der Führung nur da anfangen wird wo der Plan nicht mehr hinreichen kann. Die Führung ist also nur eine Stellvertretung des Plans und insofern wie ein nothwendiges Übel zu betrachten.

535. Aber wohlverstanden: es ist nur vom motivirten Plane die Rede. Alle Bestimmungen die eine individuelle Tendenz haben, müssen nicht auf willkürliche Voraussetzungen, sondern auf Data gebaut sein.

536. Wo also die Data aufhören müssen auch die Bestimmungen des Plans aufhören. Denn es ist offenbar besser daß Etwas unbestimmt, d. h. unter die Obhut allgemeiner Grundsätze gestellt bleibe, als daß es auf eine Weise bestimmt werde die nicht zu den Umständen paßt die sich hinterher ergeben.

537. Jeder Plan der im Verlauf des Gefechts zu

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viel Detail bestimmt, muß dadurch fehlerhaft und verderblich sein, denn das Detail hängt nicht blos von allgemeinen Gründen, sondern wieder von Einzelheiten ab die unmöglich vorher gekannt sein können.

538. Wenn man überlegt daß die Einwirkung einzelner Umstände (zufälliger und anderer) zunimmt mit Zeit und Raum, so sieht man daß hier der Grund liegt warum sehr weit umfassende und kombinirte Bewegungen selten gelingen und häufig verderblich werden.

539. Überhaupt liegt hier der Grund der Verderblichkeit aller sehr zusammengesetzten und künstlichen Gefechtsplane. Sie sind sämmtlich, oft unbewußt, auf eine Masse von kleinen Voraussetzungen gegründet von denen ein großer Theil nicht zutrifft.

540. Statt einer ungebührlichen Ausdehnung des Plans ist es also besser mehr der Führung zu überlassen.

541. Dies setzt aber (nach 532) eine tiefe Aufstellung d. h. große Reserven voraus.

542. Wir haben (525) gesehen daß der Angriff, was die Wechselwirkung betrifft, mit seinem Plane weiter reicht.

543. Dagegen hat der Vertheidiger durch das Terrain eine Menge von Veranlassungen den Gang seines Gefechts im Voraus zu bestimmen, d. h. mit seinem Plane weit in dasselbe hineinzugreifen.

544. Bliebe man auf diesem Standpunkt stehen, so würde man sagen daß die Pläne des Vertheidigers viel durchgreifender sind als die des Angreifenden, daß dieser viel mehr der Führung überlassen muß.

545. Aber dieser Vorzug des Vertheidigers ist nur scheinbar, nicht wirklich vorhanden. Wir dürfen nämlich

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nicht vergessen daß die Anordnungen die sich auf das Terrain beziehen, bloß Vorbereitungen sind die sich auf Voraussetzungen, nicht auf wirkliche Maaßregeln des Gegners gründen.

546. Nur weil diese Voraussetzungen gewöhnlich sehr wahrscheinlich sind, und insofern sie das sind, haben sie und die auf sie gegründeten Anordnungen Werth.

547. Diese Bedingung aber, die für den Vertheidiger in seinen Voraussetzungen und darauf gebauten Anordnungen gemacht wird, beschränkt sie natürlich sehr und nöthigt ihn mit seinen Anordnungen und Plänen vorsichtig zu sein.

548. Ist er damit zu weit gegangen, so kann der Angreifende sich ihnen entziehen und dann entsteht auf der Stelle eine todte Kraft, d. h. eine Kraftverschwendung.

549. Hierher gehören die zu ausgedehnten Stellungen und zu häufig angewandte Lokalvertheidigung.

550. Gerade diese beiden Fehler haben oft den Nachtheil gezeigt welcher aus einer übertriebenen Ausdehnung des Plans bei dem Vertheidiger entsteht und den Vortheil welchen der Angreifende aus der naturgemäßen Ausdehnung des seinigen ziehen kann.

551. Nur sehr starke Stellungen, die es aber auch unter allen Gesichtspunkten sind, geben dem Plane des Vertheidigers ein größeres Gebiet als der Plan des Angreifenden haben kann.

552. In dem Maaße aber als die Stellung weniger ausgezeichnet gut ist, oder gar nicht vorhanden, oder daß Zeit fehlt sich gehörig darin einzurichten, in dem Maaße wird der Vertheidiger mit den Bestimmungen sei

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nes Plans hinter dem Angreifenden zurückbleiben und sich mehr auf die Führung verlassen müssen.

553. Dies Resultat führt also wieder dahin daß der Vertheidiger vorzugsweise die successive Kraftverwendung suchen muß.

554. Aber wir haben früher gesehen daß nur die großen Massen den Vortheil kurzer Fronten haben können, und wir müssen also jetzt sagen daß der Vertheidiger sich um so eher aus der Gefahr einer übermäßigen durch das Terrain veranlaßten Ausdehnung seines Plans, einer verderblichen Kraftversplitterung retten muß zu den Hülfsquellen die in der Führung, d. i. in den starken Reserven liegen.

555. Hieraus entsteht offenbar die Folgerung daß das Verhältniß der Vertheidigung zum Angriff um so günstiger wird je größer die Massen werden.

556. Dauer des Gefechts, d. i. starke Reserven und möglichst successive Verwendung derselben, ist also die erste Bedingung für die Führung, und die Überlegenheit in diesen Dingen muß also auch eine Überlegenheit in der Führung mit sich bringen, abgesehen von aller Virtuosität dessen der sie braucht, denn die höchste Kunst kann ohne Mittel nicht wirksam werden, und man kann sich sehr gut denken daß der minder Geschickte, dem aber noch mehr Mittel zu Gebote stehen, im Verlauf des Gefechts das Übergewicht bekommt.

557. Nun giebt es noch eine zweite objektive Bedingung welche im Allgemeinen die Überlegenheit in der Führung giebt, und diese liegt ganz auf der Seite des Vertheidigers: es ist die Bekanntschaft mit der Gegend. Welchen Vortheil diese da geben muß wo es auf schnelle

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Entschlüsse ankommt, die ohne Übersicht im Drange der Umstände genommen werden, ist an sich klar.

558. Es ist in der Natur der Dinge daß die Bestimmungen des Plans mehr die Glieder höherer Ordnung, die der Führung mehr die der niedern treffen; folglich wird jede einzelne der letztern von geringerer Bedeutung sein, aber natürlich sind sie auch viel zahlreicher, wodurch der Unterschied in der Wichtigkeit zwischen Plan und Führung zum Theil ausgeglichen wird.

559. Ferner ist es in der Natur der Sache daß in der Führung die Wechselwirkung ihr eigentliches Feld hat, daß sie hier nie aufhört, weil beide Theile einander im Angesicht sind, und folglich daß sie den größten Theil der Bestimmungen entweder veranlaßt oder modifizirt.

560. Ist nun der Vertheidiger besonders darauf hingewiesen die Kräfte für die Führung aufzusparen (Nr. 553), ist er im Allgemeinen bei ihrem Gebrauche im Vortheil (Nr. 557), so folgt daraus daß er den Nachtheil in welchem er sich bei der Wechselwirkung der Plane befindet, durch das Übergewicht in der Wechselwirkung der Führung nicht nur wieder gut machen, sondern auch ein Übergewicht in der Wechselwirkung überhaupt wird erreichen können.

561. Wie aber auch in dem einzelnen Falle das Verhältniß in dieser Beziehung zwischen beiden Theilen sei, es wird bis auf einen gewissen Grad das Bestreben vorhanden sein müssen mit seinen Maaßregeln in die Hinterhand zu kommen um die des Gegners dabei berücksichtigen zu können.

562. Dies Bestreben ist der eigentliche Gedanke welcher den so sehr viel stärkeren Reserven zum Grunde liegt, die in der neuern Zeit bei großen Massen gebraucht werden.

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563. Wir tragen kein Bedenken bei allen bedeutenden Massen, nächst dem Terrain, in dieses Mittel das vorzüglichste Agens der Vertheidigung zu setzen.

Charakter der Führung.

564. Wir haben gesagt daß in dem Charakter der Bestimmungen die den Plan und die die Führung eines Gefechts geben ein Unterschied ist; die Ursache ist weil die Umstände verschieden sind unter denen die Intelligenz wirkt.

565. Diese Verschiedenheit der Umstände besteht in drei Elementen: nämlich in dem Mangel an Daten, in dem Mangel an Zeit und in der Gefahr.

566. Dinge die bei vollkommener Übersicht der Lage und des großen Zusammenhanges Hauptsachen werden, können es nicht mehr sein wenn diese Übersicht fehlt; es werden also andere und zwar, wie sich von selbst versteht, näher liegende Erscheinungen vorherrschend wichtig.

567. Ist der Plan eines Gefechts also mehr eine geometrische, so ist die Führung mehr eine optische Zeichnung; jener mehr ein Grundriß, diese mehr eine perspektivische Ansicht. Wie dieser Fehler gut gemacht werden muß werden wir in der Folge sehen.

568. Außerdem daß Mangel an Zeit auf den Mangel an Übersicht wirkt, wirkt er auch auf die Überlegung. Es kann weniger ein vergleichendes, abwägendes, kritisches Urtheil als der bloße Takt wirksam werden, d. i. ein zur Übung gewordener Handgriff des Urtheils. Auch das müssen wir uns merken.

569. Daß das unmittelbare Gefühl großer Gefahr für sich und Andere störend auf den bloßen Verstand wirkt ist in der menschlichen Natur.

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570. Wenn also das Urtheil des Verstandes auf jede Weise beengt und geschwächt wird, wohin kann es sich flüchten? — Nur zum Muth.

571. Es ist hier offenbar ein Muth doppelter Art erforderlich. Muth um nicht von der persönlichen Gefahr überwältigt zu werden, und Muth um auf Ungewisses zu rechnen und sein Handeln darauf einzurichten.

572. Das Zweite pflegt man Muth des Verstandes (courage d'ésprit) zu nennen; für das Erste giebt es keinen dem Gesetz der Antithese genügenden Namen. Die Ursache ist weil jene Benennung selbst nicht richtig ist.

573. Fragen wir uns was in der ursprünglichen Bedeutung Muth genannt wird, so ist es die persönliche Aufopferung in der Gefahr, und von diesem Punkte müssen wir auch ausgehen, denn darauf stützt sich zuletzt Alles.

574. Ein solches Gefühl der Aufopferung kann zwei ganz verschiedenartige Quellen haben: erstens Gleichgültigkeit gegen die Gefahr, sei es daß sie aus dem Organismus des Individuums oder aus Gleichgültigkeit gegen das Leben oder aus Gewohnheit der Gefahr hervorgehe, und zweitens positive Motive: Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Begeisterung jeder Art.

575. Nur die erste ist als der echte angeborne oder zur Natur gewordene Muth zu betrachten, und er hat das Eigenthümliche daß er mit dem Menschen ganz identisch ist, also nie fehlt.

576. Anders ist es mit dem Muth der aus positiven Gefühlen entspringt. Diese stellen sich den Eindrücken der Gefahr entgegen, dabei kommt es natürlich auf ihr Verhältniß zu denselben an. Es giebt Fälle wo sie viel weiter führen als die bloße Gleichgültigkeit gegen die Ge

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fahr, in andern werden sie von dieser überholt. Diese läßt das Urtheil nüchterner und führt zur Standhaftigkeit, jene machen unternehmender und führen zur Kühnheit.

577. Ist mit solchen Anregungen Gleichgültigkeit gegen die Gefahr verbunden, so entsteht der vollkommenste persönliche Muth.

578. Dieser bisher betrachtete Muth ist etwas ganz Subjektives, er bezieht sich bloß auf die persönliche Aufopferung und kann darum persönlicher Muth genannt werden.

579. Nun ist aber natürlich daß Jemand der auf das Opfer seiner Person keinen großen Werth legt, auch die Aufopferung der Andern die zufolge seiner Stellung von seinem Willen abhängig gemacht sind, nicht hoch anschlägt. Er betrachtet sie als eine Waare über die er in eben dem Gefühle schalten kann wie über sich selbst.

580. Ebenso wird Der welcher durch irgend ein positives Gefühl in die Gefahr hineingezogen wird, dieses Gefühl den Andern entweder leihen oder sich berechtigt glauben diese Andern seinem Gefühle unterzuordnen.

581. Auf beide Arten bekommt der Muth einen objektiven Wirkungskreis. Er wirkt nun nicht mehr bloß auf die eigene Aufopferung, sondern auf den Gebrauch der ihm untergebenen Streitkräfte.

582. Schließt der Muth alle zu lebhaften Eindrücke der Gefahr von der Seele aus, so wirkt er auf die Thätigkeiten des Verstandes. Diese werden frei weil sie nicht mehr unter dem Druck der Besorgnisse stehen.

583. Aber freilich können Verstandeskräfte die nicht vorhanden sind dadurch nicht entstehen und noch weniger Einsichten.

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584. Es kann also der Muth bei Mangel an Verstand und Einsicht oft zu sehr falschen Schritten führen.

585. Ganz andern Ursprungs ist der Muth welchen man Muth des Verstandes genannt hat. Er entspringt aus der Überzeugung von der Nothwendigkeit des Wagens, oder auch von einer höhern Einsicht welcher das Wagen nicht so groß als den Übrigen erscheint.

586. Diese Überzeugung kann auch in solchen Menschen entstehen die keinen persönlichen Muth haben, aber sie wird erst Muth, d. h. sie wird erst eine Kraft die den Menschen im Drange des Augenblicks und der Gefahr aufrecht und im Gleichgewichte erhält, wenn sie auf das Gemüth zurückwirkt, die edlern Kräfte desselben weckt und steigert, und darum ist der Ausdruck Muth des Verstandes nicht ganz richtig, denn aus dem Verstande selbst entspringt er nie. Daß Gedanken Gefühle hervorbringen können und daß diese Gefühle durch fortdauernde Einwirkung des Denkvermögens gesteigert werden können, weiß Jeder aus der Erfahrung.

587. Indem auf der einen Seite der persönliche Muth die Verstandeskräfte unterstützt und dadurch erhöht, auf der andern die Verstandesüberzeugung die Gemüthskräfte weckt und belebt, nähern sich beide einander und können zusammen fallen, d. h. dasselbe Resultat in der Führung geben. Aber dies ist doch selten. Gewöhnlich haben die Handlungen des Muthes etwas von dem Charakter seines Ursprungs.

588. Wo großer persönlicher Muth und großer Verstand sich vereinigt finden, da muß natürlich die Führung die vollkommenste sein.

589. Daß der von der Verstandesüberzeugung aus

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gehende Muth sich hauptsächlich auf dasjenige Wagen bezieht welches in dem Vertrauen zu ungewissen Dingen und zu gutem Glück besteht und weniger auf die persönliche Gefahr, liegt in der Natur der Sache, denn diese kann nicht leicht ein Gegenstand großer Verstandesthätigkeit werden.

590. Wir sehen also daß in der Gefechtsführung, d. h. im Drange des Augenblicks und der Gefahr die Gemüthskräfte den Verstand unterstützen und dieser die Gemüthskräfte wecken muß.

591. Ein solcher erhöheter Zustand der Seele ist erforderlich wenn das Urtheil ohne Übersicht, ohne Muße, im heftigsten Drange der Erscheinungen treffende Entscheidungen geben soll. Man kann ihn das kriegerische Talent nennen.

592. Wenn man ein Gefecht mit seiner Masse großer und kleiner Glieder und der von ihm ausgehenden Handlungen betrachtet, so fällt in die Augen daß der Muth welcher von der persönlichen Aufopferung ausgeht, in der niedern Region vorherrschen d. h. mehr über die kleinen Glieder gebieten wird, der andere mehr über die großen.

593. Je weiter man in dieser Gliederung hinuntersteigt um so einfacher wird das Handeln, um so mehr kann also der einfache Verstand zureichen, um so größer aber wird die persönliche Gefahr und folglich um so mehr ist der persönliche Muth in Anspruch genommen.

594. Je höher man hinaufsteigt um so wichtiger und folgereicher wird das Handeln des Einzelnen, weil die Gegenstände worüber er entscheidet mehr oder weniger in einem durchgreifenden Zusammenhange mit dem Ganzen

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stehen. Hieraus folgt daß viel mehr Übersicht erforderlich wäre.

595. Nun hat zwar die höhere Stelle auch immer einen weiteren Horizont, übersieht den Zusammenhang viel besser als die niedern; aber alle Übersicht die im Laufe eines Gefechts vermißt wird, fehlt doch hauptsächlich hier, und es ist also auch hauptsächlich hier wo so Vieles auf gut Glück und mit dem bloßen Takte des Urtheils vollbracht werden muß.

596. Dieser Charakter der Führung steigert sich immer mehr je weiter das Gefecht vorrückt, denn um so weiter hat sich der Zustand von dem ersten der uns ganz bekannt war, entfernt.

597. Je länger das Gefecht gedauert hat um so mehr Zufälle, d. h. Ereignisse die außer unserer Berechnung liegen, haben darin stattgefunden, um so mehr ist Alles aus dem Gefüge seiner Ordnung gewichen, um so wilder und verworrener sieht es hier und da schon aus.

598. Je weiter aber ein Gefecht vorgerückt ist um so mehr häufen sich die Entscheidungen, um so näher rükken sie an einander, um so weniger Zeit ist zur Überlegung.

599. So geschieht es daß auch die höhern Glieder nach und nach, besonders für einzelne Punkte und Augenblicke, in die Region hinabgezogen werden wo persönlicher Muth mehr gilt als Überlegung und fast Alles macht.

600. Auf diese Weise erschöpfen sich in jedem Gefechte die Kombinationen immer mehr und zuletzt ist es fast der Muth allein der noch kämpft und wirkt.

601. Wir sehen also daß es der Muth und die von ihm erhöhete Intelligenz sind welche die Schwierigkeiten auszugleichen haben die dem Handeln in der Führung

ent-
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entgegentreten. Wie weit sie das können oder nicht ist darum nicht die Frage weil es beim Gegner ebenso aussieht; unsere Fehler und Mißgriffe also in der Allgemeinheit der Fälle durch die seinigen ausgeglichen werden. Aber worauf es sehr ankommen muß, das ist dem Gegner in Muth und Intelligenz, vor Allem aber in dem Ersten nicht nachzustehen.

602. Aber es giebt noch Eins was hier von großer Wichtigkeit ist, es ist der Takt des Urtheils. Dies gehört, außer dem angebornen Talent, hauptsächlich der Übung an, welche mit den Erscheinungen vertraut und das Auffinden der Wahrheit, also das richtige Urtheil fast zur Gewohnheit macht. Hierin liegt der Hauptwerth der Kriegserfahrung und das große Übergewicht welches sie dem Heere geben kann.

603. Endlich haben wir noch zu sagen daß wenn die Umstände in der Gefechtsführung immer dem Näheren eine überwiegende Wichtigkeit über das Höherstehende oder Entfernte geben, dieser Fehler in der Ansicht der Dinge nur dadurch gut gemacht werden kann daß der Handelnde, in der Ungewißheit ob er das Rechte getroffen hat, seine Handlung zum Bestimmenden zu machen sucht. Dies geschieht indem er alle mögliche Erfolge die daraus zu ziehen sind, wirklich erstrebt. Auf diese Weise wird das Ganze welches immer von einem hohen Standpunkte aus geleitet werden sollte, da wo dieser nicht zu gewinnen war von einem untergeordneten aus in einer gewissen Richtung mit fortgerissen.

Wir wollen mit einem Beispiel verständlicher zu werden suchen. Wenn ein Divisionsgeneral in dem Wirrwarr einer großen Schlacht außer den Zusammenhang des

III 25
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Ganzen gekommen ist und ungewiß ist ob er noch einen Angriff wagen soll oder nicht, so wird er, wenn er sich zum Angriff entschließt, doch allein darin eine Beruhigung für sich und das Ganze finden können, daß er dahin strebt nicht allein mit seinem Angriff durchzudringen, sondern auch einen solchen Erfolg zu erhalten der, was unterdeß auf andern Punkten sich Schlimmes zugetragen haben könnte, wieder gut machen wird.

604. Ein solches Handeln ist das was man im engeren Sinne die Entschlossenheit nennt. Die Ansicht also welche wir hier geben, daß auf diese Weise allein das Ungefähr beherrscht werden kann, führt zur Entschlossenheit; diese bewahrt vor halben Maaßregeln und ist die glänzendste Eigenschaft in der Führung eines großen Kampfes.

J.


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Hinterlassene Werke      
des
Generals Carl von Clausewitz über
Krieg und Kriegführung.


Dritter Band      

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