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Vom Kriege - title image

Carl von Clausewitz

[Table of Contents]

This website presents a complete German edition of Carl von Clausewitz's classic work on the theory of war, Vom Kriege. It has been posted to The Clausewitz Homepage by Clausewitz.com. For background on Clausewitz, visit our FAQs page.

Sechstes Buch:
  Verteidigung

Erstes Kapitel: Angriff und Verteidigung

1. Begriff der Verteidigung

Was ist der Begriff der Verteidigung? Das Abwehren eines Stoßes. Was ist also ihr Merkmal? Das Abwarten dieses Stoßes. Dieses Merkmal also macht jedesmal die Handlung zu einer verteidigenden, und durch dieses Merkmal allein kann im Kriege die Verteidigung vom Angriff geschieden werden. Da aber eine absolute Verteidigung dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Krieg führen würde, so kann auch im Kriege die Verteidigung nur relativ sein, und jenes Merkmal muß also nur auf den Totalbegriff angewendet, nicht auf alle Teile von ihm ausgedehnt werden. Ein partielles Gefecht ist verteidigend, wenn wir den Anlauf, den Sturm des Feindes abwarten; eine Schlacht, wenn wir den Angriff, d. h. das Erscheinen vor unserer Stellung, in unserem Feuer abwarten; ein Feldzug, wenn wir das Betreten unseres Kriegstheaters abwarten. In allen diesen Fällen kommt dem Gesamtbegriff das Merkmal des Abwartens und Abwehrens zu, ohne daß daraus ein Widerspruch mit dem Begriff des Krieges folgt, denn man kann seinen Vorteil darin finden, den Anlauf gegen unsere Bajonette, den Angriff auf unsere Stellung und auf unser Kriegstheater abzuwarten. Da man aber, um wirklich auch seinerseits Krieg zu führen, dem Feinde seine Stöße zurückgeben muß, so geschieht dieser Aktus des Angriffs im Verteidigungskriege gewissermaßen unter dem Haupttitel der Verteidigung, d. h. die Offensive, deren wir uns bedienen, fällt innerhalb der Begriffe von Stellung oder Kriegstheater. Man kann also in einem verteidigenden Feldzuge angriffsweise schlagen, in einer verteidigenden Schlacht angriffsweise seine einzelnen Divisionen gebrauchen, endlich in der einfachen Aufstellung gegen den feindlichen Sturm schickt man ihm sogar noch die offensiven Kugeln entgegen. Die verteidigende Form des Kriegführens ist also kein unmittelbares Schild, sondern ein Schild, gebildet durch geschickte Streiche.

 

2. Vorteile der Verteidigung

Was ist der Zweck der Verteidigung? Erhalten. Erhalten ist leichter als gewinnen, schon daraus folgt, daß die Verteidigung bei vorausgesetzten gleichen Mitteln leichter sei als der Angriff. Worin liegt aber die größere Leichtigkeit des Erhaltens oder Bewahrens? Darin, daß alle Zeit, welche ungenutzt verstreicht, in die Waagschale des Verteidigers fällt. Er erntet, wo er nicht gesäet hat. Jedes Unterlassen des Angriffs aus falscher Ansicht, aus Furcht, aus Trägheit, kommt dem Verteidiger zugute. Dieser Vorteil hat den preußischen Staat im Siebenjährigen Kriege mehr als einmal vom Untergang gerettet. - Dieser aus Begriff und Zweck sich ergebende Vorteil der Verteidigung liegt in der Natur aller Verteidigung und ist im übrigen Leben, besonders in dem dem Kriege so ähnlichen Rechtsverkehr, durch das lateinische Sprichwort beati sunt possidentes fixiert. Ein anderer, der nur aus der Natur des Krieges hinzukommt, ist der Beistand der örtlichen Lage, welche die Verteidigung vorzugsweise genießt.

Nach Feststellung dieser allgemeinen Begriffe wollen wir uns mehr zur Sache wenden.

In der Taktik ist also jedes Gefecht, groß oder klein, ein verteidigendes, wenn wir dem Feinde die Initiative überlassen und sein Erscheinen vor unserer Fronte abwarten. Von diesem Augenblick an können wir uns aller offensiven Mittel bedienen, ohne daß wir die beiden genannten Vorteile der Verteidigung, nämlich den des Abwartens und den der Gegend, verlieren. In der Strategie tritt zuerst der Feldzug an die Stelle des Gefechts und das Kriegstheater an die Stelle der Stellung; sodann aber auch der ganze Krieg wieder an die Stelle des Feldzuges und das ganze Land an die Stelle des Kriegstheaters, und in beiden Fällen bleibt die Verteidigung, was sie in der Taktik war.

Daß die Verteidigung leichter sei als der Angriff, ist schon im allgemeinen bemerkt, da aber die Verteidigung einen negativen Zweck hat, das Erhalten, und der Angriff einen positiven, das Erobern, und da dieser die eigenen Kriegsmittel vermehrt, das Erhalten aber nicht, so muß man, um sich bestimmt auszudrücken, sagen: die verteidigende Form des Kriegführens ist an sich stärker als die angreifende. Auf dies Resultat haben wir hinausgewollt; denn ob es gleich ganz in der Natur der Sache liegt und von der Erfahrung tausendfältig bestätigt wird, so läuft es dennoch der herrschenden Meinung völlig entgegen - ein Beweis, wie sich die Begriffe durch oberflächliche Schriftsteller verwirren können.

Ist die Verteidigung eine stärkere Form des Kriegführens, die aber einen negativen Zweck hat, so folgt von selbst, daß man sich ihrer nur solange bedienen muß, als man sie der Schwäche wegen bedarf, und sie verlassen muß, sobald man stark genug ist, sich den positiven Zweck vorzusetzen. Da man nun, indem man unter ihrem Beistand Sieger wird, gewöhnlich ein günstigeres Verhältnis der Kräfte herbeiführt, so ist auch der natürliche Gang im Kriege, mit der Verteidigung anzufangen und mit der Offensive zu enden. Es ist also ebensogut im Widerspruch mit dem Begriff des Krieges, den letzten Zweck die Verteidigung sein zu lassen, als es Widerspruch war, die Passivität der Verteidigung nicht bloß vom Ganzen, sondern von allen seinen Teilen zu verstehen. Mit anderen Worten: Ein Krieg, bei dem man seine Siege bloß zum Abwehren benutzen, gar nicht widerstoßen wollte, wäre ebenso widersinnig als eine Schlacht, in der die absoluteste Verteidigung (Passivität) in allen Maßregeln herrschen sollte.

Gegen die Richtigkeit dieser allgemeinen Vorstellung könnte man viele Beispiele von Kriegen anführen, wo die Verteidigung in ihrem letzten Ziel nur verteidigend blieb, und an eine offensive Rückwirkung nicht gedacht war; das könnte man, wenn man vergäße, daß hier von einer allgemeinen Vorstellung die Rede ist, und daß die Beispiele, welche man derselben entgegenstellen könnte, sämtlich als solche Falle zu betrachten sind, wo die Möglichkeit der offensiven Rückwirkung noch nicht gekommen war.

Im Siebenjährigen Kriege z. B. dachte Friedrich der Große, wenigstens in den letzten drei Jahren desselben, nicht an eine Offensive; ja wir glauben sogar, daß er überhaupt seine Offensive in diesem Kriege nur wie ein besseres Mittel der Verteidigung angesehen hat; seine ganze Lage nötigte ihn dazu, und es ist natürlich, daß ein Feldherr nur dasjenige im Auge hat, was in seiner Lage zunächst begründet ist. Nichtsdestoweniger kann man dieses Beispiel einer Verteidigung im großen nicht betrachten, ohne dabei den Gedanken einer möglichen offensiven Rückwirkung gegen Österreich dem Ganzen zum Grunde zu legen und sich zu sagen: der Augenblick dazu war nur bis dahin nicht gekommen. Daß diese Vorstellung auch bei diesem Beispiel nicht ohne Realität war, zeigt der Friede; was hatte die Österreicher anders zum Frieden bewegen können als der Gedanke, daß sie allein nicht imstande sein würden, mit ihrer Macht dem Talent des Königs das Gleichgewicht zu halten, daß ihre Anstrengungen in jedem Fall noch größer sein müßten als bisher, und daß bei dem mindesten Nachlasse derselben ein neuer Länderverlust zu fürchten sei. Und in der Tat, wer könnte bezweifeln, daß Friedrich der Große, wenn Rußland, Schweden und die Reichsarmee seine Kräfte nicht in Anspruch nahmen, gesucht haben würde, die Österreicher wieder in Böhmen und Mähren zu besiegen?

Nachdem wir also den Begriff der Verteidigung, wie er im Kriege allein genommen werden kann, festgestellt, nachdem wir die Grenze der Verteidigung angegeben haben, kehren wir noch einmal zu der Behauptung zurück, die Verteidigung sei die stärkere Form des Kriegführens.

Aus der näheren Betrachtung und Vergleichung des Angriffs und der Verteidigung wird dies völlig klar hervorgehen; jetzt aber wollen wir nur die Bemerkung machen, in welchen Widersprüchen mit sich selbst und mit der Erfahrung die umgekehrte Behauptung steht. Wäre die angreifende Form die stärkere, so gäbe es keinen Grund mehr, die verteidigende je zu gebrauchen, da diese ohnehin den bloß negativen Zweck hat; jedermann müßte also angreifen wollen, und die Verteidigung wäre ein Unding. Umgekehrt aber ist es sehr natürlich, daß man den höheren Zweck mit größeren Opfern erkauft. Wer stark genug zu sein glaubt, sich der schwächeren Form zu bedienen, der darf den größeren Zweck wollen; wer sich in den geringeren Zweck setzt, kann es nur tun, um den Vorteil der stärkeren Form zu genießen. - Sieht man auf die Erfahrung, so wäre es wohl etwas Unerhörtes, daß man bei zwei Kriegstheatern mit der schwächeren Armee den Angriff führte und die stärkere auf die Verteidigung ließe. Ist es aber von jeher und überall umgekehrt gewesen, so beweist das wohl, daß die Feldherren, selbst bei eigener entschiedener Neigung für den Angriff, dennoch die Verteidigung für stärker halten. Wir müssen in den nächsten Kapiteln noch einige vorläufige Punkte erläutern.

Zweites Kapitel: Wie verhalten sich Angriff und Verteidigung in der Taktik zueinander

Zuerst müssen wir uns nach den Umständen umsehen, welche im Gefechte den Sieg geben.

Von der Überlegenheit und Tapferkeit, Übung oder anderen Eigenschaften des Heeres ist hier nicht zu reden, weil sie in der Regel von Dingen abhängen, die außerdem Gebiete derjenigen Kriegskunst liegen, von der hier die Rede ist, übrigens bei Angriff und Verteidigung dieselbe Wirksamkeit äußern würden; ja, auch die Überlegenheit in der Zahl im allgemeinen kann hier nicht in Betrachtung kommen, da die Anzahl der Truppen gleichfalls ein Gegebenes ist und nicht in der Willkür des Feldherrn steht. Auch haben diese Dinge zum Angriff und zur Verteidigung keine besondere Beziehung. Außerdem aber scheinen uns nur noch drei Sachen von entscheidendem Vorteil zu sein, nämlich: die Überraschung, der Vorteil der Gegend und der Anfall von mehreren Seiten. Die Überraschung zeigt sich wirksam dadurch, daß man dem Feinde auf einem Punkt viel mehr Truppen entgegenstellt, als er es erwartete. Diese Überlegenheit der Zahl ist von der allgemeinen sehr verschieden, sie ist das wichtigste Agens der Kriegskunst. - Wie der Vorteil der Gegend zum Siege beiträgt, ist an sich verständlich genug, und es ist nur das eine zu bemerken, daß hier nicht bloß von den Hindernissen die Rede ist, welche dem Angreifenden bei seinem Vorrücken aufstoßen, wie: steile Gründe, hohe Berge, sumpfige Bäche, Hecken usw., sondern daß es auch ein Vorteil der Gegend ist, wenn sie uns Gelegenheit gibt, uns verdeckt darin aufzustellen; selbst von einer ganz gleichgültigen Gegend kann man sagen, daß der ihren Beistand genießt, der sie kennt. Der Anfall von mehreren Seiten schließt alle taktischen Umgehungen, groß und klein, in sich, und seine Wirkung gründet sich teils auf doppelte Wirksamkeit der Feuerwaffen, teils auf die Furcht vor dem Abschneiden.

Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?

Wenn man die oben entwickelten drei Prinzipe des Sieges im Auge hat, so ergibt sich für diese Frage, daß der Angreifende nur einen geringen Teil des ersten und letzten Prinzips für sich hat, während der größere Teil und das zweite Prinzip ausschließend dem Verteidiger zu Gebote steht.

Der Angreifende hat nur den Vorteil des eigentlichen Überfalles des Ganzen mit dem Ganzen, während der Verteidiger im Laufe des Gefechts durch Stärke und Form seiner Anfälle unaufhörlich zu überraschen imstande ist.

Der Angreifende hat eine größere Leichtigkeit, das Ganze einzuschließen und abzuschneiden als der Verteidiger, weil dieser schon steht, während jener sich noch in Beziehung auf dieses Stehen bewegt. Aber dieses Umgehen bezieht sich auch wieder nur auf das Ganze, denn im Laufe des Gefechts und für die einzelnen Teile ist der Anfall von mehreren Seiten dem Verteidiger leichter als dem Angreifenden, weil er, wie oben gesagt ist, durch Form und Stärke seiner Anfälle zu überraschen mehr imstande ist.

Daß der Verteidiger den Beistand der Gegend vorzugsweise genießt, ist an sich klar; was aber die Überlegenheit in der Überraschung durch Stärke und Form der Anfälle betrifft, so folgt daraus, daß der Angreifende auf Straßen und Wegen einherziehen muß, wo es nicht schwer wird, ihn zu beobachten, während der Verteidiger sich verdeckt aufstellt und bis zum entscheidenden Augenblicke dem Angreifenden fast unsichtbar bleibt. - Seitdem die rechte Art der Verteidigung Mode geworden ist, sind Rekognoszierungen ganz aus der Mode gekommen, d. h. sie sind unmöglich geworden. Man rekognosziert zwar noch zuweilen, aber man bringt selten viel mit nach Hause. So unendlich groß der Vorteil ist, sich die Gegend zu seiner Aufstellung aussuchen zu können und mit ihr vor dem Gefecht völlig bekannt zu sein, so einfach es ist, daß der, welcher sich in dieser Gegend in den Hinterhalt legt, der Verteidiger, seinen Gegner viel mehr überraschen muß als der Angreifende, so hat man sich doch noch zur Stunde von den alten Begriffen nicht losmachen können, als sei eine angenommene Schlacht schon eine halb verlorene. Dies kommt von der Art von Verteidigung, die vor zwanzig Jahren und zum Teil auch im Siebenjährigen Kriege Mode war, wo man vom Terrain keinen anderen Beistand als den einer schwer zugänglichen Front (steile Berglehnen usw.) erwartete, wo die dünne Aufstellung und die Unbeweglichkeit der Flanken eine solche Schwäche gab, daß man sich von einem Berge zum anderen hinneckte und dadurch das Übel immer ärger machte. Hatte man nun eine Art von Anlehnung gefunden, so kam alles darauf an, daß in dieser wie auf einen Stickrahmen ausgespannten Armee kein Loch gestoßen wurde. Das besetzte Terrain bekam auf jedem Punkt einen unmittelbaren Wert, mußte also unmittelbar verteidigt werden. Da konnte also in der Schlacht weder von einer Bewegung noch Überraschung die Rede sein; es war der völlige Gegensatz von dem, was eine gute Verteidigung sein kann, und was sie in der neueren Zeit auch wirklich geworden ist. -

Eigentlich ist die Geringschätzung der Verteidigung immer die Folge einer Epoche, wo eine gewisse Manier der Verteidigung sich selbst überlebt hat, und das war dann auch der Fall mit der oben erwähnten, die früher ihre Zeit hatte, wo sie dem Angriff wirklich überlegen war.

Gehen wir die Ausbildung der neueren Kriegskunst durch, so war im Anfange, d. h. im Dreißigjährigen und im Spanischen Erbfolgekriege, die Entwicklung und Aufstellung der Armee eine der großen Hauptsachen in der Schlacht. Sie war der größte Teil des Schlachtenplanes. Dies gab dem Verteidiger in der Regel große Vorteile, weil er schon aufgestellt und entwickelt war. Sobald die Manövrierfähigkeit der Truppen größer wurde, hörte dieser Vorteil auf, und der Angreifende bekam auf eine Zeitlang das Übergewicht. Nun suchte der Verteidiger Schutz hinter Flüssen, tiefen Taleinschnitten und auf Bergen. Dadurch bekam er abermals ein entschiedenes Übergewicht, welches solange dauerte, bis der Angreifende so beweglich und gewandt wurde, daß er sich in die durchschnittene Gegend selbst wagen und in getrennten Kolonnen angreifen, also den Gegner umgehen konnte. Dies führte zu der immer größeren Ausdehnung, bei welcher nun der Angreifende auf die Idee gebracht werden mußte, sich auf ein Paar Punkte zu konzentrieren und die dünne Stellung zu durchstoßen. Dadurch bekam der Angreifende das Übergewicht zum drittenmal, und die Verteidigung mußte ihr System abermals ändern. Das hat sie in den letzten Kriegen getan. Sie hat ihre Kräfte in großen Massen zusammengehalten, diese meistens unentwickelt, wo es anging, auch verdeckt aufgestellt, und sich also bloß in Bereitschaft gesetzt, den Maßregeln der Angreifenden zu begegnen, wenn diese sich näher entwickeln würden.

Dies schließt nicht die teilweise passive Verteidigung des Bodens ganz aus; der Vorteil davon ist zu entschieden, als daß die Benutzung desselben nicht hundertmal in einem Feldzuge vorkommen sollte. Aber diese passive Verteidigung des Bodens ist gewöhnlich nicht mehr die Hauptsache, und darauf kommt es hier an.

Sollte der Angreifende irgendein neues großes Hilfsmittel erfinden, welches doch bei der Einfachheit und inneren Notwendigkeit, zu der alles gediehen ist, nicht wohl abzusehen ist, so wird die Verteidigung auch ihr Verfahren ändern müssen. Immer aber wird ihr der Beistand der Gegend gewiß sein, und weil Gegend und Boden jetzt mehr als je den kriegerischen Akt mit ihren Eigentümlichkeiten durchdringen, ihr im allgemeinen ihre natürliche Überlegenheit sichern.

Drittes Kapitel: Wie verhalten sich Angriff und Verteidigung in der Strategie zueinander

Fragen wir wieder zuerst:

Welches sind die Umstände, die in der Strategie den glücklichen Erfolg geben?

In der Strategie gibt es keinen Sieg, wie das schon früher gesagt ist. Der strategische Erfolg ist von der einen Seite die glückliche Vorbereitung des taktischen Sieges; je größer dieser Erfolg ist, um so unbezweifelter wird der Sieg im Gefecht. Von der anderen Seite ist der strategische Erfolg die Benutzung des erfochtenen Sieges. Je mehr Ereignisse die Strategie imstande gewesen ist, durch ihre Kombinationen nach einer gewonnenen Schlacht in die Folgen derselben hineinzuziehen, je mehr sie da der nachfallenden Trümmer, deren Grundfeste durch die Schlacht erschüttert worden, an sich reißen kann, je mehr sie mit großen Zügen scharenweise eintreibt, was in der Schlacht selbst mühevoll einzeln errungen werden mußte, um so glücklicher ist ihr Erfolg. - Diejenigen Dinge nun, welche diesen Erfolg vorzüglich herbeiführen oder erleichtern, also die Hauptprinzipe der strategischen Wirksamkeit, sind folgende:

1. Der Vorteil der Gegend.

2. Die Überraschung, entweder wie im eigentlichen Überfall oder durch die unvermutete Aufstellung größerer Kräfte auf gewissen Punkten.

3. Der Anfall von mehreren Seiten; alle drei wie in der Taktik.

4. Der Beistand des Kriegstheaters durch Festungen und alles, was dazugehört.

5. Der Beistand des Volkes.

6. Die Benutzung großer moralischer Kräfte *.

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* Wer seine Strategie aus Herrn v. Bülow hat, wird nicht begreifen, wie wir hier nichts mehr und nichts weniger ausgelassen haben als die ganze (Bülowsche) Strategie. Aber es ist nicht unsere Schuld, daß Herr v. Bülow von lauter Nebendingen spricht. Ein Kaufmannsbursche könnte sich ebensogut wundem, daß er das Inhaltsregister der ganzen Arithmetik durchlaufen und weder Regeldetri, noch die Regel quinque angetroffen hat. Aber so praktische Regeln sind Herrn von Bülows Meinungen am wenigsten, der Vergleich geschah aus anderen Gründen.

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Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?

Der Verteidiger hat den Vorteil der Gegend, der Angreifende den des Überfalles; dies ist in der Strategie wie in der Taktik. Vom Überfall ist aber zu bemerken, daß er in der Strategie ein unendlich viel wirksameres und wichtigeres Mittel ist als in der Taktik. In dieser wird man einen Überfall selten bis zum großen Sieg ausdehnen können, wogegen ein Überfall in der Strategie nicht selten den ganzen Krieg mit einem Streich geendigt hat. Wieder aber ist zu bemerken, daß der Gebrauch dieses Mittels große, entschiedene, seltene Fehler beim Gegner voraussetzt, daher es in die Waagschale des Angriffs kein sehr großes Gewicht legen kann.

Die Überraschung des Gegners durch Aufstellen überlegener Kräfte auf gewissen Punkten hat wieder sehr viel Ähnliches mit dem analogen Fall in der Taktik. Wäre der Verteidiger gehalten, seine Kräfte auf mehrere Zugangspunkte seines Kriegstheaters zu verteilen, so hätte der Angreifende offenbar den Vorteil, mit voller Macht auf einen Teil zu fallen.

Allein auch hier hat die neue Verteidigungskunst durch ein anderes Verfahren unmerklich andere Grundsätze herbeigeführt. Befürchtet der Verteidigende nicht, daß sich der Gegner in einer nicht besetzten Straße auf ein bedeutendes Magazin oder Depot oder auf eine unvorbereitete Festung oder auf die Hauptstadt werfe, - oder muß er sich nicht deswegen dem Angreifenden auf der gewählten Straße gerade entgegenwerfen, weil er sonst den Rückzug verlieren würde, so ist kein Grund vorhanden, seine Kräfte zu verteilen; denn wenn der Angreifende eine andere Straße wählt als die, auf welcher er den Verteidiger findet, so kann dieser ihn einige Tage später immer noch mit seiner ganzen Macht auf dieser Straße aufsuchen; ja er kann sogar in den meisten Fällen sicher sein, daß der Angreifende ihm die Ehre erzeigen wird, ihn selbst aufzusuchen. - Sieht sich aber der letztere veranlaßt, selbst mit geteilten Kräften vorzurücken, welches der Verpflegung wegen oft kaum zu vermeiden ist, so ist der Verteidigende offenbar in dem Vorteil, mit seiner ganzen Macht auf einen Teil seines Gegners fallen zu können.

Die Flanken- und Rückenangriffe verändern ihre Natur in der Strategie, wo sie sich auf den Rücken und die Seiten der Kriegstheater beziehen, in einem hohen Grade.

1. Fällt die doppelte Wirkung des Feuers weg, weil man nicht von dem einen Ende des Kriegstheaters bis zum anderen hinschießt.

2. Die Furcht, den Rückzug zu verlieren, ist bei dem Umgangenen sehr viel schwächer, denn die Räume lassen sich in der Strategie nicht sperren wie in der Taktik.

3. Es tritt in der Strategie des größeren Raumes wegen die Wirksamkeit der inneren, d. h. der kürzeren Linien stärker hervor und bildet ein großes Gegengewicht gegen die Anfälle von mehreren Seiten.

4. Ein neues Prinzip erscheint in der Empfindlichkeit der Verbindungslinien, d. h. in der Wirkung, welche aus ihrer bloßen Unterbrechung hervorgeht.

Nun ist es allerdings in der Natur der Sache, daß in der Strategie wegen der größeren Räume das Umfassen, der Anfall von mehreren Seiten, in der Regel nur demjenigen zusteht, welcher die Initiative hat, also dem Angreifenden, und daß der Verteidiger nicht wie in der Taktik imstande ist, im Verlauf der Handlung den Umfassenden wieder zu umfassen, weil er seine Streitkräfte weder in solcher verhältnismäßigen Tiefe, noch so verborgen aufstellen kann; aber was hilft dem Angriff die Leichtigkeit des Umfassens, wenn die Vorteile desselben nicht vorhanden sind? Man würde daher in der Strategie den umfassenden Angriff überhaupt nicht als ein Prinzip des Sieges aufstellen können, wenn nicht die Wirkung auf die Verbindungslinien in Betrachtung käme. Aber dieser Faktor ist im ersten Augenblick, wo Angriff und Verteidigung einander begegnen und noch in ihrer einfachen Stellung gegeneinander sind, selten groß; er wird erst groß im Verlauf eines Feldzuges, wenn der Angreifende in Feindes Land nach und nach zum Verteidiger wird; dann werden die Verbindungslinien dieses neuen Verteidigers schwach, und der ursprüngliche Verteidiger kann von dieser Schwäche als Angreifender Nutzen ziehen. Wer sieht aber nicht, daß diese Überlegenheit des Angriffs ihm im allgemeinen nicht zugerechnet werden kann, da sie eigentlich aus höheren Verhältnissen der Verteidigung geschöpft ist!

Das vierte Prinzip, der Beistand des Kriegstheaters, ist natürlich auf der Seite des Verteidigers. Wenn die angreifende Armee den Feldzug eröffnet, so reißt sie sich von ihrem Kriegstheater los und wird dadurch geschwächt, d. h. sie läßt Festungen und Depots aller Art zurück. Je größer der Operationsraum ist, den sie zu durchschreiten hat, um so mehr wird sie geschwächt (durch den Marsch und durch Besatzungen); die verteidigende Armee bleibt mit allem dem verbunden, d. h. sie genießt den Beistand ihrer Festungen, wird durch nichts geschwächt und ist ihren Hilfsquellen näher.

Der Beistand des Volkes als fünftes Prinzip findet zwar nicht bei jeder Verteidigung statt, denn es kann einen Verteidigungsfeldzug in Feindes Land geben, aber dieses Prinzip geht doch nur aus dem Begriff der Verteidigung hervor und findet seine Anwendung in den allermeisten Fällen. Übrigens ist hiermit vorzugsweise, aber doch nicht ausschließend, die Wirksamkeit eines Landsturmes und einer Nationalbewaffnung gemeint, und es gehört auch dahin, daß alle Friktion geringer und alle Hilfsquellen näher sind und reichhaltiger fließen.

Eine deutliche Anschauung von der Wirksamkeit der unter 3 und 4 genannten Mittel wie im Vergrößerungsspiegel gibt der Feldzug von 1812: 500000 Mann gingen über den Njemen, 120000 schlugen die Schlacht von Borodino, und noch weniger kamen nach Moskau.

Man kann sagen: die Wirkung dieses ungeheuren Versuches war so groß, daß die Russen, auch wenn sie gar keine Offensive hätten folgen lassen, sich doch auf geraume Zeit vor einem neuen Einbruch gesichert haben würden. Freilich ist mit Ausnahme Schwedens kein europäisches Land in einer ähnlichen Lage wie Rußland, aber das wirkende Prinzip bleibt dasselbe und unterscheidet sich nur in dem Grade der Stärke.

Fügt man dem vierten und fünften Prinzip die Betrachtung hinzu, daß diese Kräfte der Verteidigung sich auf die ursprüngliche, nämlich auf die im eigenen Lande beziehen und geschwächt werden, wenn die Verteidigung auf feindlichen Boden verpflanzt und in Offensivunternehmungen verflochten ist, so wird daraus ungefähr wie oben beim dritten Prinzip ein neuer Nachteil des Angriffs; denn sowenig die Verteidigung aus bloß abwehrenden Elementen zusammengesetzt ist, ebensowenig ist der Angriff aus lauter aktiven Elementen zusammengesetzt, sogar muß sich jeder Angriff, der nicht unmittelbar zum Frieden führt, mit einer Verteidigung endigen.

Werden nun alle Verteidigungselemente, die im Angriff vorkommen, durch seine Natur, d. i. dadurch, daß sie ihm angehören, geschwächt, so muß dies wohl als ein allgemeiner Nachteil desselben betrachtet werden.

Dies ist so wenig eine mäßige Spitzfindigkeit, daß hierin vielmehr der Hauptnachteil alles Angriffs liegt, und daß man daher bei jedem Entwurf zu einem strategischen Angriff auf diesen Punkt, also auf die Verteidigung, welche ihm folgen wird, von Hause aus sein Hauptaugenmerk richten muß, wie wir das in dem Buche vom Feldzugsplan näher sehen werden.

Die großen moralischen Kräfte, welche zuweilen das Element des Krieges wie ein eigener Gärungsstoff durchdringen, und deren sich also ein Feldherr in gewissen Fällen zur Verstärkung seiner Kräfte bedienen kann, sind wohl ebensogut auf der Seite der Verteidigung als des Angriffs zu denken; wenigstens treten diejenigen, welche im Angriff besonders glänzen, wie Verwirrung und Schrecken beim Gegner, gewöhnlich erst nach dem entscheidenden Schlage auf und tragen folglich selten bei, diesem eine Richtung zu geben.

Hiermit glauben wir unseren Satz, daß die Verteidigung eine stärkere Kriegsform sei als der Angriff, zur Genüge durchgeführt zu haben; es bleibt aber noch ein kleiner, bisher unbeachteter Faktor zu erwähnen übrig. Es ist der Mut, das Gefühl der Überlegenheit im Heere, welches aus dem Bewußtsein entspringt, zum Angreifenden zu gehören. Die Sache ist an sich wahr, nur geht das Gefühl sehr bald in dem allgemeineren und stärkeren unter, welches einem Heere durch seine Siege oder Niederlagen, durch das Talent oder die Unfähigkeit seines Führers gegeben wird.

Viertes Kapitel: Konzentrizität des Angriffs und Exzentrizität der Verteidigung

Es kommen diese beiden Vorstellungen, diese beiden Formen in dem Gebrauch der Kräfte bei Angriff und Verteidigung, in Theorie und Wirklichkeit so häufig vor, daß sie sich der Phantasie unwillkürlich fast als notwendige, dem Angriff und der Verteidigung innewohnende Formen aufdringen, welches doch, wie die kleinste Überlegung zeigt, nicht eigentlich der Fall ist. Wir wollen sie daher so früh als möglich betrachten und uns ein- für allemal klare Vorstellungen davon verschaffen, um dann bei unseren weiteren Betrachtungen des Verhältnisses von Angriff und Verteidigung davon ganz abstrahieren zu können und nicht unaufhörlich durch den Schein von Vorteil und Nachteil, den sie auf die Dinge werfen, gestört zu werden. Wir betrachten sie also hier als reine Abstraktionen, ziehen den Begriff wie einen Alkohol heraus und behalten uns vor, in der Folge auf den Anteil, welchen er an den Dingen hat, aufmerksam zu machen.

Der Verteidiger in der Taktik wie in der Strategie wird als abwartend, also als stehend, der Angreifende als in Bewegung gedacht, und zwar sich bewegend in Beziehung auf jenes Stehen. Es folgt hieraus notwendig, daß das Umfassen und Umschließen nur in der Willkür des Angreifenden liegt, nämlich solange seine Bewegung und das Stehen des Verteidigers dauert. Diese Freiheit des Angriffs, konzentrisch zu sein oder es nicht zu sein, nachdem es vorteilhaft oder nachteilig ist, würde ihm als ein allgemeiner Vorzug angerechnet werden müssen. Allein diese Wahl ist ihm nur in der Taktik, in der Strategie aber nicht immer frei gegeben. In der ersteren sind die Anlehnungspunkte für beide Flügel fast niemals absolut sichernd, in der Strategie sehr häufig, wenn sich die Verteidigungslinie in gerader Richtung von Meer zu Meer oder von neutralem Gebiet zu neutralem Gebiet fortzieht. In diesem Fall kann der Angriff nicht konzentrisch vorgehen, und die Freiheit seiner Wahl ist beschränkt. Noch unangenehmer wird sie aber beschränkt, wenn er konzentrisch vorgehen muß. Rußland und Frankreich können Deutschland nicht anders als mit umschließenden, also nicht mit vereinigten Kräften angreifen. Dürften wir nun annehmen, daß die konzentrische Form in der Wirkung der Kräfte in der Mehrheit der Fälle die schwächere sei, so würde der Vorteil, welchen der Angreifende von der größeren Freiheit in der Wahl hat, wahrscheinlich dadurch völlig aufgewogen, daß er in anderen Fällen gezwungen ist, sich der schwächeren Form zu bedienen.

Jetzt wollen wir die Wirkung dieser Formen in Taktik und Strategie näher betrachten.

Bei der konzentrischen Richtung der Kräfte, vom Umfang nach dem Mittelpunkt, hat man es als einen ersten Vorzug betrachtet, daß sich die Kräfte im Vorschreiten immer mehr vereinigen; das Faktum ist wahr, der vermeintliche Vorzug aber nicht, denn das Vereinigen findet bei beiden Teilen statt, hält sich also das Gleichgewicht. Ebenso ist es mit dem Zerstreuen bei der exzentrischen Wirkung.

Ein anderer und der wahre Vorzug aber ist, daß die konzentrisch bewegten Kräfte ihre Wirkung nach einem gemeinschaftlichen Punkt richten, die exzentrisch bewegten nicht. - Welches sind nun diese Wirkungen? Hier müssen wir Taktik und Strategie trennen.

Wir wollen die Analyse nicht zu weit treiben und geben daher folgende Punkte als die Vorteile dieser Wirkungen an:

1. Eine doppelte oder wenigstens verstärkte Wirkung des Feuers, sobald sich nämlich alles schon bis auf einen gewissen Punkt zusammengeschoben hat.

2. Anfall eines und desselben Teiles von mehreren Seiten.

3. Das Abschneiden des Rückzuges.

Das Abschneiden des Rückzuges kann strategisch auch gedacht werden, es ist aber offenbar viel schwieriger, weil sich die großen Räume nicht gut sperren lassen. Der Anfall eines und desselben Teiles von mehreren Seiten wird überhaupt um so wirksamer und entscheidender, je kleiner dieser Teil, je näher er der äußersten Grenze, nämlich dem einzelnen Kämpfenden gedacht wird. Ein Heer kann sich füglich von mehreren Seiten zugleich schlagen, eine Division schon weniger, ein Bataillon nur, wenn es eine Masse macht, ein einzelner Mensch gar nicht mehr. Nun nimmt aber die Strategie das Gebiet der großen Massen, Räume und Zeiten ein, und die Taktik liegt auf der entgegengesetzten Seite. Hieraus geht schon hervor, daß der mehrseitige Anfall in der Strategie nicht die Folgen haben kann, die er in der Taktik hat.

Die Wirkung des Feuers ist gar kein Gegenstand der Strategie, an dessen Stelle tritt aber etwas anderes. Es ist die Erschütterung der Basis, welche jede Armee mehr oder weniger empfindet, wenn der Feind, nahe oder weit, hinter ihrem Rücken siegreich ist.

Es steht also fest, daß die konzentrische Wirkung der Kräfte einen Vorzug hat, dadurch, daß die Wirkung gegen a zugleich eine gegen b wird, ohne darum gegen a schwächer zu sein, und daß die gegen b zugleich eine gegen a, das Ganze also nicht a + b, sondern noch etwas mehr ist, und daß dieser Vorteil in der Taktik und in der Strategie, wiewohl in beiden etwas verschieden, stattfindet.

Was steht nun diesem Vorteil bei der exzentrischen Wirkung der Kräfte entgegen? Offenbar das Nahebeisammensein, das Bewegen auf inneren Linien. Es ist unnötig zu entwickeln, auf welche Weise dies ein solcher Multiplikator der Kräfte werden kann, daß der Angreifende ohne eine große Überlegenheit sich diesem Nachteil nicht aussetzen darf. -

Hat die Verteidigung einmal das Prinzip der Bewegung in sich aufgenommen (einer Bewegung, die zwar später anfängt wie die des Angreifenden, aber immer zeitig genug, um die Fesseln der erstarrenden Passivität zu lösen), so wird dieser Vorteil der größeren Vereinigung und der inneren Linien ein sehr entscheidender und meistens wirksamer zum Siege als die konzentrische Figur des Angriffs. Sieg aber muß dem Erfolg vorhergehen; erst muß man überwinden, ehe man an das Abschneiden denken kann. Kurz, man sieht, es besteht hier ein ähnliches Verhältnis wie das zwischen Angriff und Verteidigung überhaupt; die konzentrische Form führt zu glänzenden Erfolgen, die exzentrische gewährt die ihrigen sicherer, jenes ist die schwächere Form mit dem positiveren Zweck, dieses die stärkere Form mit dem negativen Zweck. Dadurch, scheint uns, sind diese beiden Formen schon in ein gewisses schwebendes Gleichgewicht gebracht. Fügt man nun hinzu, daß die Verteidigung, weil sie nicht überall eine absolute Verteidigung ist, sich auch nicht immer in der Unmöglichkeit befindet, sich der konzentrischen Kräfte zu bedienen, so wird man wenigstens kein Recht mehr haben, zu glauben, daß diese Wirkungsart allein hinreichend sei, dem Angriff ein ganz allgemeines Übergewicht über die Verteidigung zuzusichern, und sich von dem Einfluß losmachen, den diese Vorstellungsart bei jeder Gelegenheit auf das Urteil auszuüben pflegt.

Was wir bisher gesagt haben, umfaßte Taktik und Strategie, jetzt muß noch ein höchst wichtiger Punkt herausgehoben werden, der die Strategie allein angeht. Der Vorteil der inneren Linien wächst mit den Räumen, worauf sich diese Linien beziehen. Bei Entfernungen von einigen tausend Schritten oder einer halben Meile kann natürlich die Zeit, welche man gewinnt, nicht so groß sein wie bei Entfernungen von mehreren Tagemärschen oder gar von 20 bis 30 Meilen; die ersteren, nämlich die kleinen Räume, gehören der Taktik an, die größeren der Strategie. Wenn man nun freilich in der Strategie auch mehr Zeit zur Erreichung des Zweckes braucht als in der Taktik, und eine Armee nicht so schnell überwunden ist als ein Bataillon, so nehmen doch diese Zeiten in der Strategie auch nur bis zu einem gewissen Punkt zu, nämlich bis zur Dauer einer Schlacht, und allenfalls die paar Tage, welche sich eine Schlacht ohne entscheidende Opfer vermeiden läßt. Ferner findet ein noch viel größerer Unterschied in dem eigentlichen Vorsprung statt, den man in dem einen und dem anderen Fall gewinnt. Bei den kleinen Entfernungen in der Taktik, in der Schlacht, geschehen die Bewegungen des einen fast unter den Augen des anderen; der auf der äußeren Linie Stehende wird also die seines Gegners meistens schnell gewahr. Bei den größeren Entfernungen der Strategie geschieht es wohl höchst selten, daß eine Bewegung des einen nicht wenigstens einen Tag dem anderen verborgen bleiben sollte, und es gibt Fälle genug, wo, wenn die Bewegung nur einen Teil betraf und in einer beträchtlichen Entsendung bestand, dies wochenlang verborgen geblieben ist. - Wie groß der Vorteil der Verbergung für denjenigen ist, welcher durch die Natur seiner Lage am meisten geeignet ist, davon Gebrauch zu machen, läßt sich leicht einsehen. -

Hiermit schließen wir unsere Betrachtungen über konzentrische und exzentrische Wirkung der Kräfte und ihr Verhältnis zu Angriff und Verteidigung und behalten uns vor, in beiden noch darauf zurückzukommen.

Fünftes Kapitel: Charakter der strategischen Verteidigung

Schon früher ist gesagt worden, was die Verteidigung überhaupt ist: Nichts als eine stärkere Form des Krieges, vermittelst welcher man den Sieg erringen will, um nach dem gewonnenen Übergewicht zum Angriff, d. h. zu dem positiven Zweck des Krieges, überzugehen.

Selbst wenn die Absicht des Krieges bloße Erhaltung des status quo ist, so ist doch eine bloße Zurückweisung des Stoßes etwas dem Begriff des Krieges Widersprechendes, weil Kriegführung unstreitig kein Leiden ist. Hat der Verteidiger einen bedeutenden Vorteil errungen, so hat die Verteidigung das Ihre getan, und er muß unter dem Schutz dieses Vorteiles den Stoß zurückgeben, wenn er sich nicht einem gewissen Untergang aussetzen will. Die Klugheit fordert, das Eisen zu schmieden, solange es warm ist, die gewonnene Überlegenheit zu benutzen, um einem zweiten Anfall vorzubeugen. Wie, wann und wo diese Reaktion eintreten soll, ist freilich vielen anderen Bedingungen unterworfen und wird sich erst in der Folge mehr entwickeln. Hier bleiben wir dabei stehen, daß dieser Übergang zum Rückstoß als eine Tendenz der Verteidigung, also als ein wesentlicher Bestandteil derselben gedacht werden muß, und daß überall, wo der durch die verteidigende Form errungene Sieg nicht auf irgendeine Weise in dem kriegerischen Haushalt verbraucht wird, wo er gewissermaßen ungenutzt dahinwelkt, ein großer Fehler gemacht wird.

Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff - das blitzende Vergeltungsschwert - ist der glänzendste Punkt der Verteidigung; wer ihn sich nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten, er wird immer nur an die Mittel denken, die man durch den Angriff dem Feinde zerstört und sich erwirbt, welche Mittel aber nicht von der Art, den Knoten zu schürzen, sondern ihn aufzulösen, abhängen. Ferner ist es eine grobe Verwechslung, wenn man unter Angriff immer einen Überfall versteht und sich folglich unter Verteidigung nichts als Not und Verwirrung denkt.

Freilich faßt der Eroberer seinen Entschluß zum Kriege früher als der harmlose Verteidiger, und wenn er seine Maßregeln gehörig geheim zu halten weiß, wird er diesen wohl oft mehr oder weniger überfallen, aber das ist etwas dem Kriege selbst ganz Fremdes, denn es sollte nicht so sein. Der Krieg ist mehr für den Verteidiger als für den Eroberer da, denn der Einbruch hat erst die Verteidigung herbeigeführt und mit ihr erst den Krieg. Der Eroberer ist immer friedliebend (wie Bonaparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren Staat ein; damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen und also auch vorbereiten, d. h. mit anderen Worten: es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung Unterworfenen, immer gerüstet sein und nicht überfallen werden; so will es die Kriegskunst.

Das frühere Erscheinen auf dem Kriegstheater hängt übrigens in den meisten Fällen von ganz anderen Dingen ab als von der Angriffs- oder Verteidigungsabsicht, diese sind also nicht die Ursache, aber oft die Folge davon. Wer früher fertig wird, geht, wenn der Vorteil des Überfalles groß genug ist, aus diesem Grunde angriffsweise, und der, welcher später fertig wird, kann den Nachteil, der ihm daraus entsteht, allein durch die Vorteile der Verteidigung noch einigermaßen ausgleichen.

Indessen muß es immer im allgemeinen als ein Vorteil des Angriffs angesehen werden, von der früheren Bereitschaft diesen schönen Gebrauch machen zu können, welches auch in dem dritten Buch schon anerkannt ist; nur ist dieser allgemeine Vorteil keine integrierende Notwendigkeit für jeden einzelnen Fall.

Wenn wir uns also die Verteidigung denken, wie sie sein soll, so ist es mit der möglichsten Vorbereitung aller Mittel, mit einem zum Kriege tüchtigen Heere, mit einem Feldherrn, der nicht aus verlegener Ungewißheit in Angst den Feind erwartet, sondern aus Wahl, mit ruhiger Besonnenheit, mit Festungen, die keine Belagerung scheuen, endlich mit einem gesunden Volk, das seinen Gegner nicht mehr fürchtet, als es von ihm gefürchtet wird. Mit solchen Attributen wird die Verteidigung dem Angriff gegenüber wohl keine so schlechte Rolle mehr spielen und dieser nicht mehr so leicht und unfehlbar erscheinen wie in der dunklen Vorstellung derjenigen, die beim Angriff nur an Mut, Willenskraft und Bewegung, bei der Verteidigung an Ohnmacht und Lähmung denken.

Sechstes Kapitel: Umfang der Verteidigungsmittel

Wir haben in dem zweiten und dritten Kapitel dieses Buches gezeigt, wie die Verteidigung im Gebrauch derjenigen Dinge, welche außer der absoluten Stärke und dem Wert der Streitkräfte den taktischen wie den strategischen Erfolg bestimmen, nämlich Vorteil der Gegend, Überraschung, Anfall von mehreren Seiten, Beistand des Kriegstheaters, Beistand des Volkes, Benutzung großer moralischer Kräfte -, eine natürliche Überlegenheit hat. Wir halten es für nützlich, hier noch einen Blick auf den Umfang derjenigen Mittel zu werfen, welche dem Verteidiger vorzugsweise zu Gebote stehen und gewissermaßen als die verschiedenen Säulenordnungen seines Baues zu betrachten sind.

1. Die Landwehr. Sie ist in neueren Zeiten auch außer dem Lande zum Angriff des feindlichen Landes gebraucht worden, und es ist nicht zu leugnen, daß ihre Einrichtung in manchen Staaten, z. B. Preußen, von der Art ist, daß sie fast wie ein Teil des stehenden Heeres betrachtet werden muß, also der Verteidigung nicht allein angehört. Indessen ist doch nicht zu übersehen, daß ihr sehr kräftiger Gebrauch 1813, 1814 und 1815 von dem Verteidigungskriege ausging, daß sie an den wenigsten Orten wie in Preußen eingerichtet, bei jedem unvollkommenen Grade der Einrichtung aber notwendig mehr zur Verteidigung als zum Angriff geeignet sein muß. Außerdem aber liegt in dem Begriff der Landwehr immer der Gedanke einer außerordentlichen, mehr oder weniger freiwilligen Mitwirkung der ganzen Volksmasse beim Kriege mit ihren körperlichen Kräften, ihrem Reichtum und ihrer Gesinnung. Je mehr sich die Einrichtung davon entfernt, um so mehr wird das, was sie aufstellt, ein stehendes Heer unter anderem Namen sein, um so mehr wird es die Vorteile desselben haben, aber auch um so mehr die Vorteile der eigentlichen Landwehr entbehren, nämlich eines Kraftumfanges, der viel ausgedehnter, viel weniger bestimmt, viel leichter durch Geist und Gesinnung zu steigern ist. In diesen Dingen liegt das Wesen der Landwehr; dieser Mitwirkung des ganzen Volkes muß durch die Linien ihrer Einrichtung Spielraum gelassen werden, oder man verfolgt, indem man sich von der Landwehr etwas Besonderes verspricht, ein Schattenbild.

Nun ist aber die nahe Verwandtschaft nicht zu verkennen, in welcher dieses Wesen einer Landwehr mit dem Begriff der Verteidigung steht, und also auch nicht zu verkennen, daß eine solche Landwehr der Verteidigung immer mehr angehören wird als dem Angriff, daß sie diejenigen Wirkungen, womit sie den Angriff überbietet, hauptsächlich bei der Verteidigung zeigen wird.

2. Festungen.Die Mitwirkung der Festungen des Angreifenden erstreckt sich nur auf die der Grenze zunächst gelegenen und ist nur schwach; bei dem Verteidiger greift sie tiefer ins Land hinein, bringt also mehrere in Wirksamkeit, und diese Wirksamkeit selbst ist von einer ungleich größeren intensiven Stärke. Eine Festung, die eine wirkliche Belagerung veranlaßt und aushält, drückt natürlich mit einem stärkeren Gewicht auf die Waagschale des Krieges als eine, welche durch ihre Werke bloß den Gedanken einer Wegnahme dieses Punktes entfernt, also nicht wirklich feindliche Kräfte beschäftigt und zerstört.

3. Das Volk.Obgleich der Einfluß eines einzelnen Bewohners des Kriegsschauplatzes auf den Krieg in den meisten Fällen nicht bemerklicher ist als die Mitwirkung eines Wassertropfens bei dem ganzen Strom, so ist doch selbst in Fällen, wo von gar keinem Volksaufstand die Rede ist, der Gesamteinfluß, den die Einwohner des Landes auf den Krieg haben, nichts weniger als unmerklich. Alles geht im eigenen Lande leichter, vorausgesetzt, daß die Gesinnung der Untertanen nicht im Widerspruch mit diesem Begriff ist. Alle Leistungen, groß und klein, geschehen dem Feinde nur unter dem Zwange offenbarer Gewalt; diese muß von der Streitkraft bestritten werden und kostet ihr eine Masse von Kräften und Anstrengungen. Der Verteidiger erhält dies alles, wenn auch nicht eigentlich freiwillig wie in den Fällen enthusiastischer Hingebung, doch durch die langgeübten Wege des bürgerlichen Gehorsams, der dem Einwohner zur zweiten Natur geworden ist und außerdem durch ganz andere, vom Heere nicht ausgehende, viel entfernter liegende Furcht- und Zwangsmittel in Gang erhalten wird. Aber auch die freiwillige, aus wahrer Anhänglichkeit hervorgehende Mitwirkung ist in allen Fällen sehr bedeutend, insofern sie nämlich in allen den Punkten, die keine Opfer kosten, niemals ausbleibt. Wir wollen nur einen dieser Punkte herausheben, welcher von großer Bedeutung für die Kriegführung ist; es sind die Nachrichten. Nicht sowohl die einzelnen großen, wichtigen Kundschafternachrichten, als die unzählige Masse von kleinen Berührungen, in welche der tägliche Dienst eines Heeres mit der Ungewißheit tritt, und wo das Verständnis mit den Einwohnern den Verteidigern eine allgemeine Überlegenheit gibt. Die kleinste Patrouille, jede Feld- und Schildwache, jeder versendete Offizier sind mit ihren Bedürfnissen um Nachrichten über Feind, Freund und Gegner an den Landesbewohner verwiesen.

Steigt man nun von diesen ganz allgemeinen, nie ausbleibenden Beziehungen zu den besonderen Fällen auf, wo das Land anfängt, an dem Kampfe selbst teilzunehmen, und bis zu dem höchsten Grad derselben, wo es, wie in Spanien, durch einen Volkskrieg diesen Kampf der Hauptsache nach selbst führt, so begreift man, daß hier nicht bloß eine Steigerung des Volksbeistandes, sondern eine wahrhaft neue Potenz entsteht, und daß wir also

4. die Volksbewaffnung oder den Landsturm als ein eigentümliches Mittel der Verteidigung anführen können.

5. Endlich dürfen wir noch die Bundesgenossen als die letzte Stütze des Verteidigers nennen. Die gewöhnlichen, welche der Angreifende auch hat, können wir hiermit natürlich nicht meinen, sondern diejenigen, welche bei der Erhaltung eines Landes wesentlich beteiligt sind. Wenn wir nämlich die Staatenrepublik des heutigen Europa im Auge haben, so finden wir, um nicht von einem systematisch geregelten Gleichgewicht der Macht und der Interessen zu reden, wie es nicht vorhanden und darum oft und mit Recht bestritten worden ist, doch unstreitig, daß sich die großen und kleinen Staats- und Volksinteressen auf die mannigfaltigste und veränderlichste Weise durchkreuzen. Jeder solche Kreuzpunkt bildet einen befestigenden Knoten, denn in ihm ist die Richtung des einen der Richtung des anderen das Gegengewicht; durch alle diese Knoten also wird offenbar ein mehr oder weniger großer Zusammenhang des Ganzen gebildet, und dieser Zusammenhang muß bei jeder Veränderung teilweise überwunden werden. Auf diese Weise dienen die Gesamtverhältnisse aller Staaten zueinander mehr das Ganze in seiner Gestalt zu erhalten, als Veränderungen darin hervorzubringen, d. h. es ist im allgemeinen jene Tendenz vorhanden.

So, glauben wir, muß man den Gedanken eines politischen Gleichgewichts auffassen, und in diesem Sinn wird dasselbe überall von selbst entstehen, wo mehrere kultivierte Staaten in vielseitige Berührung treten.

Wie wirksam diese Tendenz der Gesamtinteressen zur Erhaltung des bestehenden Zustandes sei, ist eine andere Frage; es lassen sich allerdings Veränderungen in dem Verhältnis einzelner Staaten untereinander denken, die diese Wirksamkeit des Ganzen erleichtern, und andere, die sie erschweren. In dem ersten Fall sind es Bestrebungen, das politische Gleichgewicht auszubilden, und da sie dieselbe Tendenz haben wie die Gesamtinteressen, so werden sie auch die Majorität dieser Interessen für sich haben. In dem anderen Fall aber sind es Ausweichungen, überwiegende Tätigkeit einzelner Teile, wahre Krankheiten; daß diese in einem so schwach verbundenen Ganzen, wie die Menge großer und kleiner Staaten ist, vorkommen, ist nicht zu verwundern, kommen sie doch in dem so wundervoll geordneten organischen Ganzen aller lebendigen Natur vor.

Wenn man uns also auf die Fälle in der Geschichte hinweist, wo einzelne Staaten bedeutende Veränderungen bloß zu ihrem Vorteil haben bewirken können, ohne daß das Ganze auch nur einen Versuch gemacht hätte, dies zu verhindern, oder gar auf die Fälle, wo ein einzelner Staat imstande gewesen ist, sich so über die anderen zu erheben, daß er fast der unumschränkte Gebieter des Ganzen wurde, - so antworten wir: damit sei keineswegs erwiesen, daß die Tendenz der Gesamtinteressen zur Erhaltung des Zustandes nicht vorhanden, sondern nur, daß ihre Wirksamkeit in dem Augenblick nicht groß genug gewesen sei; das Streben zu einem Ziel ist etwas anderes als die Bewegung dahin, aber darum keineswegs etwas Nichtiges, wie wir das am besten aus der Dynamik des Himmels ersehen.

Wir sagen: die Tendenz des Gleichgewichts ist die Erhaltung des vorhandenen Zustandes, wobei wir allerdings voraussetzen, daß in diesem Zustande Ruhe, d. i. Gleichgewicht, vorhanden war; denn wo diese schon gestört ist, eine Spannung schon eingetreten ist, da kann die Tendenz des Gleichgewichts allerdings auch auf eine Veränderung gerichtet sein. Diese Veränderung kann aber, wenn wir auf die Natur der Sache sehen, immer nur einzelne wenige, also niemals die Majorität der Staaten treffen, und so ist es denn gewiß, daß diese ihre Erhaltung immer durch die Gesamtinteressen aller vertreten und versichert sehen, also auch gewiß, daß jeder einzelne Staat, der nicht in dem Fall ist, sich gegen das Ganze schon in einer Spannung zu befinden, bei seiner Verteidigung mehr Interessen für als gegen sich haben wird.

Wer über diese Betrachtungen wie über utopische Träume lacht, der tut es auf Kosten der philosophischen Wahrheit. Wenn diese uns die Verhältnisse erkennen läßt, in welchen die wesentlichen Elemente der Dinge zueinander stehen, so wäre es freilich unüberlegt, mit Übergehung aller zufälligen Einmischungen daraus Gesetze herleiten zu wollen, nach welchen jeder einzelne Fall geregelt werden könnte. Wer sich aber nach dem Ausdruck eines großen Schriftstellers nicht über die Anekdote erhebt, die ganze Geschichte daraus zusammenbaut, überall mit dem Individuellsten, mit der Spitze des Ereignisses anfängt und nur so tief hinuntersteigt, als er eben Veranlassung findet, also niemals auf die tief im Grunde herrschenden allgemeinen Verhältnisse kommt, dessen Meinung wird auch niemals für mehr als einen Fall Wert haben, und dem wird freilich, was die Philosophie für die Allgemeinheit der Fälle ausmacht, wie ein Traum erscheinen.

Wenn jenes allgemeine Bestreben zur Ruhe und Erhaltung des Bestehenden nicht vorhanden wäre, so würde niemals eine Anzahl gebildeter Staaten eine geraume Zeit nebeneinander bestehen können, sie müßten notwendig in einem zusammenfließen. Wenn also das jetzige Europa über 1000 Jahre besteht, so können wir diese Wirkung nur jener Tendenz der Gesamtinteressen zuschreiben, und wenn der Schutz des Ganzen nicht immer zur Erhaltung jedes einzelnen hingereicht hat, so sind das Unregelmäßigkeiten in dem Leben dieses Ganzen, die aber dasselbe doch nicht zerstört haben, sondern von ihm überwältigt worden sind.

Es würde sehr überflüssig sein, die Masse der Ereignisse zu durchlaufen, wo Veränderungen, welche das Gleichgewicht zu sehr störten, durch mehr oder weniger offenbare Entgegenwirkung der anderen Staaten verhindert oder rückgängig gemacht worden sind; der flüchtigste Blick auf die Geschichte zeigt sie. Nur von einem Fall wollen wir sprechen, weil er stets im Munde derer ist, die den Gedanken eines politischen Gleichgewichts verspotten, und weil er ganz besonders hierher zu gehören scheint als ein Fall, in welchem ein harmloser Verteidiger unterging, ohne die Teilnahme eines fremden Beistandes zu gewinnen. Wir sprechen von Polen. Daß ein Staat von 8 Millionen Einwohnern verschwinden, von drei anderen geteilt werden konnte, ohne daß von einem der übrigen Staaten ein Schwert gezogen wurde, erscheint auf den ersten Blick als ein Fall, der entweder die allgemeine Unwirksamkeit des politischen Gleichgewichts hinreichend bewiese oder wenigstens zeigte, wie weit sie in einzelnen Fällen gehen könne. Daß ein Staat von solchem Umfang verschwinden und anderen zur Beute werden könnte, die schon zu den mächtigsten gehörten (Rußland und Österreich), schien ein Fall der äußersten Art zu sein, und wenn ein solcher nichts von den Gesamtinteressen der ganzen Staatenrepublik aufregen konnte, wird man sagen, so ist die Wirksamkeit, welche diese Gesamtinteressen für die Erhaltung einzelner haben sollen, als eine eingebildete zu betrachten. Aber wir bleiben dabei stehen, daß ein einzelner Fall, wie auffallend er auch sei, nichts gegen die Allgemeinheit beweist, und behaupten demnächst, daß der Fall von Polens Untergang auch nicht so unbegreiflich ist, wie er erscheint. War denn Polen wirklich als ein europäischer Staat, als ein homogenes Glied in der europäischen Staatenrepublik zu betrachten? Nein! Es war ein Tatarenstaat, der, anstatt wie die Tataren der Krim am Schwarzen Meer, an der Grenze der europäischen Staatenwelt gelegen zu sein, an der Weichsel zwischen ihnen lag. Wir wollen damit weder verächtlich von dem Volk der Polen reden, noch die Teilung des Landes rechtfertigen, sondern nur die Sachen sehen, wie sie sind. Seit 100 Jahren hatte dieser Staat im Grunde keine politische Rolle mehr gespielt, sondern war nur der Zankapfel für andere gewesen. In seinem Zustand und seiner Verfassung konnte er sich auf die Dauer zwischen den anderen unmöglich erhalten; eine wesentliche Veränderung in diesem Tatarenzustand aber hätte nur das Werk eines halben oder ganzen Jahrhunderts sein können, wenn die Führer dieses Volkes dazu willig gewesen wären. Diese aber waren selbst viel zu sehr Tataren, um eine solche Veränderung zu wünschen. Ihr liederliches Staatsleben und ihr unermeßlicher Leichtsinn gingen Hand in Hand und taumelten so in den Abgrund. Lange vor der Teilung Polens waren die Russen dort so gut wie zu Haus, der Begriff eines selbständigen, nach außen abgeschlossenen Staates gar nicht mehr vorhanden, und nichts gewisser, als daß Polen, wenn es nicht geteilt wurde, zur russischen Provinz werden mußte. Wäre das alles nicht, und Polen ein Staat gewesen, der einer Verteidigung fähig war, so würden die drei Mächte nicht so leicht an seine Teilung geschritten sein, und diejenigen Mächte, die bei seiner Erhaltung am meisten beteiligt waren, wie Frankreich, Schweden und die Türkei, hätten dann ganz anders zu seiner Erhaltung mitwirken können. Wenn aber die Erhaltung eines Staates bloß von außen besorgt werden soll, so ist das freilich zu viel verlangt.

Die Teilung Polens war über 100 Jahre vorher mehrmals zur Sprache gekommen, und das Land war seitdem nicht wie ein geschlossenes Haus, sondern wie eine öffentliche Straße zu betrachten gewesen, auf der sich beständig fremde Kriegsmacht herumtummelte. Sollten die anderen Staaten dies alles verhindern, sollten sie beständig das Schwert gezückt haben, um die politische Heiligkeit der polnischen Grenze zu bewachen? Das heißt eine moralische Unmöglichkeit fordern. Polen war in dieser Zeit politisch nicht viel mehr als eine unbewohnte Steppe; und sowenig man imstande gewesen wäre, diese zwischen anderen Staaten gelegene, verteidigungslose Steppe vor ihren Eingriffen immer zu schützen, ebensowenig konnte man die Unverletzlichkeit dieses sogenannten Staates sichern. Aus allen diesen Gründen sollte man sich ebensowenig über den geräuschlosen Untergang Polens verwundern als über den stillen Untergang der krimschen Tatarei; die Türken waren dabei in jedem Fall, mehr interessiert als irgendein europäischer Staat bei der Erhaltung Polens, aber sie sahen ein, daß es vergebliche Anstrengung sein würde, eine widerstandlose Steppe zu schützen. -

Wir kehren zu unserem Gegenstand zurück und glauben dargetan zu haben, daß ein Verteidiger im allgemeinen mehr auf äußeren Beistand rechnen darf als der Angreifende; er wird um so sicherer darauf rechnen dürfen, je bedeutender sein Dasein für alle übrigen, d. h. je gesunder und kräftiger sein politischer und kriegerischer Zustand ist.

Die Gegenstande, welche wir hier als eigentliche Mittel der Verteidigung genannt haben, werden nicht jeder einzelnen Verteidigung zu Gebot stehen, das versteht sich von selbst, bald werden die einen fehlen, bald die anderen, aber dem Kollektivbegriff der Verteidigung gehören sie insgesamt an.

Siebentes Kapitel: Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung

Wir wollen jetzt die Verteidigung und den Angriff besonders in Betrachtung ziehen, soweit sich beide voneinander trennen lassen. Wir fangen mit der Verteidigung aus folgenden Gründen an. Es ist zwar sehr natürlich und notwendig, die Regeln der Verteidigung auf die des Angriffs und die Regeln des Angriffs auf die der Verteidigung zu gründen, allein eins von Beidem muß noch einen dritten Punkt haben, wenn die ganze Vorstellungsreihe einen Anfang nehmen, also möglich werden soll. Die erste Frage ist nun dieser Punkt.

Wenn wir uns die Entstehung des Krieges philosophisch denken, so entsteht der eigentliche Begriff des Krieges nicht mit dem Angriff, weil dieser nicht sowohl den Kampf als die Besitznahme zum absoluten Zweck hat, sondern er entsteht erst mit der Verteidigung, denn diese hat den Kampf zum unmittelbaren Zweck, weil Abwehren und Kämpfen offenbar eins ist. Das Abwehren ist nur auf den Anfall gerichtet, setzt ihn also notwendig voraus, der Anfall aber nicht auf das Abwehren, sondern auf etwas anderes, nämlich die Besitznahme, setzt also das letztere nicht notwendig voraus. Es ist daher in der Natur der Sache, daß derjenige, welcher das Element des Krieges zuerst in die Handlung bringt, von dessen Standpunkt aus zuerst zwei Parteien gedacht werden, auch die ersten Gesetze für den Krieg aufstelle, nämlich der Verteidiger. Hier ist nicht von einem einzelnen Fall, sondern von dem allgemeinen, von dem abstrakten Fall die Rede, den sich die Theorie zur Bestimmung ihres Weges denkt.

Dadurch nun wissen wir, wo der feste Punkt außerhalb der Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung zu suchen ist, nämlich bei der Verteidigung.

Ist diese Folgerung richtig, so muß es für den Verteidiger Bestimmungsgründe seines Verhaltens geben, auch wenn er gar noch nichts von dem weiß, was der Angreifende tun wird, und zwar müssen diese Bestimmungsgründe eine Anordnung der Kampfmittel enthalten. Umgekehrt müßte es für den Angreifenden, solange er nichts von seinem Gegner wüßte, auch keine Bestimmungsgründe seines Verfahrens geben, die eine Anwendung der Kampfmittel enthielten. Er müßte nichts tun können als diese mitnehmen, d. h. vermittelst einer Armee Besitz ergreifen. Und so ist es doch auch in der Tat; denn Kampfmittel schaffen, heißt noch nicht sie gebrauchen, und der Angreifende, der sie mitnimmt in der ganz allgemeinen Voraussetzung, daß er sie brauchen werde, und der, anstatt durch Kommissarien und Proklamationen von dem Lande Besitz zu nehmen, dies mit Armeen tut, übt eigentlich noch keinen positiven kriegerischen Akt aus; der Verteidiger aber, der seine Kampfmittel nicht bloß sammelt, sondern auch so disponiert, wie er den Kampf führen will, der übt zuerst eine Tätigkeit aus, auf welche der Begriff des Krieges wirklich paßt.

Die zweite Frage ist nun: welcher Natur können in der Theorie die Bestimmungsgründe sein, welche für die Verteidigung zuerst aufgestellt werden, ehe über den Angriff selbst etwas gedacht worden ist? Offenbar ist es das Vorschreiten zur Besitznahme, welches außerhalb des Krieges gedacht wird, aber den Stützpunkt für die ersten Sätze der kriegerischen Handlung abgibt. Dieses Vorschreiten soll die Verteidigung hindern, es muß also in Beziehung auf das Land gedacht werden, und so entstehen die ersten allgemeinsten Bestimmungen der Verteidigung. Sind diese einmal festgestellt, so wird der Angriff auf sie angewandt, und aus der Betrachtung der Mittel, welche dieser anwendet, ergeben sich neue Verteidigungsgrundsätze. Nun ist die Wechselwirkung da, welche die Theorie in ihrer Untersuchung solange fortsetzen kann, als sie die sich ergebenden neuen Resultate der Berücksichtigung wert findet.

Diese kleine Analyse war notwendig, um allen unseren künftigen Betrachtungen etwas mehr Klarheit und Festigkeit zu geben; dergleichen ist nicht für das Schlachtfeld, auch nicht für den künftigen Feldherrn gemacht, sondern für das Heer der Theoretiker, die sich die Sachen bisher gar zu leicht gemacht haben.

Achtes Kapitel: Widerstandsarten

Der Begriff der Verteidigung ist das Abwehren; in diesem Abwehren liegt das Abwarten, und dieses Abwarten ist uns das Hauptmerkmal der Verteidigung und zugleich ihr Hauptvorteil gewesen.

Da aber die Verteidigung im Kriege kein bloßes Leiden sein kann, so kann auch das Abwarten kein absolutes sein, sondern nur ein relatives; der Gegenstand, auf welchen sich dasselbe bezieht, ist dem Raum nach entweder das Land oder das Kriegstheater oder die Stellung, der Zeit nach der Krieg, der Feldzug oder die Schlacht. Daß diese Gegenstände keine unveränderliche Einheiten sind, sondern nur die Mittelpunkte gewisser Gebiete, die sich miteinander verlaufen und ineinander verschlingen, wissen wir wohl; allein im praktischen Leben muß man sich oft begnügen, die Dinge nur zu gruppieren, nicht streng zu sondern, und jene Begriffe haben durch das praktische Leben selbst hinreichende Bestimmtheit bekommen, so daß man um sie die übrigen Vorstellungen bequem sammeln kann.

Eine Verteidigung des Landes also wartet nur den Angriff des Landes, eine Verteidigung des Kriegstheaters den Angriff des Kriegstheaters, eine Verteidigung der Stellung den Angriff der Stellung ab. Jede positive und folglich mehr oder weniger angriffsartige Tätigkeit, welche sie nach diesem Augenblick übt, wird den Begriff der Verteidigung nicht aufheben, denn das Hauptmerkmal derselben und ihr Hauptvorteil, das Abwarten, hat stattgefunden.

Die der Zeit angehörigen Begriffe von Krieg, Feldzug, Schlacht gehen neben den Begriffen von Land, Kriegstheater und Stellung her und haben deshalb dieselbe Beziehung zu unserem Gegenstand.

Die Verteidigung besteht also aus zwei heterogenen Teilen, dem Abwarten und dem Handeln. Indem wir das erstere auf einen bestimmten Gegenstand bezogen haben und also dem Handeln vorangehen lassen, haben wir die Verbindung beider zu einem Ganzen möglich gemacht. Aber ein Akt der Verteidigung, besonders ein großer, wie ein Feldzug oder ganzer Krieg, wird der Zeit nach nicht aus zwei großen Hälften bestehen, der ersten, wo man bloß abwartet, und der zweiten, wo man bloß handelt, sondern aus einem Wechsel dieser beiden Zustände, so daß sich das Abwarten durch den ganzen Akt der Verteidigung wie ein fortlaufender Faden durchziehen kann.

Daß wir diesem Abwarten eine solche Wichtigkeit beilegen, geschieht bloß, weil die Natur der Sache es fordert; in den bisherigen Theorien ist es freilich als ein selbständiger Begriff niemals herausgehoben worden, in der praktischen Welt aber hat es, obgleich oft unbewußt, unaufhörlich zum Leitfaden gedient. Es ist ein solcher Grundbestandteil des ganzen kriegerischen Aktes, daß dieser ohne jenen kaum als möglich erscheint, und wir werden daher in der Folge noch oft darauf zurückkommen, indem wir auf die Wirkungen desselben in dem dynamischen Spiel der Kräfte aufmerksam machen.

Jetzt wollen wir uns damit beschäftigen, deutlich zu machen, wie das Prinzip des Abwartens sich durch den Akt der Verteidigung hindurchzieht, und welche Stufenfolge der Verteidigung selbst daraus entspringt.

Um unsere Vorstellungen an dem einfacheren Gegenstande festzustellen, wollen wir die Landesverteidigung, in welcher eine größere Mannigfaltigkeit und ein stärkerer Einfluß politischer Verhältnisse stattfinden, bis zu dem Buche vom Kriegsplan liegen lassen; auf der anderen Seite ist der Verteidigungsakt in einer Stellung und Schlacht ein Gegenstand der Taktik, welcher nur als Ganzes den Anfangspunkt der strategischen Tätigkeit bildet, daher wird die Verteidigung des Kriegstheaters derjenige Gegenstand sein, an dem wir die Verhältnisse der Verteidigung am besten zeigen können.

Wir haben gesagt, das Abwarten und das Handeln, welches letztere immer ein Zurückgeben des Stoßes, also eine Reaktion ist, sind beides ganz wesentliche Teile der Verteidigung, ohne das erstere wäre sie keine Verteidigung, ohne das letztere kein Krieg. Diese Ansicht hat uns früher schon auf die Vorstellungsart geführt, daß die Verteidigung nichts sei als die stärkere Form des Krieges, um den Gegner um so sicherer zu besiegen; diese Vorstellung müssen wir durchaus festhalten, teils, weil sie in letzter Instanz allein gegen das Absurdum schützt, teils, weil sie den ganzen Akt einer Verteidigung um so mehr kräftigt, je lebendiger und näher sie bleibt.

Wollte man also in der Reaktion, welche den zweiten notwendigen Bestandteil der Verteidigung ausmacht, einen Unterschied machen und diejenige, welche das eigentliche Abwehren ausmacht, das Abwehren vom Lande, vom Kriegstheater, von der Stellung, allein als den notwendigen Teil betrachten, der nur so weit reichen würde, als die Sicherung dieser Gegenstände es erfordert, und dagegen die Möglichkeit einer weiter getriebenen Reaktion, die in das Gebiet des wirklichen strategischen Angriffs übergeht, als einen der Verteidigung fremden und gleichgültigen Gegenstand ansehen, so würde das gegen die obige Vorstellungsart sein, und wir können daher einen solchen Unterschied nicht als einen wesentlichen betrachten, sondern müssen dabei beharren, daß jeder Verteidigung die Idee einer Wiedervergeltung zum Grunde liegen muß; denn, wieviel Nachteil man auch im glücklichen Falle bei jener ersten Reaktion seinem Gegner zugefügt haben könnte, es würde immer noch an dem gehörigen Gleichgewicht in dem dynamischen Verhältnis von Angriff und Verteidigung fehlen.

Wir sagen also: die Verteidigung ist die stärkere Form des Krieges, um den Gegner leichter zu besiegen, und überlassen es den Umständen, ob dieser Sieg über den Gegenstand, auf welchen sich die Verteidigung bezog, hinausgeht oder nicht.

Aber da die Verteidigung an den Begriff des Abwartens gebunden ist, so kann jener Zweck, den Feind zu besiegen, nur bedingungsweise vorhanden sein, nämlich nur, wenn der Angriff erfolgt, und es versteht sich also, daß die Verteidigung, wenn dies nicht geschieht, sich mit der Erhaltung des Besitzes begnügt; dies ist also ihr Zweck im Zustand des Abwartens, d. h. ihr nächster, und nur, indem sie sich mit diesem bescheideneren Ziel begnügt, kann sie zu den Vorteilen der stärkeren Kriegsform gelangen.

Denken wir uns nun ein Heer mit seinem Kriegstheater zur Verteidigung bestimmt, so kann dies geschehen:

1. Indem das Heer den Feind angreift, sobald er in das Kriegstheater eindringt (Mollwitz, Hohenfriedeberg).

2. Indem es eine Stellung nahe an der Grenze einnimmt und abwartet, bis der Feind zum Angriff vor derselben erscheint, um ihn dann selbst anzugreifen (Czaslau, Soor, Roßbach). Offenbar ist hier das Verhalten schon leidender, man wartet länger ab, und wenn auch die Zeit sehr gering oder Null sein wird, die durch das zweite Verfahren im Vergleich mit dem ersten gewonnen wird, im Fall der feindliche Angriff wirklich statthat, so ist doch die Schlacht, welche im vorigen Fall gewiß war, nun schon weniger gewiß, es kann sein, daß der Entschluß des Feindes nicht bis zum Angriff reicht; der Vorteil des Abwartens ist also schon größer.

3. Indem das Heer in einer solchen Stellung nicht bloß den Entschluß des Feindes zur Schlacht, d. h. das Erscheinen im Angesicht unserer Stellung, sondern auch den wirklichen Angriff abwartet. (Um bei demselben Feldherrn zu bleiben, Bunzelwitz). In diesem Fall wird man also eine wahre Verteidigungsschlacht liefern, welche aber, wie wir früher schon gesagt haben, doch die offensive Bewegung mit dem einen oder anderen Teil in sich schließen kann. Auch hier wird, wie vorher, der Zeitgewinn noch in gar keine Betrachtung kommen, der Entschluß des Feines aber wird auf eine neue Probe gestellt; mancher hat, nachdem er zum Angriff vorgerückt war, noch im letzten Augenblick oder bei dem ersten Versuch davon abgelassen, weil er die Stellung des Gegners zu stark fand.

4. Indem das Heer seinen Widerstand in das Innere des Landes verlegt. Der Zweck dieses Rückzuges ist, bei dem Angreifenden eine solche Schwächung zu veranlassen und abzuwarten, daß er entweder in seinem Vorschreiten von selbst innehalten muß oder wenigstens den Widerstand, welchen wir ihm am Ende seiner Bahn leisten, nicht mehr überwinden kann.

Am einfachsten und deutlichsten zeigt sich dieser Fall, wenn der Verteidiger eine oder mehrere seiner Festungen hinter sich lassen kann, die der Angreifende zu belagern oder einzuschließen gezwungen ist. Wie sehr seine Streitkraft dadurch geschwächt und dem Verteidiger Gelegenheit gegeben wird, sie auf einem Punkt mit großer Überlegenheit anzugreifen, ist an sich klar.

Aber auch wenn keine Festungen da sind, kann ein solcher Rückzug in das Innere dem Verteidiger nach und nach dasjenige Gleichgewicht oder die Überlegenheit verschaffen, die ihm nötig ist und an der Grenze fehlte, denn jedes Vorschreiten im strategischen Angriff schwächt teils absolut, teils durch die notwendig werdende Teilung, wovon wir beim Angriff mehr sagen werden. Wir antizipieren hier diese Wahrheit, indem wir sie als ein durch alle Kriege hinlänglich bewiesenes Faktum betrachten.

In diesem vierten Fall nun ist vor allen Dingen der Zeitgewinn als ein bedeutender Vorteil zu betrachten. Belagert der Angreifende unsere Festungen, so haben wir Zeit bis zu ihrem wahrscheinlichen Fall, welches doch mehrere Wochen, in einigen Fällen mehrere Monate sein können; ist aber seine Schwächung, d. h. die Erschöpfung seiner Angriffskraft bloß durch das Vorgehen und die Besetzung der notwendigen Punkte, also bloß durch die Länge seiner Bahn erhalten, so wird der Zeitgewinn in den meisten Fällen noch größer und unser Handeln nicht so an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden sein.

Außer dem veränderten Machtverhältnis, welches am Ende dieser Bahn zwischen Verteidiger und Angreifendem eintritt, müssen wir für jenen auch wieder den gesteigerten Vorteil des Abwartens in Rechnung bringen. Wenn auch wirklich der Angreifende durch dieses Vorgehen noch nicht in dem Maße geschwächt worden wäre, daß er nicht unsere Hauptmacht da, wo sie Halt macht, noch angreifen könnte, so wird es ihm doch vielleicht an Entschluß dazu fehlen, denn dieser Entschluß wird hier immer stärker sein müssen, als er es an der Grenze zu sein brauchte; teils sind die Kräfte geschwächt und nicht mehr frisch und die Gefahr gesteigert, teils reicht bei unentschlossenen Feldherren der Besitz des Landes, in den sie gekommen sind, oft hin, den Gedanken an eine Schlacht ganz zu entfernen, weil sie entweder wirklich glauben oder den Vorwand nehmen, sie nicht mehr nötig zu haben. Durch diesen unterlassenen Angriff kann nun freilich nicht, wie an der Grenze, dem Verteidiger ein genügender negativer Erfolg werden, aber doch ein großer Zeitgewinn. -

Es ist klar, daß in allen den vier angegebenen Fällen der Verteidiger den Beistand der Gegend genießt, und ebenso, daß er dadurch die Mitwirkung seiner Festungen und des Volkes in die Handlung bringen kann, und zwar werden diese wirksamen Prinzipe mit jeder neuen Stufe der Verteidigung zunehmen, und diese Dinge sind es namentlich, welche bei der vierten Stufe die Schwächung der feindlichen Macht herbeiführen. Da nun die Vorteile des Abwartens in eben der Richtung zunehmen, so folgt von selbst, daß jene Stufen als eine wahre Steigerung der Verteidigung zu betrachten sind, und daß diese Form des Krieges immer stärker wird, je weiter sie sich von dem Angriff entfernt. Wir fürchten nicht, daß man uns darum der Meinung beschuldige, als sei die passivste aller Verteidigungen die stärkste. Die Handlung des Widerstandes soll mit jeder neuen Stufe nicht geschwächt, sondern nur verzögert, verlegt werden. Daß man aber in einer starken und zweckmäßig verschanzten Stellung eines stärkeren Widerstandes fähig sei, und daß, wenn an diesem die Kräfte des Feindes sich halb erschöpft haben, auch ein wirksamerer Rückstoß gegen ihn erfolgen könne, ist gewiß nichts Widersinniges. Ohne die Vorteile der Stellung bei Kolin hätte Daun den Sieg wohl nicht errungen, und wenn er, nachdem Friedrich der Große nicht mehr als 18000 Mann vom Schlachtfelde zurückbrachte, diese stärker verfolgt hätte, so hätte der Erfolg einer der glänzendsten in der Kriegsgeschichte werden können.

Wir behaupten also, daß mit jeder neuen Verteidigungsstufe das Übergewicht oder, genauer gesprochen, das Gegengewicht wächst, welches der Verteidiger bekommt, und folglich auch die Stärke des Rückschlages.

Sind nun diese Vorteile der steigenden Verteidigung ganz umsonst zu haben? Keineswegs, die Opfer, mit welchen sie erkauft werden, steigen in eben dem Sinne.

Wenn wir den Feind innerhalb unseres Kriegstheaters abwarten, so wird, wie nahe auch die Entscheidung an der Grenze gegeben wird, dieses Kriegstheater doch immer von der feindlichen Macht betreten, welches nicht ohne Opfer von seiten desselben sein kann, während wir durch einen Angriff diesen Nachteil dem Feinde zugewendet haben würden. Gehen wir dem Feinde nicht gleich entgegen, um ihn anzugreifen, so werden die Opfer schon etwas größer; der Raum, welchen der Feind einnimmt, und die Zeit, welche er braucht, um an unsere Stellung zu kommen, vermehren sie. Wollen wir eine Verteidigungsschlacht liefern, überlassen wir also den Entschluß und Augenblick dazu dem Feinde, so kann es sein, daß er geraume Zeit im Besitz des Landstriches bleibt, den er innehat, und die Zeit, welche er uns durch seinen Mangel an Entschluß gewinnen läßt, wird auf jene Weise von uns bezahlt. Noch fühlbarer werden die Opfer, wenn ein Rückzug in das Innere des Landes stattfindet.

Aber alle diese Opfer, welche der Verteidiger bringt, verursachen ihm meistens einen Ausfall an Kräften, der nur mittelbar, also später und nicht unmittelbar auf seine Streitkräfte wirkt, und oft so mittelbar, daß die Wirkung wenig fühlbar wird. Der Verteidiger sucht also sich auf Kosten der Zukunft im gegenwärtigen Augenblick zu verstärken, d. h. er borgt, wie jeder tun muß, der für seine Verhältnisse zu arm ist.

Wenn wir nun den Erfolg dieser verschiedenen Widerstandsformen betrachten wollen, so müssen wir auf den Zweck des Angriffs sehen. Dieser ist, in den Besitz unseres Kriegstheaters zu kommen oder wenigstens eines bedeutenden Teiles desselben, denn unter dem Begriff des Ganzen muß wenigstens die größere Masse desselben verstanden werden, und der Besitz eines Landstriches von wenigen Meilen hat in der Strategie in der Regel keine selbständige Wichtigkeit. Solange also der Angreifende in diesem Besitz noch nicht ist, d. h. solange er, weil er sich vor unserer Macht fürchtet, entweder noch gar nicht zum Angriff des Kriegstheaters vorgeschritten ist oder uns in unserer Stellung noch nicht aufgesucht hat oder der Schlacht, welche wir ihm geben wollten, ausgewichen ist, solange ist der Zweck der Verteidigung erfüllt, und die Wirkungen der Verteidigungsmaßregeln sind also erfolgreich gewesen. Aber freilich ist dieser Erfolg ein bloß negativer, welcher zu einem eigentlichen Rückstoß nicht unmittelbar die Kräfte geben kann. Er kann sie aber mittelbar geben, d. h. er ist auf dem Wege dazu, denn die Zeit, welche verstreicht, verliert der Angreifende, und jeder Zeitverlust ist ein Nachteil und muß auf irgendeine Art den, welcher ihn leidet schwächen.

Es wird also bei den ersten drei Stufen der Verteidigung, d. h. wenn sie an der Grenze geschieht, schon die Nichtentscheidung ein Erfolg der Verteidigung sein. So ist es aber nicht bei der vierten.

Belagert der Feind unsere Festungen, so müssen wir sie zur rechten Zeit entsetzen, also ist es an uns, die Entscheidung durch positives Handeln zu geben.

Eben dies ist der Fall, wenn der Feind uns in das Innere des Landes gefolgt ist, ohne einen unserer Plätze zu belagern. Zwar haben wir in diesem Fall mehr Zeit, wir können den Augenblick der höchsten Schwächung des Feindes abwarten, aber immer bleibt doch die Voraussetzung, daß wir endlich zum Handeln übergehen. Der Feind ist zwar nun im Besitz vielleicht des ganzen Landstriches, welcher den Gegenstand seines Angriffs ausmachte; allein es ist ihm nur geliehen, die Spannung dauert fort, und die Entscheidung steht noch bevor. Solange der Verteidiger sich täglich verstärkt und der Angreifende sich täglich schwächt, ist die Nichtentscheidung in dem Interesse des ersteren; sowie aber der Kulminationspunkt eintritt, der notwendig eintreten muß, wäre es auch nur durch die endliche Einwirkung der allgemeinen Verluste, welcher der Verteidiger sich ausgesetzt hat, so ist das Handeln und Entscheiden an dem Verteidiger, und der Vorteil des Abwartens ist als völlig erschöpft zu betrachten.

Dieser Zeitpunkt hat natürlich kein allgemeines Maß; eine Menge von Umständen und Verhältnissen können ihn bestimmen, aber bemerken müssen wir doch, daß der herannahende Winter einen sehr natürlichen Wendepunkt zu machen pflegt. Können wir den Feind nicht verhindern, in dem eingenommenen Landstrich zu überwintern, so wird in der Regel dieser als aufgegeben zu betrachten sein. Man braucht aber nur an das Beispiel von Torres Vedras zu denken, um einzusehen, daß diese Regel nicht allgemein ist.

Welches ist nun die Entscheidung überhaupt?

Wir haben sie in unserer Betrachtung stets in Form einer Schlacht gedacht; dies ist nun freilich nicht notwendig, sondern es lassen sich eine Menge Gefechtskombinationen mit geteilter Macht denken, die zu einem Umschwung führen, entweder, indem sie sich wirklich blutig entladen, oder indem ihre wahrscheinlichen Wirkungen den Rückzug des Gegners notwendig machen.

Eine andere Entscheidung kann es auf dem Kriegstheater selbst nicht geben, das folgt ganz notwendig aus der Ansicht vom Kriege, wie wir sie aufgestellt haben; denn selbst wenn ein feindliches Heer aus bloßem Mangel an Lebensmitteln seinen Rückzug antritt, so entsteht doch dieser erst aus der Einschränkung, in welcher unser Schwert dasselbe hält; wäre unsere Streitkraft gar nicht vorhanden, so würde es schon Rat zu schaffen wissen.

Also auch am Ende seiner Angriffsbahn, wenn der Feind den schwierigen Bedingungen seines Angriffs erliegt, Entsendungen, Hunger und Krankheit ihn geschwächt und ausgezehrt haben, ist es immer nur die Furcht vor unserem Schwert, die ihn veranlassen kann, umzukehren und alles wieder fahren zu lassen. Aber es findet freilich nichtsdestoweniger ein großer Unterschied zwischen einer solchen Entscheidung statt und einer an der Grenze gegebenen.

Hier treten seinen Waffen nur unsere Waffen entgegen, nur diese halten jene im Zaum oder wirken zerstörend auf sie ein; dort aber, am Ende der Angriffsbahn, sind die feindlichen Streitkräfte schon durch die eigenen Anstrengungen halb zugrunde gerichtet, dadurch wird unseren Waffen ein ganz anderes Gewicht gegeben, und sie sind also, wenn auch der letzte, doch nicht mehr der einzige Entscheidungsgrund. Diese Vernichtung der feindlichen Streitkräfte im Vorgehen bereitet die Entscheidung vor, und sie kann das in dem Maße tun, daß die bloße Möglichkeit unserer Reaktion den Rückzug, also den Umschwung veranlassen kann. In diesem Falle also kann man praktisch nichts anderes als die Entscheidung diesen Anstrengungen im Vorgehen zuschreiben. Nun wird man freilich keinen Fall finden, wo das Schwert des Verteidigers nicht mitgewirkt hätte; aber es ist für die praktische Ansicht wichtig, zu unterscheiden, welches der beiden Prinzipe das vorherrschende gewesen ist.

In diesem Sinne nun glauben wir sagen zu können, daß es in der Verteidigung eine doppelte Entscheidung, also eine doppelte Reaktionsart gebe, je nachdem der Angreifende durch das Schwert des Verteidigers oder durch seine eigenen Anstrengungen zugrunde gehen soll.

Daß die erste Entscheidungsart bei den drei ersten Stufen der Verteidigung, die zweite bei der vierten vorherrschen wird, ist an sich klar; und zwar wird die letztere hauptsächlich nur vorkommen können, wenn der Rückzug tief in das Innere des Landes stattfindet; und sie allein ist es, welche einen solchen Rückzug mit den großen Opfern, die er kostet, motivieren kann.

Wir haben also zwei verschiedene Prinzipe des Widerstandes kennengelernt; es gibt Fälle in der Kriegsgeschichte, wo sie so rein und getrennt vorkommen, als im praktischen Leben ein Elementarbegriff nur vorkommen kann. Wenn Friedrich der Große 1745 die Österreicher bei Hohenfriedeberg angreift, indem sie eben aus dem schlesischen Gebirge niedersteigen wollen, so konnte ihre Kraft weder durch Entsendungen, noch durch Anstrengungen auf eine merkliche Weise geschwächt sein; wenn auf der anderen Seite Wellington in der verschanzten Stellung von Torres Vedras abwartet, bis Hunger und Kälte Massénas Heer so weit gebracht haben, daß es seinen Rückzug von selbst antritt, so hat an der wirklichen Schwächung des Angreifenden das Schwert des Verteidigers keinen Anteil gehabt. In anderen Fällen, wo sie vielfältig miteinander verbunden sind, herrscht doch das eine bestimmt vor. So war es im Jahre 1812. Es haben in diesem berühmten Feldzuge eine solche Masse blutiger Gefechte stattgefunden, daß man damit in anderen Fällen die vollkommenste Entscheidung durch das Schwert hätte geben können; nichtsdestoweniger ist wohl in keinem Fall so deutlich wie in diesem gesehen worden, wie der Angreifende durch seine eigenen Anstrengungen zugrunde gehen kann. Von den 300000 Mann, die das französische Zentrum ausmachten, kamen nur etwa 90000 nach Moskau; nur etwa 13000 waren detachiert, es waren also 197000 Mann verloren worden, und gewiß ist nicht über ein Drittel dieses Verlustes auf die Gefechte zu rechnen.

Alle Feldzüge, welche sich durch ein sogenanntes Temporisieren ausgezeichnet haben, wie die des berühmten Fabius Cunctator, sind vorzugsweise auf die Vernichtung des Gegners durch seine eigenen Anstrengungen berechnet.

Überhaupt gibt es eine Menge Feldzüge, wo dieses Prinzip die Hauptsachen gemacht hat, ohne daß es recht zur Sprache käme, und nur wenn man gegen die erkünstelten Gründe der Geschichtschreiber die Augen verschließt, dafür aber den Begebenheiten selbst scharf ins Auge sieht, wird man auf diesen wahren Grund vieler Entscheidungen hingeführt.

Hiermit glauben wir diejenigen Vorstellungen, welche der Verteidigung zum Grunde liegen, hinlänglich entwickelt, die Stufen derselben, und in diesen zwei Hauptarten des Widerstandes deutlich gezeigt und verständlich gemacht zu haben, wie sich das Prinzip des Abwartens durch das ganze Gedankensystem durchzieht und sich mit dem positiven Handeln verbindet, so daß dieses hier früher, dort später hervortritt, und der Vorteil des Abwartens dann als erschöpft er scheint.

Wir meinen nun hiermit das ganze Gebiet der Verteidigung ausgemessen und umfaßt zu haben. Freilich gibt es noch Gegenstände in ihr von hinreichender Wichtigkeit, um besondere Abschnitte zu bilden, d. h. der Mittelpunkt eigener Gedankensysteme zu werden, deren wir also auch gedenken müssen - das Wesen und der Einfluß der Festungen, verschanzter Lager, der Gebirgs-, Flußverteidigungen, der Flankenwirkungen usw. Wir werden davon in den folgenden Kapiteln handeln; aber alle diese Gegenstände erscheinen uns nicht als außer unserer obigen Vorstellungsreihe vorhanden, sondern nur als eine nähere Anwendung derselben auf Örtlichkeit und Verhältnisse. Jene Vorstellungsreihe hat sich uns aus dem Begriff der Verteidigung und aus ihrem Verhältnis zum Angriff ergeben; wir haben diese einfachen Vorstellungen an die Wirklichkeit angeknüpft und so den Weg gezeigt, wie man aus der Wirklichkeit zu jenen einfachen Vorstellungen wieder zurückgelangen und also festen Grund gewinnen kann, damit man nicht genötigt sei, im Räsonnement zu Stützpunkten seine Zuflucht zu nehmen, die selbst in der Luft schweben.

Allein der Widerstand durch das Schwert kann durch die Mannigfaltigkeit der Gefechtskombinationen, besonders in dem Fall, wo diese sich nicht blutig entladen, sondern durch ihre bloße Möglichkeit wirksam werden, ein so verändertes Ansehen, einen so verschiedenen Charakter bekommen, daß man sich zu der Meinung hingezogen fühlt, hier müsse auch ein anderes wirksames Prinzip aufgefunden werden können; zwischen dem blutigen Zurückweisen in einer einfachen Schlacht und den Wirkungen eines strategischen Gespinstes, welches die Sache gar nicht so weit kommen läßt, sei ein solcher Unterschied, daß man notwendig eine neue Kraft annehmen müsse: ungefähr wie die Astronomen aus dem großen Zwischenraum zwischen Mars und Jupiter auf das Dasein anderer Planeten geschlossen haben.

Wenn der Angreifende den Verteidiger in einer festen Stellung findet, die er nicht glaubt überwältigen, wenn er ihn hinter einem bedeutenden Fluß findet, den er nicht glaubt überschreiten zu können, selbst wenn er beim weiteren Vorgehen fürchtet, seine Verpflegung nicht gehörig sichern zu können, so ist es immer nur das Schwert des Verteidigers, welches diese Wirkungen hervorbringt; denn die Furcht, von diesem Schwert besiegt zu werden, entweder in Hauptgefechten oder auf besonders wichtigen Punkten, ist es, was das Handeln des Angreifenden zum Stillstand bringt, nur wird er dies entweder gar nicht oder wenigstens nicht unumwunden aussprechen.

Gibt man uns nun auch zu, daß selbst bei der unblutigen Entscheidung in letzter Instanz die Gefechte entschieden haben, welche nicht wirklich stattfanden, sondern bloß angeboten wurden, so wird man doch meinen, daß in diesem Falle die strategische Kombination dieser Gefechte als das wirksamste Prinzip betrachtet werden müßte, nicht ihre taktische Entscheidung, und daß dieses Vorwalten der strategischen Kombination nur gemeint sein könne, wenn man an andere Verteidigungsmittel als die des Schwertes denke. Wir räumen dies ein, befinden uns nun aber gerade auf dem Punkte, auf welchen wir gelangen wollten. Wir sagen nämlich: wenn der taktische Erfolg in den Gefechten die Grundlage aller strategischen Kombinationen ausmachen muß, so ist es immer möglich und zu fürchten, daß der Angreifende bis auf diese Grundlage durchgreift, sich vor allen Dingen darauf einrichtet, in diesen taktischen Erfolgen Meister zu werden, um dann die strategische Kombination zusammenzuwerfen; daß diese also niemals als etwas Selbständiges betrachtet werden muß, sondern daß sie nur gültig werden kann, wenn man wegen der taktischen Erfolge aus diesem oder jenem Grunde ohne Sorgen ist. Um uns hier mit wenigem verständlich zu machen, wollen wir nur daran erinnern, daß ein Feldherr wie Bonaparte durch ein ganzes strategisches Gewebe seiner Gegner rücksichtslos durchschritt, um den Kampf selbst aufzusuchen, weil er in diesem Kampf fast niemals an dem Ausgang zweifelte. Wo also die Strategie nicht ihre ganze Industrie darauf verwendet, ihn bei diesem Kampf mit einer überlegenen Macht zu unterdrücken, wo sie sich auf feinere (schwächere) Beziehungen einließ, war sie wie Spinnwebe zerrissen. Ein Feldherr aber wie Daun konnte durch solche Beziehungen leicht aufgehalten werden. Es wäre also töricht, einem Bonaparte und seiner Armee zu bieten, was die preußische Armee des Siebenjährigen Krieges Daun und der seinigen bieten durfte. Warum? - Weil Bonaparte recht gut wußte, daß alles auf die taktischen Erfolge ankomme, und derselben gewiß war, welches beides sich bei Daun anders verhielt. Darum also halten wir es für verdienstlich, zu zeigen, daß jede strategische Kombination nur auf den taktischen Erfolgen ruht, daß diese überall in der blutigen wie in der unblutigen Lösung die eigentlichen Grundursachen der Entscheidung sind. Nur wenn man diese nicht zu fürchten hat, sei es wegen des Charakters oder der Verhältnisse des Gegners oder wegen des moralischen und physischen Gleichgewichts beider Heere oder gar wegen des Übergewichts des unserigen, nur dann kann man von den strategischen Kombinationen an sich etwas erwarten.

Wenn wir nun in dem ganzen Umfang der Kriegsgeschichte eine große Masse von Feldzügen finden, wo der Angreifende ohne blutige Entscheidung seinen Angriff aufgibt, wo sich also die strategischen Kombinationen so wirksam zeigen, so könnte das zu dem Gedanken führen, daß diese Kombinationen wenigstens in sich eine große Stärke haben und da, wo nicht in den taktischen Erfolgen eine zu entschiedene Überlegenheit des Angreifenden vorauszusetzen wäre, die Sache meistens allein entscheiden könnten. Hierauf müssen wir antworten, daß, wenn man von den Dingen spricht, die auf dem Kriegstheater ihren Ursprung haben, also dem Kriege selbst mehr angehören, auch diese Vorstellung falsch ist, und daß die Unwirksamkeit der meisten Angriffe ihren Grund in den höheren, den politischen Verhältnissen des Krieges hat.

Die allgemeinen Verhältnisse, aus denen ein Krieg hervorgeht und die natürlich seine Grundlage ausmachen, bestimmen auch seinen Charakter; wir werden davon in der Folge beim Kriegsplan mehr zu sagen haben. Diese allgemeinen Verhältnisse aber haben die meisten Kriege zu einem Halbdinge gemacht, wo die eigentliche Feindschaft sich durch einen solchen Konflikt von Beziehungen winden mußte, daß sie nur ein sehr schwaches Element blieb. Dies muß sich natürlich beim Angriff, auf dessen Seite sich das positive Handeln findet, am meisten und stärksten zeigen. So ist es denn freilich kein Wunder, wenn ein solcher atemloser, hektischer Angriff durch den Druck eines Fingers zum Stillstand gebracht werden konnte. Gegen einen matten, von tausend Rücksichten gelähmten, kaum noch vorhandenen Entschluß ist oft der Schein eines Widerstandes genug.

Es ist nicht die große Anzahl unangreifbarer Stellungen, welche sich überall finden, nicht die Fruchtbarkeit der dunklen Gebirgsmassen, welche sich über das Kriegstheater hinlagern, oder des breiten Stromes, der es durchzieht, nicht die Leichtigkeit, durch gewisse Zusammenstellungen der Gefechte den Muskel, der den Stoß gegen uns ausführen soll, wirklich zu lähmen; - diese Dinge sind nicht die Ursache des häufigen Erfolges, den der Verteidiger auf unblutigem Wege hat, sondern es ist die Schwäche des Willens, womit der Angreifende den zögernden Fuß vorsetzt.

Jene Gegengewichte können und müssen berücksichtigt werden, aber man soll sie nur erkennen als das, was sie sind, und ihre Wirkungen nicht anderen Dingen zuschreiben, nämlich den Dingen, von denen wir hier allein sprechen. Wir dürfen nicht unterlassen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, wie die Kriegsgeschichte in dieser Beziehung so leicht zu einem stehenden Lügner und Betrüger werden kann, wenn die Kritik nicht darauf bedacht ist, einen berichtigenden Standpunkt anzunehmen.

Betrachten wir jetzt die großen Massen der ohne blutige Lösung mißlungenen Angriffsfeldzüge in der Gestalt, welche wir die vulgäre nennen möchten.

Der Angreifende rückt in Feindesland vor, drängt den Gegner ein Stück zurück, findet aber zu viel Bedenken, es auf eine entscheidende Schlacht ankommen zu lassen; er bleibt also vor ihm stehen, tut, als habe er eine Eroberung gemacht und keine andere Aufgabe, als diese zu decken; als sei es an dem Gegner, die Schlacht zu suchen, als biete er sie ihm täglich an usw. Dies alles sind Vorspiegelungen, die der Feldherr seinem Heer, seinem Hof, der Welt, ja sich selbst macht. Der wahre Grund ist, daß man den Gegner in seiner Lage zu stark findet. Wir sprechen hier nicht von dem Fall, wo der Angreifende den Angriff unterläßt, weil er vom Siege keinen Gebrauch machen konnte, weil er am Ende seiner Laufbahn nicht mehr Schwungkraft genug hatte, eine neue zu beginnen. Dieser Fall setzt einen schon gelungenen Angriff, eine wirkliche Eroberung voraus; wir aber haben hier den Fall im Auge, wo der Angreifende mitten in der beabsichtigten Eroberung stecken bleibt.

Nur wird gewartet, um günstige Umstände zu benutzen; zu diesen günstigen Umständen sind in der Regel keine Gründe vorhanden, denn der beabsichtigte Angriff beweist schon, daß man sich von der nächsten Zukunft nicht mehr versprechen konnte als von der Gegenwart; es ist also ein neues Trugbild. Ist nun, wie gewöhnlich, das Unternehmen im Zusammenhange mit anderen gleichzeitigen, so wird anderen Heeren zugeschoben, was man nicht selbst leisten will, und die Gründe der eigenen Untätigkeit werden im Mangel an Unterstützung und Zusammenstimmung gesucht. Es wird von unüberwindlichen Schwierigkeiten gesprochen, und Motive werden in den verwickeltsten feinsten Beziehungen gefunden. So verzehren sich die Kräfte des Angreifenden in Untätigkeit oder vielmehr in einer unzureichenden und darum erfolglosen Tätigkeit. Der Verteidiger gewinnt Zeit, worauf es ihm hauptsächlich ankommt, die schlechte Jahreszeit naht und der Angriff endigt damit, daß der Angreifende in sein eigenes Kriegstheater zu den Winterquartieren zurückkehrt.

Jenes Gewebe nun von unwahren Vorstellungen geht in die Geschichte über und verdrängt den ganz einfachen und wahren Grund des Nichterfolges, nämlich die Furcht vor dem feindlichen Schwert. Geht nun die Kritik in einen solchen Feldzug ein, so müht sie sich an einer Menge von Gründen und Gegengründen ab, die kein überzeugendes Resultat geben, weil sie alle in der Luft schweben, und man in den eigentlichen Grundbau der Wahrheit nicht hinuntersteigt.

Jener Betrug aber ist nicht etwa bloß eine üble Gewohnheit, sondern in der Natur der Dinge begründet. Die Gegengewichte, wodurch die Elementarkraft des Krieges und also der Angriff insbesondere geschwächt wird, liegen dem größeren Teile nach in den politischen Verhältnissen und Absichten des Staates, und diese werden der Welt, dem eigenen Volke und Heere immer, in manchen Fällen aber sogar dem Feldherrn verborgen. Niemand z. B. kann und wird seinen Entschluß des Innehaltens oder Aufgebens durch das Geständnis motivieren, daß er fürchtet, mit seiner Kraft nicht bis ans Ende zu reichen, oder sich neue Feinde zu erwecken, oder daß er seinen Bundesgenossen nicht will zu stark werden lassen usw. Alle solche Dinge bleiben lange verschwiegen oder bleiben es wohl auf immer; für die Welt aber soll doch das Handeln im Zusammenhange dargestellt werden, und so wird denn der Feldherr genötigt, entweder für eigene Rechnung oder für Rechnung seiner Regierung ein Gewebe von falschen Gründen geltend zu machen. Diese immer wiederkehrenden Spiegelfechtereien der Kriegsdialektik haben sich in der Theorie zu Systemen verknöchert, die natürlich ebensowenig Wahrheit haben. Nur indem die Theorie, wie wir es versucht haben, dem einfachen Faden des inneren Zusammenhanges folgt, kann sie auf das Wesen der Dinge zurückkommen.

Sieht man die Kriegsgeschichte mit diesem Mißtrauen an, so sinkt ein großer Angriffs- und Verteidigungsapparat, der nur in Hin- und Herreden besteht, in sich zusammen, und die einfache Vorstellungsart, welche wir davon gegeben haben, tritt von selbst hervor. Wir glauben also, daß sie durch das ganze Gebiet der Verteidigung durchgreifend ist, und daß man nur, indem man fest an ihr hält, imstande ist, die Masse der Ereignisse mit klarer Einsicht zu beherrschen.

Jetzt haben wir uns noch mit der Frage über den Gebrauch dieser verschiedenen Formen der Verteidigung zu beschäftigen.

Da sie sämtlich Steigerungen derselben sind, die durch immer steigende Opfer erkauft werden, so würde dadurch, wenn andere Umstände nicht mitwirken, die Wahl des Feldherrn schon hinlänglich bestimmt. Er würde diejenige Form wählen, welche ihm eben zureichend schiene, seine Streitkraft auf den erforderlichen Punkt der Widerstandsfähigkeit zu führen; aber er würde nicht weiter in die Verteidigung zurückgehen, um keine unnützen Opfer zu bringen. Allein man muß sagen, daß die Wahl dieser verschiedenen Formen meistens sehr beschränkt ist, weil die anderen Hauptdinge, welche in der Verteidigung vorkommen, zu der einen oder anderen notwendig hindrängen. Für den Rückzug ins Innere des Landes ist eine beträchtliche Oberfläche erforderlich oder Verhältnisse wie die in Portugal 1810, wo ein Verbündeter (England) im Rücken den Anhalt gab, und ein anderer (Spanien) mit seiner weiten Länderfläche die Stoßkraft des Feindes beträchtlich schwächte. Die Lage der Festungen, mehr an der Grenze oder mehr im Inneren des Landes, kann ebenfalls für oder gegen einen solchen Plan entscheiden, noch mehr aber die Natur des Landes und Bodens, der Charakter, die Sitten, die Gesinnung der Einwohner. Die Wahl zwischen Angriffs- und Verteidigungsschlacht kann durch den Plan des Gegners, durch die Eigentümlichkeit beider Heere und Feldherren entschieden werden; endlich kann der Besitz einer vorzüglichen Stellung oder Verteidigungslinie oder der Mangel daran zu dem einen oder anderen führen; - kurz, es ist genug, diese Dinge zu nennen, um fühlen zu lassen, daß die Wahl bei der Verteidigung in vielen Fällen mehr durch sie als durch das bloße Machtverhältnis bestimmt werden wird. Da wir die wichtigsten hier berührten Gegenstände noch näher kennenlernen werden, so wird sich der Einfluß, welchen sie auf die Wahl haben, auch dann erst bestimmter entwickeln lassen, und zuletzt alles in dem Buche vom Kriegs- und Feldzugsplan zu einem Ganzen sich zusammenstellen.

Aber jener Einfluß wird meistens nur bestimmend werden, wenn das Machtverhältnis nicht zu ungleich ist, im entgegengesetzten Fall aber, sowie in der Allgemeinheit der Fälle, wird dieses Machtverhältnis durchgreifen. Daß es dies getan hat, ohne daß eine solche Vorstellungsreihe, wie wir sie hier entwickelt haben, vorhanden war, also dunkel nach dem bloßen Takt des Urteils, wie das meiste, was im Kriege geschieht, beweist die Kriegsgeschichte hinlänglich. Es war derselbe Feldherr, dasselbe Heer, welche auf demselben Kriegstheater einmal die Schlacht von Hohenfriedeberg lieferten und ein andermal das Lager von Bunzelwitz bezogen. Also auch Friedrich der Große, der, was die Schlacht betrifft, der offensivste aller Feldherren war, sah sich zuletzt beim großen Mißverhältnis der Macht zu einer eigentlichen Verteidigungsstellung gezwungen, und Bonaparte, der früher wie ein wilder Eber seinen Gegner anging, sehen wir ihn nicht, als das Machtverhältnis sich gegen ihn wandte, im August und September 1813 schon wie in einem Käfig eingesperrt hin und her sich wenden, ohne auf einen der Gegner rücksichtslos fortzuschießen? Im Oktober desselben Jahres aber, als das Mißverhältnis seinen Gipfel erreichte, sehen wir ihn nicht bei Leipzig, in dem Winkel der Parthe, Elster und Pleiße Schutz suchend, wie im Winkel eines Zimmers den Rücken gegen die Wand gelehnt, seine Feinde abwarten?

Wir können nicht unbemerkt lassen, daß aus diesem Kapitel mehr als aus irgendeinem anderen unseres Buches deutlich wird, wie wir es nicht darauf anlegen, neue Grundsätze und Methoden des Kriegführens anzugeben, sondern das längst Vorhandene in seinem innersten Zusammenhange zu untersuchen und auf seine einfachsten Elemente zurückzuführen.

Neuntes Kapitel: Die Verteidigungsschlacht

Wir haben im vorigen Kapitel gesagt, daß der Verteidiger sich in seiner Verteidigung einer Schlacht bedienen könne, die taktisch eine vollkommene Angriffsschlacht ist, wenn er den Gegner im Augenblick, wo er in unser Kriegstheater einbricht, aufsucht und angreift; daß er aber auch den Feind vor seiner Fronte abwarten und dann zum Angriff übergehen könne, in welchem Fall die Schlacht taktisch wieder eine Angriffsschlacht sein wird, obgleich schon eine etwas bedingte; endlich, daß er den Angriff des Gegners in seiner Stellung wirklich abwarten und demselben sowohl durch örtliche Verteidigung als durch Anfälle mit einem Teil seiner Macht entgegenwirken könne. Hier lassen sich natürlich mehrere Grade und Abstufungen denken, welche immer mehr von dem Prinzip eines positiven Rückstoßes ab in das Prinzip einer örtlichen Verteidigung hineinführen. Wir können uns hier nicht darauf einlassen, zu sagen, wie weit das gehen darf, und welches das vorteilhafteste Verhältnis beider Elemente zur Gewinnung eines entscheidenden Sieges sein möchte. Aber wir bleiben dabei stehen, daß, wo dieser gesucht wird, der offensivste Teil der Schlacht niemals ganz fehlen dürfe, und wir haben die Überzeugung, daß von diesem offensiven Teile aus alle Wirkungen eines entscheidenden Sieges hervorgehen können und müssen so gut wie in einer rein taktischen Offensivschlacht.

So wie das Schlachtfeld strategisch nur ein Punkt ist, so ist die Zeit einer Schlacht strategisch nur ein Moment, und nicht der Verlauf, sondern das Ende und Resultat einer Schlacht ist eine strategische Größe.

Wäre es nun wahr, daß sich an die Angriffselemente, die in jeder Verteidigungsschlacht liegen, ein vollständiger Sieg anknüpfen läßt, so müßte für die strategische Kombination im Grunde zwischen Angriff und Verteidigungsschlacht gar kein Unterschied sein. So ist es auch nach unserer Überzeugung, aber es scheint freilich anders. Um den Gegenstand schärfer ins Auge zu fassen, unsere Ansicht klar zu machen und damit jenen Schein zu entfernen, wollen wir das Bild einer Verteidigungsschlacht, wie wir sie uns denken, flüchtig hinwerfen.

Der Verteidiger erwartet den Angreifenden in einer Stellung, er hat sich eine passende Gegend dazu ausersehen und eingerichtet, d. h. er hat sie genau kennengelernt, hat auf einem paar der wichtigsten Punkte tüchtige Schanzen errichtet, Verbindungen geöffnet und geebnet, Batterien eingeschnitten, Dörfer befestigt und passende Orte zur verdeckten Aufstellung seiner Massen ausgesucht usw. Eine mehr oder weniger starke Fronte, deren Zugang durch einen oder mehrere parallele Einschnitte oder andere Hindernisse oder auch durch den Einfluß vorherrschender fester Punkte erschwert wird, setzt ihn in den Stand, in den verschiedenen Stadien des Widerstandes bis zum Kern der Stellung hin, während sich die gegenseitigen Kräfte in ihren Berührungspunkten aneinander verzehren, mit wenigen der seinigen viele der feindlichen zu zerstören. Die Anlehnungspunkte, welche er seinen Flügeln gegeben hat, sichern ihn vor einem urplötzlichen Anfall von mehreren Seiten; die verdeckte Gegend, die er zur Aufstellung gewählt hat, macht den Angreifenden behutsam, ja zaghaft und gewährt dem Verteidiger die Mittel, die allgemeine rückgängige Bewegung des sich immer mehr zusammenziehenden Gefechts durch kleine glückliche Anfälle zu schwächen. So blickt der Verteidiger mit Zufriedenheit in die Schlacht, die mit gemäßigtem Element vor ihm fortbrennt; - aber er hält seinen Widerstand in der Fronte nicht für unerschöpflich - aber er glaubt seine Seiten nicht unantastbar - aber er erwartet von dem glücklichen Anfall einiger Bataillone oder Schwadronen nicht den Umschwung der ganzen Schlacht. Seine Stellung ist tief, denn jeder Teil auf der Stufenleiter der Schlachtordnung, von der Division bis zum Bataillon hinab, hat seinen Rückhalt für unvorhergesehene Fälle und zur Erneuerung des Gefechts; aber eine bedeutende Masse, ¼ bis 1/3 des Ganzen, hält er ganz zurück außer der Schlacht, so weit zurück, daß von keinem Verlust durch das feindliche Feuer die Rede sein kann, und womöglich so weit, daß dieser Teil noch außerhalb der Umgehungslinie fällt, womit der Angreifende den einen oder anderen Flügel der Stellung umfassen wird. Mit diesem Teil will er seine Flügel für weitere und größere Umgehungen decken, sich gegen unvorhergesehene Fälle sichern, und im letzten Drittel der Schlacht, wenn der Angreifende seinen Plan ganz entwickelt, seine Kräfte größtenteils ausgegeben hat, dann will er mit dieser Masse sich auf einen Teil der feindlichen Macht werfen, gegen diesen seine eigene kleinere Angriffsschlacht entwickeln, sich darin aller Elemente des Angriffs, wie Anfall, Überraschung, Umgehung, bedienen und durch diesen Druck gegen den noch auf einer Spitze ruhenden Schwerpunkt der Schlacht die zurückschlagende Bewegung des Ganzen hervorbringen.

Dies ist die Normalvorstellung, welche wir uns von einer Verteidigungsschlacht machen, die auf den jetzigen Stand der Taktik gegründet ist. In derselben ist das allgemeine Umfassen des Angreifenden, wodurch er seinem Angriff mehr Wahrscheinlichkeit und zugleich mehr Umfang des Erfolges geben will, durch ein untergeordnetes Umfassen erwidert, nämlich desjenigen Teils der feindlichen Streitkräfte, welcher zum Umgehen gebraucht worden ist. Dieses untergeordnete Umfassen kann als hinreichend gedacht werden, die Wirkung des feindlichen aufzuheben, aber es kann daraus nicht ein ähnliches allgemeines Umfassen des feindlichen Heeres entspringen, und es wird daher immer der Unterschied zwischen den Lineamenten des Sieges sein, daß er bei der Angriffsschlacht das feindliche Heer umfaßt und nach dem Mittelpunkt desselben wirkt, bei der Verteidigungsschlacht aber mehr oder weniger von dem Mittelpunkt nach dem Umfang und auf Radien.

Auf dem Schlachtfelde selbst und in dem ersten Stadium der Verfolgung muß die umfassende Form immer als die wirksamere erkannt werden, aber nicht sowohl überhaupt wegen ihrer Gestalt, als vielmehr nur dann, wenn es ihr gelingt, das Umfassen bis auf den äußersten Punkt durchzusetzen, nämlich dem feindlichen Heer schon in der Schlacht den Rückzug wesentlich zu beschränken. Gegen diesen äußersten Punkt aber ist gerade die positive Rückwirkung des Verteidigers gerichtet, und sie wird in vielen Fällen, wo sie nicht hinreicht, ihm den Sieg zu verschaffen, doch hinreichen, ihn gegen jenes Äußerste zu beschützen. Immer aber müssen wir einräumen, daß bei einer Verteidigungsschlacht diese Gefahr, nämlich die einer zu großen Beschränkung des Rückzuges, vorzugsweise vorhanden ist, und daß, wenn sie nicht abgewendet werden kann, der Erfolg in der Schlacht selbst und im ersten Stadium der Verfolgung dadurch sehr gesteigert wird.

Aber so ist es in der Regel nur im ersten Stadium der Verfolgung, nämlich bis zum Einbruch der Nacht; den folgenden Tag hat das Umfassen sein Ende erreicht, und beide Teile sind in dieser einen Beziehung wieder im Gleichgewicht.

Freilich kann der Verteidiger um seine beste Rückzugsstraße gekommen und dadurch strategisch fortwährend in eine nachteilige Lage versetzt sein, aber das Umfassen selbst wird, mit wenig Ausnahmen, immer sein Ende haben, weil es nur für das Schlachtfeld berechnet war und also nicht viel weiter reichen kann. Was wird aber auf der anderen Seite entstehen, wenn der Verteidiger siegreich ist? Eine Trennung des Geschlagenen. Diese erleichtert im ersten Augenblick den Rückzug, aber am nächsten Tage ist das höchste Bedürfnis die Vereinigung aller Teile. Ist nun der Sieg sehr entschieden erfochten worden, stößt der Verteidiger mit großer Energie nach, so wird jene Vereinigung oft nicht möglich, und es entstehen aus dieser Trennung des Geschlagenen die schlimmsten Folgen, die in einer Stufenfolge bis ans Zersprengen gehen können. Wenn Bonaparte bei Leipzig gesiegt hätte, so würde die gänzliche Trennung der verbündeten Heere die Folge davon gewesen sein und das Niveau ihres strategischen Verhältnisses mächtig heruntergedrückt haben. Bei Dresden, wo Bonaparte zwar keine eigentliche Verteidigungsschlacht lieferte, hatte doch der Angriff die geometrische Form, von welcher wir hier sprechen, nämlich von dem Mittelpunkt nach dem Umkreis; es ist bekannt, in welcher Verlegenheit sich das verbündete Heer durch seine Trennung befand, eine Verlegenheit, aus welcher sie nur der Sieg an der Katzbach riß, weil auf die Nachricht davon Bonaparte mit den Garden nach Dresden zurückkehrte.

Diese Schlacht an der Katzbach selbst ist ein ähnliches Beispiel: es ist ein Verteidiger, der im letzten Augenblick zum Angriff übergeht und folglich exzentrisch wirkt; die französischen Korps wurden dadurch auseinandergedrückt, und mehrere Tage nach der Schlacht fiel die Division Puthod als eine Frucht des Sieges den Verbündeten in die Hände.

Wir schließen hieraus, daß, wenn der Angriff durch die ihm homogenere Form ein Mittel hat, seinen Sieg zu steigern, dem Verteidiger durch die ihm homogenere Form der Exzentrizität gleichfalls ein Mittel wird, seinem Sieg größere Folgen zu geben, als bei einer bloß parallelen Stellung und senkrechten Wirkung der Kräfte der Fall sein würde, und wir glauben, daß das eine Mittel wenigstens ebensoviel gelten könne als das andere.

Wenn wir aber in der Kriegsgeschichte aus der Verteidigungsschlacht selten so große Siege hervortreten sehen als aus der Angriffsschlacht, so beweist das nichts gegen unsere Behauptung, daß sie an sich dazu ebensosehr geeignet sei, sondern die Ursache liegt in den sehr verschiedenen Verhältnissen des Verteidigers. Der Verteidiger ist meistens der Schwächere, nicht bloß in der Streitkraft, sondern seinen ganzen Verhältnissen nach, er war oder glaubte sich meistens nicht imstande, seinem Siege eine große Folge zu geben, und begnügte sich dann mit der bloßen Zurückweisung der Gefahr und mit der geretteten Waffenehre. Daß der Verteidiger durch seine Schwäche und seine Verhältnisse in dem Maße gebunden sein kann, ist keine Frage; aber allerdings hat man auch oft das, was nur die Folge einer Notwendigkeit sein sollte, für die Folge der Rolle genommen, die man als Verteidiger spielt, und so ist es denn wirklich törichterweise eine Grundansicht über die Verteidigung geworden, daß ihre Schlachten nur auf das Abwehren, nicht auf das Vernichten des Feindes gerichtet wären. Wir halten dies für einen der schädlichsten Irrtümer, für eine wahre Verwechslung der Form mit der Sache und behaupten unbedingt, daß in der Kriegsform, welche wir Verteidigung nennen, nicht allein der Sieg wahrscheinlicher sei, sondern auch eben die Größe und Wirksamkeit erlangen könne wie beim Angriff, und daß dies nicht bloß in dem summarischen Erfolg aller Gefechte, die einen Feldzug ausmachen, der Fall sei, sondern such in der einzelnen Schlacht, wenn es nicht an dem gehörigen Maß von Kraft und Willen fehlt.

Zehntes Kapitel: Festungen

Früher und bis zur Zeit der großen stehenden Heere herunter waren Festungen, d. i. Schlösser und befestigte Städte, nur zum Schutz ihrer Einwohner da. Der Edelmann, wenn er sich von allen Seiten bedrängt sah, rettete sich in sein Schloß, um Zeit zu gewinnen, einen besseren Augenblick abzuwarten; die Städte suchten durch ihre Befestigungen die vorüberziehende Wetterwolke des Krieges von sich abzuhalten. Bei dieser einfachsten und natürlichsten Bestimmung der Befestigungen ist es nicht geblieben; die Beziehungen, welche ein solcher Punkt zum ganzen Lande und wieder zu dem Kriegsvolk hatte, welches sich im Lande hier und dort bekämpfte, gaben den befestigten Punkten bald eine erweiterte Wichtigkeit, eine Bedeutung, die sich außerhalb ihrer Mauern erstreckte, zur Einnahme oder Behauptung des Landes, zum glücklichen oder unglücklichen Ausgang des ganzen Kampfes beitrug und auf diese Weise selbst ein Mittel wurde, den Krieg mehr zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verbinden. So haben die Festungen ihre strategische Bedeutung bekommen, die eine Zeitlang für so wichtig angesehen wurde, daß sie die Grundlinien zu den Feldzugsplänen abgab, die mehr darauf gerichtet warm, eine oder ein paar Festungen zu erobern, als die feindliche Streitkraft zu vernichten. Man kehrte zu der Veranlassung dieser Bedeutung zurück, nämlich zu den Beziehungen, welche ein befestigter Punkt zur Gegend und zum Heere hat, und glaubte nun in der Bestimmung der zu befestigenden Punkte nicht sorgfältig, fein und abstrakt genug sein zu können. Über dieser abstrakten Bestimmung wurde die ursprüngliche fast ganz aus den Augen verloren, und man kam auf die Idee der Festungen ohne Städte und Einwohner.

Von der anderen Seite sind die Zeiten vorüber, wo die bloße Befestigung der Mauern ohne andere Kriegsanstalten einen Ort vor der Überschwemmung des Krieges, der über das ganze Land herzieht, völlig trocken erhalten konnte, denn diese Möglichkeit gründete sich teils auf die kleinen Staaten, in welche die Völker früher geteilt waren, teils auf die periodische Natur des damaligen Angriffs, der fast wie die Jahreszeiten seine bestimmte, sehr begrenzte Dauer hatte, weil entweder die Lehnleute nach Hause eilten oder das Geld für die Condottieri regelmäßig auszugehen pflegte. Seitdem große stehende Heere mit ihren gewaltigen Artilleriezügen den Widerstand der einzelnen Punkte maschinenartig niedermähen, hat keine Stadt und keine andere kleine Korporation mehr Lust, ihre Kräfte aufs Spiel zu setzen, um einige Wochen oder Monate später genommen und dann um so strenger behandelt zu werden. Noch weniger kann es das Interesse der Heere sein, sich in eine Unzahl fester Plätze zu zersplittern, die das Vorschreiten des Feindes etwas langsam machen, aber notwendig mit Unterwerfung endigen würden. Es müssen immer soviel Kräfte übrigbleiben, um dem Feinde im Felde gewachsen zu sein, es sei denn, daß man sich auf die Ankunft eines Bundesgenossen stütze, der unsere festen Plätze entsetzt und unser Heer befreit. Es hat sich also die Zahl der Festungen notwendig sehr vermindern müssen, und dies hat von neuem von der Idee, durch Befestigungen die Menschen und Güter der Städte unmittelbar zu schützen, ab- und zu der anderen Idee hinführen müssen, die Festungen als einen mittelbaren Schutz des Landes zu betrachten, den sie durch ihre strategische Bedeutung gewähren, als Knoten, die das strategische Gewebe zusammenhalten.

So ist der Gang der Ideen gewesen, nicht bloß in Büchern, sondern auch im praktischen Leben; aber freilich in Büchern weiter ausgesponnen, wie das gewöhnlich ist.

So notwendig diese Richtung der Sache war, so haben die Ideen doch zu weit geführt, und es haben Künstlichkeiten und Spielereien den gesunden Kern des natürlichen und großen Bedürfnisses verdrängt. Nur diese einfachen großen Bedürfnisse werden wir ins Auge fassen, wenn wir die Zwecke und Bedingungen der Festungen nebeneinander aufzählen, wir werden dabei von den einfachen zu den zusammengesetzteren fortschreiten und im folgenden Kapitel sehen, was sich daraus für die Bestimmung ihrer Lage und Anzahl ergibt.

Offenbar ist die Wirksamkeit einer Festung aus zwei verschiedenen Elementen zusammengesetzt, dem passiven und dem aktiven. Durch das erste schützt sie den Ort und alles, was in ihm enthalten ist, durch das andere übt sie einen gewissen Einfluß auf die auch über ihre Kanonenschußweite hinausliegende Umgegend.

Dieses aktive Element besteht in den Angriffen, welche die Besatzung auf jeden Feind unternehmen kann, der sich bis auf einen gewissen Punkt nähert. Je größer die Besatzung ist, um so größer werden die Haufen sein, welche zu solchen Zwecken aus ihr hervorgehen, und je größer diese sind, um so weiter können sie in der Regel gehen, woraus dann folgt, daß der aktive Wirkungskreis einer großen Festung nicht nur intensiv stärker, sondern auch größer ist wie der der kleinen. Aber das aktive Element besteht selbst gewissermaßen wieder aus zwei Teilen, nämlich den Unternehmungen der eigentlichen Besatzung und den Unternehmungen, welche andere, nicht dazugehörige, aber mit ihr in Verbindung stehende große und kleine Heerhaufen ausführen können. Es können nämlich Korps, die zu schwach sein würden, dem Feinde selbständig gegenüberzutreten, durch den Schutz, welchen sie im Notfall hinter den Mauern der Festung finden, in den Stand gesetzt werden, sich in der Gegend zu behaupten und dieselbe bis auf einen gewissen Grad zu beherrschen.

Die Unternehmungen, welche die Besatzung einer Festung sich erlauben darf, sind immer ziemlich beschränkt. Selbst bei großen Festungen und starken Besatzungen sind die Haufen, welche dazu ausgesandt werden können, in Beziehung auf die im Felde stehenden Streitkräfte meistens nicht beträchtlich, und der Durchmesser ihres Wirkungskreises beträgt selten über ein paar Märsche. Ist die Festung aber klein, so werden die Haufen ganz unbedeutend und ihr Wirkungskreis meist auf die nächsten Dörfer beschränkt. Solche Korps aber, die nicht zur Besatzung gehören, also nicht notwendig in die Festung zurückkehren müssen, sind dadurch viel weniger gebunden, und so kann durch sie die aktive Wirkungssphäre einer Festung, wenn die übrigen Umstände dazu günstig sind, außerordentlich erweitert werden. Wir müssen also, wenn wir von der aktiven Wirksamkeit der Festungen im allgemeinen sprechen, diesen Teil derselben vorzüglich im Auge behalten.

Aber auch die kleinste aktive Wirksamkeit der schwächsten Besatzung ist immer noch ein ganz wesentliches Stück für alle Zwecke, welche die Festungen zu erfüllen haben; denn strenge genommen ist ja die passivste aller Tätigkeiten einer Festung, die Verteidigung beim Angriff, nicht ohne jene aktive Wirksamkeit zu denken. Indessen fällt es in die Augen, daß unter den verschiedenen Bedeutungen, welche eine Festung überhaupt oder in diesem und jenem Augenblick haben kann, die eine mehr die passive, die andere mehr die aktive Wirksamkeit in Anspruch nimmt. Diese Bedeutungen sind teils einfach, und die Wirksamkeit der Festung in diesem Fall gewissermaßen direkt, teils zusammengesetzt, und die Wirksamkeit ist dann mehr oder weniger indirekt. Wir wollen von den ersteren zu den letzteren übergehen, in jedem Fall aber sogleich erklären, daß natürlich eine Festung mehrere oder auch alle diese Bedeutungen zugleich oder wenigstens in verschiedenen Momenten haben kann.

Wir sagen also: die Festungen sind die ersten und größten Stützen der Verteidigung, auf folgende Weise:

1. Als gesicherte Vorratshäuser.Der Angreifende lebt während des Angriffs von einem Tage zum anderen; der Verteidiger muß gewöhnlich lange vorher in Bereitschaft sein, er kann also nicht bloß aus der Gegend leben, worin er steht und die er ohnehin gern schont; Vorratshäuser sind ihm folglich ein sehr großes Bedürfnis. Die Vorräte aller Art, die der Angreifende hat, bleiben beim Vorgehen zurück und werden also den Gefahren des Kriegstheaters entzogen, die des Verteidigers kommen mitten darin zu liegen. Sind diese Vorräte aller Art nicht in befestigten Orten, so müssen sie den nachteiligsten Einfluß auf das Handeln im Felde haben, und es sind namentlich oft die gezwungensten und gedehntesten Stellungen nötig, um sie zu decken.

Ein Verteidigungsheer ohne Festungen hat hundert verwundbare Stellen, es ist ein Körper ohne Harnisch.

2. Zur Sicherung großer und reicher Städte.Diese Bestimmung ist der ersten sehr nahe verwandt, denn große und reiche Städte, besonders Handelsplätze, sind die natürlichen Vorratshäuser der Heere; als solche trifft ihr Besitz und Verlust das Heer unmittelbar. Außerdem ist es doch immer der Mühe wert, sich diesen Teil des Staatseigentums zu erhalten, teils wegen der Kräfte, die mittelbar daraus gezogen werden, teils weil ein bedeutender Ort selbst bei den Friedensunterhandlungen ein merkliches Gewicht in die Waagschale legt.

Diese Bestimmung der Festungen ist in der neueren Zeit zu wenig gewürdigt worden, und doch ist sie eine der natürlichsten, die am kräftigsten wirken und den wenigsten Irrtümern unterworfen sind. Gäbe es ein Land, wo nicht allein alle großen und reichen Städte, sondern jeder volkreiche Ort befestigt, durch seine Einwohner und die benachbarten Bauern verteidigt wäre, so würde die Geschwindigkeit der kriegerischen Bewegung dadurch in einem solchen Maße geschwächt werden, und das angegriffene Volk mit einem solchen Teil seiner ganzen Schwere auf die Waagschale drücken, daß das Talent und die Willenskraft des feindlichen Heerführers zur Unmerklichkeit hinabsinken würden. Dieses Ideal einer Landesbefestigung wollen wir uns bloß vorhalten, damit der eben gedachten Bestimmung der Festungswerke ihr Recht widerfahren und die Wichtigkeit des unmittelbaren Schutzes, welchen sie gewähren, in keinem Augenblick übersehen werden möge; übrigens aber soll uns diese Vorstellung nicht in unserer Betrachtung stören, denn immer müßten unter der ganzen Masse der Städte einige sein, die stärker als die anderen befestigt, als die eigentlichen Stützen der bewaffneten Macht anzusehen sind.

Die beiden unter 1 und 2 genannten Zwecke nehmen fast nur die passive Wirksamkeit der Festungen in Anspruch.

3. Als eigentliche Schlösser.Sie sperren die Straßen und in den meisten Fällen auch die Flüsse, an welchen sie liegen.

Es ist nicht so leicht, wie man sich gewöhnlich denkt, einen brauchbaren Nebenweg zu finden, der die Festung umgeht, denn dieses Umgehen muß nicht bloß außer ihrem Kanonenschuß stattfinden, sondern auch in Beziehung auf die möglichen Ausfälle in mehr oder weniger großen Umkreisen.

Ist die Gegend im mindesten schwierig, so sind oft mit dem geringsten Ausbiegen aus der Straße Verzögerungen verknüpft, die einen ganzen Tagemarsch kosten, welches beim wiederholten Gebrauch der Straße sehr wichtig werden kann.

Wie sie durch das Sperren der Schiffahrt auf den Strömen in die Unternehmungen eingreifen, ist an sich klar.

4. Als taktische Anlehnungspunkte.Da der Durchmesser des Feuers einer nicht ganz unbedeutenden Festung schon einige Stunden zu betragen pflegt, und der offensive Wirkungskreis in jedem Fall noch etwas weiter reicht, so sind die Festungen immer als die besten Anlehnungspunkte für den Flügel einer Stellung zu betrachten. Ein See von mehreren Meilen Länge kann gewiß für einen ganz vortrefflichen Stützpunkt gelten, und doch leistet eine mäßige Festung mehr. Der Flügel braucht niemals nahe an ihr zu stehen, da der Angreifende sich nicht zwischen sie und diesen Flügel begeben kann, weil er sonst keinen Rückzug hätte.

5. Als Station. Liegen die Festungen auf der Verbindungslinie des Verteidigers, welches doch meistens der Fall ist, so sind sie bequeme Stationen für alles, was darauf hin- und herzieht. Die Gefahren, womit die Verbindungslinien bedroht sind, kommen von Streifzüglern her, deren Einwirkung immer nur stoßweise geschieht. Kann ein wichtiger Transport bei der Annäherung eines solchen Kometen eine Festung erreichen, indem er seinen Zug vorwärts beeilt oder schnell umwendet, so ist er gerettet und wartet dann ab, bis die Gefahr vorüber ist. Ferner können alle hin- und herziehende Haufen hier einen oder mehrere Tage Rast halten und dadurch um so eher ihren übrigen Zug beschleunigen. Es sind aber gerade die Rasttage die, wo sie am meisten bedroht sind. Auf diese Weise wird eine 30 Meilen lange Verbindungslinie durch eine in ihrer Mitte gelegene Festung gewissermaßen um die Hälfte verkürzt.

6. Als Zufluchtsort schwacher oder unglücklicher Korps.Unter den Kanonen einer nicht zu kleinen Festung ist jedes Korps vor den feindlichen Streichen gesichert, wenn auch kein verschanztes Lager dazu besonders eingerichtet ist. Freilich muß ein solches Korps, wenn es verweilen will, seinen weiteren Rückzug aufgeben, aber es gibt Verhältnisse, wo dies Opfer nicht groß ist, weil ein weiterer Rückzug doch nur mit völliger Zerstörung geendigt haben würde.

Aber in vielen Fällen kann die Festung auch auf einige Tage Aufenthalt gewähren, ohne daß der Rückzug darum verlorengeht. Besonders ist sie für die einem geschlagenen Heer vorauseilenden leicht Verwundeten, Versprengten usw. ein Zufluchtsort, um das Heer wieder abzuwarten.

Hätte Magdeburg im Jahre 1806 auf der geraden Rückzugslinie des preußischen Heeres gelegen, und wäre diese nicht schon bei Auerstedt verloren worden, so hätte sich das Heer bei dieser großen Festung füglich 3 bis 4 Tage verweilen, folglich sammeln und neu ordnen können. Aber auch so wie die Umstände warm, hat es den Überresten des Hohenloheschen Heeres zum Sammelplatz dienen können, welches erst dort wieder in die Reihe der Erscheinungen zurücktrat.

Nur im Kriege selbst erhält man mit der lebendigen Anschauung den rechten Begriff von dem wohltätigen Einfluß einer nahen Festung unter schlimmen Umständen. Sie enthalten Pulver und Gewehre, Hafer und Brot, geben Unterkommen den Kranken, Sicherheit den Gesunden und Besonnenheit den Erschreckten. Sie sind eine Herberge in der Wüste.

In den zuletzt genannten 4 Bedeutungen wird die aktive Wirksamkeit der Festungen schon etwas mehr in Anspruch genommen, welches an sich klar ist.

7. Als eigentlicher Schild gegen den feindlichen Angriff.Festungen, welche der Verteidiger vor sich läßt, brechen wie Eisblöcke den Strom des feindlichen Angriffs. Der Feind muß sie einschließen, und dazu braucht er, wenn die Besatzungen sich tüchtig betragen, etwa das Doppelte an Truppen. Außerdem aber können und werden meistens diese Besatzungen zur Hälfte aus Truppen bestehen, die man ohne die Festungen gar nicht mit ins Feld hätte nehmen können: halbfertige Landwehren, Halbinvaliden, bewaffnete Bürgerschaft, Landsturm usw. Der Feind wird also in diesem Fall vielleicht viermal mehr geschwächt als wir.

Diese unverhältnismäßige Schwächung der feindlichen Macht ist der erste wichtigste Vorteil, den uns eine belagerte Festung durch ihren Widerstand gibt; aber er ist nicht der einzige. Von dem Augenblick an, wo der Angreifende die Linie unserer Festungen durchschnitten hat, bekommen alle seine Bewegungen einen viel größeren Zwang; er ist in seinen Rückzugswegen beschränkt und muß stets auf die unmittelbare Deckung der Belagerungen bedacht sein, die er unternimmt.

Hier also greifen die Festungen in den Akt der Verteidigung auf eine großartige und sehr entscheidende Weise ein, und man muß dies als die wichtigste aller Bestimmungen betrachten, die eine Festung haben kann.

Wenn wir nichtsdestoweniger diesen Gebrauch von den Festungen, weit entfernt, ihn regelmäßig wiederkehren zu sehen, verhältnismäßig selten finden, so liegt der Grund in dem Charakter der meisten Kriege, für welche dieses Mittel gewissermaßen zu entscheidend, zu durchgreifend ist, welches sich erst in der Folge wird deutlicher machen lassen.

Bei dieser Bestimmung der Festung wird im Grunde hauptsächlich ihre Offensivkraft in Anspruch genommen, wenigstens ist es diese, von welcher ihre Wirksamkeit ausgeht. Wäre die Festung für den Angreifenden nichts als ein unbesetzbarer Punkt, so könnte sie ihm zwar hinderlich werden, aber niemals in solchem Maße, daß er sich zu einer Belagerung bewogen fühlen sollte. Weil er aber 6, 8 bis 10000 Mann in seinem Rücken nicht schalten und walten lassen kann, darum muß er sie mit einer angemessenen Macht berennen, und um dies nicht immerwährend nötig zu haben, einnehmen, also belagern. Von dem Augenblick der Belagerung an ist es dann hauptsächlich die passive Wirksamkeit, welche tätig wird.

Alle die bisher betrachteten Bestimmungen der Festungen erfüllen sich ziemlich unmittelbar und auf eine einfache Weise. Dagegen ist in den nächsten beiden Zwecken die Wirkungsart zusammengesetzter.

8. Als Deckung ausgedehnter Quartiere. Daß eine mäßige Festung den Zugang zu den hinter ihr gelegenen Quartieren auf 3 bis 4 Meilen Breite verschließt, ist eine ganz einfache Wirkung ihres Daseins; wie aber ein solcher Platz zu der Ehre kommt, eine 15 bis 20 Meilen lange Quartierlinie zu decken, wovon doch in der Kriegsgeschichte so häufig die Rede ist, das bedarf, soweit es in der Tat stattfindet, einer Auseinandersetzung, und soweit es illusorisch sein möchte, einer Bemerkung.

Es kommt hier folgendes in Betrachtung:

1. Daß der Platz an sich eine der Hauptstraßen verschließt und die Gegend auf 3 bis 4 Meilen Breite wirklich deckt.

2. Daß er als ein ungewöhnlich starker Vorposten betrachtet werden kann oder eine vollkommenere Beobachtung der Gegend gestattet, die durch die bürgerlichen Verhältnisse, in welchen ein bedeutender Ort mit der Umgegend steht, auf dem Wege geheimer Nachrichten noch erhöht wird. Es ist natürlich, daß man in einem Ort von 6, 8 bis 10000 Einwohnern mehr von der Umgegend erfährt, als in einem Dorf, dem Standquartier eines gemeinen Vorpostens.

3. Daß kleinere Korps sich an ihn anlehnen, bei ihm Schutz und Sicherheit finden können, die von Zeit zu Zeit gegen den Feind ausziehen, um Nachrichten einzubringen oder auch, im Falle er an der Festung vorbeigeht, in seinem Rücken etwas zu unternehmen; daß also eine Festung, ob sie gleich ihre Stelle nicht verlassen kann, doch in etwas die Wirksamkeit eines vorgeschobenen Korps hat. (Fünftes Buch, achtes Kapitel.)

4. Daß die Aufstellung des Verteidigers, nachdem er seine Truppen versammelt hat, gerade hinter dieser Festung genommen werden kann, so daß der Angreifende bis zu diesem Aufstellungspunkt nicht vordringen kann, ohne daß ihm die Festung in seinem Rücken gefährlich werde.

Zwar ist jeder Angriff auf eine Quartierlinie als solcher in dem Sinn eines Überfalles zu nehmen, oder vielmehr, es ist hier nur von dieser Seite des Angriffs die Rede; nun ist es an sich klar, daß ein Überfall seine Wirkungen in einem viel kleineren Zeitraum vollbringt als der wirkliche Angriff eines Kriegstheaters. Wenn also in dem letzteren eine Festung, an der man vorbei muß, notwendig berennt und in Schranken gehalten sein will, so wird bei dem Überfall einer Quartierlinie dies nicht so notwendig, und darum wird also eine Festung denselben such nicht in gleichem Maße schwächen. Dies ist allerdings wahr, auch können die 6 bis 8 Meilen von derselben entfernten Quartiere der Flügel dadurch nicht unmittelbar geschützt werden; allein in dem Anfall von ein paar Quartieren besteht auch der Zweck eines solchen Überfalles nicht. Wir können erst im Buch vom Angriff umständlicher sagen, was ein solcher Überfall eigentlich beabsichtigt und sich versprechen darf; soviel aber dürfen wir hier schon voraussetzen, daß sein Hauptresultat nicht durch das wirkliche Überfallen der einzelnen Quartierstände, sondern durch die Gefechte erhalten wird, welche der Angreifende im Nachdringen den einzelnen, nicht in gehöriger Verfassung befindlichen, mehr zum Eilen nach gewissen Punkten als zum Schlagen eingerichteten Korps aufdringt. Dieses Vor- und Nachdringen wird aber immer mehr oder weniger gegen das Zentrum der feindlichen Quartiere gerichtet sein müssen, und dabei würde eine vor demselben gelegene bedeutende Festung allerdings dem Angreifenden im hohen Grade beschwerlich sein.

Wir sagen: bedenkt man diese 4 Punkte in ihrer gemeinschaftlichen Wirkung, so wird man einsehen, daß eine bedeutende Festung auf dem direkten oder indirektem Wege allerdings einer viel größeren Quartierausdehnung einige Sicherheit gibt, als man auf den ersten Anblick glauben sollte. Wir sagen: einige Sicherheit, denn alle jene mittelbare Wirkungen machen das Vorrücken des Feindes nicht unmöglich, sondern machen es nur schwieriger und bedenklicher, dadurch also unwahrscheinlicher und weniger gefährlich für den Verteidiger. Das ist aber auch alles, was gefordert und was in diesem Fall unter Deckung verstanden wird. Die eigentliche unmittelbare Sicherheit muß durch Vorposten und Einrichtung der Quartiere erhalten werden.

Es ist also nicht ohne Realität, wenn man einer bedeutenden Festung die Fähigkeit zuschreibt, eine hinter ihr gelegene Quartierlinie von bedeutender Ausdehnung zu decken; aber es ist auch nicht zu leugnen, daß man hier bei den wirklichen Kriegsentwürfen, noch mehr aber in den historischen Darstellungen oft auf leere Ausdrücke oder illusorische Ansichten stößt. Denn wenn jene Deckung nur durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände entsteht, wenn sie such dann nur eine Verminderung der Gefahr ist, so sieht man wohl ein, wie in einzelnen Fällen durch besondere Umstände, vor allem durch die Kühnheit des Gegners diese ganze Deckung illusorisch werden kann, und man wird sich also im Kriege nicht damit begnügen, die Wirkung einer solchen Festung summarisch anzunehmen, sondern die einzelnen Fälle bestimmt durchdenken müssen.

9. Als Deckung einer nicht besetzten Provinz.Wenn eine Provinz im Kriege entweder gar nicht oder nicht mit einer namhaften Macht besetzt, gleichwohl feindlichen Streifereien mehr oder weniger ausgesetzt ist, so sieht man eine in ihr liegende nicht zu unbedeutende Festung als eine Deckung oder, wenn man will, als eine Sicherung dieser Provinz an. Als eine Sicherung kann man sie allerdings betrachten, weil der Feind nicht eher Herr der Provinz sein wird, als bis er die Festung genommen hat, wodurch wir Zeit gewinnen, zu ihrer Verteidigung herbeizueilen. Die eigentliche Deckung aber kann freilich nur sehr mittelbar gedacht oder uneigentlich verstanden werden. Die Festung kann nämlich nur durch ihre aktive Wirksamkeit den feindlichen Streifereien einigermaßen Grenzen setzen. Ist diese Wirksamkeit auf die bloße Besatzung beschränkt, so wird der Erfolg nicht merklich sein, da die Besatzungen solcher Festungen meistens nur schwach sind und aus bloßem Fußvolk und zwar nicht dem besten zu bestehen pflegen. Etwas mehr Wirklichkeit wird die Vorstellung gewinnen, wenn kleine Haufen mit der Festung in Verbindung treten, die sie zu ihrem Anhalt und Stützpunkt machen.

10. Als Mittelpunkt einer Volksbewaffnung.Lebensmittel, Waffen, Munition können zwar in einem Volkskriege nicht der Gegenstand regelmäßiger Lieferungen sein, sondern es ist eben die Natur eines solchen Krieges, sich in diesen Dingen zu helfen wie man kann und auf diese Weise tausend kleine Quellen der Widerstandskräfte zu wecken, die ohne ihn verschlossen blieben; allein es ist doch begreiflich, daß eine bedeutende Festung, die Vorräte jener Gegenstände zur Aushilfe hat, dem ganzen Widerstande mehr Dichtigkeit und Gediegenheit, mehr Zusammenhang und Folge gibt.

Außerdem ist die Festung der Zufluchtsort der Verwundeten, der Sitz der leitenden Behörden, die Schatzkammer, der Versammlungspunkt für größere Unternehmungen usw., endlich der Kern des Widerstandes, der die feindliche Macht während der Belagerung in einen Zustand versetzt, für welchen die Anfälle der Landesbewaffnung recht eigentlich gemacht sind.

11. Zur Verteidigung der Ströme und Gebirge.Nirgends kann eine Festung soviel Zwecke erfüllen, soviel Rollen übernehmen, als wenn sie an einem großen Strome liegt. Hier sichert sie unseren Übergang zu jeder Zeit, verhindert den feindlichen auf einige Meilen in ihrem Umkreis, beherrscht den Handel des Stromes, nimmt alle Schiffe in sich auf, sperrt Brücken und Straßen und gibt Gelegenheit, den Strom auf dem indirekten Wege, nämlich durch eine Stellung auf der feindlichen Seite zu verteidigen. Es ist klar, daß sie durch diesen vielseitigen Einfluß die Stromverteidigung in einem hohen Grade erleichtert und als ein wesentliches Glied derselben zu betrachten ist.

Auf eine ähnliche Art werden die Festungen in Gebirgen wichtig. Hier öffnen und schließen sie ganze Straßensysteme, deren Knoten sie bilden, beherrschen dadurch die ganze Gegend, durch welche diese Straßen im Gebirge ziehen, und sind als die rechten Strebepfeiler ihres Verteidigungssystems zu betrachten.

Elftes Kapitel: Fortsetzung des vorigen Kapitels

Wir haben von der Bestimmung der Festungen gesprochen, jetzt von ihrer Lage. Im ersten Augenblick scheint die Sache sehr verwickelt, wenn man an die Menge der Bestimmungen denkt, die wieder eine jede durch die Örtlichkeit modifiziert werden können; diese Besorgnis aber ist sehr ungegründet, wenn wir uns an das Wesen der Sache halten und vor überflüssigen Spitzfindigkeiten in acht nehmen.

Es ist klar, daß allen jenen Forderungen zu gleicher Zeit Genüge geschieht, wenn in denjenigen Landstrichen, welche als das Kriegstheater zu betrachten sind, die größten und reichsten Städte auf den großen, beide Länder miteinander verbindenden Landstraßen, und zwar vorzugsweise die an Hafenplätzen und Meerbusen, an großen Strömen und in Gebirgen befestigt werden. Große Städte und große Straßen gehen immer Hand in Hand, und auch mit den großen Strömen und der Meeresküste haben beide eine natürliche Verwandtschaft, es werden also diese vier Bestimmungen leicht miteinander bestehen und keinen Widerspruch erzeugen; dagegen vertragen sich die Gebirge nicht damit, denn selten findet man große Städte in denselben. Es ist also, wenn die Lage und Richtung eines Gebirges dasselbe zur Verteidigungslinie eignet, nötig, seine Straßen und Pässe durch kleine Forts zu schließen, die nur diesen Zweck haben und mit so wenig Kosten als möglich erbaut werden, während die großen Festungsanlagen für die großen Städte der Ebene bestimmt bleiben müssen.

Wir haben noch keine Beziehung auf die Grenze genommen, nichts von der geometrischen Gestalt der ganzen Festungslinie, auch nichts von den übrigen geographischen Beziehungen ihrer Lage gesagt, weil wir die gegebenen Bestimmungen als die wesentlichsten angesehen wissen wollen und der Meinung sind, daß sie in vielen Fällen, namentlich bei kleinen Staaten, allein hinreichen werden. Allerdings können aber bei Ländern von einer weiteren Oberfläche, welche entweder sehr viel bedeutende Städte und Straßen haben, oder auch welche umgekehrt derselben fast ganz entbehren, die entweder sehr reich sind und bei vielen schon vorhandenen Festungen noch neue anlegen wollen, oder die umgekehrt sehr arm und genötigt sind, sich mit sehr wenigem zu behelfen, kurz, in den Fällen, wo die Zahl der Festungen nicht ziemlich zusammenfällt mit der Zahl der bedeutenden Städte und Straßen, die sich von selbst darbieten, wo sie entweder bedeutend größer oder kleiner ist, da können noch andere Bestimmungen zugelassen und auch erforderlich werden, auf die wir nur einen Blick werfen wollen.

Die Hauptfragen, welche übrigbleiben, betreffen:

1. Die Auswahl der Hauptstraße, wenn zur Verbindung der beiden Länder ihrer mehr da sind, als man befestigen will.

2. Ob die Festungen nur an der Grenze liegen oder über das ganze Land verbreitet sein sollen.

3. Ob sie gleichmäßig oder gruppenweis verteilt werden sollen.

4. Die geographischen Beziehungen der Gegend, auf welche Rücksicht zu nehmen ist.

Mehrere andere Fragen, welche sich noch aus der geometrischen Gestalt der Festungslinie ableiten ließen, ob sie in einer oder in mehreren Reihen angelegt werden sollen, d. h. ob sie mehr tun, wenn sie hintereinander, oder mehr, wenn sie nebeneinander liegen, ob sie schachbrettförmig gelegt, oder ob sie in gerader Linie oder mit vorspringenden und zurücktretenden Teilen wie die Befestigungen selbst sich hinziehen sollen, - halten wir für leere Spitzfindigkeiten, d. h. für Rücksichten von so unbedeutender Art, daß die wichtigeren sie niemals zur Sprache kommen lassen werden, und wir berühren sie hier nur deswegen, weil in manchen Büchern nicht allein die Rede davon gewesen, sondern diesen Erbärmlichkeiten auch eine viel zu große Wichtigkeit eingeräumt worden ist.

Was die erste Frage betrifft, so wollen wir, um sie klarer vor Augen zu stellen, nur an das südliche Deutschland in seiner Beziehung zu Frankreich, d. h. zum Oberrhein, erinnern. Denkt man sich diesen Länderstrich als ein Ganzes, dessen Befestigung ohne Rücksicht auf die einzelnen Staaten, die denselben bilden, strategisch bestimmt werden sollte, so müßte eine sehr große Ungewißheit entstehen, denn es führt eine Unzahl der schönsten Kunststraßen vom Rhein in das Innere von Franken, Bayern und Österreich. Zwar fehlt es nicht an Städten, die ihrer Größe wegen unter den übrigen hervorragen, wie Nürnberg, Würzburg, Ulm, Augsburg, München, aber wenn man nicht alle befestigen will, so bleibt immer die Auswahl nötig; ferner wenn man auch nach unserer Ansicht die Befestigung der größten und reichsten Städte als die Hauptsache ansieht, so ist doch nicht zu leugnen, daß bei der Entfernung Nürnbergs von München das erstere auch von dem letzteren merklich verschiedene strategische Beziehungen haben wird, und es bliebe also immer die Frage denkbar, ob nicht statt Nürnbergs ein zweiter, wenn auch weniger bedeutender Ort in der Gegend von München anzulegen wäre.

Was also die Entscheidung in solchen Fällen, d. h. die Beantwortung der ersten Frage betrifft, so müssen wir auf das verweisen, was wir in den Kapiteln von dem allgemeinen Verteidigungsplan und von der Wahl des Angriffspunktes gesagt haben. Da, wo der natürlichste Angriffspunkt ist, da werden wir auch die Verteidigungsanstalten vorzugsweise hinlegen.

Wir werden also unter einer Anzahl Hauptstraßen, die von dem feindlichen Lande in das unserige führen, vorzugsweise diejenige befestigen, die die geradeste nach dem Herzen unseres Staates ist, oder diejenige, welche dem Feinde wegen der fruchtbaren Provinzen, wegen eines schiffbaren Stromes usw. die größte Leichtigkeit der Unternehmung gibt, und dann sicher sein, daß der Feind entweder auf diese Befestigung trifft oder, wenn er ihr vorbeigehen wollte, uns die Mittel zu einer natürlichen und vorteilhaften Flankenwirkung darbietet.

Wien ist das Herz des südlichen Deutschlands, und offenbar würde schon in Beziehung auf Frankreich allein, also die Schweiz und Italien neutral gedacht, München oder Augsburg als Hauptfestung wirksamer sein als Nürnberg oder Würzburg. Betrachtet man aber zugleich die von der Schweiz durch Tirol und aus Italien kommenden Straßen, so wird es noch fühlbarer, denn für diese bliebe München oder Augsburg immer von einiger Wirksamkeit, während Würzburg und Nürnberg für sie so gut wie gar nicht vorhanden sind. -

Wir wenden uns zur zweiten Frage, ob die Festungen nur an den Grenzen liegen oder über das ganze Land verbreitet sein sollen. Zuvörderst bemerken wir, daß bei kleinen Staaten diese Frage überflüssig ist, denn was man strategisch Grenze nennen kann, fällt bei ihnen ziemlich mit dem Ganzen zusammen. Je größer der Staat ist, den man sich bei dieser Frage denkt, um so deutlicher springt ihre Notwendigkeit in die Augen.

Die natürlichste Antwort ist: daß die Festungen an die Grenzen gehören, denn sie sollen den Staat verteidigen, und der Staat ist verteidigt, solange die Grenzen es sind. Diese Bestimmung mag nun auch für die allgemeine gelten, aber wie sehr sie beschränkt werden kann, werden folgende Betrachtungen zeigen.

Jede Verteidigung, die hauptsächlich auf fremden Beistand berechnet ist, setzt einen größeren Wert im Zeitgewinn, sie ist nicht ein kräftiger Rückstoß, sondern ein langsames Vorgehen, wobei mehr die Zeit als die Schwächung des Feindes der Hauptgewinn ist. Nun ist es aber in der Natur der Sache, daß, alle übrigen Umstände gleich gedacht, Festungen, die über das ganze Land verbreitet sind und einen großen Flächenraum zwischen sich einschließen, langsamer eingenommen werden als die in einer dichten Linie an den Grenzen zusammengedrängten. Ferner wird es in allen Fällen, wo der Feind durch die Länge seiner Verbindungslinie und die Schwierigkeit seiner Existenz besiegt werden soll, also bei Ländern, welche auf diese Reaktionsart vorzüglich rechnen können, ein völliger Widerspruch sein, seine Verteidigungsanstalten nur an der Grenze zu haben. Bedenkt man endlich noch, daß die Befestigung der Hauptstadt, wenn die Umstände es irgend erlauben, eine Hauptsache ist, daß nach unseren Grundsätzen die Hauptstädte und Haupthandelsorte der Provinzen es auch erfordern, daß Ströme, welche das Land durchschneiden, Gebirge und andere Abschnitte des Bodens den Vorteil neuer Verteidigungslinien geben, daß manche Städte durch eine natürlich feste Lage zur Befestigung auffordern, endlich daß gewisse Kriegsanstalten, z. B. alle Waffenfabriken besser im Innern des Landes als an der Grenze liegen und ihrer Wichtigkeit wegen den Schutz der Festungswerke wohl verdienen, so sieht man, daß es immer bald mehr, bald weniger Veranlassungen gibt, Festungen im Innern des Landes anzulegen, und wir sind also der Meinung, daß, wenn auch bei Staaten, die sehr viel Festungen haben, mit Recht die größere Zahl an den Grenzen angelegt ist, es doch ein großer Fehler sein würde, wenn das Innere ganz davon entblößt wäre. Wir glauben z. B., daß dieser Fehler schon bei Frankreich in einem merklichen Grade stattfindet. - Ein großer Zweifel kann mit Recht entstehen, wenn die Grenzprovinzen des Landes von bedeutenden Städten ganz entblößt sind, und diese sich erst weiter rückwärts finden, wie dies namentlich der Fall mit Süddeutschland ist, weil Schwaben der großen Städte fast ganz entbehrt, während Bayern deren sehr viele hat. Diesen Zweifel ein für allemal nach allgemeinen Gründen aufzuheben, halten wir nicht für nötig, sondern glauben, daß in diesem Falle Gründe der individuellen Lage hinzutreten müssen, um die Bestimmung zu geben, doch müssen wir auf die Schlußbemerkung dieses Kapitels aufmerksam machen. -

Die dritte Frage, ob die Festungen mehr gruppenweise zusammengehalten oder mehr gleichmäßig verteilt werden sollen, wird, wenn man alles überlegt, selten vorkommen; doch möchten wir sie deswegen nicht zu den unnützen Spitzfindigkeiten zählen, weil allerdings eine Gruppe von 2, 3 oder 4 Festungen, die nur einige Tagemärsche von einem gemeinschaftlichen Zentrum entfernt sind, diesem Punkt und der Armee, welche sich auf ihm befindet, eine solche Stärke gibt, daß man, wenn die anderen Bedingungen es einigermaßen zulassen, sehr versucht sein muß, sich ein solches strategisches Bastion zu bilden. -

Der letzte Punkt betrifft die noch übrigen geographischen Beziehungen des auszuwählenden Punktes. Am Meere, an Strömen und großen Flüssen und in Gebirgen sind Festungen doppelt wirksam, das haben wir schon gesagt, weil es zu den Hauptrücksichten gehört, aber es bleiben noch manche andere Beziehungen.

Kann eine Festung nicht am Strome selbst liegen, so ist es besser, sie nicht in seine Nähe, sondern 10-12 Meilen entfernt von demselben zu bauen; der Strom durchschneidet und stört die Wirkungssphäre der Festung in allen den Beziehungen, die wir oben angegeben haben *.

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* Philippsburg war das Muster einer schlecht gelegenen Festung. Es gleicht einem blödsinnigen Menschen, der sich mit der Nase dicht an die Wand stellt.

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Dies findet nicht ebenso statt bei einem Gebirge, weil ein solches die Bewegung großer und kleiner Massen nicht in dem Maße auf einzelnen Punkten beschränkt wie ein Strom. Aber auf der feindlichen Seite der Gebirge sind Festungen in ihrer Nähe darum nicht gut gelegen, weil sie schwer zu entsetzen sind. Auch wird, wenn sie diesseits liegen, dem Feinde die Belagerung außerordentlich erschwert, weil das Gebirge seine Verbindungslinien durchschneidet. Wir erinnern an Olmütz 1758.

Daß große unzugängliche Wälder und Moräste ähnliche Beziehungen geben wie die Ströme, ist leicht einzusehen.

Ob Städte von einer sehr unzugänglichen Örtlichkeit bessere oder schlechtere Festungen geben, ist auch häufig gefragt worden. Da sie mit weniger Kosten befestigt und verteidigt werden können oder bei gleichem Aufwande von Kräften viel stärker, oder unüberwindlich werden, und die Dienste einer Festung immer mehr passiv als aktiv sind, so scheint es, darf man auf die Einwendung, daß sie leicht gesperrt werden können, kein allzugroßes Gewicht legen.

Werfen wir zuletzt noch einen Rückblick auf unser so einfaches System der Länderbefestigung, so dürfen wir behaupten, daß es sich auf große, dauernde, mit der Grundlage des Staates unmittelbar verbundene Dinge und Verhältnisse gründet, daß folglich darin nichts von den vergänglichen Modeansichten des Krieges, von eingebildeten strategischen Feinheiten, von ganz individuellen Bedürfnissen des Augenblicks vorkommen kann, welches für Festungen, die für ein halbes, vielleicht für ein ganzes Jahrtausend gebaut werden, ein Fehler von trostlosen Folgen sein würde. Silberberg in Schlesien, welches Friedrich II. auf einem der Kämme der Sudeten erbaute, hat unter ganz veränderten Umständen fast seine ganze Bedeutung und Bestimmung verloren, während Breslau, wäre es eine tüchtige Festung gewesen und geblieben, sie unter allen Umständen behalten haben würde, gegen Franzosen wie gegen Russen, Polen und Österreicher.

Unser Leser wird nicht vergessen, daß diese Betrachtungen nicht sowohl für den Fall aufgestellt worden, daß ein Staat sich ganz neu mit Festungen waffnete, dann wären sie ebenfalls unnütz, weil das selten oder nie vorkommt, sondern daß sie alle bei der Anlage jeder einzelnen Festung vorkommen können.

Zwölftes Kapitel: Defensivstellung

Jede Stellung, in welcher wir eine Schlacht annehmen, indem wir uns dabei der Gegend als eines Schutzmittels bedienen, ist eine Defensivstellung, und wir machen keinen Unterschied, ob wir uns dabei mehr leidend oder mehr angriffsweise verhalten. Es folgt dies schon aus unserer allgemeinen Ansicht von der Verteidigung.

Nun könnte man ferner eine jede Stellung so benennen, in welcher ein Heer, indem es seinem Gegner entgegenzieht, allenfalls eine Schlacht annehmen würde, wenn dieser es darin aufsuchte. So tragen sich im Grunde die meisten Schlachten zu, und im ganzen Mittelalter war von etwas anderem nicht die Rede. Dies ist aber nicht der Gegenstand, von welchem wir hier sprechen; von der Art ist die große Mehrzahl aller Stellungen, und der Begriff der Stellung im Gegensatz eines Marschlagers würde hier schon genügen. Eine Stellung, die als eine Verteidigungsstellung ganz eigens bezeichnet wird, muß also noch etwas anderes sein. Offenbar herrscht bei den Entscheidungen, welche in einer gewöhnlichen Stellung gegeben werden, der Begriff der Zeit vor; die Heere gehen einander entgegen, um sich zu treffen; der Ort ist eine untergeordnete Sache, von der man nur verlangt, daß sie nicht unangemessen sei. Bei der eigentlichen Verteidigungsstellung aber herrscht der Begriff des Ortes vor; die Entscheidung soll an diesem Ort oder vielmehr hauptsächlich durch diesen Ort gegeben werden. Nur von dieser Stellung ist hier die Rede.

Die Beziehung des Ortes wird nun eine doppelte sein, nämlich einmal, indem eine auf diesen Punkt gestellte Streitkraft eine gewisse Wirksamkeit auf das Ganze übt, und dann, indem die Örtlichkeit dieser Streitkraft zum Schutz und Verstärkungsmittel dient; mit einem Wort: die strategische und die taktische Beziehung.

Nur aus dieser taktischen Beziehung entspringt, wenn wir genau sein wollen, der Ausdruck Verteidigungsstellung, denn die strategische Beziehung, daß nämlich die an diesem Ort aufgestellte Streitkraft durch ihr Dasein die Verteidigung des Landes bewirkt, wird auch auf eine angriffsweis verfahrende passen.

Die erste jener Beziehungen, die strategische Wirksamkeit einer Stellung, wird sich erst später bei der Verteidigung eines Kriegstheaters in ihrem vollkommenen Lichte zeigen lassen; wir wollen ihrer hier nur soweit gedenken, als es jetzt schon geschehen kann, und dazu müssen wir zwei Vorstellungen genauer kennen, die Ähnlichkeit miteinander haben und oft verwechselt werden, nämlich das Umgehen einer Stellung und das Vorbeigehen derselben. Das Umgehen einer Stellung bezieht sich auf die Fronte derselben und geschieht entweder, um sie von der Seite oder gar von hinten anzugreifen, oder um ihre Rückzugs- und Verbindungslinie zu unterbrechen.

Das erstere, nämlich der Seiten- und Rückenangriff, ist taktischer Natur. In unseren Tagen, wo die Beweglichkeit der Truppen so groß ist, und alle Gefechtspläne mehr oder weniger auf das Umgehen und umfassende Schlagen gerichtet sind, muß jede Stellung darauf gefaßt sein, und eine, die den Namen einer starken verdienen soll, muß bei einer starken Fronte für Seiten und Rücken, insofern sie bedroht sind, wenigstens gute Gefechtskombinationen zulassen. Durch das Umgehen in der Absicht, sie von der Seite oder im Rücken anzufallen, wird eine Stellung also nicht unwirksam gemacht, sondern die Schlacht, welche in ihr stattfindet, liegt in ihrer Bedeutung und muß dem Verteidiger die Vorteile gewähren, die er sich überhaupt von dieser Stellung versprechen konnte.

Wird die Stellung vom Angreifenden umgangen in der Absicht, auf ihre Rückzugs- und Verbindungslinie zu wirken, so ist dies eine strategische Beziehung, und es kommt darauf an, wie lange die Stellung dies aushalten und ob sie den Gegner nicht darin überbieten kann, welches beides von der Lage des Punktes, d. h. hauptsächlich von dem Verhältnis der gegenseitigen Verbindungslinien abhängt. Jede gute Stellung sollte darin der verteidigenden Armee die Überlegenheit sichern. In jedem Fall wird auch hierdurch die Stellung nicht unwirksam gemacht, sondern der Gegner, der sich auf diese Weise mit ihr beschäftigt, dadurch wenigstens neutralisiert.

Wenn aber der Angreifende, ohne sich um das Dasein der in einer Verteidigungsstellung ihn erwartenden Streitkraft zu bekümmern, mit seiner Hauptmacht auf einem anderen Wege vordringt und seinen Zweck verfolgt, so geht er der Stellung vorbei; und wenn er imstande ist, dies ungestraft zu tun, so wird er, indem er es wirklich tut, uns augenblicklich zwingen, die Stellung zu verlassen, diese also unwirksam werden. Es gibt fast keine Stellung in der Welt, der man nicht im bloßen Wortsinn vorbeigehen könnte; denn Fälle wie die Landenge von Perekop verdienen ihrer Seltenheit wegen kaum eine Rücksicht. Die Unmöglichkeit des Vorbeigehens muß sich also auf die Nachteile beziehen, in welche der Angreifende durch das Vorbeigehen gerät. Worin diese Nachteile bestehen, werden wir im siebenundzwanzigsten Kapitel zu sagen bessere Gelegenheit haben; sie mögen groß oder klein sein, in jedem Fall sind sie das Äquivalent für die nicht erfolgte taktische Wirksamkeit der Stellung und machen mit dieser gemeinschaftlich den Zweck der Stellung aus.

Aus dem bisher Gesagten haben sich also zwei strategische Eigenschaften der Verteidigungsstellung ergeben:

1. daß ihr nicht vorbeigegangen werden könne;

2. daß sie in dem Kampf um die Verbindungslinien dem Verteidiger Vorteile gewähre.

Jetzt haben wir noch zwei andere strategische Eigenschaften hinzuzufügen:

3. daß das Verhältnis der Verbindungslinien auch auf die Gestalt des Gefechts vorteilhaft einwirke;

4. daß der allgemeine Einfluß der Gegend vorteilhaft sei.

Es hat nämlich das Verhältnis der Verbindungslinien nicht bloß Einfluß auf die Möglichkeit einer Stellung vorbeizugehen, ihr die Lebensmittel abzuschneiden oder nicht, sondern auch auf den ganzen Gang der Schlacht. Eine schiefe Rückzugslinie erleichtert dem Angreifenden das taktische Umgehen und lähmt die eigenen taktischen Bewegungen in der Schlacht. Diese schiefe Aufstellung ist aber nicht immer Schuld der Taktik, sondern oft eine Folge des fehlerhaften strategischen Punktes; sie ist z. B. gar nicht zu vermeiden, wenn die Straße in der Gegend der Stellung eine veränderte Richtung nimmt (Borodino 1812); alsdann ist der Angreifende in der Richtung uns zu umgehen, ohne selbst von seiner senkrechten Aufstellung abzuweichen.

Ferner ist der Angreifende, wenn er viele Wege zu seinem Rückzug hat, während wir auf einen eingeschränkt sind, gleichfalls in dem Vorteil einer viel größeren taktischen Freiheit. In allen diesen Fällen kann die taktische Kunst des Verteidigers sich totquälen, es wird ihr nicht gelingen, des nachteiligen Einflusses mächtig zu werden, den der strategische Fehler ausübt.

Was endlich den vierten Punkt betrifft, so kann auch in den übrigen Beziehungen der Gegend ein so nachteiliges allgemeines Verhältnis herrschen, daß die sorgfältigste Auswahl und die höchste Industrie der Taktik nichts dagegen vermögen. Hier wird das Hauptsächlichste folgendes sein:

1. Der Verteidiger muß vorzugsweise die Vorteile suchen, seinen Gegner zu übersehen und sich innerhalb des Gebietes seiner Stellung schnell auf ihn werfen zu können. Nur da, wo sich die Zugangshindernisse des Bodens mit diesen beiden Bedingungen verbinden, ist dem Verteidiger die Gegend vorzugsweise günstig. Nachteilig sind ihm also alle Punkte, die unter dem Einfluß einer allgemein dominierenden Gegend stehen; alle oder die meisten Stellungen in Gebirgen, wovon in den Kapiteln vom Gebirgskrieg noch insbesondere die Rede sein wird; alle Stellungen, die sich an ein Gebirge seitwärts anlehnen, denn ein solches erschwert zwar dem Angreifenden das Vorbeigehen, erleichtert aber das Umgehen; ferner alle Stellungen, die ein Gebirge nahe vor sich haben, und überhaupt alle Fälle, die sich aus den oben genannten Bedürfnissen, in Beziehung gebracht mit den gewöhnlichen Gegenständen des Bodens, herleiten lassen.

Von den Kehrseiten jener nachteiligen Verhältnisse wollen wir nun den Fall herausheben, wo die Stellung ein Gebirge im Rücken hat, woraus sich soviel Vorteile ergeben, daß sie für eine der besten allgemeinen Lagen für Verteidigungsstellungen angenommen werden kann.

2. Die Gegend kann dem Charakter des Heeres und seiner Zusammensetzung mehr oder weniger entsprechen. Eine sehr überlegene Reiterei läßt uns mit Recht offene Gegenden suchen. Mangel an dieser Waffe, vielleicht auch an Geschütz, ein krieggeübtes, landeskundiges, beherztes Fußvolk rät die Benutzung sehr schwieriger verwickelter Gegenden.

Von der taktischen Beziehung, welche die Örtlichkeit einer Verteidigungsstellung zur Streitkraft hat, haben wir hier im einzelnen nicht zu sprechen, sondern nur vom ganzen Resultat, weil dies allein eine strategische Größe ist.

Unstreitig soll eine Stellung, in der ein Heer den feindlichen Angriff vollkommen abwarten will, demselben bedeutende Vorteile des Bodens gewähren, so daß diese als ein Multiplikator seiner Kräfte anzusehen sind. Wo die Natur vieles tut, aber nicht so viel, als wir wünschen, kommt die Verschanzungskunst zu Hilfe. Auf diese Weise ist es nicht selten, daß einzelne Teile unangreifbar werden, und nicht ganz ungewöhnlich, daß das Ganze unangreifbar werde. Offenbar wird in diesem letzteren Fall die ganze Natur der Maßregel verändert. Nun ist es nicht mehr eine Schlacht unter vorteilhaften Bedingungen, welche wir suchen, und in dieser Schlacht den Erfolg des Feldzuges, sondern ein Erfolg ohne Schlacht. Indem wir unsere Streitkraft in einer unangreifbaren Stellung halten, versagen wir geradezu die Schlacht und drängen den Gegner in andere Wege der Entscheidung hinein.

Wir müssen also beide Fälle ganz voneinander trennen und werden von dem letzteren im folgenden Kapitel unter dem Titel einer festen Stellung handeln.

Die Verteidigungsstellung aber, mit der wir es hier zu tun haben, soll nichts sein als ein Schlachtfeld mit gesteigerten Vorteilen; damit sie aber ein Schlachtfeld werde, dürfen die Vorteile nicht überspannt werden. Welchen Grad der Stärke darf nun eine solche Stellung haben? Offenbar um so mehr, je entschlossener unser Gegner zum Angriff ist, und das hängt von der Beurteilung des individuellen Falles ab. Gegen einen Bonaparte darf und muß man sich hinter stärkere Schutzwehren zurückziehen als gegen einen Daun oder Schwarzenberg.

Sind einzelne Teile einer Stellung unangreifbar, z. B. die Fronte, so ist das als ein einzelner Faktor ihrer Gesamtstärke zu betrachten, denn die Kräfte, welche man auf diesen Punkten nicht braucht, kann man auf andere verwenden; allein es ist nicht unbemerkt zu lassen, daß, indem der Feind von solchen unangreifbaren Teilen ganz abgedrängt wird, die Form seines Angriffs einen ganz anderen Charakter bekommt, wovon erst auszumachen ist, ob er unseren Verhältnissen zusagt.

Sich z. B. so nahe hinter einem bedeutenden Fluß aufzustellen, daß dieser als Fronteverstärkung betrachtet wird, welches wohl vorgekommen ist, heißt nichts anderes, als den Fluß zum Stützpunkt seiner rechten oder linken Flanke zu machen, denn der Feind ist natürlich gezwungen, weiter rechts oder links überzugehen und uns mit verwandter Fronte anzugreifen; es muß also die Hauptfrage sein, welche Vorteile oder Nachteile uns das bringt.

Nach unserer Meinung wird die Verteidigungsstellung sich ihrem Ideal um so mehr nähern, je versteckter ihre Stärke ist, und je mehr wir Gelegenheit haben, durch unsere Gefechtskombinationen zu überraschen. Wie man in Rücksicht der Streitkräfte veranlaßt ist, dem Gegner seine wahre Stärke und die wahre Richtung seiner Stärke zu verbergen, in eben dem Sinne sollte man ihm die Vorteile zu verbergen suchen, die man von der Gestalt des Bodens zu ziehen gedenkt. Dies läßt sich freilich nur bis auf einen gewissen Punkt tun und erfordert vielleicht eine eigene, noch wenig versuchte Industrie.

Durch die Nähe einer bedeutenden Festung, in welcher Richtung es auch sei, gewinnt jede Stellung in der Bewegung und dem Gebrauch ihrer Kräfte ein großes Übergewicht über den Feind; durch einen passenden Gebrauch einzelner Feldschanzen kann der Mangel an natürlicher Festigkeit einzelner Punkte ersetzt, und es können dadurch die großen Lineamente des Gefechts im voraus willkürlich bestimmt werden: dies sind die Verstärkungen der Kunst; verbindet man damit eine gute Wahl derjenigen Hindernisse des Bodens, die die Wirksamkeit der feindlichen Streitkräfte erschweren, ohne sie unmöglich zu machen, sucht man allen Vorteil aus dem Umstande zu ziehen, daß wir das Schlachtfeld genau kennen und der Feind nicht, daß wir unsere Maßregeln besser verbergen können als er die seinigen und überhaupt in den Mitteln der Überraschung im Lauf des Gefechts ihm überlegen sind, so kann aus diesen vereinigten Beziehungen ein überwiegender und entscheidender Einfluß der Örtlichkeit entspringen, dessen Macht der Feind erliegt, ohne die wahre Quelle seiner Niederlage kennenzulernen. Das ist, was wir unter einer Verteidigungsstellung verstehen und für einen der größten Vorzüge des Verteidigungskrieges halten.

Ohne Rücksicht auf besondere Umstände kann man annehmen, daß ein wellenförmiges, nicht zu stark aber auch nicht zu wenig bebautes Land die meisten Stellungen solcher Art darbieten wird.

Dreizehntes Kapitel: Feste Stellungen und verschanzte Lager

Wir haben im vorigen Kapitel gesagt, daß eine Stellung, welche durch Natur und Kunst so stark ist, daß sie für unangreifbar gelten muß, ganz aus der Bedeutung eines vorteilhaften Schlachtfeldes heraustritt und darum eine eigene ausmacht. Wir wollen in diesem Kapitel ihre Eigentümlichkeit betrachten und sie wegen ihrer festungsähnlichen Natur feste Stellungen nennen.

Durch bloße Verschanzungen werden sie nicht leicht hervorgebracht, es sei denn als verschanzte Lager bei Festungen, aber noch weniger bloß durch natürliche Hindernisse. Natur und Kunst pflegen sich die Hand zu geben, und daher werden sie häufig mit dem Namen verschanzter Lager oder Stellungen bezeichnet; indessen kann dieser Name eigentlich für jede mit mehr oder weniger Schanzen versehene Stellung gelten, die nichts mit der Natur der hier in Rede stehenden gemein hat.

Die Absicht einer festen Stellung ist also, die in ihr aufgestellte Streitkraft so gut wie unangreifbar zu machen und dadurch entweder wirklich einen Raum unmittelbar zu schützen oder nur die Streitkraft, welche in diesem Raum aufgestellt ist, um mit dieser Streitkraft dann auf eine andere Art zur Deckung des Landes mittelbar zu wirken. Das erstere war die Bedeutung der Linien der früheren Kriege, namentlich an der französischen Grenze, das letztere der nach allen Seiten hin Fronte machenden sowie der bei den Festungen angelegten verschanzten Lager.

Wenn nämlich die Fronte einer Stellung durch Schanzen und Zugangshindernisse so stark ist, daß ein Angriff unmöglich wird, so wird der Feind zur Umgehung gezwungen, um den Angriff von der Seite oder von hinten zu unternehmen. Damit dies nun nicht leicht geschehen könne, wurden für diese Linien Anlehnungspunkte gesucht, die sie von der Seite ziemlich stützten, wie der Rhein und die Vogesen bei den Linien im Elsaß. Je länger die Fronte einer solchen Linie war, um so eher war sie gegen Umgehungen zu schützen, weil jede Umgehung für den Umgehenden immer mit einiger Gefahr verbunden ist, und diese zunimmt in dem Grade wie die erforderliche Abweichung von der ursprünglichen Richtung der Kräfte. Also eine bedeutende Länge der Fronte, welche unangreiflich gemacht werden konnte, und gute Anlehnungspunkte bildeten die Möglichkeit, einen bedeutenden Raum unmittelbar vor dem feindlichen Eindringen zu schützen; so war wenigstens die Vorstellungsart, von der diese Einrichtungen ausgegangen sind, so die Bedeutung der Linien des Elsaß, die sich mit dem rechten Flügel an den Rhein, mit dem linken an die Vogesen, und der flandrischen, 15 Meilen langen, die sich mit dem rechten Flügel an die Schelde und die Festung Tournai, mit dem linken an das Meer stützten.

Wo man aber die Mittel einer so langen starken Fronte und guter Anstützungspunkte nicht hat, da muß, wenn die Gegend überhaupt durch eine wohlverschanzte Streitkraft behauptet werden soll, diese sich gegen das Umgehen dadurch schützen, daß sie und ihre Stellung Fronte nach allen Seiten machen. Nun verschwindet der Begriff eines wirklich gedeckten Raumes, denn eine solche Stellung ist strategisch wie ein Punkt anzusehen, und es ist nur die Streitkraft, welche gedeckt ist und welcher dadurch die Möglichkeit werden soll, das Land zu behaupten, d. h. sich in dem Lande zu behaupten. Ein solches Lager kann nicht mehr umgangen, d. h. nicht mehr in Seiten und Rücken als schwächeren Teilen angegriffen werden, weil es überall Fronte hat, überall gleich stark ist; aber einem solchen Lager kann vorbeigegangen werden, und zwar viel eher als einer verschanzten Linie, weil es so gut wie keine Ausdehnung hat.

Verschanzte Lager bei Festungen sind im Grunde von dieser zweiten Art, denn sie haben die Bestimmung, die darin versammelte Streitkraft zu schützen; ihre weitere strategische Bedeutung, nämlich die Anwendung dieser geschützten Streitkraft, ist aber von den anderen verschanzten Lagern etwas verschieden.

Nach dieser Entwicklung der Entstehungsart wollen wir den Wert dieser drei verschiedenen Verteidigungsmittel betrachten und sie durch die Namen fester Linien, fester Stellungen und verschanzter Lager bei Festungen unterscheiden.

1. Die Linien.Sie sind die verderblichste Art des Kordonkrieges; das Hindernis, welches sie dem Angreifenden darbieten, ist durchaus nur von Wert, wenn es durch ein starkes Feuer verteidigt wird, an sich ist es so gut wie gar keines. Nun ist aber diejenige Ausdehnung, welche einem Heer noch eine solche Wirksamkeit des Feuers läßt, zum Verhältnis einer Landesausdehnung immer sehr gering, und die Linien werden also sehr kurz sein müssen und folglich sehr wenig Land decken, oder das Heer wird nicht imstande sein, alle Punkte wirklich zu verteidigen. Nun ist man wohl auf den Gedanken gekommen, nicht alle Punkte dieser Linien zu besetzen, sondern sie nur zu beobachten und vermittelst aufgestellter Reserven zu verteidigen, wie man einen mittleren Fluß verteidigen kann. Allein dies Verfahren ist gegen die Natur des Mittels. Sind die natürlichen Hindernisse des Bodens so groß, daß man eine solche Verteidigungsart anwenden könnte, so wären die Schanzen unnütz und gefährlich, denn jene Verteidigungsart ist keine örtliche, und Schanzen sind nur für die örtliche gemacht; sind aber die Schanzen selbst als das Haupthindernis des Zuganges anzusehen, so ist begreiflich, wie wenig eine unverteidigte Verschanzung als Hindernis des Zuganges sagen will. Was ist ein 12 oder 15 Fuß tiefer Graben und ein 10-12 Fuß hoher Wall gegen die vereinigte Anstrengung vieler Tausende, wenn diese nicht durch feindliches Feuer gestört werden? Die Folge also ist, daß solche Linien, wenn sie kurz und mithin verhältnismäßig stark besetzt waren, umgangen, oder wenn sie ausgedehnt und nicht gehörig besetzt waren, ohne Schwierigkeit in der Fronte genommen worden sind.

Da nun dergleichen Linien die Streitkraft durch die örtliche Verteidigung fesseln und ihr alle Beweglichkeit nehmen, so sind sie gegen einen unternehmenden Feind ein sehr übel ausgesonnenes Mittel. Wenn sie sich nichtsdestoweniger in den neueren Kriegen lange genug erhalten haben, so liegt der Grund davon allein in dem geschwächten kriegerischen Element, wo die scheinbare Schwierigkeit oft so viel tat als eine wirkliche. Übrigens wurden diese Linien in den meisten Feldzügen bloß für eine untergeordnete Verteidigung gegen Streifereien benutzt; wenn sie sich dabei nicht ganz unwirksam gezeigt haben, so muß man nur zugleich im Auge haben, wieviel mit den Truppen, die zu ihrer Verteidigung erforderlich waren, auf anderen Punkten Nützlicheres hätte geschehen können. In den neuesten Kriegen konnte von ihnen gar nicht die Rede sein, auch findet sich keine Spur davon. Es ist zu bezweifeln, daß sie je wiederkehren werden.

2. Die Stellungen.Die Verteidigung eines Landstriches besteht, wie wir das im siebenundzwanzigsten Kapitel näher zeigen werden, solange, als die dazu bestimmte Streitkraft sich in demselben behauptet, und hört erst auf, wenn diese denselben verläßt und aufgibt.

Soll nun eine Streitkraft sich in einem Lande behaupten, das von einem sehr überlegenen Gegner angegriffen wird, so stellt sich das Mittel dar, diese Streitkraft in einer unangreiflichen Stellung gegen die Gewalt des Schwertes zu schützen.

Da solche Stellungen, wie wir schon gesagt haben, nach allen Seiten Fronte machen müssen, so würden sie bei der gewöhnlichen Ausdehnung einer taktischen Aufstellung, wenn die Streitkraft nicht sehr groß wäre, was gegen die Natur des ganzen Falles ist, einen sehr kleinen Raum einnehmen, der in dem ganzen Verlauf des Gefechts so vielen Nachteilen unterworfen wäre, daß bei allen möglichen Verstärkungen durch Schanzen kaum an einen glücklichen Widerstand zu denken sein würde. Ein so nach allen Seiten Fronte machendes Lager muß also notwendig verhältnismäßig eine bedeutende Ausdehnung seiner Seiten haben; diese Seiten sollen aber gleichwohl so gut wie unangreifbar sein; ihnen diese Stärke zu geben trotz der großen Ausdehnung, dazu reicht die Verschanzungskunst nicht hin, es ist also eine Grundbedingung, daß ein solches Lager durch Hindernisse des Bodens, die manche Teile ganz unzugänglich, andere schwer zugänglich machen, verstärkt werde. Um also dieses Verteidigungsmittel anwenden zu können, ist es nötig, daß eine solche Stellung sich finde, und man kann nicht, wo sie fehlt, durch bloßes Schanzen den Zweck erreichen. Diese Betrachtungen beziehen sich auf die taktischen Resultate, um nur erst das Dasein dieses strategischen Mittels gehörig festzustellen; wir nennen dabei zur Deutlichkeit die Beispiele von Pirna, Bunzelwitz, Kolberg, Torres Vedras und Drissa. Nun von seinen strategischen Eigenschaften und Wirkungen.

Die erste Bedingung ist natürlich, daß die in diesem Lager aufgestellte Streitkraft ihren Unterhalt für einige Zeit, d. h. für so lange, als man die Wirksamkeit des Lagers nötig zu haben glaubt, gesichert hat, welches nur geschehen kann, wenn die Stellung den Rücken gegen einen Hafen hat, wie Kolberg und Torres Vedras, oder in naher Verbindung mit einer Festung ist, wie Bunzelwitz und Pirna, oder Vorräte in seinem Innern oder ganz in seiner Nähe angehäuft hat, wie Drissa.

Nur im ersten Fall wird diesem Punkte ziemlich genügt werden können, im zweiten und dritten Fall aber nur halb und halb, so daß schon von dieser Seite immer Gefahr droht; zugleich geht hieraus hervor, wie diese Bedingung eine Menge von starken Punkten, die sich sonst zu einer verschanzten Stellung eignen würden, davon ausschließt und also die geeigneten selten macht.

Um die Wirksamkeit einer solchen Stellung, ihre Vorteile und Gefahren kennenzulernen, müssen wir uns fragen, was der Angreifende dagegen tun kann.

a) Der Angreifende kann der festen Stellung vorbeigehen, seine Unternehmungen fortsetzen und jene mit mehr oder weniger Truppen beobachten.

Wir müssen hier die beiden Fälle unterscheiden, wenn die verschanzte Stellung von der Hauptmacht oder nur von einer untergeordneten Streitkraft besetzt ist.

Im ersten Fall kann das Vorbeigehen dem Angreifenden nur etwas helfen, wenn es außer der Hauptmacht des Verteidigers noch einen anderen für ihn erreichbaren entscheidenden Gegenstand des Angriffs gibt, z. B. die Eroberung einer Festung, der Hauptstadt usw. Aber auch wenn es diesen gibt, kann er ihn nur verfolgen, wenn die Stärke seiner Basis und die Lage seiner Verbindungslinie ihn nicht die Einwirkung auf seine strategische Flanke fürchten läßt.

Schließen wir daraus auf die Zulässigkeit und Wirksamkeit einer festen Stellung für die Hauptmacht des Verteidigers zurück, so wird sie nur stattfinden, wenn entweder die Wirksamkeit auf die strategische Flanke des Angreifenden so entschieden ist, daß man im voraus sicher sein kann, ihn dadurch auf einem unschädlichen Punkt festzuhalten, oder wenn es gar keinen dem Angreifenden erreichbaren Gegenstand gibt, für den der Verteidiger besorgt sein dürfte. Ist ein solcher Gegenstand vorhanden und die strategische Flanke des Feindes dabei nicht hinreichend bedroht, so kann die Stellung entweder gar nicht genommen werden oder nur zum Schein und Versuch, ob der Angreifende ihre Bedeutung gelten lassen will, wobei denn aber immer die Gefahr entsteht, daß, wenn dies nicht ist, der bedrohte Punkt nicht mehr werde zu erreichen sein.

Ist die starke Stellung bloß von einer untergeordneten Streitkraft besetzt, so kann es dem Angreifenden niemals an einem anderweitigen Gegenstande seines Angriffs fehlen, weil dieser die feindliche Hauptmacht sein kann; in diesem Fall ist also die Bedeutung der Stellung durchaus auf die Wirksamkeit eingeschränkt, welche sie gegen die feindliche strategische Flanke haben kann und an diese Bedingung gebunden.

b) Der Angreifende kann, wenn er es nicht wagt, der Stellung vorbeizugehen, diese förmlich einschließen und durch Hunger zur Übergabe bringen. Dies setzt aber zwei Bedingungen voraus: die erste, daß die Stellung nicht einen freien Rücken habe, die zweite, daß der Angreifende stark genug zu einer solchen Einschließung sei. Treffen diese beiden Bedingungen zu, so würde das angreifende Heer zwar eine Zeitlang durch das feste Lager neutralisiert werden, aber es würde auch der Verlust der Verteidigungskräfte der Preis sein, den der Verteidiger für diesen Vorteil zu tragen hätte.

Hieraus geht also hervor, daß man mit der Hauptmacht die Maßregel einer solchen festen Stellung nur nehmen wird:

aa) Wenn man einen ganz sicheren Rücken hat, Torres Vedras.

bb) Wenn man voraussieht, daß die feindliche Überlegenheit nicht groß genug sein wird, uns in unserem Lager förmlich einzuschließen. Wollte der Feind bei nicht hinreichender Überlegenheit dies dennoch tun, so würden wir imstande sein, aus dem Lager mit Erfolg hervorzubrechen und ihn einzeln zu schlagen.

cc) Wenn man auf einen Entsatz rechnen kann, wie die Sachsen 1756 bei Pirna es taten, und wie es sich im Grunde 1757 nach der Schlacht von Prag zutrug, weil Prag selbst nur wie ein verschanztes Lager zu betrachten war, in welches Prinz Karl sich nicht würde haben einschließen lassen, wenn er nicht gewußt hätte, daß die mährische Armee ihn befreien könnte.

Eine jener drei Bedingungen ist also durchaus erforderlich, wenn die Wahl einer festen Stellung mit der Hauptmacht gerechtfertigt sein soll, und doch muß man gestehen, daß die beiden letzten Bedingungen für den Verteidiger schon nahe an einer großen Gefahr hinstreifen.

Ist aber von einem untergeordneten Korps die Rede, welches zum Besten des Ganzen allenfalls aufgeopfert werden kann, so fallen jene Bedingungen fort, und es fragt sich dann nur, ob durch eine solche Aufopferung ein wirklich größeres Übel abgewendet wird. Dies wird wohl nur selten der Fall sein, indessen ist es freilich nicht undenkbar. Das verschanzte Lager von Pirna hat verhindert, daß Friedrich der Große Böhmen schon im Jahre 1756 angriff. Die Österreicher waren damals so wenig in Bereitschaft, daß der Verlust dieses Königreiches unzweifelhaft scheint, und vielleicht wäre damit auch ein größerer Verlust an Menschen verknüpft gewesen als die 17000 Verbündeten, welche im Lager von Pirna kapitulierten.

c) Findet für den Angreifenden keine jener unter a und b angegebenen Möglichkeiten statt, sind also die Bedingungen erfüllt, welche wir für den Verteidiger dabei aufgestellt haben, so bleibt dem Angreifenden freilich nichts übrig, als vor der Stellung stehen zu bleiben wie der Hund vor einem Volk Hühner, sich allenfalls durch Entsendungen im Lande so viel als möglich auszubreiten und, mit diesem kleinen und unentscheidenden Vorteil sich begnügend, die wahre Entscheidung über den Besitz des Landstriches der Zukunft zu überlassen. In diesem Fall hat die Stellung ihre volle Bedeutung erfüllt.

3. Die verschanzten Lager bei Festungen.Sie gehören, wie schon gesagt, insofern zur Klasse der verschanzten Stellungen überhaupt, als sie die Absicht haben, nicht einen Raum, sondern eine Streitkraft gegen den feindlichen Angriff zu schützen, und sind eigentlich von den anderen nur darin verschieden, daß sie mit der Festung ein unzertrennliches Ganze machen, wodurch sie denn natürlich eine viel größere Stärke bekommen.

Es folgen aber daraus noch folgende Eigentümlichkeiten:

a) Daß sie noch den besonderen Zweck haben können, die Belagerung der Festung entweder ganz unmöglich oder sehr schwierig zu machen. Dieser Zweck kann ein großes Opfer an Truppen wert sein, wenn der Platz ein Hafen ist, der nicht gesperrt werden kann; in jedem anderen Fall aber ist zu befürchten, daß derselbe durch Hunger doch zu früh fallen würde, um das Opfer einer bedeutenden Truppenmasse ganz zu verdienen.

b) Diese verschanzten Lager bei Festungen können für kleinere Korps eingerichtet werden als die im freien Felde. Vier- bis fünftausend Mann können unter den Mauern einer Festung unüberwindlich sein, die im freien Felde im stärksten Lager von der Welt verloren sein würden.

c) Sie können zur Versammlung und Zurichtung solcher Streitkräfte gebraucht werden, die noch zu wenig inneren Halt haben, um sie ohne den Schutz der Festungswälle mit dem Feinde in Berührung zu bringen. Rekruten, Landwehren, Landsturm usw.

Sie würden also als eine vielseitig nützliche Maßregel sehr empfehlenswert sein, wenn sie nicht den außerordentlichen Nachteil hätten, der Festung, wenn sie nicht besetzt werden können, mehr oder weniger zu schaden; die Festung aber immer mit einer Besatzung zu versehen, die auch einigermaßen für dies verschanzte Lager zureicht, würde eine viel zu drückende Bedingung sein.

Wir sind daher sehr geneigt, sie nur bei Küstenplätzen für empfehlenswert und in allen anderen Fällen mehr für schädlich als nützlich zu halten.

Sollen wir am Schluß unsere Meinung noch mit einem Gesamtblick zusammenfassen, so sind feste und verschanzte Stellungen:

1. Um so weniger zu entbehren, je kleiner das Land, je weniger Raum zum Ausweichen ist.

2. Um so weniger gefährlich, je sicherer auf Hilfe und Entsatz zu rechnen ist, entweder durch andere Streitkräfte oder durch schlechte Jahreszeit oder durch Volksaufstand oder durch Mangel usw.

3. Um so wirksamer, je schwächer die Elementarkraft des feindlichen Stoßes ist.

Vierzehntes Kapitel: Flankenstellungen

Nur damit man diesen in der gewöhnlichen militärischen Ideenwelt so sehr hervorragenden Begriff hier leichter wiederfinde, haben wir ihm nach Wörterbücherart ein eigenes Kapitel gewidmet, denn wir glauben nicht, daß damit ein selbständiges Ding bezeichnet werde.

Jede Stellung, welche auch dann behauptet werden soll, wenn der Feind an ihr vorbeigeht, ist eine Flankenstellung, denn von dem Augenblick an, wo er dies tut, kann sie keine andere Wirksamkeit haben als die auf die feindliche strategische Flanke. Es sind also notwendig alle festen Stellungen zugleich Flankenstellungen, denn da sie nicht angegriffen werden können, der Gegner also auf das Vorbeigehen angewiesen ist, so können sie nur durch die Wirksamkeit auf seine strategische Flanke ihren Wert bekommen. Wie die eigentliche Fronte der festen Stellung sei, ob sie parallel mit der feindlichen strategischen Flanke laufe wie Kolberg, oder senkrecht wie Bunzelwitz und Drissa, ist eine vollkommen gleichgültige Sache, denn eine feste Stellung muß nach allen Seiten Fronte machen.

Aber man kann auch in einer Stellung, die nicht unangreifbar ist, die Absicht haben, sie dann noch zu behaupten, wenn der Feind an ihr vorbeigeht, sobald nämlich der Punkt ihrer Lage ein so überwiegendes Verhältnis der Rückzugs- und Verbindungslinie darbietet, daß nicht nur ein wirksamer Angriff auf die strategische Flanke des Vorrückenden stattfinden kann, sondern daß er, für seinen eigenen Rückzug besorgt, nicht imstande ist, uns den unserigen ganz zu nehmen; denn wäre dies letztere nicht der Fall, so würden wir, weil die Stellung keine feste, d. h. unangreifbare ist, in Gefahr sein, uns ohne Rückzug zu schlagen.

Das Jahr 1806 erläutert uns dies durch ein Beispiel. Die Aufstellung des preußischen Heeres auf dem rechten Ufer der Saale konnte in Beziehung auf Bonapartes Vorrücken über Hof vollkommen zu einer Flankenstellung werden, wenn man nämlich Fronte gegen die Saale machte und in dieser Stellung das Weitere abwartete.

Wäre hier nicht ein solches Mißverständnis der physischen und moralischen Macht gewesen, hätte sich nur ein Daun an der Spitze des französischen Heeres befunden, so würde die preußische Stellung sich in der glänzendsten Wirksamkeit gezeigt haben. Ihr vorbeizugehen war ganz unmöglich, das hat selbst Bonaparte anerkannt, indem er sich entschloß, sie anzugreifen; ihr den Rückzug abzuschneiden, ist selbst Bonaparte nicht vollkommen gelungen, und würde bei einem geringeren Mißverhältnis der physischen und moralischen Kraft ebensowenig tunlich gewesen sein als das Vorbeigehen, denn die preußische Armee war durch eine Überwältigung ihres linken Flügels viel weniger in Gefahr als die französische durch eine Überwältigung ihres linken. Selbst bei dem physischen und moralischen Mißverhältnis der Streitkräfte würde eine entschlossene und besonnene Führung noch große Hoffnungen zu einem Sieg gegeben haben. Nichts hätte den Herzog von Braunschweig verhindert, am 13. solche Einrichtungen zu treffen, daß den 14. morgens mit Tagesanbruch 80000 Mann sich den 60000 Mann gegenüber befanden, die Bonaparte bei Jena und Dornburg über die Saale führte. Wenn dies Übergewicht und das steile Tal der Saale im Rücken der Franzosen auch nicht hingereicht haben würde, einen entscheidenden Sieg zu geben, so muß man doch sagen, daß es an sich ein sehr vorteilhaftes Resultat war, und daß, wenn man mit einem solchen keine glückliche Entscheidung gewinnen konnte, man überhaupt an keine Entscheidung in dieser Gegend hätte denken, sondern weiter zurückgehen, sich dadurch verstärken und den Feind schwächen sollen.

Die preußische Stellung an der Saale also, ob sie gleich angreifbar war, konnte als Flankenstellung für die über Hof kommende Straße betrachtet werden, nur war ihr wie jeder angreifbaren Stellung diese Eigenschaft nicht absolut beizulegen, weil sie erst dann dazu wurde, wenn der Feind ihren Angriff nicht wagte.

Noch weniger würde es einer klaren Vorstellungsart entsprechen, wenn man auch denjenigen Stellungen, welche das Vorbeigehen nicht aushalten können, und von welchen aus der Verteidiger den Angreifenden deshalb von der Seite anfallen will, den Namen der Flankenstellung geben wollte, bloß deswegen, weil dieser Angriff von der Seite geschieht; denn dieser Seitenanfall hat mit der Stellung selbst kaum etwas zu tun oder geht wenigstens der Hauptsache nach nicht aus ihren Eigenschaften hervor, wie dies der Fall mit der Einwirkung auf die strategische Flanke ist.

In jedem Fall geht hieraus hervor, daß über die Eigenschaften einer Flankenstellung nichts Neues festzustellen ist. Nur ein paar Worte über den Charakter dieser Maßregel finden hier eine bequeme Stelle.

Von eigentlich festen Stellungen sehen wir ganz ab, weil wir davon hinreichend gesprochen haben.

Eine Flankenstellung, die nicht unangreifbar ist, ist ein äußerst wirksames, aber freilich auch eben darum gefährliches Instrument. Wird der Angreifende durch sie gebannt, so hat man eine große Wirkung mit einem unbedeutenden Kraftaufwand, es ist der Druck des kleinen Fingers auf den langen Hebel eines scharfen Gebisses. Ist aber die Wirkung zu schwach, wird der Angreifende nicht festgehalten, so hat der Verteidiger seinen Rückzug mehr oder weniger aufgeopfert und muß entweder in der Eile auf Umwegen, also unter sehr nachteiligen Umständen noch zu entkommen suchen, oder er ist in Gefahr, sich ohne Rückzug zu schlagen. Gegen einen dreisten, moralisch überlegenen Gegner, der eine tüchtige Entscheidung sucht, ist dieses Mittel also höchst gewagt und keineswegs an seinem Ort, wie oben das Beispiel von 1806 beweist. Dagegen kann es bei einem behutsamen Gegner und in bloßen Beobachtungskriegen für eins der besten Mittel gelten, zu welchen das Talent des Verteidigers greifen kann. Des Herzogs Ferdinand Verteidigung der Weser durch eine Stellung auf dem linken Ufer derselben und die bekannten Stellungen von Schmottseifen und Landeshut sind Beispiele davon; nur zeigt freilich die letztere zugleich in der Katastrophe des Fouquéschen Korps 1760 die Gefahr einer falschen Anwendung.

Fünfzehntes Kapitel: Gebirgsverteidigung

Der Einfluß des Gebirgsbodens auf die Kriegführung ist sehr groß, der Gegenstand also für die Theorie sehr wichtig. Da dieser Einfluß ein aufhaltendes Prinzip in die Handlung bringt, so gehört er zunächst der Verteidigung an; wir werden ihn also hier abhandeln, ohne bei dem engeren Begriff einer Gebirgsverteidigung stehen zu bleiben. Da wir bei der Betrachtung dieses Gegenstandes in manchen Punkten ein der gewöhnlichen Meinung entgegenlaufendes Resultat gefunden haben, so werden wir in manche Zergliederung eingehen müssen. Zuerst wollen wir die taktische Natur des Gegenstandes betrachten, um den strategischen Anknüpfungspunkt zu gewinnen.

Die unendliche Schwierigkeit, die ein Marsch mit großen Kolonnen auf Gebirgswegen hat, die außerordentliche Stärke, die ein kleiner Posten durch eine steile Bergfläche bekommt, die seine Fronte deckt, und durch Schluchten rechts und links, an die er sich stützen kann, sind unstreitig die beiden Hauptumstände, welche der Gebirgsverteidigung von jeher einen so allgemeinen Anspruch auf Wirksamkeit und Stärke verliehen haben, daß nur die Eigentümlichkeiten gewisser Zeiten in Bewaffnung und Taktik die großen Massen der Streitkräfte davon entfernt gehalten haben.

Wenn sich eine Kolonne in Schlangenlinien mühsam durch enge Schluchten den Berg hinaufwindet und sich schneckenartig über ihn fortschiebt, die Artilleristen und Trainknechte mit Fluchen und Schreien die abgetriebenen Gäule durch die rauhen Hohlwege peitschen, jeder zerbrochene Wagen mit unsäglicher Mühe hinausgebracht werden muß, während hinten alles stockt, schimpft und flucht, so denkt ein jeder bei sich - nun, hier dürfte der Feind nur mit ein paar hundert Mann kommen, um alles davonzujagen. Daher kommt der Ausdruck der historischen Schriftsteller, wenn sie von Straßenengen sprechen, wo eine Handvoll Menschen ganze Heere aufhalten könnten. Indes weiß jeder oder sollte jeder wissen, der den Krieg kennt, daß ein solcher Zug durchs Gebirge wenig oder gar nichts mit dem Angriff desselben gemein hat, und daß darum der Schluß von dieser Schwierigkeit auf eine noch viel größere beim Angriff falsch ist.

Natürlich ist es, daß ein Unerfahrener diesen Schluß macht, und fast ebenso natürlich, daß die Kriegskunst einer gewissen Zeit selbst in diesen Irrtum verwickelt wurde, die Erscheinung war dem Kriegserfahrenen damals fast ebenso neu als dem Fremdling. Vor dem Dreißigjährigen Kriege war bei der tiefen Schlachtordnung, der vielen Reiterei, den unausgebildeten Feuerwaffen und anderen Eigentümlichkeiten die Benutzung starker Hindernisse des Bodens sehr ungewöhnlich und eine förmliche Gebirgsverteidigung, wenigstens durch die regelmäßigen Truppen, fast unmöglich. Fast wie die Schlachtordnung gedehnter, das Fußvolk und bei diesem die Feuerwaffe die Hauptsache wurde, dachte man an Berge und Täler. Hundert Jahre gingen hin, ehe sich dies bis auf den höchsten Punkt ausbildete, nämlich bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.

Der zweite Umstand, nämlich die große Widerstandsfähigkeit, welche ein kleiner Posten, in einem schwierigen Zugang aufgestellt, durch diesen bekommt, war noch viel mehr geeignet, auf eine große Kraft der Gebirgsverteidigung schließen zu lassen. Man dürfte ja, schien es, einen solchen Posten nur mit einer gewissen Zahl multiplizieren, um aus einem Bataillon ein Heer und aus einem Berg ein Gebirge zu machen.

Es ist unverkennbar, daß ein kleiner Posten bei einer guten Auswahl seiner Aufstellung im Gebirge eine ungewöhnliche Stärke bekommt. Ein Haufe, der in der Ebene von ein paar Schwadronen verjagt würde und von Glück zu sagen hätte, wenn er durch den eiligsten Rückzug sich vor Auflösung und Gefangenschaft rettete, ist imstande, im Gebirge, man möchte sagen mit einer Art taktischer Frechheit einer ganzen Armee unter die Augen zu treten und von ihr die kriegerischen Ehren eines methodischen Angriffs, einer Umgehung usw. zu fordern. Wie er diese Widerstandsfähigkeit durch Hindernisse des Zuganges, durch Flügelstützpunkte, durch neue Stellungen, die er auf seinem Rückzug findet, gewinnt, ist von der Taktik zu entwickeln, wir nehmen es als einen Erfahrungssatz an.

Es war sehr natürlich, zu glauben, daß eine Menge solcher starker Posten, einer neben den anderen hingestellt, eine sehr starke, fast unangreifbare Fronte geben mußte, und es kam also nur darauf an, sich gegen die Umgehung zu sichern, indem man sich rechts und links so weit ausdehnte, bis man entweder Anlehnungspunkte fand, die der Wichtigkeit des Ganzen angemessen waren, oder bis man glauben konnte, durch die Ausdehnung selbst gegen eine Umgehung gesichert zu sein. Ein Gebirgsland ladet dazu besonders ein, denn es bietet sich eine solche Menge von Posten dar, deren einer immer schöner wie der andere zu sein scheint, daß man schon deshalb nicht weiß, wo man aufhören soll. Man endigte also damit, in einer gewissen Weite alle und jede Eingänge des Gebirges mit Abteilungen zu besetzen und zu verteidigen und glaubte, wenn man so mit zehn oder fünfzehn einzelnen Posten einen Raum von etwa zehn Meilen und darüber einnahm, doch endlich vor dem verhaßten Umgehen Ruhe haben zu können. Da nun diese einzelnen Posten durch einen unzugänglichen Boden (weil man mit Kolonnen nicht außer den Wegen marschieren kann) genau miteinander verbunden schienen, so glaubte man dem Feinde eine eherne Mauer entgegengestellt zu haben. Zum Überfluß behielt man noch ein paar Bataillons, einige reitende Batterien und ein Dutzend Schwadronen Reiterei in Reserve für den Fall, daß durch ein halbes Wunder irgendwo ein Durchbruch stattfinden sollte.

Daß diese Vorstellung völlig historisch ist, wird niemand leugnen, und daß wir über diese Verkehrtheit völlig hinaus wären, ist nicht zu behaupten.

Der Gang, welchen die Ausbildung der Taktik seit dem Mittelalter mit den immer zahlreicher werdenden Heeren genommen hat, hat gleichfalls beigetragen, den Gebirgsboden in diesem Sinn in die militärische Handlung zu ziehen.

Der Hauptcharakter der Gebirgsverteidigung ist die entschiedenste Passivität; es war also, ehe die Armeen ihre jetzige Beweglichkeit erhalten hatten, die Tendenz zur Gebirgsverteidigung von der Seite ziemlich natürlich. Die Heere waren immer größer geworden und fingen immer mehr an, sich des Feuers wegen in langen und dünnen Linien aufzustellen, deren Zusammenhang sehr künstlich und deren Bewegung sehr schwierig, oft unmöglich war. Die Aufstellung dieser künstlichen Maschine war oft ein halbes Tagewerk, und die halbe Schlacht und fast alles, was jetzt den Schlachtenentwurf ausmacht, ging in ihr auf. War dieses Werk einmal vollendet, so war es schwer, nach neueingetretenen Umständen eine Abänderung zu treffen; daraus folgte, daß der Angreifende, der seinen Aufmarsch später besorgte, ihn mit Beziehung auf die Stellung des Verteidigers nehmen, und daß dieser dies nicht erwidern konnte. Der Angriff gewann also ein allgemeines Übergewicht und die Verteidigung wußte dies nicht anders einzubringen, als wenn sie Schutz hinter Hindernissen des Bodens suchte, und da gab es denn kein so allgemeines und wirksames wie den Gebirgsboden. Man suchte also das Heer mit einem tüchtigen Bodenabschnitt gewissermaßen zu kopulieren. Beide machten dann gemeinschaftliche Sache. Das Bataillon verteidigte den Berg und der Berg das Bataillon. So gewann die passive Verteidigung durch eine Gebirgsgegend einen hohen Grad von Stärke, und es war in der Sache selbst noch kein Übel enthalten, als daß man die Freiheit der Bewegung noch mehr verlor, von der man aber ohnehin keinen sonderlichen Gebrauch zu machen wußte.

Wo zwei feindliche Systeme aufeinander einwirken, da zieht die preisgegebene Seite, d. i. die Schwäche des einen immer die Stöße des anderen auf sich. Steht der Verteidiger in Posten, die an sich fest und unüberwindlich sind, starr und wie angenagelt fest, so wird der Angreifende im Umgehen dadurch dreist gemacht, weil er für seine eigenen Seiten nichts mehr zu besorgen hat. Dies geschah - das sogenannte Tournieren kam bald an die Tagesordnung; ihm zu begegnen, dehnten sich die Stellungen immer mehr und mehr aus, sie wurden dafür in der Fronte gehörig geschwächt und der Angriff wandte sich plötzlich auf die entgegengesetzte Seite: statt durch Ausdehnung zu überflügeln, vereinigte er seine Massen gegen einen Punkt und zersprengte die Linie. Auf diesem Punkte ungefähr hat sich die Gebirgsverteidigung der neuesten Kriegsgeschichte befunden.

Der Angriff hatte also wieder ein vollkommenes Übergewicht errungen, und zwar durch die immer mehr ausgebildete Beweglichkeit: nur in dieser konnte die Verteidigung Hilfe suchen; der Beweglichkeit aber ist der Gebirgsboden seiner Natur nach entgegen, und es hat daher, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, die ganze Gebirgsverteidigung eine Niederlage erlitten, der ähnlich, welche die in ihr befangenen Heere im Revolutionskrieg so oft erfahren haben.

Damit wir aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und uns mit dem Strom der Gemeinsprüche zu Behauptungen fortreißen lassen, die im wirklichen Leben tausendmal durch die Gewalt der Umstände widerlegt werden, müssen wir die Wirkungen der Gebirgsverteidigung nach der Natur der Fälle unterscheiden.

Die Hauptfrage, welche hier zur Entscheidung kommt, und die über den ganzen Gegenstand das Hauptlicht verbreitet, ist, ob der Widerstand, welchen man mit der Gebirgsverteidigung beabsichtigt, ein relativer oder ein absoluter sein, ob er nur eine Zeitlang dauern oder mit einem entschiedenen Siege endigen soll. Für den Widerstand der ersteren Art ist der Gebirgsboden im höchsten Grade geeignet, er trägt ein sehr großes Prinzip der Verstärkung hinein; für den der letzteren Art ist er es dagegen im allgemeinen gar nicht und nur in einigen besonderen Fällen.

Im Gebirge ist jede Bewegung langsamer und schwieriger, sie kostet mithin mehr Zeit, und wenn sie in der Region der Gefahr gemacht wird, mehr Menschen. Aufwand von Zeit und Menschen machen aber das Maß des geleisteten Widerstandes aus. Solange also die Bewegungen allein die Sache des Angreifenden sind, solange hat der Verteidiger ein entschiedenes Übergewicht, sobald aber der Verteidiger das Prinzip der Bewegung auch anwenden soll, so hört dieser Vorteil auf. Nun liegt es in der Natur der Sache, d. h. in taktischen Gründen, daß ein relativer Widerstand eine viel größere Passivität zuläßt als einer, der zur Entscheidung führen soll, und daß er erlaubt, diese Passivität bis aufs äußerste, d. h. bis ans Ende des Gefechts auszudehnen, welches in dem anderen Falle niemals geschehen darf. Das erschwerende Element des Gebirgsbodens, welches als ein dichteres Mittel alle positiven Tätigkeiten schwächt, ist also ganz für ihn geeignet.

Daß ein kleiner Posten im Gebirge durch die Natur des Bodens eine ungewöhnliche Stärke bekommt, haben wir schon gesagt, wir müssen aber, obgleich dieses taktische Resultat sonst keines weiteren Beweises bedürfte, noch eine Erläuterung hinzufügen. Es ist nämlich hier die relative von der absoluten Kleinheit zu unterscheiden. Wenn ein Heerhaufe von irgendeiner Größe einen seiner Teile isoliert aufstellt, so ist dieser möglicherweise dem Angriff des ganzen feindlichen Heerhaufens, also einer überlegenen Macht ausgesetzt, gegen die er selbst klein ist. Da kann in der Regel kein absoluter, sondern nur ein relativer Widerstand der Zweck sein. Je kleiner der Posten im Verhältnis zu seinem eigenen und dem feindlichen Ganzen ist, um so mehr ist dies wahr.

Aber auch der absolut kleine Posten, d. h. der, welcher einen nicht stärkeren Feind gegen sich hat, also an einen absoluten Widerstand, an einen eigentlichen Sieg denken dürfte, wird sich im Gebirge unendlich viel besser befinden als ein großes Heer und von der Stärke des Bodens mehr Nutzen ziehen als dieses, wie wir das weiter unten zeigen werden.

Unser Resultat ist also, daß ein kleiner Posten im Gebirge eine große Stärke hat. Wie das in allen Fällen, wo es auf einen relativen Widerstand ankommt, von entscheidendem Nutzen sein wird, ist an sich klar; wird es aber für den absoluten Widerstand eines Heeres von ebenso entscheidendem Nutzen sein? Auf die Untersuchung dieser Frage kommt es uns jetzt an.

Zuerst fragen wir weiter: ob eine Frontelinie, von mehreren solchen Posten zusammengesetzt, eine verhältnismäßig ebenso große Stärke haben wird wie jeder einzelne, welches man bisher anzunehmen pflegte. Gewiß nicht, und zwar weil man mit diesem Schlusse von zwei Irrtümern den einen oder anderen begehen würde.

Zuerst verwechselt man oft eine unwegsame Gegend mit einer unzugänglichen. Wo man nicht mit einer Kolonne, nicht mit Artillerie und Kavallerie marschieren kann, da kann man meistens doch mit Infanterie vorgehen, da kann man auch wohl Artillerie vorschieben, denn die sehr angestrengten, aber kurzen Bewegungen im Gefecht sind nicht mit dem Maßstab des Marsches zu messen. Die sichere Verbindung der einzelnen Posten untereinander beruht also geradezu auf einer Illusion, und die Flanken derselben sind dadurch bedroht.

Oder man glaubt die Reihe der kleinen Posten, welche auf ihrer Fronte sehr stark sind, deswegen auch auf ihren Flanken von ebensolcher Stärke, weil eine Schlucht, ein Felsenriff usw. ganz gute Anlehnungspunkte für einen kleinen Posten sind. Warum aber sind sie es? - Nicht weil sie das Umgehen unmöglich machten, sondern weil sie mit demselben einen der Wirkung des Postens angemessenen Zeit- und Kraftaufwand verbinden. Der Feind, welcher einen solchen Posten trotz der Schwierigkeit des Bodens umgehen will und muß, weil die Fronte unangreifbar ist, braucht vielleicht einen halben Tag, um dies Manöver auszuführen, und wird es dennoch nicht können, ohne Menschen dabei aufzuopfern. Ist nun ein solcher Posten auf Unterstützung angewiesen oder darauf berechnet, nur eine Zeitlang Widerstand zu leisten, oder endlich, ist er dem Feinde an Stärke ganz gewachsen, so hat die Flügelstützung das ihrige getan, und man konnte also sagen, er hatte nicht allein eine starke Fronte, sondern auch starke Flügel. So ist es aber nicht, wenn von einer Reihe von Posten die Rede ist, die zu einer ausgedehnten Gebirgsstellung gehören. Da findet keine jener drei Bedingungen statt. Der Feind fällt mit sehr überlegener Macht auf einen Punkt, die Unterstützung von hinten ist höchst unbedeutend, und doch kommt es auf ein absolutes Abwehren an. Unter diesen Umständen ist die Flügelanlehnung solcher Posten für nichts zu achten.

Auf diese Blöße hat der Angriff seine Stöße gerichtet. Ein Anfall mit vereinigter, also sehr überlegener Kraft auf einem der Frontepunkte hat einen für diesen Punkt sehr heftigen, für das Ganze aber sehr unbedeutenden Widerstand hervorgebracht, nach dessen Überwindung das Ganze gesprengt und der Zweck erreicht war. -

Es geht hieraus hervor, daß der relative Widerstand im Gebirge überhaupt größer ist als in der Ebene, daß er verhältnismäßig am größten ist bei kleinen Posten und nicht in dem Maße steigt, wie die Massen zunehmen. -

Wenden wir uns nun zu dem eigentlichen Zweck allgemeiner großer Gefechte, zu dem positiven Sieg, der auch das Ziel bei einer Gebirgsverteidigung sein muß, sobald das Ganze oder die Hauptmacht dazu verwendet wird, so verwandelt sich eo ipso die Gebirgsverteidigung in eine Verteidigungsschlacht im Gebirge. Eine Schlacht, d. h. die Anwendung aller Streitkräfte zur Vernichtung der feindlichen, wird jetzt die Form, ein Sieg wird der Zweck des Gefechts. Die Gebirgsverteidigung, welche dabei vorkommt, wird untergeordnet, ist nicht mehr Zweck, sondern Mittel. Und wie wird sich nun in diesem Fall der Gebirgsboden zu diesem Zweck verhalten?

Der Charakter der Defensivschlacht ist eine passive Reaktion in der Fronte und eine potenzierte aktive in unserem Rücken, dabei ist aber ein Gebirgsboden ein tötendes Prinzip. Zwei Dinge machen ihn dazu. Erstens sind keine Wege da, um in allen Richtungen von hinten nach vorn schnell marschieren zu können, und selbst der taktische plötzliche Anfall wird durch die Unebenheit des Bodens geschwächt; zweitens fehlt die Übersicht der Gegend und der feindlichen Bewegungen. Der Gebirgsboden gewährt also hier dem Feinde dieselben Vorteile, die er uns in der Fronte gegeben hat, und lähmt die ganze bessere Hälfte des Widerstandes. Nun kommt noch ein Drittes hinzu: es ist die Gefahr, abgeschnitten zu werden. So sehr der Rückzug gegen den ganzen Druck in der Fronte durch den Gebirgsboden begünstigt wird, so viel Zeitverlust dieser dem Feinde verursacht, wenn er uns umgehen will, so sind doch das eben auch nur wieder Vorteile für den Fall des relativen Widerstandes, die auf den Fall einer entscheidenden Schlacht, d. h. eines Ausharrens bis aufs äußerste, keine Beziehung haben. Zwar wird es auch hier etwas länger dauern, bis der Feind mit seines Flügelkolonnen die Punkte eingenommen hat, welche unseren Rückzug bedrohen oder geradezu sperren; hat er sie aber erreicht, so ist auch keine Hilfe dagegen mehr möglich. Keine Offensive von hinten her kann ihn aus den drohenden Punkten wieder vertreiben, kein verzweiflungsvolles Draufwerfen mit dem Ganzen ihn in den sperrenden überwältigen. Wer hierin einen Widerspruch findet und glaubt, es müßten die Vorteile, die der Angreifende im Gebirge hat, auch dem sich Durchschlagenden zugute kommen, der vergißt die Verschiedenheit der Umstände. Das Korps, welches den Durchgang streitig macht, hat nicht die Aufgabe einer absoluten Verteidigung, wenige Stunden reichen wahrscheinlich hin; es ist also in dem Fall eines kleinen Postens. Außerdem befindet sich der Gegner nicht mehr im Besitz aller Streitmittel, er ist in Unordnung, es fehlt an Munition usw. Es ist also in jedem Fall die Aussicht zum Erfolg sehr gering, und diese Gefahr macht, daß der Verteidiger diesen Fall mehr als alles fürchtet; diese Furcht aber wirkt zurück durch die ganze Schlacht und schwächt alle Fibern des ringenden Athleten. Es entsteht eine krankhafte Reizbarkeit auf den Flanken; und jede Handvoll Menschen, die der Angreifende auf einer waldigen Berglehne in unserem Rücken figurieren läßt, wird ihm ein neuer Hebel zum Siege.

Diese Nachteile würden größtenteils verschwinden und alle Vorteile bleiben, wenn die Verteidigung des Gebirges in der vereinten Aufstellung des Heeres auf einem weiten Gebirgsplateau bestände. Hier könnte man sich eine starke Fronte, sehr schwer zugängliche Flanken und doch die vollkommenste Freiheit in allen Bewegungen im Innern und im Rücken der Stellung denken. Eine solche Stellung wurde zu den stärksten gehören, die es gibt. Allein dies ist fast nur eine illusorische Vorstellung, denn obgleich die meisten Gebirge auf ihrem Rücken etwas zugänglicher sind als an ihren Abhängen, so sind doch die meisten Hochebenen der Gebirge entweder für diesen Zweck zu klein, oder sie führen den Namen nicht mit vollem Recht und mehr in einer geologischen als geometrischen Bedeutung.

Ferner vermindern sich die Nachteile einer Defensivstellung im Gebirge für kleinere Heerhaufen, wie wir das schon angedeutet haben. Der Grund davon ist, weil sie weniger Raum einnehmen, weniger Rückzugsstraßen brauchen usw. Ein einzelner Berg ist kein Gebirge und hat nicht die Nachteile desselben. Je kleiner aber ein Heerhaufe wird, um so mehr wird sich seine Aufstellung auf einzelne Rücken und Berge beschränken und nicht nötig haben, sich in das vom Schleier der Wälder bedeckte Gewebe steiler Einschnitte zu verwickeln, welches die Quelle aller jener Nachteile ist.

Sechzehntes Kapitel: Fortsetzung

Wir wenden uns jetzt zu dem strategischen Gebrauch der im vorigen Kapitel entwickelten taktischen Resultate.

Wir unterscheiden hier folgende Beziehungen:

1. Das Gebirge als Schlachtfeld;

2. den Einfluß, welchen sein Besitz auf andere Gegenden hat;

3. seine Wirkung als eine strategische Barriere;

4. die Rücksicht, die es beim Unterhalt verdient.

 

1. In der ersten und wichtigsten Beziehung müssen wir wieder unterscheiden:

a) eine Hauptschlacht,

b) untergeordnete Gefechte.

Wir haben im vorigen Kapitel gezeigt, wie wenig der Gebirgsboden dem Verteidiger in einer entscheidenden Schlacht günstig ist, und folglich wie sehr dem Angreifenden. Dies läuft der gewöhnlichen Meinung gerade entgegen; aber freilich, was wirft die gewöhnliche Meinung auch alles durcheinander, wie wenig unterscheidet sie die verschiedenartigsten Beziehungen; von dem außerordentlichen Widerstand kleiner untergeordneter Teile bekommt sie den Eindruck einer außerordentlichen Stärke aller Gebirgsverteidigung und ist erstaunt, wenn jemand für den Hauptakt aller Verteidigung, für die Verteidigungsschlacht, diese Stärke leugnet. Auf der anderen Seite ist sie aber augenblicklich bereit, in jeder vom Verteidiger im Gebirge verlorenen Schlacht den unbegreiflichen Fehler eines Kordonkrieges zu erblicken, ohne zu sehen, wie die Natur der Dinge unvermeidlich darin verwickelt. Wir scheuen es nicht, mit solcher Meinung im geraden Widerspruch zu sein, müssen dagegen bemerken, wie wir unsere Behauptung zu unserer großen Genugtuung in einem Autor gefunden haben, der uns in mehr als einer Rücksicht hier viel gelten muß: es ist der Erzherzog Karl in seinem Werk über die Feldzüge von 1796 und 1797, ein guter Geschichtschreiber, ein guter Kritiker und vor allem ein guter Feldherr in einer Person.

Wir können also nicht anders, als es eine bedauernswerte Lage finden, wenn der schwächere Verteidiger, der alle seine Kräfte mühsam und mit der größten Anstrengung aufgetrieben hat, um den Angreifenden in einer entscheidenden Schlacht die Wirkung seiner Vaterlandsliebe, Begeisterung und klugen Besonnenheit fühlen zu lassen, auf den alles mit gespannter Erwartung den Blick geheftet hat, - wenn der sich in die Nacht eines vielfach verschleierten Gebirgsbodens hinstellen, durch den eigensinnigen Boden in jeder Bewegung gefesselt, sich den tausend möglichen Anfällen seines überlegenen Gegners preisgeben soll. Nur nach einer einzigen Seite hin hat seine Intelligenz ein weites Feld, es ist die möglichste Benutzung aller Hindernisse des Bodens, und dies führt dicht an die Grenzen des verderblichen Kordonkrieges hin, er muß sich also mit Gewalt davon losreißen. Weit entfernt also, für den Fall einer entscheidenden Schlacht in dem Gebirgslande ein Asyl des Verteidigers zu sehen, würden wir vielmehr den Feldherrn raten, es aufs äußerste zu vermeiden.

Aber freilich ist dies zuweilen unmöglich; die Schlacht wird dann notwendig einen merklich verschiedenen Charakter von der in der Ebene haben, die Stellung wird viel gedehnter, in den meisten Fällen zwei- oder dreimal so lang, der Widerstand wird viel passiver, der Rückstoß viel schwächer sein. Das sind Einwirkungen des Gebirgsbodens, denen nicht auszuweichen ist; aber freilich soll die Verteidigung in einer solchen Schlacht dennoch nicht in eine Gebirgsverteidigung übergehen, sondern der vorherrschende Charakter soll nur eine gesammelte Aufstellung der Streitkraft im Gebirge sein, wo sich alles in einem Gefecht, unter den Augen eines Feldherrn zuträgt, und wo Reserven genug bleiben, um die Entscheidung etwas mehr sein zu lassen als ein bloßes Abwehren, ein bloßes Vorhalten des Schildes. Diese Bedingung ist unerläßlich, aber sie ist sehr schwer zu erfüllen, und das Hineingleiten in die wahre Gebirgsverteidigung liegt so nahe, daß man sich nicht wundern muß, wenn es so oft vorkommt; es ist aber dabei so gefährlich, daß die Theorie nicht genug davor warnen kann.

Soviel von einer entscheidenden Schlacht mit der Hauptmacht.

Für Gefechte von untergeordneter Bedeutung und Wichtigkeit kann dagegen ein Gebirge unendlich nützlich sein, weil es dabei auf keinen absoluten Widerstand ankommt, und weil keine entscheidenden Folgen damit verbunden sind. Wir können uns dies klarer machen, wenn wir die Zwecke dieser Reaktion aufzählen:

a) Ein bloßer Zeitgewinn. Dieser Zweck kommt hundertmal vor, schon jedesmal bei einer Verteidigungslinie, die zu unserer Benachrichtigung aufgestellt ist; außerdem bei allen Fällen, wo eine Unterstützung erwartet wird.

b) Die Abwehrung einer bloßen Demonstration oder einer kleinen Nebenunternehmung des Feindes. Wenn eine Provinz durch ein Gebirge geschützt, und dies Gebirge durch Truppen verteidigt ist, wie schwach auch diese Verteidigung sein mag, sie wird immer hinreichen, feindliche Streifereien und andere kleine Unternehmungen zur Plünderung der Provinz zu verhindern. Ohne das Gebirge wäre eine solche schwache Kette ein Unding.

c) Um selbst zu demonstrieren. Es wird noch lange dauern, ehe die Meinung, die man von einem Gebirge haben soll, auf ihren rechten Punkt gekommen ist. Bis dahin wird es immer Gegner geben, die sich davor fürchten und in ihren Unternehmungen davor erstarren. In diesem Fall kann also auch die Hauptmacht zur Verteidigung eines Gebirges verwandt werden. In Kriegen ohne große Kraft und Bewegung wird dieser Zustand vielfältig vorkommen; aber die Bedingung ist dann immer, daß man weder die Absicht habe, eine Hauptschlacht in dieser Gebirgsstellung anzunehmen, noch dazu gezwungen werden könne.

d) Überhaupt ist eine Gebirgsgegend zu allen Aufstellungen geschickt, in denen man kein Hauptgefecht annehmen will, denn alle einzelnen Teile sind darin stärker, und nur das Ganze als solches ist schwächer; außerdem kann man nicht so leicht darin überrascht und zu einem entscheidenden Gefecht gezwungen werden.

e) Endlich sind Gebirge das eigentliche Element der Volksbewaffnungen. Volksbewaffnungen aber müssen immer durch kleine Abteilungen des Heeres unterstützt werden; dagegen scheint die Nähe des großen Heeres für sie nachteilig zu wirken: daher dieser Punkt in der Regel keine Ursach werden wird, das Gebirge mit dem Heere aufzusuchen.

Soviel vom Gebirge in Beziehung auf die in demselben vorkommenden Gefechtsstellungen. —

 

2. Der Einfluß des Gebirges auf andere Gegenden. Weil es, wie wir gesehen haben, so leicht ist, beim Gebirgsboden sich durch schwache Posten einer bedeutenden Länderfläche zu versichern, durch Posten, die in einer zugänglichen Gegend sich nicht halten könnten und beständigen Gefahren ausgesetzt wären, weil jedes Vorschreiten im Gebirge, wenn der Gegner es besetzt hat, viel langsamer geht als in der Ebene, also mit diesem nicht Schritt halten kann, so ist beim Gebirge viel mehr als bei einem anderen gleich großen Landstrich die Frage wichtig, wer im Besitz desselben sei. In einer offenen Gegend kann dieser Besitz sich von einem Tage zum anderen ändern; das bloße Vorgehen starker Haufen nötigt die feindlichen, uns die Gegend, welche wir brauchen, zu überlassen. So ist es aber nicht im Gebirge; hier ist auch bei viel geringeren Kräften ein merklicher Widerstand möglich, und deshalb sind, wenn wir einen Abschnitt der Gegend brauchen, welche das Gebirge einnimmt, immer eigene, dazu besonders angelegte und oft eines merklichen Kraft- und Zeitaufwandes benötigte Unternehmungen erforderlich, um uns in den Besitz des Landstriches zu setzen. Wenn also ein Gebirge auch nicht der Schauplatz der Hauptunternehmungen ist, so kann es doch nicht, wie das bei einer zugänglicheren Gegend der Fall sein würde, als von diesen abhängig und seine Einnahme und sein Besitz wie eine sich von selbst ergebende Folge unseres Vorschreitens betrachtet werden.

Die Gebirgsgegend hat also eine viel größere Selbständigkeit, ihr Besitz ist entschiedener und weniger veränderlich. Fügt man hinzu, daß ein Gebirgsstrich seiner Natur nach von den Rändern desselben gegen das offene Land eine gute Übersicht gewährt, während er selbst stets wie in die dunkelste Nacht gehüllt bleibt, so wird man begreifen, wie jedes Gebirge für den, welcher es nicht innehat und doch damit in Berührung kommt, immer wie ein unversiegbarer Quell nachteiliger Einflüsse, wie eine verhüllte Werkstätte feindlicher Kräfte zu betrachten ist, und daß dies am meisten der Fall sein wird, wenn das Gebirge vom Gegner nicht allein besetzt, sondern auch ihm zugehörig ist. Die kleinsten Haufen verwegener Partisanen finden in ihm Zuflucht, wenn sie verfolgt werden, und können dann ungestraft an einem anderen Punkt wieder hervorbrechen, die stärksten Kolonnen können sich in ihm unbemerkt vorschieben, und immer müssen sich unsere Streitkräfte in einer merklichen Entfernung von ihm halten, wenn sie nicht in den Bereich seines dominierenden Einflusses geraten und in einen ungleichen Kampf eingehen wollen von Anfällen und Stößen, die sie nicht erwidern können.

Auf diese Weise übt jedes Gebirge bis auf eine gewisse Entfernung einen regelmäßigen Einfluß auf die niedriger liegende Gegend aus. Ob dieser Einfluß augenblicklich, zum Beispiel in einer Schlacht, wirksam sein kann (die Schlacht von Malsch am Rhein 1796) oder erst nach geraumer Zeit gegen die Verbindungslinien, hängt von den räumlichen Verhältnissen ab; ob er durch das, was im Tale oder der Ebene Entscheidendes geschieht, mitüberwältigt und fortgerissen werden kann oder nicht, hängt von den Verhältnissen der Streitkräfte ab.

Bonaparte ist 1805 und 1809 nach Wien gezogen, ohne sich viel um Tirol zu bekümmern; Moreau aber hat 1796 Schwaben verlassen müssen, hauptsächlich, weil er der höheren Gegenden nicht Herr war und zu viel Kräfte auf ihre Beobachtung verwenden mußte. In Feldzügen, wo ein gleichgewichtiges Hin- und Herspielen der Kräfte stattfindet, wird man sich dem fortdauernden Nachteil eines Gebirges, in dessen Besitz der Feind geblieben ist, nicht aussetzen; man wird also den Teil desselben, welchen man nach der Richtung der Hauptlinien unseres Angriffs braucht, einzunehmen und festzuhalten suchen; und darum findet sich gewöhnlich, daß in solchen Fällen das Gebirge der Haupttummelplatz der einzelnen kleinen Kämpfe ist, die beide Heere miteinander bestehen. Aber man hüte sich, diesen Gegenstand zu überschätzen und ein solches Gebirge in allen Fällen wie den Schlüssel zum Ganzen und seinen Besitz wie die Hauptsache zu betrachten. Wo es auf einen Sieg ankommt, ist dieser die Hauptsache, und wenn er errungen ist, kann die Einrichtung der übrigen Verhältnisse nach den herrschenden Bedürfnissen stattfinden.

 

3. Das Gebirge als strategische Barriere betrachtet. Hier müssen wir zwei Beziehungen unterscheiden.

Die erste ist wieder eine entscheidende Schlacht. Man kann nämlich das Gebirge wie einen Fluß, also als eine Barriere mit gewissen Zugängen betrachten, die uns dadurch zu einem siegreichen Gefecht Gelegenheit gibt, daß sie die feindliche Macht im Vorschreiten trennt, sie auf gewisse Wege einschränkt und uns also in den Stand setzt, mit unserer hinter dem Gebirge vereinigt aufgestellten Macht über einen einzelnen Teil der feindlichen herzufallen. Da der Angreifende beim Vorgehen durch ein Gebirge, wenn er auch alle andere Rücksichten beiseite setzen wollte, schon deswegen nicht in einer Kolonne bleiben kann, weil er sich der entscheidenden Gefahr aussetzen würde, sich mit einer einzigen Rückzugsstraße in eine entscheidende Schlacht einzulassen, so ist allerdings diese Methode auf sehr wesentliche Umstände gegründet. Da aber die Begriffe von Gebirgen und Gebirgsausgängen sehr unbestimmt sind, so kommt bei dieser Maßregel alles auf die Gegend selbst an, und sie kann daher nur als eine mögliche angedeutet werden, bei der auch noch zweier Nachteile gedacht werden muß: das erste, daß der Feind, wenn er einen Stoß erhalten hat, im Gebirge sehr bald Schutz findet; das zweite, daß er die überhöhende Gegend innehat, welches zwar kein entscheidender, aber doch immer ein Nachteil für den Verteidiger ist.

Uns ist keine Schlacht bekannt, die unter solchen Umständen geliefert worden wäre, wenn man nicht die Schlacht gegen Alvinczy 1796 dahin rechnen will. Aber daß der Fall eintreten kann, macht Bonapartes Übergang über die Alpen im Jahr 1800 deutlich, wo ihn Melas vor der Vereinigung seiner Kolonnen mit der ganzen Macht hätte anfallen können und sollen.

Die zweite Beziehung, welche das Gebirge als eine Barriere haben kann, ist die auf die feindlichen Verbindungslinien, wenn es diese nämlich durchschneidet. Abgesehen von der Befestigung der Durchgänge durch Forts und von Wirkungen einer Volksbewaffnung können schlechte Gebirgswege in schlechter Jahreszeit die Verzweiflung einer Armee ausmachen, und sie haben nicht selten den Rückzug veranlaßt, nachdem sie dem Heere zuvor Mark und Blut ausgesogen hatten. Kommt ein häufiges Streichen der Parteigänger oder gar ein Volkskrieg hinzu, so wird die feindliche Armee zu großen Entsendungen und zuletzt zur Aufstellung fester Posten im Gebirge genötigt und so in die nachteiligste Lage verwickelt, die es im Angriffskrieg geben kann.

 

4. Das Gebirge in Beziehung auf den Unterhalt der Heere. Dieser Gegenstand ist sehr einfach und an sich verständlich. Der größte Nutzen, welchen der Verteidiger in dieser Beziehung davon haben kann, wird eintreten, wenn der Angreifende entweder im Gebirge stehenbleiben oder wenigstens es hinter sich nehmen muß.

 

Man wird diese Betrachtungen über die Gebirgsverteidigung, welche im Grunde den ganzen Gebirgskrieg umfassen, insofern ihre Reflexe auch auf den Angriffskrieg in dieser Beziehung das nötige Licht werfen, nicht deswegen für unrichtig oder unpraktisch halten, weil man im Gebirge nicht Ebenen und aus der Ebene kein Gebirge machen kann, und die Wahl des Kriegstheaters durch so viele andere Dinge bestimmt wird, daß es scheint, es könne nur wenig Spielraum für Gründe dieser Art bleiben. Bei großen Verhältnissen wird man finden, daß dieser Spielraum so gering nicht ist. Ist von der Aufstellung und Wirksamkeit der Hauptmacht, und zwar im Augenblick der entscheidenden Schlacht die Rede, so können einige Märsche mehr vorwärts oder rückwärts das Heer aus dem Gebirgsboden in die Ebene bringen und eine entschlossene Vereinigung der Hauptmassen in der Ebene das danebenliegende Gebirge neutralisieren.

Wir wollen jetzt das über diesen Gegenstand verteilte Licht noch einmal in einem Brennpunkte zu einem deutlichen Bilde sammeln.

Wir behaupten und glauben erwiesen zu haben, daß das Gebirge sowohl in der Taktik wie in der Strategie der Verteidigung im allgemeinen ungünstig sei, und verstehen dann unter Verteidigung die entscheidende, von deren Erfolg die Frage über den Besitz oder Verlust des Landes abhängt. Es raubt die Übersicht und hindert die Bewegungen nach allen Richtungen; es zwingt zur Passivität und nötigt jedes Loch zuzustopfen, woraus denn immer mehr oder weniger ein Kordonkrieg wird. Man soll also mit der Hauptmacht das Gebirge womöglich vermeiden und es seitwärts liegen lassen oder vor oder hinter sich nehmen.

Hingegen glauben wir, daß für die untergeordneten Zwecke und Rollen im Gebirgsboden ein verstärkendes Prinzip liegt, und nach dem, was wir darüber gesagt haben, wird man es für keinen Widerspruch halten, wenn wir sagen, daß er ein wahrer Zufluchtsort des Schwachen ist, d. h. desjenigen, der eine absolute Entscheidung nicht mehr suchen darf. - Dieser Anspruch, den die Nebenrollen auf den Gebirgsboden haben, schließt die Hauptmacht von demselben zum zweiten Male aus. Aber alle diese Betrachtungen werden schwerlich dem Eindruck der Sinne das Gleichgewicht halten. Im einzelnen Fall wird die Einbildungskraft nicht allein aller Unerfahrenen, sondern auch aller in einer schlechten Kriegsmethode Erfahrenen so überwiegende Eindrücke von den Schwierigkeiten bekommen, welche der Gebirgsboden wie ein dichteres zäheres Element allen Bewegungen des Angreifenden entgegenstellt, daß sie Mühe haben werden, unsere Meinung nicht für die wunderlichste Paradoxie zu halten. Bei allen allgemeinen Betrachtungen aber wird die Geschichte des letzten Jahrhunderts mit seiner eigentümlichen Kriegskunst an die Stelle des sinnlichen Eindrucks treten, und sie werden z. B. sich nie entschließen zu glauben, daß Österreich seine Staaten gegen Italien mit nicht mehr Leichtigkeit als gegen den Rhein sollte verteidigen können. Dagegen werden die Franzosen, die den Krieg zwanzig Jahre lang unter einer energievollen und rücksichtslosen Führung gemacht haben, und welche die glücklichen Folgen dieses Systems immer vor Augen gehabt haben, sie noch lange in diesem Fall wie in anderen durch den Takt eines geübten Urteils auszeichnen.

So wäre also ein Staat mehr geschützt durch offene Gegenden als durch Gebirge; Spanien stärker ohne seine Pyrenäen, die Lombardei unzugänglicher ohne die Alpen, und ein ebenes Land, z. B. Norddeutschland, schwerer zu erobern als ein Gebirgsland z. B. Ungarn. An diese falschen Folgerungen wollen wir unsere letzten Bemerkungen anknüpfen.

Wir behaupten nicht, daß Spanien ohne seine Pyrenäen stärker wäre als mit denselben sondern daß eine spanische Armee, die sich stark genug fühlt, es auf eine entscheidende Schlacht ankommen zu lassen, besser tut, sich hinter dem Ebro vereinigt aufzustellen, als sich in die fünfzehn Pässe der Pyrenäen zu verteilen. Dadurch wird die Einwirkung der Pyrenäen auf den Krieg noch lange nicht aufgehoben. Dasselbe behaupten wir von einer italienischen Armee. Verteilte sie sich in den hohen Alpen, so würde sie von jedem entschlossenen Gegner überwunden werden, ohne die Alternative eines Sieges oder einer Niederlage zu haben, während sie in der Ebene von Turin die Ansprüche jeder anderen Armee hat. Deswegen aber wird noch niemand glauben, daß es dem Angreifenden angenehm sei, eine Gebirgsmasse wie die der Alpen zu durchziehen und hinter sich zu lassen. - Übrigens wird durch diese in der Ebene angenommene Hauptschlacht nicht einmal eine vorläufige Verteidigung des Gebirges mit untergeordneten Kräften ausgeschlossen, die bei solchen Massen, wie die Alpen und Pyrenäen sind, sehr zu raten ist. Endlich sind wir weit entfernt, die Eroberung eines ebenen Landes für leichter als die eines gebirgigen zu halten, es sei denn, daß ein einziger Sieg den Feind gänzlich entwaffnete. Nach diesem Siege tritt für den Erobernden ein Zustand der Verteidigung ein, bei welchem ihm der Gebirgsboden ebenso nachteilig und nachteiliger werden muß, als er es dem Verteidiger war. Dauert der Krieg also fort, kommen äußere Hilfen herbei, tritt das Volk unter die Waffen, dann werden alle diese Reaktionen durch den Gebirgsboden gesteigert.

Es ist bei diesem Gegenstand wie in der Dioptrik, die Bilder nehmen an Stärke des Lichtes zu, wenn man den Gegenstand in einer gewissen Richtung fortbewegt; aber nicht so weit man will, sondern bis sie den Brennpunkt erreichen, über den hinaus alles umgekehrt wird.

Ist die Verteidigung im Gebirge schwächer, so könnte dies eine Veranlassung für den Angreifenden sein, das Gebirge vorzugsweise zu seiner Richtungslinie zu nehmen. Dies wird aber nur selten geschehen, weil die Schwierigkeiten des Unterhaltes und der Wege, die Ungewißheit, ob der Gegner eine Hauptschlacht gerade im Gebirge annehmen, und auch die, ob er seine Hauptmacht in demselben aufstellen wird, jenem möglichen Vorteil reichlich das Gleichgewicht halten.

Siebzehntes Kapitel: Fortsetzung

Wir haben im fünfzehnten Kapitel von der Natur der Gefechte im Gebirge, im sechzehnten von dem Gebrauch gesprochen, den die Strategie davon machen kann; wir sind dabei öfter auf den Begriff einer eigentlichen Gebirgsverteidigung gestoßen, ohne uns bei der Form und den Einrichtungen einer solchen Maßregel zu verweilen. Wir wollen sie hier näher in Betrachtung ziehen.

Da Gebirge häufig wie Streifen oder Gürtel über die Erdfläche hinziehen und die Teilung zwischen den rechts und links abfallenden Wässern, folglich die Scheidung ganzer Wassersysteme ausmachen, und da diese Form des Ganzen sich in seinen Teilen wiederholt, indem diese sich in Armen oder Rücken von dem Hauptstock absondern und dann später die Scheidung für kleinere Wassersysteme bilden, so hat sich die Vorstellung von einer Gebirgsverteidigung ganz natürlich an die Hauptform eines mehr langen als breiten, folglich wie eine große Barriere hinziehenden Hindernisses zuerst festgesetzt. Obgleich unter den Geologen bis jetzt über die Entstehung der Gebirge und das Gesetz ihrer Gestaltung noch nichts ausgemacht ist, so zeigt in jedem Fall der Lauf des Wassers das System derselben am kürzesten und sichersten, sei es, daß seine Wirkungen an diesem System Anteil haben (durch den Spülungsprozeß), oder daß der Wasserlauf eine Folge jenes Systems ist. Es war daher auch wieder natürlich, bei dem Gedanken einer Gebirgsverteidigung den Wasserzug zum Führer anzunehmen. Der Wasserzug ist nicht allein als ein natürliches Nivellement zu betrachten, wodurch man die allgemeine Erhöhung, also das allgemeine Profit der Erdoberfläche vollkommen kennenlernt, sondern es sind auch die vom Wasser gebildeten Täler als die zugänglichsten Wege zu den höchsten Punkten zu betrachten, weil in jedem Fall so viel von der Wasserspülung feststeht, daß sie strebt, die Ungleichheiten der Abhänge in eine regelmäßige Kurve auszugleichen. Es würde hieraus also die Vorstellung der Gebirgsverteidigung sich so gestalten, daß man das Gebirge, wenn es der Verteidigungsfronte ungefähr parallel liefe, als ein großes Hindernis des Zuganges, als eine Art Wall betrachtete, dessen Eingänge durch die Täler gebildet werden. Die eigentliche Verteidigung würde also an der Krete dieses Walles, d. h, an dem Rande der auf dem Gebirge befindlichen Hochebene, stattfinden und die Haupttäler quer durchschneiden. Wäre der Hauptzug des Gebirges mehr senkrecht auf die Verteidigungsfronte, so würde einer seiner Hauptarme die Verteidigung bilden, die einem Haupttal parallel und bis zum großen Teilungsrücken hinaufliefe, welcher als der Schlußpunkt betrachtet werden müßte.

Wir haben diesen Schematismus einer Gebirgsverteidigung nach der geologischen Struktur hier angedeutet, weil er wirklich der Theorie eine Zeitlang vorgeschwebt und in der sogenannten Terrainlehre die Gesetze des Spülungsprozesses mit der Kriegführung amalgamiert hat.

Aber hier ist alles so voll falscher Voraussetzungen und ungenauer Substitutionen, daß von dieser Ansicht in der Wirklichkeit zu wenig übrigbleibt, um daraus irgendeinen systematischen Anhalt machen zu können.

Die Hauptrücken sind bei eigentlichen Gebirgen viel zu unwirtbar und unwegsam, um auf ihnen bedeutende Truppenmassen aufzustellen; mit den Nebenrücken ist es oft ebenso, oft sind sie zu kurz und unregelmäßig. Hochebenen auf dem Rücken der Gebirge finden sich nicht auf allen, und wo sie sich finden, sind sie meistens schmal und dabei sehr unwirtbar; ja es gibt sogar wenige Gebirge, die, genauer angesehen, einen ununterbrochenen Hauptrücken und an ihren Seiten einen solchen Abhang bilden, der einigermaßen für eine schiefe Fläche oder wenigstens für eine terrassenförmige Abdachung gelten könnte. Der Hauptrücken windet, krümmt und spaltet sich, mächtige Arme in gebogenen Linien streichen ins Land hinein und erheben sich oft gerade in ihren Endpunkten wieder zu beträchtlicheren Höhen als der Hauptrücken selbst ist; Vorgebirge lagern sich damit und bilden große Talvertiefungen, die in das System nicht passen. Dazu kommt, daß, wo sich mehrere Gebirgszüge kreuzen, oder in dem Punkt, von dem mehrere auslaufen, der Begriff eines schmalen Streifens oder Gürtels ganz aufhört und einem strahlenförmigen Wasser- und Gebirgszuge Platz macht.

Hieraus geht schon hervor, und jeder, der Gebirgsmassen in diesem Sinne angesehen hat, wird es noch deutlicher fühlen, wie die Idee einer systematischen Aufstellung zurücktritt, und wie wenig praktisch man sein würde, wenn man sie als Grundidee der Anordnungen festhalten wollte. Aber es ist noch ein wichtiger Punkt aus dem Gebiet der näheren Anwendung zu beachten.

Fassen wir die taktischen Erscheinungen des Gebirgskrieges noch einmal scharf ins Auge, so ist klar, daß zwei Hauptelemente darin vorkommen, nämlich: erstens die Verteidigung steiler Abhänge, zweitens enger Täler. Diese letztere nun, die oft, ja meistens die größere Wirksamkeit im Widerstande gewährt, läßt sich mit der Aufstellung auf dem Hauptrücken nicht wohl vereinigen, denn es ist oft die Besetzung des Tales selbst erforderlich, und zwar mehr bei seinem Austritt aus der Gebirgsmasse als bei seinem Ursprung, weil es dort tiefer eingeschnitten ist. Außerdem gibt diese Talverteidigung ein Mittel, Gebirgsgegenden auch dann zu verteidigen, wenn auf dem Rücken selbst gar keine Aufstellung zu nehmen ist; sie spielt also gewöhnlich eine um so größere Rolle, je höher und unwegsamer die Masse des Gebirges ist. Aus allen diesen Betrachtungen geht hervor, daß man von dem Gedanken einer zu verteidigenden mehr oder weniger regelmäßigen Linie, die mit einer der geologischen Grundlinien zusammenfiele, ganz loslassen und ein Gebirge nur wie eine mit Unebenheiten und Hindernissen von mancherlei Art durchzogene Fläche betrachten muß, von deren Teilen man einen so guten Gebrauch zu machen sucht, als es die Umstände gestatten, - daß also, wenn auch die geologischen Lineamente des Bodens zu einer klaren Einsicht in die Gestalt der Gebirgsmassen unentbehrlich sind, sie doch in den Verteidigungsmaßregeln wenig zum Vorschein kommen.

Weder im Österreichischen Erbfolgekriege, noch im Siebenjährigen, noch im Revolutionskriege finden wir Aufstellungen, die ein ganzes Gebirgssystem umfaßten, und wo die Verteidigung nach seinen Hauptlineamenten geordnet wäre. Niemals finden wir die Heere auf dem Hauptrücken, immer an dem Abhang, bald höher, bald tiefer aufgestellt, bald in dieser, bald in jener Richtung; parallel, senkrecht und schief; mit und gegen den Wasserzug; bei höheren Gebirgen, wie die Alpen, sogar oft in einem Tale fortlaufend; bei geringeren, wie die Sudeten, und das ist die stärkste Anomalie, auf der Hälfte des dem Verteidiger zugekehrten Abhanges, also den Hauptrücken vor sich habend, wie die Stellung, in der Friedrich der Große 1762 die Belagerung von Schweidnitz deckte und die Hohe Eule vor der Fronte seines Lagers hatte.

Die berühmten Stellungen des Siebenjährigen Krieges von Schmottseifen und Landeshut sind im allgemeinen Talvertiefungen, eben dies ist der Fall mit der Stellung von Feldkirch in Vorarlberg. In den Feldzügen von 1799 und 1800 haben die Hauptposten der Franzosen wie der Österreicher jederzeit in den Tälern selbst gestanden, nicht bloß quer über dieselben, um sie zu sperren, sondern auch in ihnen der ganzen Länge nach, während die Rücken entweder gar nicht oder nur mit wenigen einzelnen Posten besetzt waren.

Die Rücken der höheren Alpen sind nämlich von einer solchen Unwegsamkeit und Unwirtlichkeit, daß es unmöglich wird, sie mit namhaften Truppenmassen zu besetzen. Will man nun durchaus Streitkräfte im Gebirge haben, um Herr desselben zu sein, so bleibt nichts anderes übrig, als sie in den Tälern aufzustellen. Auf den ersten Anblick scheint dies ein Unding, weil man nach den gewöhnlichen theoretischen Vorstellungen sagen würde: die Rücken beherrschen die Täler. Allein so schlimm ist es dennoch nicht, die Rücken sind nur auf wenigen Wegen und Pfaden zugänglich und mit seltener Ausnahme nur für Fußvolk, weil die Fahrstraßen alle in den Tälern laufen. Der Feind könnte also nur auf einzelnen Punkten derselben mit Infanterie erscheinen; für ein wirksames Flintenfeuer ist aber bei diesen Gebirgsmassen die Entfernung zu groß, und so steht man denn im Tal weniger gefährlich, als es das Ansehen hat. Aber freilich ist eine solche Talverteidigung einer anderen großen Gefahr ausgesetzt, nämlich der, abgeschnitten zu werden. Der Feind kann zwar nur mit Fußvolk und nur langsam und mit großen Anstrengungen auf einzelnen Punkten ins Tal hinabsteigen, er kann also nicht überraschen, aber keine der Stellungen verteidigt die Ausmündung eines solchen Pfades im Tal, der Feind bringt also nach und nach überlegene Massen hinunter, breitet sich dann aus und sprengt die dünne und von dem Augenblick an sehr schwache Linie, die nichts zu ihrem Schutz mehr hat als das steinige Bett eines flachen Gebirgsstromes. Nun ist aber der Rückzug, der stückweise immer im Tal stattfinden muß, bis man einen Ausgang aus dem Gebirge gefunden hat, für viele Teile der Linie unmöglich, und die Österreicher haben daher in der Schweiz fast jedesmal ein Dritteil oder die Hälfte ihrer Truppen an Gefangenen verloren. -

Jetzt noch einige Worte über den Grad der Teilung, welchen die Streitkräfte bei solcher Verteidigung gewöhnlich bekommen.

Jede solche Aufstellung geht von einer mehr oder weniger in der Mitte der ganzen Linie auf dem hauptsächlichsten Zugang genommenen Stellung der Hauptmacht aus. Von dieser werden rechts und links andere Korps zur Besetzung der wichtigsten Eingänge abgeschickt, und es entsteht also für das Ganze eine Aufstellung von 3, 4, 5, 6 Posten usw. ziemlich in einer Linie. Wieweit diese Ausdehnung getrieben werden darf oder muß, hängt von den Bedürfnissen des einzelnen Falles ab. Ein paar Märsche, also 6 bis 8 Meilen, sind eine sehr mäßige, und man hat sie wohl bis zu 20 und 30 Meilen steigen sehen.

Zwischen den einzelnen, eine oder ein paar Stunden voneinander gelegenen Posten finden sich dann leicht andere weniger wichtige Zugänge, auf welche man später aufmerksam wird; es finden sich einzelne vortreffliche Posten für ein paar Bataillone, die sich zur Verbindung der Hauptposten sehr gut eignen; sie werden also besetzt. Daß die Zerteilung der Kräfte noch weiter gehen und bis zu einzelnen Kompagnien und Schwadronen heruntersteigen könne, ist leicht einzusehen, und der Fall ist oft genug vorgekommen; es gibt also hier keine allgemeine Grenzen der Zersplitterung. Von der anderen Seite hängt die Stärke der einzelnen Posten von der Stärke des Ganzen ab, und es ist also auch schon darum nichts über den möglichen oder natürlichen Grad der Stärke zu sagen, welche die Hauptposten behalten werden. Wir wollen nur ein paar Sätze, welche die Erfahrung und die Natur der Sache lehren, zum Anhalt geben.

1. Je höher und unzugänglicher das Gebirge ist, um so größer darf die Teilung sein, um so größer muß sie aber auch werden, denn je weniger eine Gegend durch Kombinationen gesichert werden kann, die auf Bewegungen beruhen, um so mehr muß die Sicherung durch unmittelbare Deckung erfolgen. Die Verteidigung der Alpen nötigt zu viel größerer Teilung, bringt dem Kordon viel näher als die Verteidigung der Vogesen oder des Riesengebirges.

2. Noch überall, wo eine Gebirgsverteidigung eingetreten ist, hat eine solche Teilung der Kräfte stattgefunden, daß die Hauptposten meistens nur ein Treffen Fußvolk und im zweiten Treffen einige Schwadronen Reiterei hatten; nur die in der Mitte aufgestellte Hauptmacht hatte allenfalls auch ein paar Bataillone im zweiten Treffen.

3. Eine zurückgestellte strategische Reserve, um die angegriffenen Punkte zu verstärken, hat in den wenigsten Fällen stattgefunden, weil man sich bei der Ausdehnung in der Fronte schon überall zu schwach fühlt. Deswegen ist die Unterstützung, welche der angegriffene Posten erhalten hat, meistens von anderen nicht angegriffenen Posten aus der Linie entnommen worden.

4. Auch da, wo die Teilung der Kräfte verhältnismäßig noch gering und die Stärke der einzelnen Posten noch groß war, hat der Hauptwiderstand derselben immer in der örtlichen Verteidigung bestanden, und wenn der Feind sich einmal vollkommen im Besitz des Postens befand, so war durch angekommene Unterstützung keine Abhilfe mehr zu erwarten.

Was hiernach von einer Gebirgsverteidigung zu erwarten ist, in welchen Fällen man dieses Mittel anwenden dürfe, wieweit man in der Ausdehnung und in der Zersplitterung der Kräfte gehen könne und dürfe, das alles muß die Theorie dem Takt des Feldherrn überlassen. Es ist genug, wenn sie ihm gesagt hat, was dies Mittel eigentlich sei, welche Rolle es in dem kriegerischen Verkehr der Heere einnehmen dürfe.

Ein Feldherr, der sich in einer ausgedehnten Gebirgsstellung auf das Haupt schlagen läßt, verdient vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.

Achtzehntes Kapitel: Verteidigung von Strömen und Flüssen

Ströme und bedeutende Flüsse gehören, insofern von ihrer Verteidigung die Rede ist, gleich den Gebirgen in die Klasse der strategischen Barrieren. Sie unterscheiden sich aber von dem Gebirge in zwei Punkten: der eine betrifft ihre relative, der andere ihre absolute Verteidigung.

Wie die Gebirge verstärken sie den relativen Widerstand, aber ihre Eigentümlichkeit ist, daß sie sich wie ein Werkzeug von harter und spröder Materie verhalten; sie halten entweder jeden Stoß aus, ohne zu biegen, oder ihre Verteidigung zerbricht und hört dann gänzlich auf. Ist der Strom sehr groß, und sind die übrigen Bedingungen vorteilhaft, so kann der Übergang absolut unmöglich werden. Ist aber die Verteidigung irgendeines Stromes an einem Punkt gebrochen, so findet nicht wie im Gebirge noch ein nachhaltiger Widerstand statt, sondern die Sache ist mit diesem einen Akt abgemacht, es sei denn, daß der Strom selbst in einem Gebirgslande fließt.

Die andere Eigentümlichkeit der Ströme in Beziehung auf das Gefecht ist die, daß sie in manchen Fällen sehr gute und im allgemeinen bessere Kombinationen zu einer entscheidenden Schlacht zulassen als Gebirge.

Gemein haben beide wieder, daß sie gefährliche und verführerische Gegenstände sind, die oft zu falschen Maßregeln verleitet und in gefährliche Lagen versetzt haben. Wir werden auf diese Resultate bei der näheren Betrachtung der Flußverteidigung aufmerksam machen.

Obgleich die Geschichte ziemlich arm ist an wirksamen Stromverteidigungen und dadurch die Meinung gerechtfertigt wird, daß sie keine so starke Barrieren sind, als man in der Zeit geglaubt hat, wo ein absolutes Defensivsystem nach allen Verstärkungen griff, welche die Gegend darbot, so ist ihr vorteilhafter Einfluß auf das Gefecht und die Landesverteidigung im allgemeinen doch nicht zu leugnen.

Wir wollen, um die Sache im Zusammenhang zu übersehen, die verschiedenen Gesichtspunkte zusammenstellen, aus denen wir den Gegenstand zu betrachten gedenken.

Zuerst und überhaupt müssen wir unterscheiden die strategischen Resultate, welche die Ströme und Flüsse durch ihre Verteidigung geben, von dem Einfluß, welchen sie auf die Landesverteidigung haben, ohne selbst verteidigt zu werden.

Ferner kann die Verteidigung selbst drei verschiedene Bedeutungen haben:

1. einen absoluten Widerstand mit der Hauptmacht;

2. einen bloßen Scheinwiderstand;

3. einen relativen Widerstand für untergeordnete Teile, wie Vorposten, Deckungslinien, Nebenkorps usw. sind.

Endlich müssen wir an der Verteidigung in Rücksicht auf ihre Form drei Hauptgrade oder Arten unterscheiden, nämlich:

1. eine unmittelbare durch Verhinderung des Oberganges,

2. eine mehr mittelbare, wobei der Fluß und sein Tal nur als Mittel zur besseren Schlachtkombination benutzt werden,

3. eine ganz unmittelbare durch die Behauptung einer unangreifbaren Stellung auf der feindlichen Seite des Flusses.

Diesen drei Graden nach werden wir unsere Betrachtungen einteilen, und nachdem wir jeden derselben in Beziehung auf die erste und wichtigste Bedeutung kennengelernt haben, am Schluß auch die beiden anderen berücksichtigen. - Also zuerst die unmittelbare Verteidigung, d. i. diejenige, wo der Übergang des feindlichen Heeres selbst verhindert werden soll.

Von dieser kann nur bei großen Strömen, d. h. bei großen Wassermassen die Rede sein.

Die Kombinationen von Raum, Zeit und Kraft, welche als die Elemente dieser Verteidigungstheorie angesehen werden müssen, machen den Gegenstand ziemlich verwickelt, so daß es nicht ganz leicht ist, einen festen Punkt zu gewinnen. Bei einer genaueren Überlegung wird jeder auf folgendes Resultat kommen.

Die Zeit, welche zur Schlagung einer Brücke erforderlich ist, bestimmt die Entfernung, in welcher die Korps, die den Fluß verteidigen sollen, voneinander aufgestellt werden dürfen. Mit diesen Entfernungen in die ganze Länge der Verteidigungslinie dividiert, gibt die Anzahl der Korps; mit dieser in die Masse der Truppen dividiert, die Stärke derselben. Vergleicht man nun diese Stärke der einzelnen Korps mit den Truppen, die der Feind während des Baues der Brücke durch anderweitige Mittel übergesetzt haben kann, so wird sich beurteilen lassen, ob an einen glücklichen Widerstand zu denken ist. Denn nur dann darf man annehmen, daß der Übergang nicht erzwungen werden kann, wenn es dem Verteidiger möglich ist, mit einer beträchtlichen Überlegenheit, also etwa dem Doppelten, die übergesetzten Truppen anzugreifen, ehe die Brücke vollendet ist. Ein Beispiel:

Braucht der Feind 24 Stunden zur Errichtung seiner Brücke, kann er in diesen 24 Stunden nicht mehr als 20000 Mann mit anderen Mitteln übersetzen, und kann der Verteidiger innerhalb etwa 12 Stunden mit 20000 Mann auf jedem beliebigen Punkt erscheinen, so ist der Übergang nicht zu erzwingen, denn man wird ankommen, wenn er etwa die Hälfte jener 20000 Mann übergesetzt hat. Da man nun in 12 Stunden, die Zeit der Benachrichtigung mit eingerechnet, 4 Meilen marschieren kann, so würden alle 8 Meilen 20000 Mann erforderlich sein und 60000 zur Verteidigung des Flusses auf eine Strecke von 24 Meilen. Diese würden hinreichen, nicht nur auf jedem beliebigen Punkt mit 20000 Mann zu erscheinen, wenn auch der Feind zwei Übergänge zu gleicher Zeit versuchte, sondern sogar mit dem Doppelten, wenn dies nicht wäre.

Hier sind also drei Umstände entscheidend: 1. die Breite des Stromes, 2. die Mittel des Überganges, denn beides entscheidet sowohl über die Dauer des Brückenbaues als über die Anzahl der Truppen, die während des Brückenbaues übergeschafft werden können, 3. die Stärke des Verteidigers. Die Stärke der feindlichen Armee selbst kommt hierbei noch nicht in Betrachtung. Nach dieser Theorie kann man sagen, daß es einen Punkt gibt, wo die Möglichkeit des Überganges ganz aufhört und keine Übermacht imstande sein würde, ihn zu erzwingen.

Dies ist die einfache Theorie der unmittelbaren Stromverteidigung, d. h. derjenigen, wo man den Feind an der Vollendung seiner Brücke und am Übergange selbst hindern will; es ist dabei noch auf keine Wirkung der Demonstrationen, die der Übergehende anwenden kann, Rücksicht genommen. Wir wollen nun die näheren Umstände und die erforderlichen Maßregeln einer solchen Verteidigung in Betrachtung ziehen.

Abstrahiert man zuvörderst von aller geographischen Individualität, so ist nur zu sagen, daß die durch die eben gegebene Theorie bestimmten Korps unmittelbar am Strom, in sich vereinigt aufgestellt werden. Unmittelbar am Strom, weil jede Stellung weiter rückwärts die Wege ohne Not und Nutzen verlängert; denn da die Wassermasse des Stromes sie vor jeder bedeutenden Einwirkung des Feindes sichert, so ist es ja nicht nötig, sie wie eine Reserve bei einer Landesverteidigungslinie zurückzuhalten. Außerdem sind die Straßen an den Strömen auf und ab in der Regel gangbarer als Transversalwege von hinten gegen einen beliebigen Punkt des Stromes. Endlich ist durch diese Stellung der Strom unleugbar besser beobachtet als durch eine bloße Postenkette, hauptsächlich weil sich die Befehlshaber alle in der Nähe befinden. - In sich vereinigt müssen diese Korps sein, weil sonst die ganze Rechnung eine andere sein müßte. Wer es weiß, was das Vereinigen sagen will in Beziehung auf Zeitverlust, der wird begreifen, daß gerade in diesem vereinigten Aufstellen die größte Wirksamkeit der Verteidigung liegt. Freilich ist es auf den ersten Anblick sehr anziehend, durch einzelne Posten dem Feinde auch das Überschiffen selbst schon unmöglich zu machen; aber mit wenigen Ausnahmen an Punkten, die sich besonders zum Übergange eignen, ist diese Maßregel höchst verderblich. Der Schwierigkeit nicht zu gedenken, daß der Feind vom gegenüberstehenden Ufer einen solchen Posten meistens mit einem überlegenen Feuer erdrücken kann, so gibt man in der Regel seine Kräfte völlig umsonst aus, d. h. man erreicht durch einen solchen Posten weiter nichts, als daß der Feind einen anderen Übergangspunkt wählt. Ist man also nicht so stark, daß man den Fluß wie einen Festungsgraben behandeln und verteidigen kann, ein Fall, für den es weiter keiner Regeln bedürfte, so führt diese eigentliche Uferverteidigung notwendig vom Ziele ab. Außer diesen Grundsätzen der allgemeinen Aufstellung kommen nun noch in Betrachtung: erstens die Berücksichtigung der individuellen Eigentümlichkeiten des Stromes, zweitens die Wegschaffung der Übergangsmittel, drittens der Einfluß, welchen die an ihm gelegenen Festungen haben.

Der Strom, als eine Verteidigungslinie betrachtet, muß rechts und links Anlehnungspunkte haben wie das Meer oder ein neutrales Gebiet; oder es müssen andere Verhältnisse den Übergang des Feindes über den Endpunkt der Verteidigungslinie hinaus nicht tunlich machen. Da nun weder solche Anlehnungspunkte noch solche Verhältnisse anders als bei großen Ausdehnungen vorkommen werden, so sieht man schon daraus, daß die Flußverteidigungen sich immer auf sehr beträchtliche Strecken ausdehnen müssen, und die Möglichkeit einer großen Menge von Truppen, hinter einer verhältnismäßig kurzen Stromlinie aufgestellt, verschwindet aus der Reihe der wirklichen Fälle, an die wir uns immer halten müssen. Wir sagen eine verhältnismäßig kurze Stromlinie und verstehen darunter eine Länge, die das gewöhnliche Maß der Ausdehnung in der Aufstellung ohne Strom nicht beträchtlich überschreitet. Solche Fälle, sagen wir, kommen nicht vor, und jede unmittelbare Stromverteidigung ist immer eine Art von Kordonsystem, wenigstens was die Ausdehnung betrifft, und ist also gar nicht geeignet, einer Umgehung auf dem Wege entgegenzuwirken, der bei vereinigter Aufstellung der natürliche ist. Wo also ein Umgehen möglich ist, da ist die unmittelbare Stromverteidigung, wie gut auch sonst ihre Resultate sein möchten, ein höchst gefährliches Unternehmen.

Was nun den Strom innerhalb seiner Endpunkte betrifft, so versteht sich von selbst, daß nicht alle Punkte in gleichem Maß zum Übergang geeignet sind. Es kann dieser Gegenstand im allgemeinen zwar etwas näher bestimmt, aber nicht eigentlich festgestellt werden, denn die allerkleinste Lokaleigentümlichkeit entscheidet oft viel mehr als alles, was sich in Büchern groß und wichtig ausnimmt. Eine solche Feststellung ist aber auch völlig unnütz, denn der Anblick des Stromes und die Nachrichten, welche man von den Einwohnern bekommt, führen fast sichtlich darauf hin, ohne daß man nötig hätte, dabei an Bücher zurückzudenken. -

Zur näheren Bestimmung können wir sagen, daß die zum Fluß führenden Straßen, die in ihn fallenden Nebenflüsse, die an ihm liegenden großen Städte und endlich vorzüglich seine Inseln diejenigen Gegenstände sind, welche den Übergang am meisten begünstigen, daß dagegen die Überhöhung der Ufer, die gebogene Gestalt des Laufes an der Übergangsstelle, welche in Büchern die Hauptrolle zu spielen pflegen, am seltensten von Einfluß gewesen sind. Die Ursach ist, weil der Einfluß dieser beiden Dinge sich auf die beschränkte Idee einer absoluten Uferverteidigung gründet, ein Fall, der bei den größten Strömen wenig oder niemals vorkommt.

Welches nun auch die Umstände sind, die den einzelnen Punkten des Stromes mehr Brauchbarkeit zum Übergang geben, so werden sie Einfluß auf die Stellung haben und das allgemeine geometrische Gesetz etwas modifizieren; allein sich von demselben zu weit zu entfernen, zu sehr auf die Schwierigkeiten mancher Punkte sich zu verlassen, ist nicht ratsam. Der Feind wählt dann gerade die von der Natur am wenigsten begünstigten Orte, wenn er sicher ist, uns dort am wenigsten zu begegnen.

In jedem Fall aber ist die möglichst starke Besetzung der Inseln eine empfehlenswerte Maßregel, weil ihr ernstlicher Angriff den Übergangsort auf die sicherste Weise zu erkennen gibt.

Da die nahe am Strome aufgestellten Korps denselben auf- und abmarschieren sollen, je nachdem es die Umstände erfordern, so gehört in Ermangelung einer Parallelstraße die Zurichtung der nächsten kleinen mit dem Fluß parallel laufenden Wege oder die Einrichtung ganz neuer auf kurze Strecken zu den wesentlichen Vorbereitungsstücken, der Verteidigung.

Der zweite Punkt, von dem wir zu reden haben, ist die Wegschaffung der Übergangsmittel. - Die Sache ist schon auf dem Strome selbst nicht leicht, wenigstens gehört dazu eine beträchtliche Zeit, aber unüberwindlich sind die Schwierigkeiten meistens bei den auf der feindlichen Seite einfallenden Nebenströmen, weil diese gewöhnlich schon in den Händen des Feindes sind. Daher ist es wichtig, die Ausmündungen dieser Nebenflüsse mit Festungen zu verschließen.

Da bei großen Strömen die Übergangsmittel, welche der Feind mitbringt, nämlich seine Pontons, selten zureichen, so kommt vieles auf die Mittel an, die er am Strome selbst, an den Nebenflüssen und in den großen auf seiner Seite liegenden Städten findet, endlich auf die Wälder in der Nähe des Stromes, die er zum Schiff- und Floßbau benutzen kann. Es gibt Fälle, wo ihm alle diese Umstände so sehr entgegen sind, daß der Stromübergang dadurch fast unmöglich wird.

Endlich sind die Festungen, welche auf beiden Seiten oder auf der feindlichen Seite des Stromes liegen, nicht nur ein gegen den Übergang deckender Schild für alle ihnen oberhalb und unterhalb nahe liegenden Punkte, sondern auch ein Mittel, die Nebenflüsse zu sperren und die Übergangsmittel schnell in sich aufzunehmen.

Soviel von der unmittelbaren Stromverteidigung, welche eine große Wassermasse voraussetzt. Kommt ein tiefer, steiler Taleinschnitt, oder kommen sumpfige Ufer hinzu, so wird die Schwierigkeit des Überganges und die Wirksamkeit der Verteidigung zwar vermehrt, aber die Wassermasse kann dadurch nicht ersetzt werden, denn jene Umstände bilden keine absolute Unterbrechung der Gegend, und diese ist eine notwendige Bedingung der unmittelbaren Verteidigung.

Frägt man sich, welche Rolle eine solche unmittelbare Stromverteidigung in dem strategischen Plan des Feldzuges spielen kann, so muß man einräumen, daß sie niemals zu einem entscheidenden Siege führen kann, teils weil es ihre Absicht ist, den Feind nicht herüber zu lassen, sondern die erste bedeutende Masse, welche er übergesetzt hat, zu erdrücken, teils weil der Strom verhindert, die erfochtenen Vorteile durch einen kräftigen Ausfall zum entscheidenden Siege zu erweitern.

Dagegen kann eine solche Stromverteidigung oft einen großen Gewinn an Zeit bringen, worauf es doch dem Verteidiger gewöhnlich ankommt. Die Herbeischaffung der Übergangsmittel kostet oft viel Zeit; mißlingen mehrere Versuche, so ist noch ungleich mehr Zeit gewonnen. Gibt der Feind seinen Kräften wegen des Stromes eine ganze andere Richtung, so werden auch wohl noch andere Vorteile dabei erreicht; endlich in allen Fällen, wo es dem Feinde mit dem Vordringen nicht rechter Ernst ist, wird der Strom seinen Bewegungen Stillstand gebieten und eine bleibende Schutzwehr des Landes machen.

Eine unmittelbare Flußverteidigung kann also zwischen großen Truppenmassen bei großen Strömen und günstigen Bedingungen als ein sehr gutes Verteidigungsmittel angesehen werden und Resultate geben, auf die man in der neueren Zeit, nur an die verunglückten Stromverteidigungen mit unzureichenden Mitteln denkend, zu wenig Rücksicht genommen hat. Denn wenn man bei den eben gemachten Voraussetzungen, die bei einem Strom, wie der Rhein und die Donau sind, doch leicht zutreffen können, eine wirksame Verteidigung von 24 Meilen Länge vermittelst 60000 Mann gegen eine bedeutend überlegene Macht erhält, so kann man wohl sagen, daß das ein beachtenswertes Resultat ist.

Wir sagen gegen eine bedeutend überlegene Macht und müssen noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen. Nach der Theorie, welche wir gegeben haben, kommt alles auf die Mittel des Überganges und nichts auf die Macht an, welche übergehen will, sobald diese nur nicht kleiner ist als die, welche den Fluß verteidigt. Dies scheint sehr auffallend, und doch ist es wahr. Aber man muß freilich nicht vergessen, daß die meisten Flußverteidigungen, oder praktischer gesprochen, daß alle insgesamt keine absoluten Stützpunkte haben, also umgangen werden können, und daß dieses Umgehen durch eine große Übermacht sehr erleichtert wird.

Bedenkt man nun, daß eine solche unmittelbare Stromverteidigung, selbst wenn sie vom Feinde überwältigt wird, doch noch nicht einer verlorenen Schlacht zu vergleichen ist und am wenigsten zu einer Niederlage führen kann, weil nur ein Teil unserer Truppen ins Gefecht gekommen ist, und der Gegner, durch den langsamen Übergang vermittelst einer Brücke aufgehalten, seinem Siege über dieselbe nicht gleich eine große Folge geben kann, so wird man von diesem Verteidigungsmittel um so weniger ganz gering denken können.

In allen Dingen des praktischen Lebens kommt es darauf an, den rechten Punkt zu treffen, und so macht es bei der Stromverteidigung einen großen Unterschied, ob man alle Verhältnisse richtig übersieht; ein anscheinend unbedeutender Umstand kann den Fall wesentlich verändern, und was hier eine höchst weise und wirksame Maßregel gewesen wäre, dort zu einer verderblichen Verkehrtheit machen. Diese Schwierigkeit, alles richtig zu beurteilen und nicht zu glauben, Strom sei Strom, ist hier vielleicht größer als anderswo, deshalb müssen wir uns gegen die Gefahr falscher Anwendung und Auslegung besonders verwahren; aber nachdem wir dies getan haben, können wir auch nicht umhin, unumwunden zu erklären, daß wir einer Beachtung ganz unwürdig das Geschrei derer halten, die nach dunkeln Gefühlen und unfixierten Vorstellungen alles von Angriff und Bewegung erwarten und in dem mit über dem Kopf geschwungenem Säbel hervorpreschenden Husaren das ganze Bild des Krieges sehen.

Solche Vorstellungen und Gefühle sind nicht immer zureichend, wenn sie wirklich aushalten (wir wollen nur an den weiland berühmten Diktator Wedel bei Züllichau 1759 erinnern); aber was das Schlimmste ist, sie halten selten aus und verlassen den Befehlshaber im letzten Augenblick, wenn große, zusammengesetzte, in tausend Beziehungen verwickelte Fälle auf ihn eindringen.

Wir glauben also, daß eine unmittelbare Stromverteidigung bei großen Truppenmassen unter guten Bedingungen gute Resultate geben kann, wenn man sich mit der bescheidenen Negative begnügt, aber so ist es nicht für kleinere Truppenmassen. Während 60000 Mann auf eine gewisse Stromlinie imstande sind, einem Heer von 100000 Mann und darüber den Übergang zu verwehren, würden 10000 Mann auf derselben Entfernung nicht imstande sein, ihn einem Korps von 10000 Mann zu verbieten, ja nicht einem halb so starken, wenn dieses sich in die Gefahr begeben wollte, sich mit einem so überlegenen Feinde auf einer Seite zu befinden. Die Sache ist klar, weil die Übergangsmittel sich nicht verändern.

Wir haben uns bisher wenig auf die Scheinübergänge eingelassen, weil sie bei der unmittelbaren Stromverteidigung nicht sehr in Betrachtung kommen; denn teils kommt es bei derselben nicht auf eine Versammlung des Heeres auf einen Punkt an, sondern es ist einem jeden Teil ohnehin eine gewisse Weite des Stromlaufes zur Verteidigung zugedacht, teils sind dergleichen Scheinübergänge auch unter den vorausgesetzten Umständen sehr schwierig. Wenn nämlich die Übergangsmittel an sich schon rar, d. h. nicht in dem Maße vorhanden sind, wie der Angreifende es zur Sicherstellung seiner Unternehmung wünschen muß, so wird er schwerlich einen bedeutenden Teil zum Scheinübergang verwenden können und wollen; in jedem Fall wird dadurch die Masse der Truppen, welche er dadurch an den wahren Übergangspunkt herüberschaffen kann, um so geringer, und man gewinnt also auf der anderen Seite wieder an Zeit, was man durch die Ungewißheit verlieren könnte.

Diese unmittelbare Stromverteidigung dürfte sich in der Regel nur für die erste Klasse der europäischen Ströme auf der letzten Hälfte ihres Weges eignen.

Die zweite Art ist die für kleinere Flüsse und bei tief eingeschnittenen Tälern, oft selbst für sehr unbedeutende geeignete. Sie besteht in einer weiter rückwärts in solcher Entfernung genommenen Aufstellung, daß man die Möglichkeit hat, die feindliche Armee beim Übergang entweder geteilt zu finden, wenn sie auf mehreren Punkten zugleich übergeht, oder nahe am Strome und auf eine Brücke und Straße beschränkt, wenn sie auf einem Punkt übergegangen ist. Mit dem Rücken dicht an einen bedeutenden Fluß oder einen tiefen Taleinschnitt geklemmt und auf einen einzigen Rückzugsweg beschränkt zu sein, ist eine höchst nachteilige Lage für die Schlacht, und in der Benutzung dieses Umstandes besteht die Verteidigung aller mittleren Flüsse und tiefen Taleinschnitte.

Die Aufstellung einer Armee in großen Korps dicht am Strome, welche wir bei der unmittelbaren Verteidigung für die beste halten, setzt voraus, daß es dem Feinde unmöglich ist, den Fluß unvermutet in großen Massen zu passieren, weil sonst die Gefahr, getrennt und einzeln geschlagen zu werden, bei jener Aufstellungsart sehr groß sein würde. Sind also die Umstände, welche die Flußverteidigung begünstigen, nicht vorteilhaft genug, hat der Feind zu viel Mittel des Überschiffens schon in Händen, hat der Strom zu viel Inseln oder gar Furten, ist er nicht breit genug, sind wir zu schwach usw., so kann von jener Methode nicht mehr die Rede sein; die Truppen müssen zu ihrer sicheren Verbindung untereinander etwas vom Strom zurückgezogen werden, und alles, was nun übrigbleibt, ist eine soviel als möglich beschleunigte Vereinigung auf demjenigen Punkt, wo der Feind den Übergang macht, um ihn anzugreifen, ehe er noch soviel Feld gewonnen, daß ihm mehrere Übergänge zu Gebote stehen. Hier wird also der Fluß oder das Tal durch eine Vorpostenkette beobachtet und schwach verteidigt, während die Armee in mehreren Korps auf passenden Punkten in einiger Entfernung (gewöhnlich einige Stunden) vom Fluß aufgestellt wird.

Der Hauptumstand ist hier der Durchzug durch die Straßenenge, welche der Fluß und sein Tal bildet. Hier kommt es also nicht bloß auf die Wassermasse an, sondern auf das Ganze der Straßenenge, und in der Regel leistet ein tiefes Felsental viel mehr als eine beträchtliche Flußbreite. Die Schwierigkeit, welche der Durchzug einer bedeutenden Truppenmasse durch eine beträchtliche Straßenenge hat, ist in der Wirklichkeit sehr viel größer, als aus der bloßen Überlegung sich zu ergeben scheint. Die erforderliche Zeit ist sehr beträchtlich, die Gefahr, daß der Feind auch während des Durchzuges sich zum Meister der umgebenden Höhen machen könnte, sehr beunruhigend. Rücken die ersten Truppen zu weit vor, so treffen sie früher auf den Feind und sind in Gefahr, von einer überlegenden Macht erdrückt zu werden, bleiben sie in der Nähe des Übergangspunktes, so schlägt man sich in der schlimmsten Lage. Der Übergang über einen solchen Einschnitt des Bodens, um jenseits desselben sich mit der feindlichen Armee zu messen, ist daher ein kühnes Unternehmen oder setzt eine große Überlegenheit und Sicherheit in der Führung voraus.

Freilich kann sich eine solche Verteidigungslinie nicht zu einer ähnlichen Länge ausdehnen wie die unmittelbare Verteidigung eines großen Stromes, denn man will mit dem Ganzen vereinigt schlagen, und die Übergänge, wenn sie auch noch so schwierig sind, können doch nicht mit denen über einen großen Strom verglichen werden; das Umgehen liegt also dem Feinde viel näher. Allein dieses Umgehen verschiebt ihn aus seiner natürlichen Richtung (denn wir setzen, wie sich versteht, voraus, daß der Taleinschnitt diese ungefähr senkrecht durchschneidet), und die nachteilige Wirkung der beengten Rückzugslinien verliert sich nicht mit einem Male, sondern erst nach und nach, so daß der Verteidiger auch dann immer noch einige Vorteile über den Vorgehenden hat, wenn dieser auch nicht gerade im Augenblick der Krise von ihm erreicht worden ist, sondern durch das Umgehen etwas mehr Spielraum gewonnen hat.

Da wir nicht bloß von den Flüssen in Beziehung auf ihre Wassermasse reden, sondern fast mehr als diese den tiefen Einschnitt ihrer Täler im Auge haben, so müssen wir bevorworten, daß darunter kein förmliches Gebirgstal verstanden werden dürfe, weil dann alles davon gilt, was vom Gebirge gesagt worden ist. Bekanntlich gibt es aber sehr viel ebene Gegenden, wo selbst die kleinsten Flüsse tiefe und steile Einschnitte bilden; außerdem gehören auch morastige Ufer und andere Hindernisse des Zuganges hierher.

Unter diesen Bedingungen ist also die Aufstellung einer Verteidigungsarmee hinter einem beträchtlichen Fluß oder tieferen Taleinschnitt eine sehr vorteilhafte Lage und diese Art der Flußverteidigung zu den besten strategischen Maßregeln zu zählen.

Die Blöße derselben, der Punkt, auf dem der Verteidiger leicht straucheln kann, ist die zu große Ausdehnung der Kräfte. Es ist so natürlich, sich in einem solchen Fall von einem Übergangspunkte bis zum anderen fortziehen zu lassen und den rechten Punkt zu verfehlen, wo man abschneiden muß; gelingt es aber nicht, mit der ganzen Armee vereinigt zu schlagen, so ist die Wirkung verfehlt: ein verlorenes Gefecht, ein notwendiger Rückzug und mancherlei Verwirrung und Verlust bringen die Armee einer völligen Niederlage nahe, selbst wenn sie nicht bis aufs äußerste standhält.

Daß man unter dieser Bedingung sich nicht weit ausdehnen dürfe, daß man in jedem Fall seine Kräfte am Abend desselben Tages gesammelt haben müsse, wo der Feind übergeht, ist genug gesagt und kann die Stelle aller weiteren Kombinationen von Zeit, Kraft und Raum vertreten, die hier von so vielen Örtlichkeiten abhängig sind.

Die unter solchen Umständen herbeigeführte Schlacht muß einen eigentümlichen Charakter haben, nämlich den der höchsten Impetuosität von seiten des Verteidigers. Die Scheinübergänge, womit der Angreifende ihn eine Zeitlang in Ungewißheit gehalten haben kann, werden ihn in der Regel erst erscheinen lassen, wenn es die höchste Zeit ist. Die eigentümlichen Vorteile seiner Lage bestehen in der nachteiligen Lage der feindlichen Korps, die er gerade vor sich hat; kommen von anderen Übergangspunkten andere Korps herbei, die ihn umfassen, so kann er diesen nicht wie in einer Defensivschlacht mit kräftigen Stößen von hinten entgegenwirken, sonst opferte er die Vorteile seiner Lage auf; er muß also die Sache in seiner Fronte entscheiden, ehe diese Korps ihm nachteilig werden, d. h. er muß, was er vor sich hat, so schnell und kräftig als möglich angreifen und durch die Niederlage desselben das Ganze entscheiden.

Der Zweck dieser Flußverteidigung kann aber niemals der Widerstand gegen eine zu überlegene Macht sein, wie allenfalls bei der unmittelbaren Verteidigung eines großen Stromes denkbar ist; denn in der Regel bekommt man es mit dem größten Teil der feindlichen Macht wirklich zu tun, und wenn dies auch unter vorteilhaften Umständen der Fall ist, so ist doch leicht einzusehen, daß das Verhältnis der Macht schon in Betrachtung kommt.

So ist es mit der Verteidigung mittlerer Flüsse und tiefer Taleinschnitte, wenn von den großen Massen des Heeres selbst die Rede ist, für welche der beträchtliche Widerstand, den man an den Talrändern selbst tun kann, in keinen Betracht gegen die Nachteile einer verzettelten Stellung kommen kann, und denen ein entschiedener Sieg Bedürfnis ist. Kommt es aber bloß auf die Verstärkung einer untergeordneten Verteidigungslinie an, die eine Zeitlang widerstehen soll und auf Unterstützung berechnet ist, so kann allerdings eine unmittelbare Verteidigung der Talränder oder selbst der Ufer stattfinden, und wenngleich hier nicht ähnliche Vorteile zu erwarten sind wie in Gebirgsstellungen, so wird der Widerstand doch immer länger dauern als in gewöhnlicher Gegend. Nur ein Fall macht diesen Gebrauch sehr gefährlich oder unmöglich: wenn der Fluß sich in sehr krausen Schlangelinien fortzieht, welches gerade bei tiefeingeschnittenen oft vorkommt. Man betrachte nur den Lauf der Mosel in Deutschland. In diesem Fall würden die an den ausgehenden Bogen vorgeschobenen Teile beim Rückzug fast unvermeidlich verlorengehen.

Daß ein großer Strom dasselbe Verteidigungsmittel darbietet, welches wir hier in Beziehung auf die Masse des Heeres den mittleren Flüssen angeeignet haben, und zwar unter viel günstigeren Bedingungen, versteht sich von selbst, und dieser Fall wird jedesmal zur Anwendung kommen, wo es dem Verteidiger auf einen völligen Sieg ankommt. (Aspern.)

Der Fall, wo ein Heer einen Strom, einen Fluß oder ein tiefes Tal dicht vor seiner Fronte nimmt, um ein taktisches Zugangshindernis dadurch zu gewinnen, eine taktische Fronteverstärkung, ist ein ganz anderer, dessen nähere Betrachtung in die Taktik gehört; wir wollen aber von dem Resultat dieser Maßregel soviel sagen, daß sie im Grunde eine völlige Selbsttäuschung ist. - Ist der Einschnitt sehr beträchtlich, so wird die Fronte der Stellung dadurch absolut unangreifbar; da nun das Vorbeigehen einer solchen Stellung nicht mehr Umstände macht als das jeder anderen, so ist es im Grunde nicht viel mehr, als wenn der Verteidiger dem Angreifenden selbst aus dem Wege gegangen wäre, welches doch schwerlich die Absicht der Aufstellung war. Eine solche Aufstellung kann also nur da Nutzen haben, wo das Verhältnis der Verbindungslinien durch die Örtlichkeit dem Angreifenden so ungünstig gestellt wird, daß jedes Ausbiegen von der direkten Straße mit zu nachteiligen Folgen verbunden wäre.

Bei dieser zweiten Verteidigungsart sind die Scheinübergänge viel gefährlicher, denn der Angreifende hat mehr Leichtigkeit, sie zu machen, und der Verteidiger die Aufgabe, sein ganzes Heer auf dem rechten Punkt zu versammeln. Allein von der einen Seite ist dem Verteidiger die Zeit hier nicht ganz so knapp zugemessen, weil seine Vorteile so lange nicht aufhören, bis der Angreifende seine ganze Macht vereinigt und mehrere Übergänge hinter sich genommen hat; von der anderen Seite ist die Wirksamkeit der Scheinangriffe immer hier noch nicht so groß wie bei der Verteidigung eines Kordons, wo alles festgehalten werden soll, und es also bei Verwendung der Reserve nicht wie bei unserer Aufgabe auf die bloße Frage ankommt, wo der Gegner seine Hauptmacht hat, sondern auf die viel schwierigere, welcher Punkt am ersten überwältigt werden wird.

Von beiden Verteidigungsarten großer und kleiner Flüsse müssen wir im allgemeinen noch bemerken, daß sie, in der Eile und Verwirrung eines Rückzuges angeordnet, ohne Vorbereitungen, ohne Wegschaffung der Übergangsmittel, ohne genaue Kenntnis der Gegend allerdings nicht das leisten können, was wir uns hier darunter gedacht haben; in den meisten Fällen ist gar nicht darauf zu rechnen, und um deswillen sich in ausgedehnte Stellungen zu verzetteln, eine große Torheit.

Überhaupt wird, so wie im Kriege alles fehlschlägt, was man nicht mit klarem Bewußtsein, mit ganzem und festem Willen tut, auch eine Flußverteidigung schlechten Erfolg haben, die gewählt wird, weil man den Mut hat, dem Gegner in offener Feldschlacht entgegenzutreten, und hofft, daß der breite Fluß, das tiefe Tal ihn aufhalten werden. Da ist so wenig von wahrem Vertrauen zu der eigenen Lage die Rede, daß gewöhnlich Feldherr und Heer voll der besorglichsten Ahnungen sind, die denn auch schnell genug in Erfüllung zu gehen pflegen. Eine offene Feldschlacht setzt ja nicht wie ein Duell völlig gleiche Umstände voraus, und ein Verteidiger, der sich in derselben keine Vorteile durch die Eigentümlichkeit der Verteidigung zu erwerben weiß, keine durch schnelle Märsche, keine durch Kenntnis der Gegend, keine durch Freiheit der Bewegungen, dem ist nicht zu helfen, und am wenigsten wird der Fluß und sein Tal es vermögen. -

Die dritte Art der Verteidigung, durch eine auf der feindlichen Seite genommene feste Stellung, gründet ihre Wirksamkeit auf die Gefahr, welche dem Feinde daraus entspringt, daß ein Fluß seine Verbindungslinien durchschneiden und also auf ein oder ein paar Brückenübergänge beschränken würde. Hieraus ergibt sich von selbst, daß hier nur von bedeutenden Flüssen mit bedeutenden Wassermassen die Rede sein kann, da diese allein jenen Fall bedingen, während ein bloß tiefeingeschnittener Fluß gewöhnlich eine solche Zahl von Übergängen hat, daß jene Beziehung ganz wegfällt.

Sehr fest, fast unangreifbar muß die Stellung sein, sonst würden wir ja dem Feind halben Weges entgegenkommen und unsere Vorteile aufgeben. Ist sie aber von solcher Stärke, daß der Feind sich nicht zu einem Angriff entschließen wird, so wird er unter gewissen Umständen dadurch selbst auf das Ufer gebannt, auf dem wir uns befinden. Ginge er über, so würde er seine Verbindungen preisgeben, aber freilich zugleich die unserigen bedrohen. Hier, wie bei allen Fällen, wo man einander vorbeigeht, kommt es darauf an, wessen Verbindungen der Zahl, der Lage und den übrigen Umständen nach mehr gesichert sind, ferner wer auch in anderer Rücksicht mehr dabei zu verlieren hat und also von dem Gegner leicht überboten werden kann, endlich wer in seinem Heer mehr Siegeskraft bewahrt, um sich im äußersten Fall darauf zu stützen. Der Fluß tut hierbei nichts, als daß er die gegenseitigen Gefahren einer solchen Bewegung potenziert, weil man auf Brücken eingeschränkt ist. Insofern man nun annehmen kann, daß nach der gewöhnlichen Ordnung der Dinge die Übergänge des Verteidigers sowie seine Depots aller Art durch Festungen mehr gesichert sein werden als die des Angreifenden, so ist eine solche Verteidigung allerdings denkbar und würde dann in den Fällen, wo die übrigen Umstände einer unmittelbaren Flußverteidigung nicht günstig genug sind, diese ersetzen. Zwar ist dann der Fluß nicht durch die Armee verteidigt, auch die Armee nicht durch den Fluß, aber das Land ist es durch die Verbindung beider, worauf es doch ankommt.

Indessen muß man gestehen, daß diese Verteidigungsart ohne entscheidenden Schlag, welche der Spannung gleicht, in der sich die beiden Elektrizitäten bei der bloßen Berührung ihrer Atmosphäre befinden, nur geeignet ist, einen nicht sehr kräftigen Impuls aufzuhalten. Gegen einen vorsichtigen, unentschlossenen Feldherrn, den nichts heftig vorwärts drängt, wird sie, selbst bei großer Überlegenheit seiner Kräfte, anwendbar sein; ebenso, wenn schon ein gleichgewichtiges Schweben der Kräfte vorher eingetreten ist und man einander nur kleine Vorteile abzugewinnen sucht. Hat man es aber mit überlegenen Kräften zu tun, von einem Waghals angeführt, so ist es ein gefährlicher Weg, der dicht an den Abgrund hinführt.

Diese Verteidigungsart nimmt sich übrigens so keck und doch so wissenschaftlich aus, daß man sie die elegante nennen möchte ; aber da Eleganz leicht an Fatuität hinstreift, und diese im Kriege nicht so leicht verziehen werden würde wie in der Gesellschaft, so hat man doch wenig Beispiele dieser eleganten Art. Aus dieser dritten Art entwickelt sich ein besonderes Hilfsmittel für die beiden ersten Arten, nämlich durch das Festhalten einer Brücke und eines Brückenkopfes immer mit dem Übergang zu drohen. -

Außer dem Zweck eines absoluten Widerstandes mit der Hauptmacht kann jede der drei Arten der Flußverteidigung noch den eines Scheinwiderstandes haben.

Dieser Schein eines Widerstandes, den man nicht wirklich leisten will, ist zwar mit vielen anderen Maßregeln und im Grunde mit jeder Stellung verbunden, die etwas anderes als ein bloßes Marschlager ist, allein die Scheinverteidigung eines großen Flusses wird dadurch zu einer wahren Vorspiegelung, daß man dazu eine Menge mehr oder weniger umständliche Maßregeln nimmt, und daß die Wirkung größer und dauernder zu sein pflegt als bei allen anderen; denn der Akt eines solchen Stromüberganges im Angesicht unseres Heeres ist für den Angreifenden immer ein wichtiger Schritt, worüber er sich oft lange besinnt, oder den er für gelegenere Zeit aufschiebt.

Zu einer solchen Scheinverteidigung ist also erforderlich, daß sich das Hauptheer ungefähr in der Weise, wie es bei einer ernstlichen statthaben würde, an dem Flusse verteilt und aufgestellt; da aber die Absicht der bloßen Scheinverteidigung zeigt, daß für eine wirkliche die Umstände nicht günstig genug sind, so würde aus jener Aufstellung, die notwendig immer eine mehr oder weniger ausgedehnte und zerstreute sein muß, sehr leicht die Gefahr großer Verluste entstehen, wenn die Korps sich wirklich in einen wenn auch nur mäßigen Widerstand einlassen wollten; das würde im eigentlichen Verstande eine halbe Maßregel sein. Bei einer Scheinverteidigung muß also alles auf eine unfehlbare Vereinigung des Heeres in einem weiter und zwar beträchtlich, oft mehrere Tagemärsche weiter zurückliegenden Punkte berechnet sein; und nur soviel Widerstand, als damit verträglich ist, kann geleistet werden.

Um unsere Meinung deutlich zu machen und zugleich die Wichtigkeit zu zeigen, welche eine solche Scheinverteidigung haben kann, erinnern wir an das Ende des Feldzuges von 1813. Bonaparte brachte etwa 40-50000 Mann wieder über den Rhein. Diesen Strom damit in dem Bereich verteidigen zu wollen, in welchem die Verbündeten nach der Richtung ihrer Kräfte bequem übergehen konnten, nämlich von Mannheim bis Nymwegen, wäre eine Unmöglichkeit gewesen. Bonaparte konnte also nur daran denken, den ersten ernstlichen Widerstand etwa an der französischen Maas zu tun, wo er einigermaßen wieder verstärkt auftreten konnte. Hätte er seine Kräfte sogleich bis dahin zurückgezogen, so würden ihm die Verbündeten auf dem Fuß gefolgt sein; hätte er sie hinter dem Rhein in Erholungsquartiere verlegt, so konnte einen Moment später dasselbe fast nicht ausbleiben; denn auch bei der kleinmütigsten Behutsamkeit würde man doch Schwärme von Kosaken und anderen leichten Truppen haben übergehen lassen, und wenn man sah, daß dies so gut gelang, so würde man mit anderen Korps gefolgt sein. Es war also nötig, daß die französischen Korps Anstalten machten, den Rhein ernstlich zu verteidigen. Da vorauszusehen war, daß bei dieser Verteidigung, sobald die Verbündeten den Übergang wirklich unternahmen, nichts herauskommen konnte, so war sie als eine bloße Demonstration zu betrachten, wobei die französischen Korps gar keine Gefahr liefen, da ihr Vereinigungspunkt an der oberen Mosel lag. Nur Macdonald, der bekanntlich mit 20000 Mann bei Nymwegen stand, beging den Fehler, abzuwarten, bis er wirklich vertrieben wurde, welches, da dies durch die spätere Ankunft des Wintzingerodeschen Korps erst Mitte Januars geschah, ihn verhinderte, sich vor der Schlacht von Brienne mit Bonaparte zu vereinigen. Diese Scheinverteidigung des Rheins nun hat hingereicht, die Verbündeten in ihrer vorschreitenden Bewegung zum Stehen und zu dem Entschluß zu bringen, den Übergang bis zur Ankunft ihrer Verstärkungen, d. h. 6 Wochen lang zu verschieben. Diese 6 Wochen mußten Bonaparte von unendlichem Wert sein. Ohne die Scheinverteidigung des Rheins hätte der Sieg von Leipzig unmittelbar nach Paris geführt, und eine Schlacht diesseits dieser Hauptstadt wäre den Franzosen vollkommen unmöglich gewesen.

Auch bei der Flußverteidigung der zweiten Art, also bei mittleren Flüssen, kann eine solche Vorspiegelung stattfinden, nur wird sie im allgemeinen viel weniger wirksam sein, weil hier bloße Versuche zu einem Übergang leichter sind, und also der Zauber bald gebrochen sein wird.

Bei der dritten Art der Flußverteidigung würde die Demonstration vermutlich noch unwirksamer sein und nicht weiter gehen als die einer jeden anderen vorläufig genommenen Stellung.

Endlich sind die beiden ersten Verteidigungsarten sehr geeignet, einer Vorposten- oder anderen Verteidigungslinie, für irgendeinen untergeordneten Zweck aufgestellt (Kordon), oder auch einem zur bloßen Beobachtung aufgestellten Nebenkorps eine viel größere und sicherere Stärke zu gewähren, als es ohne den Fluß haben würde. In allen diesen Fällen kann nur von einem relativen Widerstand die Rede sein, und dieser wird natürlich durch einen solchen Bodeneinschnitt beträchtlich gesteigert. Hierbei muß man indessen nicht bloß an die verhältnismäßig beträchtliche Zeit denken, die der Widerstand im Gefecht selbst dauert, sondern an das viele Bedenken, was jeder Unternehmung dagegen vorhergeht, und wodurch sie bei nicht dringenden Veranlassungen unter hundert Malen neunundneunzig Mal unterbleibt.

Neunzehntes Kapitel: Fortsetzung

Wir haben jetzt noch etwas über die Wirksamkeit zu sagen, welche Ströme und Flüsse in der Landesverteidigung haben, wenn sie auch nicht selbst verteidigt werden.

Jeder bedeutende Fluß mit seinem Haupttal und seinen Nebentälern bildet ein sehr beträchtliches Bodenhindernis und wird also dadurch der Verteidigung im allgemeinen vorteilhaft; sein eigentümlicher Einfluß aber läßt sich in seinen Hauptbeziehungen näher angeben.

Zuerst müssen wir unterscheiden, ob er der Grenze, d. h. der allgemeinen strategischen Fronte, parallel fließt oder schief oder senkrecht gegen dieselbe. Bei dem Parallellauf müssen wir den Fall unterscheiden, wo ihn das eigene Heer, von dem, wo ihn der Angreifende hinter sich hat, und in beiden Fällen wieder die Entfernung, in welcher sich das Heer von ihm befindet.

Ein Verteidigungsheer, welches einen bedeutenden Fluß nahe, doch nicht unter einem gewöhnlichen Marsch hinter sich hat und an diesem Fluß eine hinreichende Menge gesicherter Übergangspunkte, ist unstreitig in einer viel stärkeren Lage, als es ohne den Fluß sein würde; denn wenn es durch die Rücksicht auf die Übergangspunkte in allen seinen Bewegungen etwas an Freiheit verliert, so gewinnt es viel mehr durch die Sicherheit seines strategischen Rückens, d. h. hauptsächlich seiner Verbindungslinien. Wohlverstanden, daß wir hierbei die Verteidigung im eigenen Lande denken, denn im feindlichen würden wir, wenn auch die feindliche Armee vor uns steht, doch immer mehr oder weniger den Feind auch hinter uns jenseits des Flusses zu befürchten haben, und dann würde der Fluß durch den Straßenzwang, welchen er verursacht, mehr nachteilig als vorteilhaft auf unsere Lage wirken. Je weiter der Fluß sich hinter dem Heere befindet, um so geringer wird er ihm nützlich werden, und bei gewissen Entfernungen wird sein Einfluß ganz Null sein.

Muß das angreifende Heer in seinem Vorrücken einen Fluß hinter sich nehmen, so wird er nur nachteilig auf seine Bewegungen wirken können, denn er schränkt seine Verbindungslinien auf einzelne Übergangspunkte ein. Prinz Heinrich im Jahr 1760 hatte, als er bei Breslau auf dem rechten Oderufer den Russen entgegentrat, durch die auf einen Marsch hinter ihm fließende Oder offenbar einen Stützpunkt; dagegen waren die später über die Oder gegangenen Russen unter Tschernitschew in einer sehr unbequemen Lage, eben durch die Gefahr, bei der einzigen Brücke ihren Rückzug zu verlieren.

Geht aber ein Fluß mehr oder weniger senkrecht durch das Kriegstheater, so ist der Vorteil davon wieder auf der Seite des Verteidigers, denn erstlich gibt es gewöhnlich eine Anzahl guter Aufstellungen durch Anlehnung an den Fluß und Benutzung der einfallenden Transversaltäler als Fronteverstärkungen (wie die Elbe im Siebenjährigen Kriege für die Preußen); zweitens wird der Angreifende entweder die eine der beiden Seiten intakt lassen müssen oder sich teilen; und bei dieser Teilung kann es nicht fehlen, daß der Verteidiger wieder im Vorteil ist, weil er mehr gesicherte Übergänge besitzen wird als der Angreifende. Man darf nur einen Gesamtblick auf den Siebenjährigen Krieg werfen, um sich zu überzeugen, daß die Oder und Elbe Friedrich dem Großen bei der Verteidigung seines Kriegstheaters, nämlich Schlesiens, Sachsens und der Mark, sehr nützlich und folglich den Österreichern und Russen bei der Eroberung dieser Provinzen sehr hinderlich gewesen sind, obgleich eine eigentliche Verteidigung dieser Flüsse im ganzen Siebenjährigen Kriege nicht einmal vorkommt und ihr Lauf in den meisten Beziehungen zum Feinde mehr schief oder senkrecht gegen die Fronte als parallel mit derselben ist.

Nur die Beziehung, welche der Fluß als Transportstraße im Fall seines mehr oder weniger senkrechten Laufes haben kann, ist im allgemeinen zum Besten des Angriffs, aus dem Grunde, weil dieser die längere Verbindungslinie und also die größere Schwierigkeit beim Transport aller Bedürfnisse hat, eine wesentliche Erleichterung also wie die Wasserfracht hauptsächlich ihm zum Nutzen gereichen muß. Zwar wird auch hier der Verteidiger den Vorteil haben, den Fluß von dem Punkt der Grenze ab durch feste Plätze sperren zu können; allein dadurch werden die Vorteile nicht aufgehoben, welche der Fluß dem Angreifenden durch seinen früheren Lauf gewährt. Indessen, wenn man bedenkt, daß viele Flüsse auch da, wo sie schon eine für die übrigen kriegerischen Beziehungen nicht unbedeutende Breite haben, noch nicht schiffbar sind, daß andere es nicht zu jeder Jahreszeit sind, daß die Schiffahrt stromaufwärts sehr langsam, oft schwierig ist, daß die vielen Serpentinen mancher Ströme den Weg mehr als verdoppeln, daß jetzt die Hauptverbindungsstraßen zweier Länder meistens Chausseen sind, endlich, daß man jetzt die Hauptmasse der Bedürfnisse mehr als sonst in den nächsten Provinzen aufzubringen und nicht so merkantilisch von weit herbeizuführen pflegt, so sieht man wohl, daß die Wasserfahrt überhaupt keine so große Rolle beim Unterhalt der Heere spielt, als in Büchern vorgestellt zu werden pflegt, und daß diese Einwirkung auf den Gang der Begebenheiten darum eine sehr entfernte und ungewisse ist.

Zwanzigstes Kapitel: A. Verteidigung von Morästen

Große ausgedehnte Sümpfe, wie das Bourtanger Moor in Norddeutschland, kommen so selten vor, daß es nicht der Mühe wert wäre, dabei zu verweilen; aber man muß nicht vergessen, daß gewisse Niederungsstriche und sumpfige Ufer kleiner Flüsse häufiger vorkommen und dann sehr beträchtliche Abschnitte in der Gegend bilden, die zur Verteidigung benutzt werden können, und die man auch nur häufig dazu benutzt sieht.

Die Maßregeln zu ihrer Verteidigung sind zwar ziemlich dieselben wie bei den Flüssen, indessen sind doch ein paar Eigentümlichkeiten besonders zu beachten. Die erste und hauptsächlichste ist, daß ein Sumpf, der außer den Dämmen für Fußvolk ganz unwegsam ist, viel größere Schwierigkeiten des Überganges hat als irgendein Fluß; denn erstlich ist ein Damm nicht so schnell gebaut wie eine Brücke, zweitens gibt es keine vorläufigen Übergangsmittel, wodurch die den Bau deckenden Truppen hinübergeschafft werden könnten. Niemand wird anfangen, eine Brücke zu bauen, ohne einen Teil der Schiffe zum Übersetzen der Avantgarde zu brauchen; beim Morast aber findet keine dementsprechende Aushilfe statt; die leichteste Art für bloßes Fußvolk, einen Übergang über einen Morast zu gewinnen, wären bloße Bretter, aber wenn der Morast von einiger Breite ist, so hält doch diese Arbeit ungleich mehr auf als das Überfahren der ersten Schiffe. Läuft nun in der Mitte des Morastes noch ein Fluß, der nicht ohne Brücke passiert werden kann, so wird die Aufgabe zur Herüberschaffung der ersten Truppen noch schwieriger, denn auf bloßen Brettern können wohl einzelne Menschen übergehen, aber nicht schwere Lasten fortgeschafft werden, wie sie zum Bau der Brücke nötig sind. Diese Schwierigkeit kann unter manchen Umständen unüberwindlich werden.

Eine zweite Eigentümlichkeit des Sumpfes ist, daß man seine Übergänge nicht wie die der Flüsse ganz aufgeben kann; Brücken kann man abbrechen oder sie so zerstören, daß sie gar nicht benutzt werden können; Dämme aber kann man höchstens durchstechen, welches nicht viel sagen will. Fließt ein kleiner Fluß in der Mitte, so kann zwar seine Brücke weggenommen werden, aber der ganze Übergang wird dadurch doch nicht in dem Maße aufgehoben wie bei einem beträchtlichen Flusse durch das Zerstören seiner Brücke. Die natürliche Folge ist, daß man die vorhandenen Dämme jedesmal ziemlich stark besetzen und ernstlich verteidigen muß, wenn man überhaupt einen Vorteil von dem Moraste haben will.

Man ist also von der einen Seite zur örtlichen Verteidigung genötigt, von der anderen wird eine solche durch die Schwierigkeit des anderweitigen Überganges erleichtert, und es machen also diese beiden Eigentümlichkeiten, daß die Verteidigung der Sümpfe mehr lokal und passiv sein muß als die der Flüsse.

Eine Folge darin ist, daß man verhältnismäßig stärker sein muß als bei der unmittelbaren Stromverteidigung oder mit anderen Worten keine so lange Verteidigungslinie bilden kann, besonders in dem kultivierten Europa, wo die Zahl der Übergänge auch unter den günstigsten Umständen immer noch sehr groß zu sein pflegt.

In dieser Rücksicht stehen sie also großen Strömen nach, und diese Rücksicht ist sehr wichtig, denn alle örtliche Verteidigung hat etwas höchst Verfängliches und Gefährliches. Wenn man aber bedenkt, daß solche Moräste und Niederungen eine Breite zu haben pflegen, mit der die der größten europäischen Ströme sich nicht vergleichen läßt, daß folglich ein zur Verteidigung eines Überganges aufgestellter Posten niemals in Gefahr ist, vom jenseitigen Feuer überwältigt zu werden, daß die Wirkung seines eigenen Feuers durch einen ganz engen, sehr langen Damm unendlich gesteigert wird, und daß überhaupt der Durchgang durch eine solche Straßenenge von einer Viertel- oder halben Meile Länge ungleich mehr aufhält als der Übergang über eine Brücke, so muß man eingestehen, daß solche Niederungen und Moräste, wenn ihre Übergänge nicht gar zu zahlreich sind, zu den stärksten Verteidigungslinien gehören, die es geben kann.

Eine mittelbare Verteidigung, wie wir sie bei den Strömen und Flüssen kennengelernt haben, indem der Einschnitt des Bodens benutzt wird, eine Hauptschlacht vorteilhaft einzuleiten, bleibt übrigens ebenso anwendbar für Moräste.

Die dritte Methode einer Flußverteidigung durch eine Stellung auf der feindlichen Seite würde aber wegen des langwierigen Überganges zu gewagt werden.

Höchst gefährlich aber ist es, sich auf die Verteidigung solcher Moräste, Wiesen, Brücher usw. einzulassen, die außer den Dämmen nicht absolut unwegsam sind. Eine einzige Übergangsstelle, die der Feind entdeckt hat, reicht dann zur Sprengung der Verteidigungslinie hin, welches im Fall eines ernstlichen Widerstandes immer mit großen Verlusten verknüpft ist.

 

B. Überschwemmungen

 

Wir haben nun noch der Überschwemmungen zu gedenken. Sie sind unstreitig als Verteidigungsmittel sowie als Naturerscheinung großen Morästen am ähnlichsten.

Freilich kommen sie wohl selten vor; vielleicht ist Holland das einzige Land in Europa, wo sie eine Erscheinung bilden, die in unserer Beziehung der Mühe wert ist, betrachtet zu werden; aber gerade dieses Land nötigt uns wegen der merkwürdigen Feldzüge von 1672 und 1787 sowie wegen seiner für Deutschland und Frankreich beziehungsreichen Lage, diesem Vorkommen ein paar Betrachtungen zu widmen.

Der Charakter dieser holländischen Überschwemmungen ist von dem einer gewöhnlichen sumpfigen und unzugänglichen Niederung in folgendem verschieden:

1. Das Land selbst ist trocken und besteht entweder in trockener Wiese oder auch in Fruchtfeldern;

2. eine Anzahl kleiner Bewässerungs- und Entwässerungsgräben von mehr oder weniger Tiefe und Breite durchschneiden es so, daß sie sich strichweise in parallelen Richtungen befinden;

3. größere für die Bewässerung, Entwässerung und Schiffahrt bestimmte Kanäle, von Deichen eingeschlossen, durchziehen das Land in allen möglichen Richtungen und sind von der Art, daß sie ohne Brücken nicht passiert werden können;

4. die Fläche des Bodens der ganzen Überschwemmungsgegend liegt merklich unter dem Niveau des Meeres und folglich auch unter dem Niveau der Kanäle;

5. es folgt hieraus, daß man vermittelst Durchstechung der Dämme, Sperrung und Aufziehung der Schleusen imstande ist, das Land selbst unter Wasser zu setzen, so daß nur die auf den höheren Dämmen liegenden Wege trocken bleiben, die anderen entweder ganz unter Wasser kommen oder durch das Wasser wenigstens so aufgeweicht werden, daß man sich ihrer nicht mehr bedienen kann. Ist nun auch die Überschwemmung nur 3 oder 4 Fuß hoch, so daß man sie allenfalls auf kurze Strecken durchwaten könnte, so verhindern dies doch die unter 2. genannten kleinen Gräben, welche man nicht sieht. Nur da, wo die Gräben eine entsprechende Richtung haben, so daß man zwischen zweien fortgehen kann, ohne einen oder den anderen zu überschreiten, hört die Überschwemmung auf, ein absolutes Hindernis des Zuganges zu sein. Es ist begreiflich, daß dies immer nur auf ganz kurze Strecken der Fall sein wird, also nur für ganz spezielle taktische Bedürfnisse benutzt werden kann.

Aus allem diesen ergibt sich als Folge:

1. daß der Angreifende auf eine mehr oder weniger geringe Zahl von Zugängen beschränkt ist, die auf ziemlich schmalen Dämmen liegen und gewöhnlich noch rechts und links einen Wassergraben haben, also eine unendlich lange ängstliche Straßenenge bilden;

2. daß jede Verteidigungsanstalt auf einem solchen Damm außerordentlich leicht bis zum Unüberwindlichen verstärkt werden kann;

3. daß aber der Verteidiger, eben weil er so eingeschränkt ist, auch was den einzelnen Punkt betrifft, bei der passivsten Verteidigung stehenbleibt und folglich sein ganzes Heil von dem passiven Widerstand erwarten muß;

4. daß von einer einzelnen Verteidigungslinie, die wie eine einfache Barriere das Land schließt, nicht die Rede ist, sondern daß, weil man überall dasselbe Hindernis des Zuganges zum Schutz seiner Flanken hat, man auch unaufhörlich neue Posten anlegen und ein verlorengegangenes Stück der ersten Verteidigungslinie auf diese Weise durch ein neues ersetzen kann. Man möchte sagen, die Zahl der Kombinationen sei hier wie auf dem Schachbrett unerschöpflich.

5. Weil aber dieser ganze Zustand eines Landes nur bei der Voraussetzung einer sehr großen Kultur und Bevölkerung denkbar ist, so folgt von selbst, daß die Zahl der Durchgänge und folglich die Zahl der Posten, welche sie schließen, im Verhältnis zu anderen strategischen Aufstellungen sehr groß sein wird; woraus dann wieder folgt, daß eine solche Verteidigungslinie nicht lang sein darf.

Die holländische hauptsächlichste Linie geht von Naarden am Zuidersee größtenteils hinter der Vecht bis Gorkum an der Waal, d. h. eigentlich an den Biesbosch und hat eine Ausdehnung von etwa 8 Meilen. Zur Verteidigung dieser Linie ist 1672 und 1787 eine Macht von 25 bis 30000 Mann verwendet worden. Könnte man mit Sicherheit auf einen unüberwindlichen Widerstand rechnen, so wäre das Resultat allerdings ein sehr großes, wenigstens für die dahinterliegende Provinz Holland. Im Jahr 1672 widerstand die Linie wirklich einer beträchtlichen Übermacht unter großen Feldherren, nämlich anfangs Condé und nachher Luxemburg, die wohl 40 bis 50000 dagegen hätten führen können, und die doch mit Gewalt nichts unternehmen, sondern den Winter abwarten wollten, der aber nicht strenge genug war. Dagegen war im Jahr 1787 der Widerstand in dieser ersten Linie völlig nichtig, und selbst der in einer viel kürzeren zwischen dem Zuidersee und Haarlemer Meer, obgleich etwas ernstlicher, wurde durch die bloße Wirkung einer sehr künstlichen, auf die Lokalität genau berechneten taktischen Disposition des Herzogs von Braunschweig an einem Tage überwunden, obgleich die Streitkraft der Preußen, welche wirklich gegen diese Linien anrückte, den Verteidigern wenig oder gar nicht überlegen war.

Der verschiedene Erfolg in den beiden Verteidigungen lag in der Verschiedenheit des Oberbefehls. Im Jahr 1672 wurden die Holländer von Ludwig XIV. in ihren Friedenseinrichtungen überfallen, in denen, was die Landmacht betraf, bekanntlich kein sehr kriegerischer Geist lebte. Daher war der größte Teil der Festungen mit allen Ausrüstungsgegenständen schlecht versorgt, mit schwachen Besatzungen gemieteter Truppen besetzt, entweder von treulosen Ausländern oder von unfähigen Eingeborenen als Kommandanten verteidigt. Daher fielen die von den Holländern am Rhein besetzten brandenburgischen Festungen sowie alle ihre eigenen der obigen Verteidigungslinie östlich gelegenen Plätze mit Ausnahme von Groningen den Franzosen sehr bald und meistens ohne wahre Verteidigung in die Hände. Und in der Eroberung dieser großen Zahl von Festungen bestand dann die Haupttätigkeit der 150000 Mann starken französischen Armee.

Als aber durch die im August 1672 eingetretene Ermordung der Gebrüder De Witt der Prinz von Oranien an die Spitze der Gewalt kam und Einheit in die Verteidigungsmaßregeln brachte, da war es eben noch Zeit, die obige Verteidigungslinie zu schließen, und nun griffen alle Maßregeln so gut ineinander, daß weder Condé, noch Luxemburg, der nach dem Abmarsch der beiden Armeen unter Turenne und unter Ludwig XIV. die in Holland zurückgebliebene anführte, etwas gegen die einzelnen Posten zu unternehmen wagten.

Im Jahr 1787 waren die Verhältnisse ganz anders. Es war nicht die Republik der vereinigten sieben Provinzen, sondern eigentlich nur die Provinz Holland, welche den eigentlichen Feind des Angreifenden ausmachte und den Hauptwiderstand tun sollte. Von der Eroberung aller der Festungen, die im Jahr 1672 die Hauptsache ausmachte, war also nicht die Rede, die Verteidigung beschränkte sich sogleich auf die oben gedachte Linie. Der Angreifende hatte aber auch nicht 150-, sondern nur 25000 Mann und war kein mächtiger König eines benachbarten großen Reiches, sondern nur der abgeordnete Feldherr eines sehr entfernten, in manchen Rücksichten gebundenen Fürsten. Das Volk war zwar überall, auch in Holland, in zwei Parteien geteilt, aber die republikanische in Holland entschieden vorherrschend und dabei in einer wahrhaft enthusiastischen Spannung. Unter diesen Umständen hätte allerdings der Widerstand im Jahr 1787 wenigstens ein ebenso gutes Resultat liefern sollen als der von 1672. Aber es bestand ein wichtiger Unterschied zum Nachteil des Jahres 1787, es fehlte die Einheit des Befehls. Was 1672 der verständigen, klugen, kräftigen Leitung Wilhelms von Oranien übergeben war, wurde 1787 einer sogenannten Defenskommission anvertraut, die, ob sie gleich aus vier kräftigen Männern bestand, doch nicht imstande war, in das ganze Werk eine solche Einheit der Maßregeln und in die einzelnen Menschen ein solches Vertrauen zu bringen, daß sich nicht das ganze Instrument im Gebrauch unvollkommen und untüchtig gezeigt hätte.

Wir sind hierbei einen Augenblick verweilt, um der Vorstellung von dieser Verteidigungsmaßregel etwas mehr Bestimmtheit zu geben und zugleich zu zeigen, wie verschieden die Wirkungen sind, je nachdem in der Leitung des Ganzen mehr oder weniger Einheit und Folge ist.

Obgleich die Einrichtung und Widerstandsart einer solchen Verteidigungslinie ein Gegenstand der Taktik ist, so können wir doch nicht unterlassen, in Beziehung auf die letztere, welche der Strategie schon näher liegt, uns eine Bemerkung zu erlauben, welche uns der Feldzug von 1787 an die Hand gegeben hat. Wir glauben nämlich, daß, so passiv die Verteidigung auf den einzelnen Posten nach der Natur der Dinge sein muß, doch eine offensive Gegenwirkung von irgendeinem Punkt der ganzen Linie aus nicht unmöglich und nicht ohne guten Erfolg sein wird, wenn der Gegner, wie 1787 der Fall war, nicht merklich überlegen ist. Denn obgleich ein solcher Ausfall auch nur auf Dämmen geschehen kann, und da er allerdings auch keine große Freiheit der Bewegung und keine sonderliche Stoßkraft haben wird, so wird doch der Angreifende nicht imstande sein, alle die Dämme und Wege, auf denen er nicht selbst vorgeht, zu besetzen, und da dürfte es für den Verteidiger, der das Land kennt und im Besitz der festen Punkte ist, immer noch Mittel geben, um auf diese Weise entweder einen wirklichen Seitenanfall gegen die vorgehenden Angriffskolonnen auszuführen oder ihnen die Verbindung mit ihren Vorräten abzuschneiden. Wenn man aber bedenkt, in welcher unendlich gezwungenen Lage sich der Vorgehende selbst befindet, daß er namentlich von seinen Verbindungen abhängiger ist als in allen anderen Fällen, so wird man wohl begreifen, daß jeder Ausfall des Verteidigers, der nur eine entfernte Möglichkeit des Erfolges für sich hat, schon als Demonstration von einer großen Wirksamkeit sein muß. Wir sind sehr zweifelhaft, ob der vorsichtige und behutsame Herzog von Braunschweig, wenn die Holländer eine einzige solche Demonstration, z. B. von Utrecht aus, gemacht hätten, es gewagt haben würden, sich Amsterdam zu nähern.

Einundzwanzigstes Kapitel: Verteidigung von Wäldern

Man muß vor allem dichte, unwegsame, wild verwachsene Wälder unterscheiden von kultivierten, ausgebreiteten Holzungen, die teils ganz licht sind, teils von einer Unzahl von Wegen durchschnitten werden.

Die letzteren soll man, sobald von einer Verteidigungslinie die Rede ist, entweder im Rücken nehmen oder sie aufs äußerste vermeiden. Der Verteidiger hat mehr als der Angreifende das Bedürfnis, frei um sich zu sehen, teils weil er in der Regel der Schwächere ist, teils weil ihn die natürlichen Vorteile seiner Lage veranlassen, seinen Plan später zu entwickeln als der Angreifende. Wollte er eine Waldgegend vor sich nehmen, so würde er, ein Blinder, mit einem Sehenden kämpfen. Stellte er sich mitten in den Wald hinein, so wären freilich beide blind, aber diese Gleichheit ist eben gegen sein natürliches Bedürfnis gerichtet.

Eine solche Waldgegend kann also mit den Gefechten des Verteidigers in gar keine vorteilhafte Beziehung gebracht werden, ausgenommen die, daß er sie in seinen Rücken nimmt und sowohl alles, was hinter ihm vorgeht, dem Feinde dadurch verbirgt, als auch sie zur Deckung und Erleichterung seines Rückzuges benutzt.

Es ist indessen hier nur die Rede von Wäldern ebener Gegenden, denn wo der entschiedene Gebirgscharakter eintritt, wird auch sein Einfluß auf die taktischen und strategischen Maßregeln vorherrschend, und davon haben wir anderswo gesprochen.

Unwegsame Wälder aber, d. h. solche, die nur auf bestimmten Straßen durchzogen werden können, bieten allerdings einer mittelbaren Verteidigung ähnliche Vorteile dar, wie die sind, welche sie aus Gebirgen zur günstigen Einleitung einer Schlacht zieht; das Heer kann hinter dem Walde in mehr oder weniger vereinigter Stellung den Feind erwarten, um ihn in dem Augenblick anzufallen, wo er aus den Straßenengen hervortritt. Ein solcher Wald gleicht in seiner Wirkung mehr einem Gebirge als einem Strom; denn er hat einen sehr langen und beschwerlichen Durchgang, ist aber in Beziehung auf den Rückzug eher vorteilhaft als gefährlich.

Eine unmittelbare Verteidigung der Wälder aber, wenn sie auch noch so unwegsam sind, ist selbst für die leichteste Vorpostenkette ein gewagtes Stück Arbeit; denn Verhaue sind nur eingebildete Schranken, und kein Wald ist so unwegsam, daß man nicht an hundert Stellen mit kleinen Abteilungen durchkönnte, und diese gleichen bei einer Verteidigungskette den ersten Wassertropfen, welche durch einen Deich sintern, und denen bald ein allgemeiner Durchbruch nachfolgt.

Unendlich wichtiger ist der Einfluß der großen Wälder jeder Art, den sie bei der Volksbewaffnung haben; unstreitig sind sie das rechte Element derselben; kann also der strategische Verteidigungsplan so eingerichtet werden, daß des Feindes Verbindungslinien durch große Wälder laufen, so ist dadurch ein mächtiger Hebel in dem Verteidigungswerk mehr angebracht.

Zweiundzwanzigstes Kapitel: Der Kordon

Der Name des Kordons wird jeder Verteidigungsanstalt gegeben, welche durch eine Reihe aneinanderhängender Posten einen ganzen Landstrich unmittelbar schützen will. Wir sagen unmittelbar, denn mehrere nebeneinander aufgestellte Korps eines großen Heeres könnten einen bedeutenden Landstrich vor dem feindlichen Eindringen schützen, ohne einen Kordon zu bilden; dann würde dieser Schutz aber nicht unmittelbar, sondern durch die Wirkung von Kombinationen und Bewegungen stattfinden.

Daß eine so lange Verteidigungslinie, wie die sein muß, die einen bedeutenden Landstrich unmittelbar decken soll, nur einen sehr geringen Grad der Widerstandsfähigkeit haben kann, springt in die Augen. Selbst bei den größten Truppenmassen würde dies der Fall sein, wenn ähnliche Truppenmassen dagegen wirkten. Die Absicht eines Kordons kann also nur sein, gegen einen schwachen Stoß zu schützen, sei es daß die Willenskraft schwach ist, oder die Streitkraft, mit der der Stoß erfolgen kann, klein.

In diesem Sinn ist die chinesische Mauer errichtet, ein Schutz gegen die Streifereien der Tataren. Diese Bedeutung haben alle Linien- und Grenzverteidigungsanstalten der mit Asien und der Türkei in Berührung stehenden europäischen Staaten. Bei dieser Anwendung hat ein Kordon weder etwas Widersinniges, noch erscheint er unzweckmäßig. Freilich wird dadurch nicht jede Streiferei abgehalten werden können; aber sie werden doch erschwert und folglich seltener, und bei Verhältnissen wie die mit asiatischen Völkern, wo der Kriegszustand fast nie aufhört, ist das sehr wichtig.

Dieser Bedeutung eines Kordons am nächsten kommen die Linien, welche in den neuen Kriegen auch zwischen europäischen Staaten entstanden sind, wie die französischen am Rhein und in den Niederlanden. Sie sind im Grunde nur errichtet, um das Land gegen solche Angriffe zu schützen, die bloß darauf abgesehen sind, Kontributionen einzutreiben und auf Unkosten des Gegners zu leben. Sie sollen also nur Nebenunternehmungen abhalten, und folglich nur mit einer untergeordneten Macht. Aber freilich wird in den Fällen, wo die feindliche Hauptmacht die Richtung gegen diese Linie nimmt, auch der Verteidiger genötigt sein, sie mit seiner Hauptmacht zu besetzen, woraus denn nicht die besten Verteidigungsanstalten entspringen. Um dieses Nachteiles willen, und weil der Schutz gegen Streifereien in einem vorübergehenden Kriege ein Zweck von sehr untergeordneter Wichtigkeit ist, für den durch das Dasein solcher Linien leicht ein zu großer Kraftaufwand abgezwungen werden kann, sind sie in unseren Tagen als eine schädliche Maßregel angesehen worden. Je stärker die Kraft ist, mit welcher der Krieg tobt, um so unnützer und gefährlicher ist dieses Mittel.

Endlich sind noch alle sehr ausgedehnten Vorpostenlinien, welche die Quartiere eines Heeres decken und dazu einen gewissen Widerstand leisten sollen, als wahre Kordons zu betrachten.

Dieser Widerstand ist hauptsächlich gegen Streifereien und andere kleine, gegen die Sicherheit einzelner Quartiere gerichtete Unternehmungen bestimmt, und dazu kann er, wenn die Gegend die Hand bietet, hinreichende Stärke gewinnen. Gegen die anrückende Hauptmacht des Feindes kann es nur ein relativer, d. h. auf Zeitgewinn berechneter Widerstand sein; aber auch dieser Zeitgewinn wird in den meisten Fällen nicht sehr beträchtlich sein und also auch weniger als der Zweck des Vorpostenkordons angesehen werden können. Das Versammeln und Anrücken des feindlichen Heeres selbst kann niemals so unbemerkt geschehen, daß der Verteidiger erst durch seine Vorposten davon Nachricht erhielte, und er würde in einem solchen Fall sehr zu bedauern sein.

Es ist also auch in diesem Fall der Kordon nur gegen den Angriff einer schwachen Kraft bestimmt, und insoweit hat er wie in den anderen beiden Fällen nichts Widersprechendes.

Daß aber die zur Verteidigung eines Landes bestimmte Hauptmacht gegen die feindliche Hauptmacht sich in eine lange Reihe von Defensivposten, also in einen Kordon auflöst, scheint so widersinnig zu sein, daß man sich nach den näheren Umständen umsehen muß, welche dieses Vorkommen begleiten und motivieren.

Jede Stellung im Gebirgsboden, wenn sie auch in der Absicht einer Schlacht mit ganz vereinigter Macht genommen ist, kann und muß notwendig ausgedehnter sein wie in der Ebene. Sie kann es, weil der Beistand des Bodens die Widerstandsfähigkeit sehr erhöht, sie muß es, weil man eine breitere Rückzugsbasis braucht, wie wir das in dem Kapitel von der Gebirgsverteidigung schon gezeigt haben. Ist aber die Aussicht zu einer Schlacht nicht nahe, ist es wahrscheinlich, daß der Gegner uns geraume Zeit gegenüber bleiben wird, ohne etwas anderes zu unternehmen, als wozu sich ihm gerade eine vorteilhafte Gelegenheit darbietet, ein Zustand, der in den meisten Kriegen der gewöhnliche war, so ist es auch natürlich, sich in betreff der Gegend nicht auf den notwendigsten Besitz zu beschränken, sondern Herr zu bleiben von so viel Land rechts und links, als es die Sicherheit unseres Heeres uns gestattet, woraus, wie wir das noch näher angeben werden, mancherlei Vorteile für uns entspringen. In einer offenen und zugänglichen Gegend kann dies durch das Prinzip der Bewegung in einem höheren Grade erreicht werden als im Gebirge, daher ist die Ausdehnung und Zersplitterung der Streitkraft dort zu diesem Zweck weniger notwendig; sie würde aber auch viel gefährlicher sein, weil jeder Teil weniger Widerstandsfähigkeit hat.

Im Gebirge aber, wo aller Besitz der Gegend mehr von ihrer örtlichen Verteidigung abhängt, wo man nicht so schnell nach einem bedrohten Punkt hinkommen kann, und wo man, wenn der Feind ihn früher erreicht hat, diesen nicht so leicht wieder durch einige Überlegenheit vertreiben kann, - im Gebirge wird man unter solchen Umständen immer zu einer solchen Aufstellung kommen, die, wenn sie auch nicht ein eigentlicher Kordon wird, doch als eine Reihe von Verteidigungsposten demselben näher kommt. Von einer solchen, in mehrere Posten aufgelösten Aufstellung bis zum Kordon ist freilich noch ein großer Schritt, aber die Feldherren tun ihn nichtsdestoweniger oft, ohne es selbst zu wissen, weil sie von einer Stufe zur anderen fortgezogen werden. Anfangs ist die Deckung und der Besitz des Landes der Zweck der Teilung, später wird es die Sicherheit der Streitkraft selbst. Jeder Befehlshaber eines Postens berechnet den Vorteil, welcher ihm aus der Besetzung dieses oder jenes Zugangspunktes entspringen würde, der rechts oder links neben seinem Posten liegt, und so kommt das Ganze unmerklich von einer Stufe der Teilung zu anderen.

Ein Kordonkrieg mit der Hauptmacht ist also, wenn er entsteht, nicht als eine absichtlich gewählte Form zu betrachten, jeden Stoß der feindlichen Kräfte aufzuhalten, sondern als eine Lage, in welche man durch die Verfolgung eines ganz anderen Zieles hineingeraten ist, nämlich durch die Behauptung und Deckung des Landes gegen einen Feind, der keine Hauptunternehmung beabsichtigt. Immer bleibt eine solche Lage ein Fehler, und die Gründe, die dem Feldherrn nach und nach einen kleinen Posten nach dem anderen abgelockt haben, sind in Beziehung auf den Zweck einer Hauptmacht kleinlich zu nennen; allein diese Ansicht zeigt wenigstens die Möglichkeit einer solchen Verirrung. Daß es eine solche Verirrung, nämlich ein Verkennen des Gegners und der eigenen Lage ist, übersieht man und spricht nur von dem fehlerhaften System. Man läßt aber dies System stillschweigend gelten da, wo es mit Vorteil oder wenigstens ohne Schaden befolgt worden ist. Jedermann rühmt die fehlerfreien Feldzüge des Prinzen Heinrich im Siebenjährigen Kriege, weil der König sie so benannt hat, obgleich diese Feldzüge die allerstärksten und unbegreiflichsten Beispiele von so ausgedehnter Postenstellung enthalten, daß sie den Namen eines Kordons so sehr verdienen wie irgend andere. Man kann diese Stellungen vollkommen rechtfertigen, wenn man sagt: der Prinz kannte seine Gegner, er wußte, daß er keine entscheidende Unternehmungen zu fürchten hatte, und da übrigens der Zweck seiner Aufstellung war, immer einen so großen Landstrich als möglich innezuhaben, so ging er so weit, wie die Umstände nur irgend gestatten wollten. Wäre der Prinz in einem solchen Spinngewebe einmal verunglückt und zu einem tüchtigen Verlust gekommen, so hätte man sagen müssen, nicht daß der Prinz ein fehlerhaftes Kriegssystem befolgte, sondern daß er sich in seiner Maßregel vergriffen, sie auf einen ungeeigneten Fall angewendet hatte.

Wenn wir uns auf diese Weise bemühen, begreiflich zu machen, wie ein sogenanntes Kordonsystem bei der Hauptmacht des Kriegstheaters entstehen, ja wie es vernünftig und nützlich sein kann, also dann nicht mehr als eine Absurdität erscheint, so wollen wir nur zugleich bekennen, daß es wirklich Fälle gegeben zu haben scheint, wo die Feldherren oder ihr Generalstab die eigentliche Bedeutung eines Kordonsystems übersehen, seinen relativen Wert für einen allgemeinen gehalten und es wirklich zur Deckung gegen jeden feindlichen Angriff geeignet geglaubt haben; wo also keine Verwechslung der Maßregel, sondern ein vollkommenes Mißverstehen derselben stattgefunden hat. Wir wollen es gestehen, daß diese wahre Absurdität unter anderen dagewesen zu sein scheint in der Verteidigung der Vogesen durch das preußische und österreichische Heer 1793 und 1794.

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Schlüssel des Landes

Es gibt in der Kriegskunst keine theoretische Vorstellung, welche in der Kritik eine solche Rolle gespielt hat als diejenige ist, mit welcher wir uns hier beschäftigen. Sie ist das Paradepferd aller Schlacht- und Feldzugsbeschreibungen, der häufigste Standpunkt alles Räsonnements und eines von jenen Fragmenten wissenschaftlicher Form, womit die Kritik sich viel weiß. Und doch steht der damit verbundene Begriff weder fest, noch ist er je deutlich ausgesprochen.

Wir wollen versuchen, ihn deutlich zu entwickeln, und sehen, welchen Wert er für das praktische Handeln denn noch behalten wird.

Wir geben ihm diese Stelle, weil die Gebirgs- und Flußverteidigung sowie die Begriffe von festen und verschanzten Stellungen, an die er sich zunächst anschließt, vorausgegangen sein mußten.

Der unbestimmte, verworrene Begriff, welcher sich hinter dieser uralten militärischen Metapher versteckt, hat bald die Gegend bedeutet, wo ein Land am offensten, bald die, wo es am stärksten ist.

Wenn es eine Gegend gibt, ohne deren Besitz man es nicht wagen darf, in das feindliche Land einzudringen, so wird sie mit Recht der Schlüssel des Landes genannt werden. Allein diese einfache, aber freilich auch nicht sehr fruchtbare Vorstellung hat den Theoretikern nicht genügt, sie haben sie potenziert und sich unter Schlüssel des Landes Punkte gedacht, welche über den Besitz des Ganzen entscheiden.

Wenn die Russen in die Halbinsel der Krim vordringen wollten, so mußten sie sich zum Herrn von Perekop und seiner Linien machen, nicht sowohl um dadurch überhaupt den Eingang zu gewinnen, denn Lacy hat sie 1737 und 1738 zweimal umgangen, sondern um in der Krim sich mit leidlicher Sicherheit festsetzen zu können. Das ist sehr einfach, aber freilich gewinnt man dabei durch den Begriff eines Schlüsselpunktes eben nicht viel. Wenn man aber sagen könnte: wer die Gegend von Langres innehat, der besitzt oder beherrscht ganz Frankreich bis Paris hin, d. h. es hängt dann nur von ihm ab, es in Besitz zu nehmen, so wäre das offenbar etwas ganz anderes, etwas von einer viel höheren Wichtigkeit. Nach der ersten Vorstellungsart kann der Besitz des Landes nicht ohne den Besitz des Punktes, den wir Schlüssel nennen, gedacht werden, das begreift sich mit bloßem gemeinem Verstande; nach der zweiten Vorstellungsart aber kann der Besitz des Punktes, den man Schlüssel nennen will, nicht gedacht werden, ohne daß der Besitz des Landes daraus folgt, das ist offenbar etwas Wunderbares; dazu reicht gemeiner Verstand nicht mehr hin, es ist die Magie geheimer Wissenschaft nötig. Und diese Kabbala hat wirklich vor etwa 50 Jahren in Büchern ihre Entstehung genommen, am Ende des vorigen Jahrhunderts ihren Kulminationspunkt erreicht, und hat trotz der überwältigenden Kraft, Sicherheit und Klarheit, womit die Kriegsgeschichte unter Bonapartes Führung die Überzeugungen fortriß, - wir sagen, jene Kabbala hat demungeachtet ihr zähes Judenleben in den Büchern noch an einem dünnen Faden fortzuspinnen gewußt.

Daß, wenn wir unseren Begriff des Schlüsselpunktes verlassen wollen, es in jedem Lande auch noch Punkte von vorherrschender Wichtigkeit gibt, in welchen sich viele Straßen vereinigen, in welchen man seine Unterhaltsmittel bequem vereinigen, von welchen aus man bequem hier- oder dorthin sich wenden kann, kurz, durch deren Besitz man mancherlei Bedürfnisse befriedigt, mancherlei Vorteile gewinnt, das versteht sich von selbst. Wenn nun die Feldherren die Wichtigkeit eines solchen Punktes mit einem Worte haben bezeichnen wollen und ihn deshalb Schlüssel des Landes genannt haben, so wäre es eine Pedanterie, daran einen Anstoß zu nehmen, vielmehr hat der Ausdruck dann viel Bezeichnendes und Gefälliges. Wenn man aber aus dieser Blume des bloßen Stils einen Kern machen will, aus dem sich ein ganzes System mit mannigfaltigen Verzweigungen wie ein Baum entwickeln soll, so fordert man den gesunden Menschenverstand heraus, den Ausdruck auf seinen wahren Wert zurückzuführen.

Von der praktischen, aber freilich sehr unbestimmten Bedeutung, welche der Begriff eines Schlüssels des Landes in den Erzählungen der Feldherren hat, wenn sie von ihren Kriegsunternehmungen sprechen, mußte man zu einer bestimmteren, also einseitigeren übergehen, wenn man ein System daraus entwickeln wollte. Man wählte unter allen Beziehungen die der hohen Gegend.

Wenn eine Straße einen Gebirgsrücken durchschneidet, so dankt man dem Himmel, wenn man auf dem höchsten Punkt angelangt ist, und es nun an das Hinabsteigen geht. Dies ist schon beim einzelnen Reisenden der Fall, noch mehr bei einem Heere. Alle Schwierigkeiten scheinen überwunden und sind es auch meistens wirklich; das Hinuntersteigen ist ein Leichtes, man fühlt sein Übergewicht über jeden, der es uns verwehren wollte, man übersieht das ganze Land vor sich und beherrscht es mit dem Blick im voraus. So ist stets der höchste Punkt, den eine Straße beim Durchzug eines Gebirges gewinnt, als der entscheidende betrachtet worden; er ist es auch in der Mehrheit der Fälle wirklich, aber er ist es keineswegs in allen. Solche Punkte sind also sehr häufig von den Feldherren in ihren Geschichtserzählungen mit dem Namen von Schlüsselpunkten, freilich wieder in einem etwas anderen Sinn und meistens in beschränkter Beziehung genannt worden. An diese Vorstellung hat die falsche Theorie, als deren Gründer vielleicht Lloyd zu betrachten ist, vorzugsweise angeknüpft und deshalb diejenigen hohen Punkte, von welchen mehrere Straßen in das zu betretende Land hinabsteigen, als die Schlüsselpunkte dieses Landes angesehen, als Punkte, welche das Land beherrschen. Es war natürlich, daß diese Vorstellungsart mit einer ihr nahe verwandten, nämlich mit der einer systematischen Gebirgsverteidigung zusammenfloß, und daß die Sache dadurch noch weiter in das Illusorische hineingetrieben wurde; denn nun kamen noch eine Menge taktischer Elemente, auf welche es bei der Gebirgsverteidigung ankommt, ins Spiel, und so wurde denn bald der Begriff des höchsten Straßenpunktes verlassen und überhaupt der höchste Punkt des ganzen Gebirgssystems, also der Wasserteilungspunkt, für den Schlüssel des Landes angesehen.

Da nun um jene Zeit, nämlich in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, gerade bestimmtere Vorstellungen über die Bildung der Erdoberfläche durch den Spülungsprozeß verbreitet wurden, so bot die Naturwissenschaft in diesem geologischen System der Kriegsgeschichte die Hand, und nun war jeder Damm praktischer Wahrheit durchbrochen, und alles Räsonnement schwamm in dem illusorischen System einer geologischen Analogie. Daher hörte man am Ende des achtzehnten Jahrhunderts oder vielmehr man las von nichts als der Quelle des Rheins und der Donau. Freilich hat dieser Unfug meistens nur in Büchern geherrscht, wie denn immer nur ein kleiner Teil von der Bücherweisheit in die wirkliche Welt übergeht, und zwar um so weniger, je törichter sich die Theorie beträgt; allein die, von welcher wir sprechen, ist zum Schaden Deutschlands nicht ohne Einfluß auf das Handeln geblieben, wir kämpfen also nicht mit Windmühlen, und um dies zu beweisen, wollen wir an zwei Begebenheiten erinnern: erstens an die wichtigen, aber sehr gelehrten Feldzüge des preußischen Heeres 1793 und 1794 in den Vogesen, wozu die Bücher Grawerts und Massenbachs den theoretischen Schlüssel geben; zweitens an den Feldzug von 1814, wo ein Heer von 200000 Mann sich am Narrenseil dieser Theorie durch die Schweiz nach Langres führen ließ.

Ein hoher Punkt einer Gegend, von dem alle Wasser abfließen, ist aber meistens nichts als ein hoher Punkt, und alles, was man von seinem Einfluß auf die kriegerischen Ereignisse in Übertreibung und falscher Anwendung an sich wahrer Vorstellungen am Ende des achtzehnten und Anfange des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben hat, ist völlig phantastisch. Wenn Rhein und Donau und alle sechs Ströme Deutschlands einen Berg mit ihrem gemeinschaftlichen Ursprung ehren wollten, so würde er darum doch auf keine größere militärische Auszeichnung Anspruch haben, als etwa ein trigonometrisches Signal auf ihm zu errichten. Zu einem Fanal würde er schon weniger tauglich sein, für eine Vedette noch weniger und für ein Heer ganz und gar nicht.

Die Schlüsselstellung des Landes also in der sogenannten Schlüsselgegend, nämlich da zu suchen, wo die verschiedenen Gebirgsarme von einem gemeinschaftlichen Punkt ausgehen und die höchsten Quellen liegen, ist eine bloße Bücheridee, welcher schon die Natur selbst entgegensteht, die die Rücken und Täler von oben herab nicht so zugänglich macht wie die bisherige sogenannte Terrainlehre, sondern Kuppen und Einschnitte nach Gefallen ausstreut, und die nicht selten den niedrigsten Wasserspiegel mit den höchsten Massen umgibt. Wenn man die Kriegsgeschichte hierüber befragt, so wird man sich überzeugen, wie wenig regelmäßigen Einfluß die geologischen Schlußpunkte einer Gegend auf den kriegerischen Gebrauch derselben haben, und wie sehr andere Örtlichkeiten und andere Bedürfnisse überwiegen, so daß die Stellungslinien oft ganz an jenem Punkte hinlaufen und doch nicht von ihm angezogen werden.

Wir verlassen diese falsche Vorstellung, bei der wir nur so lange verweilt haben, weil sich ein ganzes vornehmes System daran geknüpft hat, und kehren zu unserer Ansicht zurück.

Wir sagen also: wenn der Ausdruck Schlüsselstellung in der Strategie einem selbständigen Begriff entsprechen soll, so kann es nur der einer Gegend sein, ohne deren Besitz man nicht wagen darf, in ein Land einzudringen. Will man aber damit auch jeden bequemen Eingang in ein Land oder jeden bequemen Zentralpunkt in demselben bezeichnen, so verliert die Benennung ihren eigentümlichen Begriff, d. h. ihren Wert und bezeichnet etwas, was sich mehr oder weniger überall finden muß; sie wird dann bloß eine gefällige Redefigur.

Jene Stellungen aber, welche wir uns dabei denken, sind dann freilich selten genug zu finden. Meistens liegt der beste Schlüssel zum Lande im feindlichen Heer, und wo der Begriff der Gegend über den Begriff der Streitkraft vorherrschen soll, müssen schon besonders günstige Bedingungen obwalten, und diese lassen sich nach unserer Meinung in zwei Hauptwirkungen erkennen: erstens, daß die darin aufgestellte Streitkraft durch den Beistand des Bodens eines starken taktischen Widerstandes fähig sei; zweitens, daß die Stellung früher die Verbindungslinie des Feindes wirksam bedrohe, als die eigene von ihm bedroht wird.

Vierundzwanzigstes Kapitel: Flankenwirkung

Wir brauchen wohl kaum zu bemerken, daß wir von der strategischen Flanke, d. h. der Seite des Kriegstheaters sprechen, und daß der Anfall von der Seite in der Schlacht, also die taktische Flankenwirkung, damit gar nicht in Beziehung steht und selbst in den Fällen, wo die strategische Flankenwirkung in ihrer letzten Erledigung mit einer taktischen zusammenfiele, ganz füglich davon getrennt werden kann, weil niemals die eine notwendig aus der anderen folgt.

Diese Flankenwirkungen und die dahin gehörigen Flankenstellungen gehören auch zu den Paradepferden der Theorie, die man im Kriege nur selten gewahr wird. Nicht daß das Mittel selbst unwirksam oder illusorisch wäre, sondern weil beide Teile sich gewöhnlich gegen die Wirkungen desselben zu verwahren suchen, die Fälle aber, wo dies nicht unmöglich wäre, nur zu den seltenen gehören. In diesen seltenen nun hat denn jenes Mittel auch oft eine große Wirksamkeit gezeigt, und wegen dieser sowie eben wegen jener beständigen Rücksicht, die es im Kriege hervorruft, ist es wichtig, in der Theorie eine deutliche Vorstellung davon zu geben. Obgleich die strategische Flankenwirkung natürlich nicht bloß bei der Verteidigung, sondern auch beim Angriff denkbar ist, so ist sie doch der ersteren viel analoger und findet deshalb ihren Platz unter den Verteidigungsmitteln.

Ehe wir in die Sache eingehen, müssen wir den einfachen Grundsatz aufstellen und dann bei der Betrachtung nie aus dem Auge verlieren, daß Kräfte, die im Rücken und in der Seite des Feindes wirken sollen, nicht vorn gegen ihn wirken können; daß es also eine ganze falsche Vorstellungsart ist, wenn man, sei es in der Taktik oder in der Strategie, das in den Rücken Kommen schon an sich für etwas hält. An sich ist dies noch nichts, sondern es wird erst etwas in Beziehung zu anderen Dingen, und zwar entweder etwas Vorteilhaftes oder auch etwas Nachteiliges, je nachdem diese anderen Dinge sind, auf deren Untersuchung es uns nun vorzüglich ankommt.

Zuerst müssen wir bei der Wirkung gegen die strategische Seite zwei Gegenstände derselben unterscheiden, nämlich die Wirkung auf die bloße Verbindungslinie von der Wirkung auf die Rückzugslinie, womit denn auch eine Wirkung auf die Verbindungslinie verbunden sein kann.

Als Daun 1758 Streifkorps absandte, um die zur Belagerung von Olmütz gehenden Zufuhren aufzuheben, wollte er dem Könige offenbar den Rückzug nach Schlesien nicht verlegen, er wollte ihn vielmehr veranlassen und würde ihm den Weg gern geöffnet haben.

Im Feldzuge von 1812 hatten alle Streifkorps, welche im Monat September und Oktober von dem russischen Hauptheer abgingen, nur die Absicht, die Verbindung zu unterbrechen, nicht den Rückzug zu verlegen; diese letztere war aber ganz offenbar die Absicht der Moldauarmee, welche unter Tschitschagow gegen die Beresina vorrückte, sowie des Angriffs, welcher dem General Wittgenstein gegen die an der Düna stehenden französischen Korps aufgetragen wurde.

Diese Beispiele bloß zur Klarheit der Vorstellungen.

Die Wirkung auf die Verbindungslinien ist gegen die feindlichen Zufuhren, gegen nachrückende kleine Haufen, gegen Kuriere und Reisende, gegen kleine feindliche Depots usw. gerichtet, also gegen lauter Gegenstände, die zum kräftigen und gesunden Bestehen des feindlichen Heeres nötig sind; sie soll also den Zustand dieses Heeres auf diese Weise schwächen und dasselbe dadurch zum Rückzug veranlassen.

Die Wirkung auf die feindliche Rückzugslinie soll dem feindlichen Heer diesen Rückzug abschneiden, sie kann diesen Zweck nur erreichen, wenn der Gegner den Rückzug wirklich beschließt; aber freilich kann sie ihn dadurch, daß sie ihn bedroht, auch veranlassen und also, indem sie als Demonstration wirkt, denselben Erfolg haben wie die Wirkung auf die Verbindungslinie. Alle diese Wirkungen aber können, wie schon gesagt, nicht von dem bloßen Umgehen, nicht von der bloßen geometrischen Form in der Aufstellung der Streitkräfte, sondern nur von den dazu passenden Bedingungen erwartet werden.

Um diese Bedingungen deutlicher einzusehen, wollen wir beide Flankenwirkungen ganz trennen und zuerst die auf die Verbindungslinien gerichtete betrachten.

Hier müssen wir zuerst zwei Hauptbedingungen aufstellen, wovon entweder die eine oder die andere vorhanden sein muß.

Die erste ist: daß zu dieser Wirkung auf die feindliche Verbindungslinie Streitkräfte genügen, die so unbedeutend sind, daß sie in der Fronte kaum vermißt werden; die zweite: daß das feindliche Heer sich am Ende seiner Bahn befinde und also von einem neuen Sieg über das unserige keinen Gebrauch mehr machen oder demselben, wenn es ausweicht, nicht mehr folgen könne.

Diesen letzteren Fall, welcher keineswegs so selten ist, wie es scheinen möchte, lassen wir vorderhand liegen und beschäftigen uns mit den weiteren Bedingungen des ersten.

Die nächste dieser Bedingungen ist, daß die feindliche Verbindungslinie eine gewisse Länge habe und nicht mehr durch ein paar gute Posten gedeckt werden könne; die zweite, daß sie durch ihre Lage unserer Einwirkung bloßgestellt sei.

Diese Bloßstellung kann von einer doppelten Art sein: entweder durch die Richtung, wenn diese nicht senkrecht auf die Aufstellungsfronte des feindlichen Heeres trifft, oder dadurch, daß die Verbindungslinien durch unser Land gehen; vereinigen sich beide Verhältnisse, so wird die Bloßstellung um so größer. Beide Verhältnisse bedürfen einer näheren Auseinandersetzung.

Man sollte glauben, daß, wenn von Deckungen einer 40 oder 50 Meilen langen Verbindungslinie die Rede ist, wenig darauf ankomme, ob das am Ende dieser Linie stehende Heer schief oder senkrecht auf diese Linie stehe, da seine Ausdehnung gegen die Linie fast nur als ein Punkt erscheint, und doch ist dies anders. Selbst bei bedeutender Überlegenheit ist es schwer, in einem solchen Fall die feindliche Verbindungslinie durch Streifereien, die vom Heer ausgehen, zu unterbrechen. Wenn man nur an die Schwierigkeit denkt, einen gewissen Raum absolut zu decken, so sollte man dies nicht glauben, sondern meinen, es müsse im Gegenteil einem Heer schwer werden, seinen Rücken, d. h. die Gegend hinter sich, gegen alle Haufen zu decken, die ein überlegener Feind absenden kann. Allerdings, wenn man im Kriege alles übersähe wie auf dem Papier! Alsdann würde der Deckende in seiner Unwissenheit, auf welchen Punkten die Streifer erscheinen werden, gewissermaßen blind sein und die Parteigänger allein sehend. Aber wenn man an die Unsicherheit und Unvollständigkeit aller Nachrichten denkt, die man im Kriege hat, und weiß, daß beide Teile unaufhörlich im Finstern tappen, so sieht man wohl, daß die Streifpartei, welche um die Flügel eines feindlichen Heeres herum in seinen Rücken gesendet worden ist, sich in dem Falle eines Menschen befindet, der in einem dunkeln Zimmer es mit vielen zu tun hat. Auf die Dauer muß er zugrunde gehen; so also auch die Haufen, die das feindliche Heer in einer senkrechten Stellung umgehen, sich also in seiner Nähe und von dem eigenen ganz getrennt befinden. Nicht genug, daß man in Gefahr ist, auf diese Weise viel Kräfte zu verlieren, sondern das Instrument selbst wird sich augenblicklich abstumpfen, das erste unglückliche Schicksal eines einzigen solchen Haufens wird alle anderen verzagt machen, und anstatt eines kühnen Anfalls und dreisten Neckens wird man nur das Schauspiel des beständigen Ausreißens haben.

Durch diese Schwierigkeit deckt also die gerade Aufstellung eines Heeres die nächsten Punkte seiner Verbindungslinien, und zwar nach der Stärke des Heeres auf zwei bis drei Märsche; diese nächsten Punkte aber sind die am meisten bedrohten, weil sie auch dem feindlichen Heer am nächsten liegen.

Dagegen ist bei einer merklich schiefen Aufstellung kein solcher Teil der Verbindungslinie gesichert, der kleinste Druck, der gefahrloseste Versuch von seiten des Gegners führt sogleich auf einen empfindlichen Punkt.

Was bestimmt nun aber die Fronte einer Aufstellung, wenn es nicht eben die senkrechte Richtung auf die Verbindungslinie ist? Die Fronte des Gegners; aber diese kann ebensogut gedacht werden als abhängig von unserer Fronte. Hier tritt eine Wechselwirkung ein, deren Anfangspunkt wir suchen müssen.

Denken wir uns die Verbindungslinie des Angreifenden a b gegen die des Verteidigers c d so gelegen, daß sie einen beträchtlichen Winkel mit ihr macht, so ist klar, daß, wenn der Verteidiger seine Aufstellung in a nehmen wollte, wo beide Linien zusammentreffen, der Angreifende von b aus ihn durch das bloße geometrische Verhältnis zwingen könnte, Fronte gegen ihn zu machen und folglich seine Verbindungslinie bloßzugeben. Umgekehrt würde es sein, wenn der Verteidiger seine Aufstellung diesseits des Vereinigungspunktes, etwa in d, nehme; dann würde der Angreifende Fronte gegen ihn machen müssen, vorausgesetzt, daß er die Lage seiner Unternehmungslinie, die durch geographische Gegenstände näher bestimmt ist, nicht willkürlich verändern und sie zum Beispiel wie a d ziehen könne. Hieraus würde hervorgehen, daß der Verteidiger in diesem System der Wechselwirkung einen Vorteil voraus hätte, weil er seine Stellung nur diesseits des Zusammentreffens beider Linien zu nehmen braucht. Allein weit entfernt, auf dieses geometrische Element eine große Wichtigkeit zu legen, führen wir die Betrachtung bloß darauf zurück, um vollkommen klar zu sein, und sind vielmehr überzeugt, daß örtliche und überhaupt individuelle Verhältnisse die Aufstellung des Verteidigers viel stärker bedingen werden, und daß sich also durchaus nicht allgemein angeben läßt, wer von beiden Teilen in dem Fall sein wird, seine Verbindungslinie mehr bloßzugeben.

Liegen die gegenseitigen Verbindungslinien in einer und derselben Richtung, so wird allerdings derjenige von beiden Teilen, welcher eine schiefe Aufstellung dagegen nimmt, den anderen zwingen, ein Gleiches zu tun, dann aber ist geometrisch nichts dabei gewonnen, und beide Teile kommen in dieselben Vorteile und Nachteile.

Wir halten uns also für unsere weitere Betrachtung nur an das Faktum einer einseitig bloßgestellten Verbindungslinie.

Was nun das zweite nachteilige Verhältnis einer Verbindungslinie betrifft, wenn sie nämlich durch feindliches Land läuft, so ist es an sich klar, in welchem Grade sie dadurch bloßgestellt ist, wenn die Einwohner dieses Landes zu den Waffen gegriffen haben, und folglich die Sache so angesehen werden muß, als wenn längs der ganzen Linie hin eine feindliche Macht aufmarschiert wäre; diese Macht ist zwar an sich sehr schwach, ohne Dichtigkeit und intensive Stärke, aber man bedenke, was nichtsdestoweniger eine solche feindliche Berührung und Einwirkung durch die Menge der Punkte sagen will, die sich auf einer beträchtlichen Verbindungslinie einer neben dem anderen befinden. Das bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. Aber auch dann, wenn die feindlichen Untertanen nicht zu den Waffen gegriffen haben, und selbst wenn in dem Lande keine Landwehren und andere Vorzüge kriegerischer Einrichtungen stattfinden, ja wenn auch das Volk von sehr unkriegerischem Geiste ist, bleibt immer das bloße Untertanenverhältnis zur feindlichen Regierung ein für die Verbindungslinie des anderen Teiles sehr fühlbarer Nachteil. Der Beistand, welchen ein streifender Haufe durch bloße leichtere Verständigung mit den Einwohnern, durch Bekanntschaft mit der Gegend und den Menschen, durch Nachrichten, durch Unterstützung der Behörden genießt, ist für sein kleines Verhältnis von entscheidendem Wert, und dieser Beistand wird ohne besondere Kraftanstrengung einem jeden solcher Haufen zuteil. Dazu kommt, daß es in einer gewissen Entfernung doch niemals an Festungen, Strömen, Gebirgen oder anderen Zufluchtsorten fehlen wird, die dem Gegner immer angehören, sooft wir sie nicht förmlich in Besitz genommen und mit Besatzungen versehen haben.

In einem solchen Fall nun, besonders wenn ihn andere günstige Umstände begleiten, ist die Wirkung auf die feindliche Verbindungslinie auch dann möglich, wenn ihre Richtung senkrecht auf die feindliche Aufstellung ist, denn unsere Streifer brauchen dann nicht immer zum Heer zurückzukehren, sondern sie können in dem bloßen Ausweichen ins eigene Land hinein hinreichenden Schutz linden.

Wir haben also jetzt:

1. eine beträchtliche Länge,

2. eine schiefe Lage und

3. feindliches Gebiet

als die Hauptumstände kennengelernt, unter welchen die Verbindungslinien eines Heeres durch verhältnismäßig geringe Streitkräfte des Feindes unterbrochen werden können; daß diese Unterbrechung wirksam sei, erfordert noch eine vierte Bedingung, nämlich eine gewisse Dauer. Wegen dieses Punktes berufen wir uns auf das, was wir im fünfzehnten Kapitel des fünften Buches darüber gesagt haben.

Aber diese vier Bedingungen sind nur die Hauptverhältnisse, welche den Gegenstand umfassen; es knüpfen sich daran eine Menge örtlicher und individueller Umstände, die oft sehr viel wichtiger und durchgreifender werden als die Hauptverhältnisse selbst. Um nur an die vornehmsten zu erinnern, so nennen wir: die Beschaffenheit der Straßen, die Natur der Gegend, durch welche sie führen, die Deckungsmittel von Strömen, Gebirgen, Morästen, die sie haben können, die Jahreszeit und Witterung, die Wichtigkeit einzelner Zufuhren wie eines Belagerungstrains, die Zahl leichter Truppen usw. usw.

Von allen diesen Umständen also wird der Erfolg abhängen, mit welchem ein Feldherr auf die Verbindungslinie seines Gegners wirken kann, und indem man das Resultat aller dieser Umstände bei dem einen mit dem Resultat derselben Umstände bei dem anderen vergleicht, kommt man auf das Verhältnis beider Verbindungssysteme, und von diesem Verhältnis wird es abhängen, welcher von beiden Feldherren den anderen in diesem Punkt überbieten kann.

Was sich hier in der Entwicklung so weitläuftig ausnimmt, entscheidet sich im konkreten Fall oft auf den ersten Blick: aber es ist doch der Takt eines geübten Urteils dazu nötig, und man muß an alle die hier entwickelten Fälle einmal gedacht haben, um sich bewußt zu sein, wie die gewöhnliche Torheit der kritischen Schriftsteller beantwortet werden kann, wenn sie glauben, mit dem bloßen Wort der Umgehung und Flankenwirkung ohne nähere Motive etwas ausgemacht zu haben.

Wir kommen jetzt zur zweiten Hauptbedingung, unter welcher die strategische Flankenwirkung stattfinden kann.

Ist das feindliche Heer am weiteren Vordringen gehindert durch irgendeinen anderen Grund als den Widerstand unseres Heeres, sei dieser Grund welcher er wolle, so darf unser Heer auch nicht mehr scheuen, sich durch beträchtliche Entsendungen zu schwächen; denn wollte das feindliche uns auch wirklich dafür durch einen Angriff bestrafen, so dürften wir nur ausweichen. Dies war der Fall des russischen Hauptheeres im Jahr 1812 bei Moskau. Es sind aber gar nicht so große Dimensionen und Verhältnisse nötig, wie in diesem Feldzug stattfanden, um einen solchen Fall hervorzubringen. Friedrich der Große war an der Grenze Böhmens oder Mährens in den ersten Schlesischen Kriegen jedesmal in diesem Fall, und es lassen sich in dem zusammengesetzten Verhältnis der Feldherren und ihrer Heere eine Menge der verschiedenartigsten namentlich politischer Ursachen denken, die das Weitergehen unmöglich machen.

Da in diesem Falle die auf die Flankenwirkung verwendeten Streitkräfte beträchtlicher sein können, so brauchen die übrigen Bedingungen weniger günstig zu sein; selbst das Verhältnis unseres Verbindungssystems zu dem feindlichen braucht nicht zu unserem Vorteil zu sein, da der Feind, der von unserem weiteren Rückzug keinen sonderlichen Gebrauch machen kann, nicht leicht das Vergeltungsrecht üben, sondern mehr auf die unmittelbare Deckung des eigenen bedacht sein wird.

Eine solche Lage ist also sehr geeignet, um diejenige Wirkung, die man in einer Schlacht nicht suchen will, weil man diese für zu gewagt hält, durch ein Mittel zu erreichen, welches weniger glänzend und erfolgreich als ein Sieg, aber auch weniger gefährlich ist.

Da in solchem Fall eine Seitenstellung, wodurch die eigenen Verbindungen bloßgestellt werden, weniger Bedenken hat, und dadurch eine schiefe Aufstellung des Gegners gegen seine Verbindungslinien jedesmal erhalten werden kann, so wird diese eine der oben aufgestellten Bedingungen nicht leicht fehlen. Je mehr die übrigen und andere günstige Umstände mitwirken, um so eher wird man sich von dem Mittel einen glücklichen Erfolg versprechen können; je weniger aber solche begünstigende Umstände vorhanden sind, um so mehr wird alles auf überlegene Geschicklichkeit in den Kombinationen und auf Schnelligkeit und Sicherheit in der Ausführung ankommen.

Hier ist das eigentliche Feld des strategischen Manövrierens, wie es im Siebenjährigen Kriege in Schlesien und Sachsen, in den Feldzügen von 1760 und 1762 so vielfältig vorkommt. Wenn ein solches strategisches Manövrieren in den Kriegen von einer schwachen Elementarkraft so häufig vorkommt, so ist es freilich nicht, weil der Fall, daß ein Feldherr sich am Ende seiner Bahn befände, ebenso häufig wäre, sondern weil Mangel an Entschlossenheit, Mut und Unternehmungsgeist, Furcht vor Verantwortlichkeit oft die Stelle wahrer Gegengewichte vertreten, wobei wir nur an Feldmarschall Daun zu erinnern brauchen.

Wollen wir von unseren Betrachtungen noch ein Hauptresultat zusammenfassen, so wäre es, daß die Flankenwirkung am wirksamsten sein wird:

1. bei der Verteidigung;

2. gegen das Ende des Feldzuges;

3. vorzugsweise beim Rückzug in das Innere des Landes und

4. in Verbindung mit einer Volksbewaffnung.

Über die Ausführung dieser Wirkung auf die Verbindungslinien haben wir nur ein paar Worte zu sagen.

Die Unternehmungen müssen durch gewandte Parteigänger ausgeführt werden, die mit schwachen Haufen und kühnen Märschen und Angriffen auf die feindlichen kleinen Besatzungen, Zufuhren, hin- und herziehenden kleinen Haufen fallen, den Landsturm ermuntern und sich mit ihm zu einzelnen Unternehmungen vereinigen. Sie müssen mehr zahlreich als stark und so organisiert sein, daß die Vereinigung mehrerer zu einem größeren Unternehmen möglich wird und nicht in der Eitelkeit und Willkür der einzelnen Führer ein zu großes Hindernis finde.

Jetzt haben wir noch von der Wirkung auf die Rückzugslinie zu reden.

Hier ist es, wo wir den gleich anfangs aufgestellten Grundsatz vorzüglich im Auge haben müssen, daß, was hinten wirken soll, nicht vorn gebraucht werden kann, daß also die Wirkung von hinten oder von der Seite an sich nicht als eine Multiplikation der Kräfte, sondern nur als eine potenzierte Verwendung derselben betrachtet werden muß; potenziert von seiten des Erfolges, aber auch potenziert von seiten der Gefahr. Jeder Widerstand durch das Schwert, der nicht ein gerader und einfacher ist, hat die Tendenz, die Wirkung auf Kosten der Sicherheit zu erhöhen. Eine Wirkung von der Seite, sei es mit vereinigter Macht oder von mehreren Seiten mit getrennter und umfassender Macht, gehört in diese Kategorie.

Nun ist aber bei dem Abschneiden des Rückzuges, wenn es nicht eine bloße Demonstration, sondern ernstlich gemeint sein soll, eine entscheidende Schlacht oder wenigstens alle Bedingungen zu derselben die eigentliche Lösung, und eben in dieser Lösung werden sich jene beiden Elemente von größerer Entscheidung und größerer Gefahr wiederfinden. Soll sich also ein Feldherr zu dieser Wirkungsart berechtigt halten, so müssen günstige Bedingungen dasselbe motivieren.

Wir müssen bei dieser Widerstandsart die beiden schon genannten Formen unterscheiden. Die erste ist, wenn der Feldherr mit seinem ganzen Heer den Gegner von hinten angreifen will, entweder von einer Seitenstellung aus, die er zu dem Behuf genommen, oder indem er ihn förmlich umgeht; die zweite, wenn er seine Streitkräfte teilt und durch eine umfassende Stellung mit dem einen Teil den feindlichen Rücken, mit dem anderen die Fronte bedroht.

Die Steigerung des Erfolges ist in beiden Fällen dieselbe, nämlich: entweder ein wirkliches Abschneiden des Rückzuges und daraus entstehendes Gefangennehmen, oder Zerstreuen eines großes Teiles der feindlichen Streitkraft, oder ein beträchtliches Zurückschnellen der feindlichen Macht, um solcher Gefahr vorzubeugen.

Die gesteigerte Gefahr aber ist in beiden Fällen eine andere.

Wenn wir den Feind mit der ganzen Streitkraft umgehen, so liegt die Gefahr in der Bloßstellung des eigenen Rückens, und es kommt also hierbei wieder auf das Verhältnis der gegenseitigen Rückzugslinien an, wie es bei der Wirkung auf die Verbindungslinien in einem ähnlichen Fall auf ihr Verhältnis ankam.

Nun ist allerdings der Verteidiger, wenn er in seinem eigenen Lande ist, sowohl in seinen Rückzugs- als Verbindungslinien weniger beschränkt als der Angreifende und insofern zu einer strategischen Umgehung mehr befähigt, allein dieses allgemeine Verhältnis greift doch zu wenig durch, um darauf eine wirksame Methode zu bauen; es können also nur die Gesamtverhältnisse der individuellen Fälle entscheiden.

Nur soviel kann man noch sagen, daß die günstigen sich in weiten Räumen natürlich häufiger finden werden als in kleinen; und bei selbständigen Staaten häufiger als bei schwachen, auf fremde Unterstützung harrenden, deren Heere also vor allen Dingen den Vereinigungspunkt mit dem Hilfsheer im Auge haben müssen; endlich, daß sie am Ende eines Feldzuges, wenn sich die Stoßkraft des Angreifenden erschöpft hat, für den Verteidiger am günstigsten werden: ungefähr wieder auf dieselbe Art, wie es bei dem Verhältnis der Verbindungslinien war.

Eine solche Flankenstellung, wie die Russen 1812 mit so vielem Vorteil auf der Straße von Moskau nach Kaluga nahmen, als Bonapartes Stoßkraft erschöpft war, würde ihnen beim Anfang des Feldzuges im Lager von Drissa sehr schlecht bekommen sein, wenn sie nicht klug genug gewesen wären, ihren Plan kurz vor dem Torschluß zu ändern.

Die andere Form der Umgehung und des Abschneidens vermittelst einer Teilung der Macht hat die Gefahr der eigenen Trennung, während der Gegner durch den Vorteil der inneren Linien beisammenbleibt und also imstande ist, den einzelnen Teil mit großer Überlegenheit anzufallen. Sich diesem Nachteil auszusetzen, welcher durch nichts aufgehoben werden kann, dazu kann es nur drei Hauptveranlassungen geben:

1. die ursprüngliche Verteilung der Kräfte, die eine solche Wirkungsart notwendig macht, wenn man sich nicht großem Zeitverlust unterwerfen will;

2. eine große physische und moralische Überlegenheit, die zu den entscheidenden Formen berechtigt;

3. der Mangel an Stoßkraft des Gegners, sobald er sich am Ende seiner Bahn befindet.

Friedrichs des Großen konzentrisches Eindringen in Böhmen im Jahr 1757 hatte zwar nicht die Absicht, mit dem Angriff in der Fronte einen auf den strategischen Rücken zu verbinden, wenigstens war dies keineswegs eine Hauptsache dabei, wie wir das anderswo etwas mehr entwickeln werden, aber in jedem Fall ist es klar, daß von keiner Vereinigung der Macht in Schlesien oder Sachsen vor dem Einfall die Rede sein konnte, da er dadurch alle Vorteile der Überraschung aufgeopfert haben würde.

Als die Verbündeten den zweiten Teil des Feldzuges von 1813 anordneten, durften sie bei ihrer großen physischen Überlegenheit schon daran denken, Bonaparte mit der Hauptmacht in der rechten Flanke, nämlich an der Elbe, anzufallen und dadurch das Kriegstheater von der Oder nach der Elbe zu verlegen. Daß es ihnen bei Dresden so schlecht erging, ist nicht diesen allgemeinen, sondern den näheren strategischen und taktischen Anordnungen zuzuschreiben, denn das Machtverhältnis, mit dem sie bei Dresden mit Bonaparte zusammentreffen konnten, war 220000 gegen 130000, welches doch wohl nichts zu wünschen übrig ließ, wenigstens war es bei Leipzig (285:157) wenig günstiger. Freilich hatte Bonaparte für das eigentümliche System einer Verteidigung auf einer Linie seine Macht zu gleichmäßig verteilt (in Schlesien 70000 gegen 90000, in der Mark 70000 gegen 110000), allein in jedem Falle würde es ihm, ohne Schlesien ganz aufzugeben, schwer geworden sein, an der Elbe eine Macht zu versammeln, die gegen die Hauptarmee den entscheidenden Schlag führen konnte. Ebenso konnten die Verbündeten das Heer unter Wrede füglich an den Main vorrücken lassen und damit den Versuch machen, ob Bonaparte der Weg nach Mainz abgeschnitten werden könnte.

Endlich durften 1812 die Russen ihrem Moldauheer die Bestimmung nach Wolhynien und Litauen geben, um später in dem Rücken des französischen Hauptheeres vorzugehen, weil nichts gewisser war, als daß Moskau der Kulminationspunkt der französischen Unternehmungslinie werden mußte. Für das jenseits Moskau liegende Rußland war in diesem Feldzuge nichts zu fürchten, und das russische Hauptheer hatte also keine Ursache, sich für zu schwach zu halten.

Dieselbe Form in der Aufstellung der Streitkräfte lag in dem ersten, von dem General Phull herrührenden Verteidigungsplan, wonach das Heer unter Barclay das Lager von Drissa beziehen und das unter Bagration im Rücken des feindlichen Hauptheeres vordringen sollte. Aber welch ein Unterschied in diesen beiden Momenten! Im ersten waren die Franzosen dreimal so stark als die Russen; im zweiten waren die Russen merklich stärker als die Franzosen. Im ersten ist in Bonapartes Hauptheer eine Stoßkraft, die bis Moskau reicht, 80 Meilen über Drissa hinaus; im zweiten kann sie sich nicht einen Marsch mehr von Moskau entfernen; im ersten würde die Rückzugslinie bis an den Njemen nicht über 30 Meilen betragen haben, im zweiten war sie 112. Dasselbe Wirken gegen den feindlichen Rückzug also, das sich in dem zweiten Moment so erfolgreich gezeigt hat, würde in dem ersten die unbesonnenste Torheit gewesen sein.

Da die Wirkung auf die Rückzugslinie, wenn sie mehr als Demonstration ist, in einem förmlichen Angriff von hinten besteht, so würde darüber noch manches zu sagen sein, was aber in dem Buche vom Angriff eine passendere Stelle findet; wir brechen also hier ab und begnügen uns, die Bedingungen angegeben zu haben, unter welchen diese Reaktionsart stattfinden kann.

Gewöhnlich aber hat man, indem man von derselben spricht, mehr die Demonstration als die Wirklichkeit im Auge, in der Absicht, dadurch den Rückzug des Feindes zu veranlassen. Müßte jeder wirksamen Demonstration notwendig die vollkommene Ausführbarkeit der wirklichen Handlung zum Grunde liegen, wie sich auf den ersten Anblick von selbst zu verstehen scheint, so würde sie in allen Bedingungen mit derselben zusammenfallen. Allein so ist es nicht, sondern wir werden in dem Kapitel von den Demonstrationen sehen, daß diese allerdings an etwas andere Bedingungen geknüpft sind, und müssen hier auf dieses Kapitel verweisen.

Fünfundzwanzigstes Kapitel: Rückzug in das Innere des Landes

Wir haben den freiwilligen Rückzug in das Innere des Landes als eine eigene mittelbare Widerstandsart angesehen, bei welcher der Feind nicht sowohl durch das Schwert als durch seine eigenen Anstrengungen zugrunde gehen soll. Es wird also hierbei entweder gar keine Hauptschlacht vorausgesetzt oder der Zeitpunkt derselben so spät angenommen, daß die feindlichen Kräfte schon beträchtlich geschwächt sind.

Jeder im Angriff Vorschreitende wird in seiner Streitkraft durch dieses Vorschreiten geschwächt; dies werden wir im siebenten Buche ausführlicher betrachten; hier müssen wir das Resultat antizipieren, welches wir um so eher können, als in der Kriegsgeschichte jeder Feldzug, mit welchem ein merkliches Vorschreiten verbunden gewesen ist, dies deutlich zeigt.

Diese Schwächung im Vorgehen wird gesteigert, wenn der Gegner unbesiegt ist, sich mit einer ungebrochenen frischen Streitkraft freiwillig vor ihm zurückzieht, ihn aber durch einen beständigen abgemessenen Widerstand jeden Schritt Landes blutig erkaufen läßt, so daß sein Vorschreiten ein beständiges Vordringen und nicht ein bloßes Verfolgen ist.

Von der anderen Seite werden die Verluste, welche ein zurückgehender Verteidiger erleidet, viel größer sein, wenn er nach einer verlorenen Schlacht zurückgeht, als wenn er es freiwillig tut. Denn wäre er auch imstande, dem Verfolgenden den täglichen Widerstand zu leisten, den wir bei einem freiwilligen Rückzug erwarten, so würde er wenigstens dabei eben die Verluste machen und also der Verlust in der Schlacht noch hinzukommen. Aber welche Voraussetzung gegen die Natur der Sache würde das sein! Das beste Heer von der Welt wird, wenn es nach einer verlorenen Schlacht genötigt ist, sich tief ins Innere des Landes zurückzuziehen, dabei unverhältnismäßige Verluste machen, und ist der Feind beträchtlich überlegen, wie wir es in den Fällen, wovon wir sprechen, voraussetzen, dringt er mit großer Energie nach, wie es in den neuesten Kriegen fast immer geschehen ist, so wird die höchste Wahrscheinlichkeit einer wirklichen Flucht entstehen, wodurch gewöhnlich die Streitkraft ganz zugrunde gerichtet wird.

Ein abgemessener täglicher Widerstand, d. h. einer, der jedesmal nur so lange dauert, wie das Gleichgewicht des Kampfes noch schwebend erhalten werden kann, und in welchem wir uns vor der Niederlage sichern, indem wir den Boden zur rechten Zeit aufgeben, um den man sich schlug, ein solcher Kampf wird dem Angreifenden wenigstens ebensoviel Menschen kosten als dem Verteidiger, denn was dieser beim Abzuge hin und wieder unvermeidlicherweise an Gefangenen verliert, wird der andere im Feuer mehr einbüßen, da er beständig gegen die Vorteile des Bodens ankämpfen muß. Nun gehen zwar dem Zurückgehenden die Schwerverwundeten ganz verloren, allein diese gehen dem Angreifenden vorderhand gleichfalls ab, da sie gewöhnlich mehrere Monate in den Hospitälern bleiben.

Das Resultat wird also sein, daß beide Heere sich ungefähr in gleichem Grade in dieser beständigen Reibung aneinander verzehren.

Ganz anders ist es beim Verfolgen eines geschlagenen Heeres. Hier machen die in der Schlacht verlorene Streitkraft, die zerstörte Ordnung, der gebrochene Mut, die Sorge um den Rückzug bei dem Zurückgehenden einen solchen Widerstand sehr schwer, in manchen Fällen unmöglich; und der Verfolger, der im ersten Fall höchst behutsam, ja zaghaft wie ein Blinder immer um sich her tastend vorwärtsschreitet, geht im zweiten Fall mit dem festen Schritt eines Siegers, mit dem Übermut eines Glücklichen, mit der Sicherheit eines Halbgottes immer drauf, und je toller er draufgeht, desto mehr beschleunigt er die Dinge in der Richtung, welche sie einmal genommen haben, weil hier das rechte Feld der moralischen Kräfte ist, die sich steigern und vervielfältigen, ohne an die engen Zahlen und Maße der physischen Welt gebunden zu sein.

Es ist also wohl klar, wie verschieden das Verhältnis beider Heere sein wird, je nachdem sie auf die eine oder die andere Weise den Punkt miteinander erreichen, der als das Ende der Bahn des Angreifenden betrachtet werden kann.

Dies ist bloß das Resultat der gegenseitigen Zerstörung; an dieses Resultat knüpft sich nun die Schwächung an, welche der Vorschreitende noch sonst erleidet, und worüber wir, wie schon gesagt, an das siebente Buch verweisen, auf der anderen Seite aber die Verstärkung, welche der Zurückgehende in der großen Mehrheit der Fälle durch diejenigen Streitkräfte erhält, die später herbeikommen, sei es durch äußere Hilfe oder durch nachhaltige Anstrengungen.

Endlich besteht zwischen dem Zurückgehenden und dem Vorschreitenden ein solches Mißverhältnis in den Verpflegungsmitteln, daß der erstere nicht selten im Überfluß lebt, wenn der andere im Mangel verkommt.

Der Zurückgehende hat die Mittel, überall Vorräte aufzuhäufen, denen er entgegengeht, während der Verfolgende alles nachfahren lassen muß, welches, solange er in Bewegung bleibt, auch bei der kürzesten Verbindungslinie schwierig ist und deshalb gleich von vornherein Mangel erzeugt.

Alles, was die Gegend selbst darbietet, wird von dem Zurückgehenden zuerst benutzt und meistens erschöpft. Es bleiben nur ausgezehrte Dörfer und Städte, abgemähte und zertretene Felder, ausgeschöpfte Brunnen, getrübte Bäche zurück.

Das vorgehende Heer kämpft also nicht selten vom ersten Tag an mit den dringendsten Bedürfnissen. Auf feindliche Vorräte kann es dabei gar nicht rechnen, es wäre bloßer Zufall oder unverzeihlicher Fehler des Gegners, wenn ihm hin und wieder eines in die Hände fiele.

So ist es denn nicht zweifelhaft, daß bei beträchtlichen Dimensionen und nicht zu ungleicher Macht der Kriegführenden auf diese Weise ein Verhältnis der Streitkräfte entstehen wird, welches dem Verteidiger unendlich mehr Wahrscheinlichkeit des Erfolges verspricht, als er bei einer Entscheidung an der Grenze gehabt hätte. Aber nicht bloß die Wahrscheinlichkeit, zu siegen, wird wegen des veränderten Machtverhältnisses größer, sondern auch der Erfolg des Sieges wegen der veränderten Lage. Welch ein Unterschied besteht zwischen einer verlorenen Schlacht an der eigenen Grenze und einer mitten im feindlichen Lande! Ja, der Zustand des Angreifenden ist am Ende seiner Bahn oft von der Art, daß selbst eine gewonnene Schlacht ihn zum Rückzug bewegen kann, weil er weder Stoßkraft genug hat, seinen Sieg zu vervollständigen und zu benutzen, noch imstande ist, die verlorenen Kräfte zu ersetzen.

Es ist also ein gewaltiger Unterschied, ob die Entscheidung am Anfang oder am Ende des Angriffs gegeben wird.

Den großen Vorteilen dieser Verteidigungsart stehen zwei Gegengewichte zur Seite; das erste ist der Verlust, welchen das Land durch das Vordringen des Feindes macht, das andere der moralische Eindruck.

Das Land vor Verlust zu bewahren, kann zwar niemals als ein Zweck der gesamten Verteidigung angesehen werden, sondern dieser Zweck ist ein vorteilhafter Friede. Diesen so sicher als möglich zu erhalten, ist das Bestreben, und dazu muß kein augenblickliches Opfer zu groß geachtet werden. Allein jener Verlust, wenn er auch nicht entscheiden soll, muß doch in die Waagschale gelegt werden, denn er ist immer ein Gegenstand unseres Interesses.

Dieser Verlust trifft nicht unmittelbar unsere Streitkraft, sondern wirkt nur mit einem mehr oder weniger großen Umwege auf dieselbe, während der Rückzug selbst die Streitkraft unmittelbar verstärkt. Es ist also schwer, diesen Vorteil und jenen Nachteil aneinander abzumessen; es sind Dinge verschiedener Art, die keinen nahen gemeinschaftlichen Wirkungspunkt haben. Wir müssen also dabei stehenbleiben, zu sagen, daß dieser Verlust größer ist, wenn eine fruchtbare und bevölkerte Provinz und große Handelsstädte aufgeopfert werden sollen, daß er aber als am größten zu betrachten ist, wenn ganze oder halbfertige Streitmittel mit verloren gehen.

Das zweite Gegengewicht ist der moralische Eindruck. Es gibt Fälle, wo sich der Feldherr über ihn hinwegsetzen, seinen Plan ruhig verfolgen und sich den Nachteilen aussetzen muß, welche ein kurzsichtiger Kleinmut hervorbringt; aber darum ist dieser Eindruck doch kein Phantom, welches Geringschätzung verdient. Er ist nicht einer Kraft zu vergleichen, die auf einen Punkt wirkt, sondern einer, die mit Blitzesschnelle alle Fibern durchläuft und alle Tätigkeiten lähmt, die im Volk und Heer wirksam sein sollen. Es gibt wohl Fälle, wo der Rückzug in das Innere des Landes vom Volk und Heer schnell verstanden wird, und wo er das Vertrauen und die Erwartungen sogar steigern könnte, aber die sind sehr selten. Gewöhnlich wird Volk und Heer nicht einmal unterscheiden, ob es eine freie Bewegung oder ein Zurückstolpern ist, und noch weniger, ob der Plan aus Klugheit in Aussicht sicherer Vorteile oder aus Furcht vor dem feindlichen Schwert befolgt wird. Das Volk wird Mitleiden und Unwillen fühlen, wenn es das Schicksal der aufgeopferten Provinzen sieht, das Heer wird leicht sein Vertrauen zu seinem Führer oder gar zu sich selbst verlieren, und die beständigen Gefechte der Nachhut während des Rückzuges werden ihm eine immer erneuerte Bekräftigung seiner Befürchtungen werden. Über diese Folgen des Rückzuges darf man sich nicht täuschen. Und allerdings ist es an und für sich betrachtet natürlicher, einfacher, edler, dem moralischen Dasein des Volkes entsprechender, offen in die Schranken zu treten, damit der Angreifende die Grenzen eines Volkes nicht überschreiten könne, ohne seinem Genius zu begegnen, der ihm die blutige Rechenschaft abfordert.

Dies sind die Vorteile und Nachteile einer solchen Verteidigungsart, jetzt ein paar Worte über die Bedingungen und begünstigenden Umstände derselben.

Eine weite Oberfläche oder wenigstens eine lange Rückzugslinie ist die Haupt- und Grundbedingung; denn ein paar Märsche vorwärts werden den Feind natürlich nicht merklich schwächen. Bonapartes Zentrum im Jahre 1812 war bei Witebsk 250000 Mann, bei Smolensk 182000 Mann, und erst bei Borodino war es auf 120000 Mann heruntergekommen, d. h. mit dem russischen Zentrum ins Gleichgewicht der Zahl getreten. Borodino ist 90 Meilen von der Grenze; aber erst bei Moskau war ein entschiedenes Übergewicht für die Russen eingetreten, welches den Umschlag von selbst so sicher herbeiführte, daß der französische Sieg bei Malojaroslawetz keinen wesentlichen Unterschied darin machte.

Solche Dimensionen wie Rußland hat kein anderes europäisches Reich, und bei den wenigsten ist eine Rückzugslinie von 100 Meilen denkbar. Allein eine Macht wie die französische 1812 wird auch nicht leicht in anderen Verhältnissen vorkommen, und noch weniger ein solches Übergewicht, wie es im Anfang des Feldzuges zwischen beiden Teilen bestand, wo die Franzosen mehr als das Doppelte in der Zahl und außerdem ein entschiedenes moralisches Übergewicht hatten. Was also hier nur nach 100 Meilen erreicht wurde, kann in anderen Fällen vielleicht mit 50 oder 30 erreicht werden.

Zu den begünstigenden Umständen gehören:

1. eine wenig bebaute Gegend,

2. ein treues kriegerisches Volk,

3. die schlechte Jahreszeit.

Alle diese Dinge machen die Erhaltung des feindlichen Heeres schwieriger, nötigen zu großen Zufuhren, vielen Entsendungen, beschwerlichem Dienst, verursachen Krankheiten und erleichtern die Flankenwirkung des Verteidigers.

Endlich müssen wir noch von der absoluten Masse der Streitkräfte sprechen, welche darauf Einfluß hat.

An und für sich ist es in der Natur der Dinge, daß, abgesehen von dem Verhältnis der gegenseitigen Streitkräfte, eine kleine Streitkraft überhaupt sich früher erschöpft als eine größere, und daß ihre Bahn also nicht so lang, der Umfang ihres Kriegstheaters nicht so groß sein kann. Es findet also gewissermaßen ein konstantes Verhältnis zwischen der absoluten Größe der Macht und denjenigen Räumen statt, welche diese Macht einnehmen kann. Es kann nicht die Rede davon sein, dies Verhältnis auf eine Zahl zu bringen, auch wird es immer durch andere Umstände modifiziert werden, es ist uns aber genug, zu sagen, daß die Dinge im tiefsten Grunde ihres Wesens diesen Zusammenhang haben. Man kann mit 500000 Mann auf Moskau ziehen, aber nicht mit 50000, wenn das Verhältnis zur feindlichen Macht im letzten Fall auch viel günstiger wäre wie im ersten.

Nehmen wir nun dieses Verhältnis der absoluten Macht zum Raum in zwei verschiedenen Fällen als dasselbe an, so ist nicht zu bezweifeln, daß die Wirksamkeit unseres Rückzuges in Beziehung auf die Schwächung des Feindes mit den Massen steigen wird.

1. Unterhalt und Unterkommen des Feindes werden schwieriger; denn wenn auch die Räume, welche die Heere einnehmen, gerade soviel wachsen sollten als die Heere selbst, so wird doch der Unterhalt niemals ganz aus diesem Raum bestritten, und alles, was nachgeführt werden muß, erliegt größeren Verlusten; zum Unterkommen aber wird niemals der ganze Raum benutzt, sondern nur ein sehr kleiner Teil desselben, der nicht verhältnismäßig mit den Massen wächst.

2. Das Vordringen wird in dem Maße langsamer, als die Massen größer werden, folglich dauert die Zeit, bis die Angriffsbahn durchlaufen ist, länger, und die Summe der täglich darin vorkommenden Verluste wird größer.

Dreitausend Mann, welche zweitausend vor sich hertreiben, werden ihnen in gewöhnlicher Gegend nicht erlauben, sich in kleinen Märschen von 1, 2, höchstens 3 Meilen zurückzubewegen und von Zeit zu Zeit ein paar Tage Halt zu machen. An sie kommen, sie angreifen und vertreiben ist das Werk von einigen Stunden. Multiplizieren wir aber diese Massen mit der Zahl von 100, so sieht es anders aus. Wirkungen, zu denen im ersten Fall wenige Stunden hinreichten, erfordern nun vielleicht einen ganzen Tag oder auch zwei. Beide Teile können nun nicht mehr auf einem Punkt zusammenbleiben, damit wächst also die Mannigfaltigkeit aller Bewegungen und Kombinationen und folglich die Zeit, welche sie brauchen. Der Angreifende aber ist hierbei in dem Nachteil, daß er wegen der schwierigen Verpflegung sich noch mehr ausbreiten muß als der Zurückgehende, folglich immer in einiger Gefahr ist, daß dieser mit überlegener Macht auf einen Punkt falle, wie die Russen bei Witebsk es wollten.

3. Je größer die Massen werden, um so größer wird für jeden einzelnen der Kraftaufwand, den der tägliche strategische und taktische Dienst erfordert. Hunderttausend Mann, die täglich einmal ab- und aufmarschieren, jetzt Halt machen, dann wieder in Marsch gesetzt werden, jetzt zu den Waffen greifen, dann wieder kochen oder Lebensmittel empfangen, hunderttausend Mann, die nicht eher ins Lager rücken sollen, als bis von allen Seiten die nötigen Meldungen eingegangen sind - diese brauchen zu allen diesen Nebenanstrengungen des eigentlichen Zuges in der Regel doppelt soviel Zeit als 50000 brauchen würden, der Tag aber hat für beide nur 24 Stunden. Wie sehr verschieden aber die Zeit und Anstrengung eines Marsches ist nach der Masse der Truppen, haben wir im neunten Kapitel des vorigen Buches gesagt. Diese Anstrengungen teilt nun freilich der Zurückgehende mit dem Vorrückenden, aber sie sind bei dem letzteren merklich größer:

1. Weil seine Massen größer sind, wegen der Überlegenheit, die wir voraussetzen.

2. Weil der Verteidiger, da er immer den Boden räumt, mit diesem Opfer sich das Recht erkauft, immer der Bestimmende zu bleiben, stets dem anderen das Gesetz zu geben. Er macht seinen Plan vorher, und in den meisten Fällen wird dieser durch nichts gestört, der Vorschreitende aber kann seinen Plan nur nach der feindlichen Aufstellung machen, die er immer erst zu erforschen suchen muß. Wir müssen aber daran erinnern, daß hier von dem Verfolgen eines Gegners die Rede ist, der keine Niederlage erlitten, nicht einmal eine Schlacht verloren hat, damit man nicht glaube, wir widersprächen unserem zwölften Kapitel des vierten Buches.

Jenes Vorrecht aber, dem Feinde das Gesetz zu geben, macht für Zeit- und Kraftgewinn und für mancherlei Nebenvorteile einen Unterschied, der auf die Dauer sehr wesentlich wird.

3. Weil der Zurückgehende von der einen Seite alles tut, seinen Rückweg zu erleichtern, Wege und Brücken ausbessern läßt, die bequemsten Lagerplätze aussucht usw. und von der anderen Seite wieder ebensoviel tut, dem Nachfolgenden das Vorgehen zu erschweren, indem er die Brücken zerstört, schon durch seinen bloßen Marsch schlechte Wege noch mehr verdirbt, dem Feinde die besten Lager- und Wasserplätze entzieht, indem er sie selbst einnimmt.

Endlich müssen wir noch als einen besonders begünstigenden Umstand den Volkskrieg anführen. Dies bedarf hier um so weniger einer weiteren Auseinandersetzung, als wir von demselben noch in einem eigenen Kapitel sprechen werden.

Wir haben bisher von den Vorteilen gesprochen, die ein solcher Rückzug gewährt, von den Opfern, die er fordert, von den Bedingungen, die vorhanden sein müssen; jetzt wollen wir noch etwas über die Ausführung sagen.

Die erste Frage, welche wir zu tun haben, ist über die Richtung des Rückzuges.

Er soll in das Innere des Landes geschehen, also womöglich auf einen Punkt führen, wo der Feind auf beiden Seiten von unseren Provinzen umgeben ist; dann wird er ihrer Einwirkung ausgesetzt sein und wir nicht in Gefahr, von der Hauptmasse unseres Landes abgedrängt zu werden, welches geschehen könnte, wenn wir eine Rückzugslinie wählen, die zu nahe an der Grenze hinliefe, wie die Russen im Jahr 1812, wenn sie südlich statt östlich hätten zurückgehen wollen. Dies ist die Bedingung, welche in dem Zweck der Maßregel selbst liegt. Welcher Punkt des Landes der beste ist, wieweit sich damit die Absicht verbinden läßt, die Hauptstadt oder einen anderen wichtigen Punkt unmittelbar zu decken oder den Feind von der Richtung dahin abzuziehen, hängt von den Verhältnissen ab.

Hätten die Russen 1812 den Rückzug vorher überlegt gehabt und also vollkommen planmäßig gemacht, so konnten sie füglich von Smolensk die Richtung auf Kaluga nehmen, die sie erst von Moskau aus einschlugen; es ist sehr möglich, daß unter diesen Umständen Moskau ganz verschont geblieben wäre.

Die Franzosen waren nämlich bei Borodino etwa 130000 Mann stark; es ist kein Grund vorhanden, daß sie, wenn diese Schlacht von den Russen auf dem halben Weg von Kaluga angenommen worden wäre, dort hätten stärker sein sollen; wieviel hätten sie aber von dieser Macht entbehren können, um es auf Moskau zu schicken? Offenbar sehr wenig; mit wenig Truppen aber kann man nicht auf 50 Meilen (dies ist die Entfernung von Smolensk nach Moskau) eine Entsendung gegen einen Ort wie Moskau machen.

Gesetzt, Bonaparte hätte bei Smolensk, wo er nach den Gefechten etwa 160000 Mann stark war, geglaubt, eine Entsendung auf Moskau wagen zu dürfen, ehe noch eine Hauptschlacht erfolgt war, und dazu 40000 Mann genommen, während 120000 Mann der russischen Hauptarmee gegenüber geblieben wären, so würden diese 120000 Mann in der Schlacht etwa nur 90000 gewesen sein, nämlich 40000 schwächer als bei Borodino; die Russen würden also ein Übergewicht von 30000 Mann gehabt haben. Wenn man den Verlauf der Schlacht von Borodino als Maßstab nimmt, so ist wohl zu glauben, daß sie damit Sieger geblieben wären. In jedem Fall wäre das Resultat dieses Kalküls ein viel besseres gewesen als das Verhältnis bei Borodino. Aber der Rückzug der Russen war kein Werk überdachten Planes; man ging so weit zurück, weil man in jedem Augenblick, wo man die Schlacht annehmen wollte, sich noch nicht stark genug dazu fand; alle Erhaltungs- und Verstärkungsmittel waren auf die Straße von Moskau auf Smolensk gerichtet, und es konnte in Smolensk niemand einfallen, diese Straße zu verlassen. Außerdem aber würde ein Sieg zwischen Smolensk und Kaluga in den Augen der Russen das Unrecht niemals gutgemacht haben, Moskau nicht zu decken und einer möglichen Besitznahme preiszugeben.

Noch gewisser hätte Bonaparte 1813 Paris vor einem Anfall schützen können, wenn er seine Aufstellung merklich seitwärts, etwa hinter dem Kanal von Bourgogne, genommen und in Paris nur einige tausend Mann mit seinen zahlreichen Nationalgarden gelassen hätte. Niemals hätten die Verbündeten den Mut gehabt, ein Korps von 50 bis 60000 Mann auf Paris gehen zu lassen, während sie Bonaparte mit 100000 Mann bei Auxerre wußten. Umgekehrt würde wohl niemand einem verbündeten Heer in Bonapartes Lage geraten haben, den Weg zur eigenen Hauptstadt zu verlassen, wenn er der Gegner war. Mit solcher Überlegenheit würde er nicht einen Augenblick angestanden haben, auf die Hauptstadt loszugehen. So verschieden wird sogar unter denselben Umständen, aber bei anderen moralischen Verhältnissen das Resultat sein.

Wir wollen nur noch bemerken, daß bei einer solchen Seitenrichtung in jedem Fall die Hauptstadt oder der Ort, welchen man dadurch außer Spiel bringen will, einige Widerstandsfähigkeit haben muß, um nicht von jedem Streifer besetzt und gebrandschatzt zu werden, und dann diesen Gegenstand hier fallen lassen, weil wir in der Folge bei dem Kriegsplan doch noch einmal darauf zurückkommen werden.

Aber noch eine andere Eigentümlichkeit in der Richtung einer solchen Rückzugslinie müssen wir betrachten, nämlich die einer plötzlichen Wendung. Nachdem die Russen bei Moskau dieselbe Richtung behalten hatten, verließen sie diese, die sie nach Wladimir geführt haben würde, gingen zuerst in der auf Rjazanj weiter und dann in die von Kaluga über. Hätten sie ihren Rückzug fortsetzen müssen, so konnte solcher füglich in dieser neuen Richtung geschehen, welche sie nach Kiew geführt haben würde, also der feindlichen Grenze wieder viel näher. Daß die Franzosen, wenn sie den Russen in dieser Zeit auch noch merklich überlegen gewesen wären, das ungeheure Knie ihrer Verbindungslinie über Moskau nicht hätten behaupten können, ist wohl an sich klar; sie hätten nicht allein Moskau, sondern höchstwahrscheinlich auch Smolensk aufgeben, also die mühsam gemachten Eroberungen wieder verlassen und sich mit dem Kriegstheater diesseits der Beresina begnügen müssen.

Nun wäre freilich das russische Heer in denselben Nachteil getreten, dem es sich ausgesetzt hätte, wenn es gleich anfangs die Richtung auf Kiew hätte einschlagen wollen, nämlich von der Hauptmasse seiner Staaten getrennt zu sein; aber dieser Nachteil wurde nun fast illusorisch, denn in welcher ganz anderen Verfassung würde das feindliche Heer bei Kiew angekommen sein, wenn es nicht die Reise über Moskau gemacht hätte!

Es ist klar, daß eine solche plötzliche Wendung der Rückzugslinie, die bei großen Dimensionen sehr tunlich ist, eminente Vorteile gewährt:

1. Die Wendung macht es dem Gegner unmöglich, seine alten Verbindungslinien beizubehalten; die Einrichtung von neuen ist aber immer eine schwierige Sache, wozu noch kommt, daß er seine Richtung nur nach und nach verändert, also wahrscheinlich mehr als einmal eine neue Verbindungslinie suchen muß.

2. Beide Teile nähern sich auf diese Weise der Grenze wieder; der Angreifende deckt seine gemachten Eroberungen nicht mehr durch seine Stellung und muß sie höchstwahrscheinlich aufgeben. Rußland mit seinen ungeheuren Dimensionen ist ein Reich, worin sich zwei Heere auf diese Weise förmlich Zeck jagen können.

Aber auch bei kleineren Oberflächen bleibt eine solche Wendung möglich, wenn die übrigen Umstände sie begünstigen, welches nur aus allen Verhältnissen des einzelnen Falles entnommen werden kann. Ist die Richtung einmal bestimmt, in welcher der Feind ins Land hineingezogen werden soll, so folgt von selbst, daß unsere Hauptmacht diese Richtung hatte, denn sonst würde der Feind die seinige nicht dahin vorgehen lassen, und täte er es auch, so würden wir nicht imstande sein, ihm dabei alle die Bedingungen aufzulegen, die wir oben vorausgesetzt haben. Es kann also nur die Frage sein, ob man mit der ungeteilten Macht diese Richtung halten oder mit bedeutenden Teilen derselben nach der Seite hin ausweichen und also seinen Rückzug exzentrisch machen soll.

Auf diese Frage müssen wir antworten, daß diese Form an sich verwerflich ist:

1. weil die Kräfte dadurch mehr verteilt werden, das Zusammenhäufen derselben auf einen Punkt aber gerade eine Hauptschwierigkeit für den Angreifenden ist;

2. weil der Gegner in den Vorteil der inneren Linie kommt, mehr als wir vereinigt ist und folglich auf einzelnen Punkten um so überlegener sein kann. Nun ist freilich diese Überlegenheit bei einem System weniger zu fürchten, was vorderhand immer im Ausweichen besteht, allein immer ist die Bedingung dieses Ausweichens, dem Gegner furchtbar zu bleiben, nicht von ihm zu Paaren getrieben zu werden; das könnte aber eintreten. Ferner ist die Bedingung dieses Rückzuges, nach und nach bei der Hauptmacht zu einer Überlegenheit zu kommen, um die Entscheidung geben zu können, welches aber bei der Teilung der Kräfte ungewiß bleiben würde.

3. Weil überhaupt das konzentrische Wirken auf den Feind dem Schwächeren nicht ziemt;

4. weil durch eine solche Stellung der Kräfte ein Teil der feindlichen Schwäche ganz eliminiert wird.

Die Hauptschwächen eines weit vorgehenden Angriffs sind nämlich: die langen Verbindungslinien, die offenen strategischen Flanken. Durch die exzentrische Form des Rückzuges wird der Angreifende genötigt, einen Teil seiner Macht nach der Seite Fronte machen zu lassen, und dieser Teil, welcher eigentlich nur bestimmt sein sollte, unsere ihm entgegenstehende Streitkraft zu neutralisieren, tut gewissermaßen nebenher noch etwas anderes, nämlich einen Teil der Verbindungslinie zu schützen.

Für die bloße strategische Wirkung des Rückzuges also ist die exzentrische Form nicht vorteilhaft; soll sie aber eine spätere Wirkung auf die feindliche Rückzugslinie vorbereiten, so müssen wir an das im vorigen Kapitel Gesagte erinnern.

Nur ein Zweck kann zu einem exzentrischen Rückzug veranlassen: wenn wir nämlich dadurch Provinzen sichern können, die der Feind sonst besetzt haben würde.

Welche Landstriche rechts und links der Vorgehende besetzen wird, läßt sich meistens mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit aus der Sammlung und Richtung seiner Kräfte, aus der Lage seiner Provinzen, Festungen usw. gegen die unserigen vorhersehen; diejenigen Landstriche, welche er wahrscheinlich intakt lassen wird, mit Streitkräften zu versehen, wäre eine gefährliche Kraftverschwendung. Ob man aber in denjenigen Landstrichen, welche der Angreifende, wahrscheinlich besetzen wird, imstande sein wird, ihn durch eine aufgestellte Streitkraft daran zu verhindern, ist schon schwieriger zu übersehen, und es hängt also dabei viel von dem Takt des Urteils ab.

Als die Russen 1812 zurückgingen, ließen sie unter Tormassow 30000 Mann in Wolhynien gegen die österreichische Macht, die in diese Provinz einbrechen sollte. Die Größe der Provinz, die mancherlei Schwierigkeiten des Bodens, welche sie darbietet, die nicht überlegene Macht, mit welcher sie angegriffen werden sollte, berechtigen zu der Hoffnung, daß die Russen auf dieser Seite ihrer Grenze die Oberhand behalten oder sich wenigstens in der Nähe der Grenze behaupten würden. Aus dieser Behauptung konnten in der Folge sehr wichtige Vorteile hervorgehen, bei denen wir uns hier nicht aufhalten wollen; außerdem war es fast unmöglich, diese Truppen noch zur rechten Zeit an das Hauptheer heranzuziehen, wenn man es auch gewollt hätte. Alle diese Dinge mußten auf die genügendste Weise dazu bestimmen, das Heer in Wolhynien zu lassen, um dort seinen eigenen Krieg zu führen. Wenn dagegen in dem Plan, welchen der General Phull zum Feldzug entworfen hatte, bloß das Heer von Barclay (80000 Mann) nach Drissa zurückgehen und das Heer von Bagration (40000 Mann) den Franzosen in der rechten Flanke bleiben sollte, um ihnen dann in den Rücken zu fallen, so sieht man auf den ersten Blick, daß dieses Heer nicht daran denken konnte, sich im südlichen Litauen zu behaupten, also einen Landstrich mehr, und der näher gelegen war, im Rücken der Franzosen zu erhalten. Dies Heer würde durch die überwältigenden Massen zugrunde gerichtet worden sein.

Daß der Verteidiger an sich das Interesse habe, dem Angreifenden so wenig Provinzen als möglich zu überlassen, versteht sich von selbst, aber dies bleibt immer ein sehr untergeordneter Zweck; daß der Angriff auch um so schwieriger wird, je kleiner oder vielmehr schmaler das Kriegstheater ist, auf dem wir den Feind einschränken können, ist gleichfalls an sich klar; aber dies alles unterliegt doch der Bedingung, daß man bei diesem Beginnen die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges für sich habe, und daß man dadurch nicht bei der Hauptmacht zu sehr geschwächt werde; denn hier muß vorzugsweise die endliche Entscheidung gesucht werden, weil die Verlegenheiten, die bei der feindlichen Hauptmacht entstehen, den Entschluß zum Rückzuge am ersten hervorrufen und den damit verbundenen Verlust physischer und moralischer Kräfte am meisten steigern.

Der Rückzug in das Innere des Landes soll also in der Regel mit unbesiegter und ungeteilter Macht geschehen, und soll gerade vor der feindlichen Hauptmacht hergehen, so langsam als möglich, und durch einen beständigen Widerstand den Gegner zu einer beständigen Schlachtfertigkeit, zu einem gewissen verderblichen Luxus taktischer und strategischer Vorsichtsmaßregeln zwingen.

Sind beide Teile so am Ende der Angriffsbahn angelangt, so wird der Verteidiger seine Aufstellung, wenn es irgend sein kann, schief gegen die Richtung dieser Bahn nehmen und nun durch alle Mittel, die ihm zu Gebote stehen, auf den Rücken des Feindes wirken.

Der Feldzug 1812 in Rußland zeigt alle diese Erscheinungen, und zwar in einem hohen Grade, und die Wirkungen derselben wie im Vergrößerungsspiegel, und ob er gleich nicht ein freiwilliger Rückzug war, so kann er doch füglich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden, und es ist wohl keine Frage, daß, wenn die Russen ihn mit der Kenntnis des Erfolges, die sie jetzt davon haben, noch einmal genau unter denselben Verhältnissen zu führen hätten, sie freiwillig und mit Plan tun würden, was 1812 größtenteils absichtslos geschehen ist. Allein man würde sehr unrecht haben, zu glauben, daß es sonst kein Beispiel von solcher Wirkungsart gebe, und daß es keines geben könne, wo die russischen Dimensionen fehlen.

Überall, wo ein strategischer Angriff ohne Schlachtentscheidung an den bloßen Schwierigkeiten des Daseins gescheitert und der Vorgedrungene zu einem bald mehr, bald weniger zerstörenden Rückzug gezwungen gewesen ist, hat die Hauptbedingung und Hauptwirkung dieser Widerstandsart stattgefunden, von welchen modifizierenden Umständen sie auch sonst begleitet gewesen sein mag. Friedrichs des Großen Feldzug von 1742 in Mähren, von 1744 in Böhmen, der französische Feldzug von 1743 in Österreich und Böhmen, des Herzogs von Braunschweig Feldzug von 1792 in Frankreich, Massénas Winterfeldzug von 1810 auf 1811 in Portugal sind Beispiele, die ähnliche Fälle, aber in viel geringeren Dimensionen und Verhältnissen zeigen; außerdem aber gibt es noch eine Unzahl fragmentarischer Wirkungen der Art, wo nicht der ganze Erfolg, aber wohl ein Teil desselben dem Prinzip, welches wir hier geltend machen, zugeschrieben werden muß, die wir aber nicht anführen, weil eine Entwicklung der Verhältnisse dabei nötig wäre, die uns hier zu weit führen würde.

In Rußland und den anderen angeführten Fällen ist der Umschwung erfolgt, ohne daß eine glückliche Schlacht am Kulminationspunkt die Entscheidung gegeben; aber wo eine solche Wirkung auch nicht zu erwarten ist, bleibt es schon ein Gegenstand von hinreichender Wichtigkeit, durch diese Widerstandsart ein Machtverhältnis herbeizuführen, welches den Sieg möglich macht, und durch diesen Sieg wie durch einen ersten Stoß eine Bewegung zu veranlassen, die sich dann in ihren verderblichen Wirkungen nach den Gesetzen des Falles zu vergrößern pflegt.

Sechsundzwanzigstes Kapitel: Volksbewaffnung

Der Volkskrieg ist im kultivierten Europa eine Erscheinung des neunzehnten Jahrhunderts. Er hat seine Anhänger und seine Widersacher, die letzteren entweder aus politischen Gründen, weil sie ihn für ein revolutionäres Mittel, einen für gesetzlich erklärten Zustand der Anarchie halten, der der gesellschaftlichen Ordnung nach innen ebenso gefährlich sei wie dem Feinde nach außen, oder aus militärischen Gründen, weil sie glauben, der Erfolg entspräche nicht der aufgewendeten Kraft. Der erste Punkt berührt uns hier gar nicht, denn wir betrachten den Volkskrieg bloß als Kampfmittel, also in seiner Beziehung auf den Feind; der letzte Punkt aber führt uns zu der Bemerkung, daß der Volkskrieg im allgemeinen als eine Folge des Durchbruches anzusehen ist, den das kriegerische Element in unserer Zeit durch seine alte künstliche Umwallung gemacht hat; als eine Erweiterung und Verstärkung des ganzen Gärungsprozesses, den wir Krieg nennen. Das Requisitionssystem, die Anschwellung der Heere zu ungeheuren Massen vermittelst desselben und der allgemeinen Dienstpflicht, der Gebrauch der Landwehren sind alles Dinge, die, wenn man vom ehemaligen engbegrenzten Militärsystem ausgeht, in derselben Richtung liegen, und in dieser Richtung liegt nun auch der Aufruf des Landsturmes oder die Volksbewaffnung. Sind die ersten dieser neuen Hilfsmittel eine natürliche und notwendige Folge weggeworfener Schranken, und haben sie die Kraft dessen, der sich ihrer zuerst bedient hat, so gewaltig gesteigert, daß der andere mit fortgerissen worden ist und sie auch hat ergreifen müssen, so wird beides auch der Fall mit dem Volkskriege sein. In der Allgemeinheit der Fälle würde dasjenige Volk, welches sich desselben mit Verstand bediente, ein verhältnismäßiges Übergewicht über diejenigen bekommen, die ihn verschmähen. Ist dem also, so kann nur die Frage sein, ob diese neue Verstärkung des kriegerischen Elementes der Menschheit überhaupt heilsam ist oder nicht; eine Frage, die sich wohl ganz so beantworten dürfte wie die Frage über den Krieg selbst - wir überlassen beide den Philosophen. Aber man könnte auch meinen, die Kräfte, welche der Volkskrieg kostet, könnten auf andere Streitmittel verwendet mit mehr Erfolg benutzt werden; es gehört indessen keine große Untersuchung dazu, um sich zu überzeugen, daß diese Kräfte größtenteils nicht disponibel sind und sich nicht nach Willkür verwenden lassen. Ein wesentlicher Teil derselben, nämlich die moralischen Elemente, erhalten sogar erst durch diese Art des Gebrauches ihr Dasein.

Wir fragen also nicht mehr: was kostet der Widerstand, den ein ganzes Volk mit den Waffen in der Hand leistet, diesem Volke? Sondern wir fragen: welchen Einfluß kann dieser Widerstand haben, welches sind seine Bedingungen und wie ist der Gebrauch desselben?

Daß ein so verteilter Widerstand nicht zu der in Zeit und Raum konzentrierten Wirkung großer Schläge geeignet ist, geht aus der Natur der Sache hervor. Seine Wirkung richtet sich, wie in der physischen Natur der Verdampfungsprozeß, nach der Oberfläche. Je größer diese ist und der Kontakt, in welchem sie mit dem feindlichen Heere sich befindet, also je mehr dieses sich ausbreitet, um so größer ist die Wirkung der Volksbewaffnung. Sie zerstört wie eine still fortschwelende Glut die Grundfesten des feindlichen Heeres. Da sie zu ihren Erfolgen Zeit braucht, so entsteht, während beide Elemente so aufeinander wirken, ein Zustand der Spannung, die sich entweder nach und nach löst, wenn der Volkskrieg an einzelnen Stellen erstickt wird und an anderen langsam erlischt, oder die zu einer Krise führt, wenn die Flammen dieses allgemeinen Brandes über das feindliche Heer zusammenschlagen und es nötigen, das Land vor eigenem gänzlichen Untergange zu räumen. Daß diese Krisis durch den bloßen Volkskrieg herbeigeführt werden sollte, setzt entweder eine solche Oberfläche des eingenommenen Reiches voraus, wie außer Rußland kein europäischer Staat sie hat, oder ein Mißverhältnis zwischen der einfallenden Armee und der Oberfläche des Landes, wie es in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Will man also kein Phantom verfolgen, so muß man sich den Volkskrieg in Verbindung mit dem Kriege eines stehenden Heeres denken und beide durch einen das Ganze umfassenden Plan geeinigt.

Die Bedingungen, unter welchen allein der Volkskrieg wirksam werden kann, sind folgende:

1. daß der Krieg im Innern des Landes geführt,

2. daß er nicht durch eine einzige Katastrophe entschieden werde;

3. daß das Kriegstheater eine beträchtliche Länderstrecke einnehme;

4. daß der Volkscharakter die Maßregel unterstütze;

5. daß das Land sehr durchschnitten und unzugänglich sei, entweder durch Gebirge oder durch Wälder und Sümpfe oder durch die Natur der Bodenkultur.

Ob die Bevölkerung groß oder klein ist, tut nichts Entscheidendes, denn an Menschen fehlt es dabei am wenigsten. Ob die Einwohner arm oder reich sind, ist auch nicht geradezu entscheidend oder sollte es wenigstens nicht sein, es ist aber nicht zu verkennen, daß eine arme, an anstrengende Arbeit und Entbehrungen gewöhnte Menschenklasse sich auch kriegerischer und kräftiger zu zeigen pflegt,

Eine Landeseigentümlichkeit, welche die Wirkung des Volkskrieges ungemein begünstigt, ist der zerstreute Anbau der Wohnungen, wie er sich in vielen Provinzen Deutschlands findet. Das Land wird dadurch zerschnittener und verdeckter, die Wege werden schlechter, obgleich zahlreicher, die Unterbringung der Truppen hat unendliche Schwierigkeiten, und vor allem es wiederholt sich im kleinen die Eigentümlichkeit, welche der Volkskrieg im großen hat, nämlich daß das widerstehende Prinzip überall und nirgends vorhanden ist. Wohnen die Einwohner in Dörfern beisammen, so werden die unruhigsten mit Truppen belegt oder auch wohl zur Strafe ausgeplündert, abgebrannt usw., welches sich aber bei einer westfälischen Bauerschaft nicht wohl ausführen läßt.

Der Gebrauch des Landsturmes und bewaffneter Volkshaufen kann und soll nicht gegen die feindliche Hauptmacht, auch nicht einmal gegen beträchtliche Korps gerichtet sein, er soll nicht den Kern zermalmen, sondern nur an der Oberfläche, an den Umgrenzungen nagen. Er soll sich in den Provinzen erheben, welche dem Kriegstheater seitwärts liegen und wohin der Angreifende nicht mit Macht kommt, um diese Provinzen seinem Einfluß ganz zu entziehen. Diese sich seitwärts auftürmenden Wetterwolken sollen sich hinter ihm fortziehen in dem Maße, als er vorschreitet. Da, wo noch gar kein Feind ist, fehlt es nicht an Mut, sich gegen ihn zu rüsten, und an diesem Beispiel entzündet sich nach und nach die Masse der angrenzenden Einwohner. So verbreitet sich das Feuer wie ein Brand in der Heide und trifft am Ende die Bodenfläche, auf welche der Angreifende basiert ist; es ergreift seine Verbindungslinie und zehrt an den Lebensfaden seines Daseins. Denn wenn man auch keine übertriebenen Vorstellungen von der Allmacht eines Volkskrieges hat, ihn nicht für ein unerschöpfliches, unbezwingliches Element hält, dem die bloße Heeresmacht so wenig Stillstand gebieten könne wie der Mensch dem Winde oder Regen, kurz, wenn man sein Urteil auch nicht auf rednerische Flugschriften gründet, so muß man doch zugeben, daß man bewaffnete Bauern nicht vor sich hertreiben kann wie eine Abteilung Soldaten, die aneinander halten wie eine Herde und gewöhnlich der Nase nachlaufen, während jene auseinandergesprengt sich nach allen Seiten zerstreuen, ohne dazu eines künstlichen Planes zu bedürfen. Dadurch bekommt der Marsch jeder kleinen Abteilung in einem Gebirge, einer Wald- oder sonst sehr durchschnittenen Gegend einen sehr gefährlichen Charakter; denn es kann in jedem Augenblick aus dem Marsch ein Gefecht werden, und wenn schon lange von keinem feindlichen Kriegsvolk mehr die Rede sein würde, können noch zu jeder Stunde dieselben Bauern am Ende einer Kolonne erscheinen, die die Spitze derselben längst vertrieben hatte. Ist von Verderbung der Wege und Sperrung enger Straßen die Rede, so verhalten sich die Mittel, welche Vorposten oder Streifkorps des Heeres anwenden, zu denjenigen, welche eine aufgebrachte Bauernmasse herbeischafft, ungefähr wie die Bewegungen eines Automaten zu den Bewegungen eines Menschen. Der Feind hat kein anderes Mittel gegen die Wirkungen des Landsturmes als das Absenden vieler Haufen zur Geleitung seiner Zufuhren, zur Besetzung der militärischen Stationen, der Pässe, Brücken usw. So wie die ersten Versuche des Landsturmes gering sein werden, so werden auch diese entsendeten Haufen schwach sein, weil man die große Zersplitterung der Kräfte fürchtet; an diesen schwachen Haufen pflegt sich dann das Feuer des Volkskrieges erst recht zu entzünden, man wird ihrer an einigen Orten durch die Menge Meister, es wächst der Mut und die Lust, und die Intensität dieses Kampfes nimmt zu, bis sich der Kulminationspunkt nähert, der über den Ausgang entscheiden soll.

Nach unserer Vorstellung vom Volkskriege muß er wie ein nebel- und wolkenartiges Wesen sich nirgends zu einen widerstehenden Körper konkreszieren, sonst richtet der Feind eine angemessene Kraft auf diesen Kern, zerstört ihn und macht eine große Menge Gefangene; dann sinkt der Mut, alles glaubt, die Hauptfrage sei entschieden, ein weiteres Bemühen vergeblich, und die Waffen fallen dem Volke aus den Händen. Von der anderen Seite aber ist es dennoch nötig, daß sich dieser Nebel an gewissen Punkten zu dichteren Massen zusammenziehe und drohende Wolken bilde, aus denen einmal ein kräftiger Blitzstrahl herausfahren kann. Diese Punkte sind hauptsächlich auf den Flügeln des feindlichen Kriegstheaters, wie wir schon gesagt haben. Da muß sich die Volksbewaffnung in größere und mehr geordnete Ganze vereinigen, mit einem geringen Zusatz stehender Truppen, so daß sie schon das Ansehen eines geordneten Heeres gewinnt und imstande ist, sich an größere Unternehmungen zu wagen. Von diesen Punkten aus muß die Intensität des Landsturmes abnehmen nach dem Rücken des Feindes hin, wo er seinen stärksten Schlägen ausgesetzt ist. Jene dichteren Massen sind bestimmt, über die beträchtlicheren Garnisonen herzufallen, welche der Feind zurückschickt, außerdem flößen sie Furcht und Besorgnis ein, vermehren den moralischen Eindruck des Ganzen; ohne sie würde die Totalwirkung nicht kräftig und der ganze Zustand für den Feind nicht beunruhigend genug werden.

Diese willkürliche Gestaltung der ganzen Volksbewaffnung bringt der Feldherr am leichtesten durch die kleinen Haufen des stehenden Heeres hervor, womit er den Landsturm unterstützt. Ohne eine solche zur Ermunterung dienende Unterstützung durch etwas Truppen des stehenden Heeres wird es beim Einwohner meistens an Vertrauen und an Trieb fehlen, zu den Waffen zu greifen. Je stärker nun die Haufen sind, die dazu bestimmt werden, um so stärker wird die Anziehungskraft, um so größer die Lawine, die sich herabstürzen soll. Aber dies hat seine Grenze; denn teils wäre es verderblich, für diesen untergeordneten Zweck das ganze Heer zu verteilen, im Landsturm gewissermaßen aufzulösen und damit eine ausgedehnte, überall schwache Verteidigungslinie zu bilden, wobei man gewiß sein könnte, daß Heer und Landsturm gleich gründlich zerstört werden würden, teils scheint auch die Erfahrung zu lehren, daß, wenn allzuviel regelmäßige Truppen in der Provinz anwesend sind, der Volkskrieg an Energie und Wirksamkeit abzunehmen pflegt; die Ursache ist, weil erstens dadurch zu viel feindliche Truppen in die Provinz gezogen werden, zweitens die Einwohner sich nun auf die eigenen stehenden Truppen verlassen wollen, drittens das Dasein beträchtlicher Truppenmassen die Kräfte der Einwohner auf eine andere Art zu sehr in Anspruch nimmt: nämlich durch Bequartierung, Fuhren, Lieferungen usw.

Ein anderes Mittel zur Verhütung einer zu wirksamen Reaktion des Feindes gegen den Volkskrieg bildet zugleich einen Hauptgrundsatz in dem Gebrauch desselben; es ist der Grundsatz: bei diesem großen strategischen Verteidigungsmittel es selten oder niemals zur taktischen Verteidigung kommen zu lassen. Der Charakter eines Landsturmgefechts ist der aller Gefechte mit schlechteren Truppenmassen: eine große Gewalt und Hitze im Anlauf, aber wenig kaltes Blut und wenig Nachhalt in der Dauer. Ferner ist wenig daran gelegen. ob eine Landsturmmasse besiegt und vertrieben wird, denn darauf ist sie gestellt, aber sie darf nicht zugrunde gerichtet werden durch eine Unzahl von Toten, Verwundeten und Gefangenen; dergleichen Niederlagen würden die Glut bald erdrücken. Diese beiden Eigentümlichkeiten sind aber der Natur der taktischen Verteidigung durchaus entgegen. Das Verteidigungsgefecht erfordert ein nachhaltiges, langsames, planvolles Wirken und entschiedenes Wagen; ein bloßer Versuch, von dem man ablassen kann, so schnell man will, kann in der Verteidigung niemals zum Erfolg führen. Soll also der Landsturm die Verteidigung irgendeines Bodenabschnittes übernehmen, so muß es niemals zu einem entscheidenden Hauptverteidigungsgefecht kommen; er wird dann zugrunde gehen, wenn ihm die Umstände auch noch so günstig sind. Er kann und soll also die Eingänge eines Gebirges, die Dämme eines Sumpfes, die Übergänge eines Flusses verteidigen, solange es ihm möglich ist, aber er soll, wenn sie einmal durchbrochen sind, sich lieber zerstreuen und mit unvermuteten Anfällen seine Verteidigung fortsetzten, als sich in ein enges, letztes Refugium, in eine förmliche Defensivstellung zusammenziehen und einsperren lassen. - Wie tapfer auch ein Volk sei, wie kriegerisch seine Sitten, wie groß sein Haß gegen den Feind, wie günstig sein Boden: es ist unleugbar, daß der Volkskrieg sich in einer zu dichten Atmosphäre der Gefahr nicht erhalten kann. Soll sich also sein Brennstoff irgendwo zu einer bedeutenden Glut anhäufen, so muß es auf entfernteren Punkten geschehen, wo er Luft hat und nicht mit einem großen Schlage erdrückt werden kann.

Nach diesen Betrachtungen, die mehr ein Herausfühlen der Wahrheit sind als eine objektive Zergliederung, weil der Gegenstand überhaupt noch zu wenig dagewesen und von denen, die ihn lange mit eigenen Augen beobachtet haben, zu wenig dargestellt worden ist, haben wir nur noch zu sagen, daß der strategische Verteidigungsplan die Mitwirkung der Volksbewaffnung auf zwei verschiedenen Wegen in sich aufnehmen kann, nämlich: entweder als ein letztes Hilfsmittel nach verlorener Schlacht oder als ein natürlicher Beistand, ehe eine entscheidende Schlacht geliefert wird. Das letztere setzt den Rückzug ins Innere des Landes und diejenige mittelbare Reaktionsart voraus, wovon wir im achten und vierundzwanzigsten Kapitel dieses Buches gesprochen haben. Wir haben also hier nur noch ein paar Worte über das Aufgebot des Landsturmes nach verlorener Schlacht zu sagen.

Kein Staat sollte sein Schicksal, nämlich sein ganzes Dasein, von einer Schlacht, sei sie auch die entscheidendste, abhängig glauben. Ist er geschlagen, so kann das Aufbieten neuer eigener Kräfte und die natürliche Schwächung, welche jeder Angriff in der Dauer erleidet, einen Umschwung der Dinge herbeiführen, oder er kann von außen her Hilfe bekommen. Zum Sterben ist es immer noch Zeit, und wie es ein Naturtrieb ist, daß der Untergehende nach dem Strohhalm greift, so ist es in der natürlichen Ordnung der moralischen Welt, daß ein Volk die letzten Mittel seiner Rettung versucht, wenn es sich an den Rand des Abgrundes geschleudert sieht.

Wie klein und schwach ein Staat in Beziehung auf seinen Feind auch sei, er soll sich diese letzten Kraftanstrengungen nicht ersparen, oder man müßte sagen, es ist keine Seele mehr in ihm. Dies schließt nicht die Möglichkeit aus, sich durch einen opfervollen Frieden von dem gänzlichen Untergange zu retten, eine solche Absicht schließt aber auch ihrerseits nicht die Nützlichkeit neuer Verteidigungsmaßregeln aus; sie machen den Frieden weder schwieriger noch schlechter, sondern leichter und besser. Noch notwendiger sind sie, wenn Hilfe von denen erwartet wird, die bei unserer Erhaltung interessiert sind. Eine Regierung also, die nach verlorener Hauptschlacht nur daran denkt, das Volk schnell in das Bette des Friedens steigen zu lassen und übermannt von dem Gefühl einer großen fehlgeschlagenen Hoffnung, nicht mehr den Mut und die Lust in sich fühlt, alle Kräfte anzuspornen, begeht in jedem Fall aus Schwäche eine große Inkonsequenz und zeigt, daß sie des Sieges nicht würdig und eben deswegen vielleicht auch gar nicht fähig war.

Wie entschieden also auch die Niederlage sei, die ein Staat erfahren, so muß doch mit dem Rückzug des Heeres in das Innere des Landes die Wirksamkeit der Festungen und der Volksbewaffnungen hervorgerufen werden. Es ist in dieser Beziehung vorteilhaft, wenn die Flügel des Hauptkriegstheaters durch Gebirge oder sonst sehr schwierige Gegenden begrenzt werden, die nun wie Bastione hervortreten, deren strategisches Flankenfeuer der Vordringende auszuhalten hat.

Ist der Sieger mitten in seinen Belagerungsarbeiten, hat er überall starke Garnisonen zurückgelassen, um seine Verbindungslinie zu bilden, oder gar Korps entsendet, um sich die Ellenbogen frei zu machen und die benachbarten Provinzen in Ordnung zu halten, ist er schon durch mannigfaltige Verluste lebender und toter Streitmittel geschwächt, dann ist der Zeitpunkt, wo die Verteidigungsarmee von neuem in die Schranken treten und den Angreifenden in seiner zwangvollen Lage durch einen wohlangebrachten Stoß zum Wanken bringen muß.

Siebenundzwanzigstes Kapitel: Verteidigung eines Kriegstheaters

Wir könnten uns vielleicht begnügen, von den wichtigsten Verteidigungsmitteln gesprochen zu haben, und die Art, wie sich dieselben an den ganzen Verteidigungsplan anknüpfen, erst im letzten Buch berühren, wenn wir von dem Kriegsplan sprechen; denn nicht nur wird von diesem jeder untergeordnete Plan von Angriff und Verteidigung ausgehen und in seinen Hauptlineamenten bestimmt werden, sondern in vielen Fällen wird der Kriegsplan selbst nichts anderes sein als der Angriff oder die Verteidigung auf dem hauptsächlichsten Kriegstheater. Allein wir haben überhaupt nicht mit dem Ganzen des Krieges anfangen können, obgleich im Kriege mehr als irgendwo die Teile durch das Ganze bestimmt und von dem Charakter desselben durchdrungen und wesentlich verändert werden, sondern wir haben uns erst der einzelnen Gegenstände wie abgerissener Teile deutlicher bewußt werden müssen. Ohne dieses Fortschreiten von dem Einfacheren zum Zusammengesetzteren würde uns eine Masse unbestimmter Vorstellungen überwältigt, und besonders würden die im Kriege so vielfältigen Wechselwirkungen unsere Vorstellungen beständig verwirrt haben. Wir wollen uns also dem Ganzen erst noch um einen Schritt nähern, d. h. wir wollen die Verteidigung eines Kriegstheaters an und für sich betrachten und den Faden suchen, an dem sich die abgehandelten Gegenstände anreihen lassen.

Die Verteidigung ist nach unserer Vorstellungsweise nichts als die stärkere Form des Kampfes. Die Erhaltung der eigenen Streitkräfte, die Vernichtung der feindlichen, mit einem Wort der Sieg ist der Gegenstand dieses Kampfes; aber er ist freilich nicht der letzte Zweck. Die Erhaltung des eigenen Staates und die Niederwerfung des feindlichen ist dieser Zweck, und wieder mit einem Wort: der beabsichtigte Friede, weil in ihm sich dieser Konflikt ausgleicht und in ein gemeinschaftliches Resultat endigt.

Was heißt nun der feindliche Staat in Beziehung auf den Krieg? Vor allen Dingen seine Streitkraft, dann seine Oberfläche; aber freilich auch noch vieles andere, was durch individuelle Umstände eine vorherrschende Wichtigkeit bekommen kann; vorzüglich gehören dahin äußere und innere politische Verhältnisse, die zuweilen mehr entscheiden als alles übrige. Aber wenn auch die Streitkraft und die Oberfläche des feindlichen Staates nicht der Staat selbst sind, und auch nicht alle Beziehungen damit erschöpft sind, die der Staat zum Kriege haben kann, so bleiben jene beiden Gegenstände doch die stets vorherrschenden, an Wichtigkeit allen anderen Beziehungen meistens unendlich überlegen. Die Streitkraft soll die eigene Landesfläche des Staates beschützen, die feindliche erobern, die Landesfläche aber ernährt und regeneriert unaufhörlich die Streitkraft. Beide hängen also voneinander ab, tragen sich gegenseitig, sind einander gleich wichtig. Aber es besteht doch in ihrem Wechselverhältnis ein Unterschied. Wenn die Streitkraft vernichtet, d. h. niedergeworfen, zu fernerem Widerstande unfähig gemacht ist, so folgt der Verlust des Landes eo ipso; aber nicht umgekehrt folgt aus der Eroberung des Landes die Vernichtung der Streitkraft, denn diese kann das Land freiwillig räumen, um es nachher um so leichter zu erobern. Ja, nicht bloß die gänzliche Niederwerfung der Streitkraft entscheidet über das Schicksal des Landes, sondern schon jede beträchtliche Schwächung derselben führt regelmäßig einen Verlust an Land herbei; dagegen führt nicht jeder beträchtliche Verlust an Land regelmäßig eine beträchtliche Schwächung der Streitkraft herbei; für die Dauer freilich, aber nicht immer innerhalb des Zeitraumes, in welchen die Kriegsentscheidung fällt.

Hieraus folgt, daß die Erhaltung und Vernichtung der Streitkraft dem Besitz des Landes immer vorgehen, d. h. daß sie vom Feldherrn zunächst erstrebt werden soll, und daß der Besitz des Landes sich nur überall als Zweck hervordrängt, wo jenes Mittel ihn nicht vollkommen deckt.

Wäre die ganze feindliche Streitkraft in einem Heer vereinigt, und bestände der ganze Krieg in einem Gefecht, so würde der Besitz des Landes von dem Ausgang dieses Gefechts abhängen; Vernichtung der feindlichen Streitkräfte, Eroberung des feindlichen Landes und Sicherung des eigenen würden daraus folgen und gewissermaßen identisch damit sein. Es frägt sich nun; was kann den Verteidiger zuerst bewegen, von dieser einfachsten Form des kriegerischen Aktes abzuweichen und seine Macht im Raum zu verteilen? Die Antwort ist die Unzulänglichkeit des Sieges, den er mit vereinter Macht erringen könnte. Jeder Sieg hat seinen Wirkungskreis. Reicht dieser über den ganzen feindlichen Staat, also über seine ganze Streitkraft und Länderfläche hin, d. h. werden alle Teile in dieselbe Bewegung mit fortgerissen, welche wir dem Kern seiner Macht gegeben haben, so ist ein solcher Sieg alles, was wir brauchen, und eine Teilung unserer Macht würde ohne zureichenden Grund sein. Gibt es aber Teile der feindlichen Kriegsmacht und der gegenseitigen Länder, über die unser Sieg keine Gewalt mehr haben würde, so müssen wir auf diese Teile besonders Rücksicht nehmen, und da wir die Länderfläche nicht wie die Kriegsmacht in einem Punkt sammeln können, so müssen wir diese zur Verteidigung jener teilen.

Nur bei kleinen und abgerundeten Staaten ist eine solche Einheit der Kriegsmacht möglich und wahrscheinlich, daß von dem Sieg über diese alles abhängt. Bei großen Ländermassen, die uns in großer Ausdehnung berühren, oder gar bei einem Bündnis solcher Staaten gegen uns, die uns von mehreren Seiten umgeben, ist eine solche Einheit praktisch ganz unmöglich. Hier also werden notwendig Teilungen der Macht entstehen und damit verschiedene Kriegstheater.

Der Wirkungskreis eines Sieges wird natürlich abhängen von der Größe des Sieges und diese von der Masse der besiegten Truppen. Also gegen den Teil, wo die meisten feindlichen Streitkräfte beisammen sind, wird derjenige Stoß geschehen können, dessen glückliche Wirkungen am weitesten reichen; und wir werden dieses Erfolges am meisten gewiß sein, je größer die Masse der eigenen Streitkräfte ist, die wir zu diesem Stoß verwenden. Diese natürliche Vorstellungsreihe führt uns auf ein Bild, in welchem wir sie klarer feststellen können, es ist die Natur und Wirkung des Schwerpunktes in der Mechanik.

So wie sich der Schwerpunkt immer da findet, wo die meiste Masse beisammen ist, und wie jeder Stoß gegen den Schwerpunkt der Last am wirksamsten ist, wie ferner der stärkste Stoß mit dem Schwerpunkt der Kraft erhalten wird, so ist es auch im Kriege. Die Streitkräfte jedes Kriegführenden, sei es ein einzelner Staat oder ein Bündnis von Staaten, haben eine gewisse Einheit und durch diese Zusammenhang; wo aber Zusammenhang ist, da treten die Analogien des Schwerpunktes ein. Es gibt also in diesen Streitkräften gewisse Schwerpunkte, deren Bewegung und Richtung über die anderen Punkte entscheidet, und diese Schwerpunkte finden sich da, wo die meisten Streitkräfte beisammen sind. So wie aber in der toten Körperwelt die Wirkung gegen den Schwerpunkt in dem Zusammenhang der Teile ihr Maß und ihre Grenze hat, so ist es auch im Kriege, und es kann hier wie dort ein Stoß leicht größer werden, als der Widerstand verträgt, und damit ein Luftstoß, eine Kraftverschwendung entstehen.

Wie verschieden ist der Zusammenhang des Heeres einer Fahne, welches durch den persönlichen Befehl eines Feldherrn in die Schlacht geführt wird, und der einer verbündeten Kriegsmacht, die auf 50 oder 100 Meilen ausgedehnt oder gar nach ganz verschiedenen Seiten hin basiert ist! Dort ist der Zusammenhang als der stärkste, die Einheit als die nächste zu betrachten; hier ist die Einheit sehr entfernt, oft nur noch in der gemeinschaftlichen politischen Absicht, und da auch nur dürftig und unvollkommen vorhanden und der Zusammenhang der Teile meistens sehr schwach, oft ganz illusorisch.

Gebietet also von der einen Seite die Gewalt, welche wir dem Stoß zu geben wünschen, die größte Vereinigung der Macht, so müssen wir von der anderen jede Übertreibung als einen wirklichen Nachteil fürchten, weil sie eine Kraftverschwendung mit sich führt, und diese wieder den Mangel an Kraft auf anderen Punkten.

Diese Centra gravitatis in der feindlichen Kriegsmacht zu unterscheiden, ihre Wirkungskreise zu erkennen, ist also ein Hauptakt des strategischen Urteils. Man wird sich nämlich jedesmal fragen müssen, welche Wirkungen das Vorgehen und Zurückgehen des einen Teiles der gegenseitigen Streitkräfte auf die übrigen hervorbringen wird.

Wir glauben hiermit keineswegs ein neues Verfahren erfunden zu haben, sondern wir haben nur dem Verfahren aller Zeiten und Feldherren Vorstellungen zum Grunde gelegt, die den Zusammenhang desselben mit der Natur der Dinge klarer machen sollen.

Wie dieser Gedanke von dem Schwerpunkt der feindlichen Macht bei dem ganzen Kriegsplan wirksam wird, werden wir im letzten Buche betrachten, denn dahin gehört der Gegenstand überhaupt, und wir haben ihn von daher nur entlehnt, um keine Lücke in der Vorstellungsreihe zu lassen. Wir haben in dieser Betrachtung gesehen, was die Verteilung der Streitkräfte überhaupt bedingt. Es sind im Grunde zwei einander entgegentretende Interessen; das eine, der Besitz des Landes, strebt die Streitkräfte zu verteilen; das andere, der Stoß gegen den Schwerpunkt der feindlichen Macht, vereinigt sie wieder bis auf gewisse Grade.

So entstehen die Kriegstheater oder einzelnen Heergebiete. Sie sind nämlich solche Abgrenzungen der Oberfläche des Landes und der auf ihr verteilten Streitkraft, daß jede von der Hauptmacht dieses Gebietes gegebene Entscheidung sich unmittelbar über das Ganze ausdehnt und dieses in ihre Richtung mit fortreißt. Wir sagen unmittelbar, denn einen mehr oder weniger entfernten Einfluß muß natürlich die Entscheidung eines Kriegstheaters auch auf seine benachbarten haben.

Daß wir auch hier wie überall in unseren Definitionen nur die Mittelpunkte gewisser Vorstellungsgebiete treffen, nicht durch scharfe Linien die Grenzen umziehen wollen und können, müssen wir ausdrücklich wieder erinnern, obgleich es schon in der Natur der Sache liegt.

Wir glauben also, daß ein Kriegstheater, wie groß oder klein es nur sein mag, mit seiner Streitkraft, welchen Umfang diese auch habe, eine solche Einheit darstellt, die sich auf einen Schwerpunkt zurückführen läßt. In diesem Schwerpunkt soll die Entscheidung gegeben werden, und hier Sieger zu sein, heißt im weitesten Sinne das Kriegstheater verteidigen.

Achtundzwanzigstes Kapitel: Fortsetzung

Aber die Verteidigung besteht aus zwei verschiedenen Elementen, nämlich der Entscheidung und dem Abwarten. Die Verbindung dieser beiden Elemente soll der Gegenstand dieses Kapitels sein.

Zuerst müssen wir sagen, daß der Zustand des Abwartens zwar nicht die vollendete Verteidigung ist, aber doch das Gebiet derselben, in welchem sie gegen ihr Ziel vorschreitet. Solange eine Streitkraft den ihr anvertrauten Landstrich nicht verlassen hat, dauert die Spannung der Kräfte, in welche der Angriff beide Teile versetzt, fort; die Entscheidung erst bringt die Ruhe, und diese Entscheidung, welche sie auch sei, ist erst als gegeben zu betrachten, wenn entweder der Angreifende oder der Verteidiger das Kriegstheater verlassen hat.

Solange sich also eine Streitkraft in ihrem Gebiete behauptet, dauert ihre Verteidigung desselben, und in diesem Sinn ist die Verteidigung des Kriegstheaters mit der Verteidigung in demselben identisch. Ob der Feind einstweilen von dem Landstrich viel oder wenig eingenommen hat, ist dabei unwesentlich, denn es ist ihm nur geliehen.

Aber diese Vorstellungsart, wodurch wir den Zustand des Abwartens in seinem richtigen Verhältnis zum Ganzen feststellen wollen, ist nur wahr, wenn wirklich eine Entscheidung gegeben werden soll und von beiden Teilen als unvermeidlich betrachtet wird. Denn nur durch diese Entscheidung werden die Schwerpunkte der gegenseitigen Macht und die von ihnen ausgehenden Kriegstheater wirksame Dinge. Sowie der Gedanke einer Entscheidung wegfällt, so werden die Schwerpunkte neutralisiert, ja in einem gewissen Sinn werden es die ganzen Streitkräfte, und nun drängt sich also der Besitz der Landesfläche, die das zweite Hauptglied des ganzen Kriegstheaters ausmacht, unmittelbar als Zweck hervor. Mit anderen Worten, je weniger in einem Kriege von beiden Seiten die entscheidenden Schläge gesucht werden, je mehr es eine gegenseitige bloße Beobachtung ist, um so wichtiger wird der Landbesitz, um so mehr strebt der Verteidiger, alles unmittelbar zu decken, um so mehr der Angreifende, sich im Vorrücken auszubreiten.

Nun kann man sich nicht verhehlen, daß die große Mehrheit der Kriege und Feldzüge einem reinen Beobachtungszustande viel näher liegt als einem Kampf auf Leben und Tod, d. h. einem Kampf, wo wenigstens einer der beiden Teile die Entscheidung schlechterdings sucht. Nur die Kriege des neunzehnten Jahrhunderts haben diesen letzteren Charakter in einem so hohen Grade gehabt, daß man dabei von einer Theorie Gebrauch machen konnte, die davon ausgeht. Weil aber schwerlich alle künftige Kriege diesen Charakter haben werden, vielmehr vorauszusehen ist, daß die Mehrzahl sich wieder zu dem Beobachtungscharakter hinneigen wird, so muß eine Theorie, welche für das wirkliche Leben taugen soll, darauf Rücksicht nehmen. Wir werden uns also zuerst mit dem Fall beschäftigen, wenn der Gedanke einer Entscheidung das Ganze durchdringt und leitet, welches der Fall des eigentlichen, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, des absoluten Krieges ist, und dann in einem anderen Kapitel diejenigen Modifikationen in Betrachtung ziehen, welche durch die mehr oder weniger große Annäherung an den Beobachtungszustand entstehen.

In dem ersten Fall also, wo wir entweder von dem Angreifenden eine Entscheidung erwarten müssen, oder wo wir sie selbst suchen, denn beides ist uns hier dasselbe, wird die Verteidigung eines Kriegstheaters darin bestehen, daß wir uns in demselben auf eine solche Art behaupten, daß wir die Entscheidung in jedem Augenblick mit Vorteil geben können. Diese Entscheidung kann in einer Schlacht, sie kann in einer Reihe anderer großer Gefechte, sie kann aber auch in dem Resultat bloßer Verhältnisse bestehen, die aus der Disposition der gegenseitigen Streitkräfte, d. i. möglicher Gefechte entspringen.

Wäre die Schlacht auch nicht das vornehmste, das gewöhnlichste und wirksamste Mittel der Entscheidung, wie wir das früher schon bei mehreren Gelegenheiten gezeigt zu haben glauben, so würde es doch hinreichen, daß sie überhaupt zu den Mitteln der Entscheidung gehört, um die stärkste Vereinigung der Kräfte zu fordern, welche die Umstände nur gestatten. Eine Hauptschlacht auf dem Kriegstheater ist der Stoß des Schwerpunktes gegen den Schwerpunkt; je mehr Kräfte wir in dem unserigen versammeln können, um so sicherer und größer wird die Wirkung sein. Also jede Teilverwendung der Kräfte, welche nicht durch einen Zweck hervorgerufen wird, der entweder selbst durch die glückliche Schlacht nicht erreicht werden kann, oder der den glücklichen Ausgang der Schlacht selbst bedingt, ist verwerflich.

Aber nicht bloß die größte Vereinigung der Streitkräfte ist die Grundbedingung, sondern auch eine solche Stellung und Lage derselben, daß sie die Schlacht unter den gehörigen vorteilhaften Umständen geben können.

Die verschiedenen Stufen der Verteidigung, welche wir im Kapitel von den Widerstandsarten kennengelernt haben, sind mit diesen Grundbedingungen vollkommen homogen, es kann also nicht schwerfallen, sie nach dem Bedürfnis des individuellen Falles daran anzuknüpfen. Aber ein Punkt scheint auf den ersten Anblick einen Widerspruch in sich zu schließen und bedarf um so mehr einer Entwicklung, als er einer der wichtigsten in der Verteidigung ist, es ist das Treffen des feindlichen Schwerpunktes.

Erfährt der Verteidiger zeitig genug, auf welchen Straßen der Feind vordringen wird, und auf welcher namentlich der Kern seiner Macht unfehlbar anzutreffen ist, so kann er ihm auf dieser Straße entgegentreten. Dieser Fall wird der gewöhnliche sein, denn wenn auch in den allgemeinen Maßregeln, in der Anlage von festen Plätzen, großen Waffenniederlagen und dem Friedensstand der Streitkräfte die Verteidigung dem Angriff vorhergeht und diesem also zur Richtschnur wird, so ist doch bei der wirklichen Eröffnung des Aktes in Beziehung auf die ins Feld rückende Macht die Verteidigung schon in dem ihr überhaupt eigentümlichen Vorteil der Hinterhand.

Das Vorrücken mit einer beträchtlichen Streitkraft in Feindesland erfordert beträchtliche Voranstalten an Anhäufung von Lebensmitteln, Vorräten von Ausrüstungsgegenständen usw., die lange genug dauern, um dem Verteidiger Zeit zu lassen, sich danach zu richten, wobei nicht zu übersehen ist, daß der Verteidiger überhaupt weniger Zeit braucht, weil in jedem Staat die Dinge mehr auf die Verteidigung als auf den Angriff vorbereitet sind.

Allein wenn dies auch für die Mehrheit der Fälle vollkommen wahr ist, so bleibt doch immer die Möglichkeit, daß im einzelnen Fall der Verteidiger über die Hauptlinie des feindlichen Vordringens in Ungewißheit sei, und dieser Fall kann um so eher eintreten, wenn die Verteidigung auf Maßregeln beruht, die selbst viel Zeit kosten, z. B. die Anlegung einer festen Stellung usw. Ferner kann der Angreifende, wenn der Verteidiger sich auch wirklich auf seiner Vorrückungslinie befindet, in allen Fällen, wo dieser ihm nicht eine Offensivschlacht liefert, der von ihm genommenen Stellung aus dem Wege gehen, indem er seine ursprüngliche Richtung nur etwas verändert, denn in dem kultivierten Europa ist man niemals so gestellt, daß es nicht rechts und links Wege gäbe, die an uns vorbeiführten. Offenbar könnte in diesem Fall der Verteidiger seinen Gegner nicht in einer Stellung erwarten, wenigstens nicht mit der Absicht, dort eine Schlacht zu liefern.

Ehe wir aber davon reden, welche Mittel in diesem Fall dem Verteidiger verbleiben, müssen wir doch erst die Natur eines solchen Falles und die Wahrscheinlichkeit seines Vorkommens näher in Betrachtung ziehen.

Natürlich gibt es bei jedem Staat und auch so bei jedem Kriegstheater, wovon wir vorderhand allein zu reden haben, Gegenstände und Punkte, auf welche ein Angriff vorzugsweise wirksam sein wird. Wir finden es am angemessensten, darüber beim Angriff bestimmter und ausführlicher zu reden. Hier wollen wir nur dabei stehenbleiben, daß, wenn der vorteilhafteste Gegenstand und Punkt des Angriffs für den Angreifenden ein Bestimmungsgrund für die Richtung seines Stoßes wird, dieser Bestimmungsgrund auch auf den Verteidiger zurückwirken und ihn in den Fällen, wo er nichts von den Absichten des Feindes weiß, leiten muß. Nähme der Angreifende diese beste Richtung nicht, so würde er sich eines Teiles seiner natürlichen Vorteile begeben. Wir sehen, daß, wenn der Verteidiger auf dieser Richtung ist, das Mittel, ihm auszuweichen und vorbeizugehen, nicht umsonst zu haben ist, sondern ein Opfer kostet. Hieraus folgt also, daß von der einen Seite die Gefahr des Verteidigers, seines Gegners Richtung zu verfehlen, und von der anderen die Fähigkeit des Angreifenden, seinem Gegner vorbeizugehen, beide nicht so groß sind, wie es auf den ersten Blick scheint, weil ein bestimmter, meistens überwiegender Grund für die eine oder andere Richtung schon vorhanden ist, und daß folglich der Verteidiger mit seinen an den Ort gebundenen Einrichtungen in der Mehrheit der Fälle den Kern der feindlichen Macht nicht verfehlen wird. Mit anderen Worten: hat der Verteidiger sich richtig gestellt, so darf er meistens sicher sein, daß der Gegner ihn aufsuchen wird.

Aber hiermit soll und kann die Möglichkeit nicht geleugnet werden, daß der Verteidiger mit seinen Anstalten den Angreifenden irgendeinmal nicht treffe, und es entsteht also die Frage, was er tun soll und wieviel ihm von den eigentlichen Vorteilen seiner Lage noch übrigbleiben werde.

Fragen wir uns, welche Wege überhaupt einem Verteidiger übrigbleiben, dem der Angreifende vorbeigeht, so sind es folgende:

1. Seine Macht von Hause aus teilen, um den Gegner mit einem Teil gewiß zu treffen und dann mit dem übrigen zu Hilfe zu eilen.

2. Eine Stellung mit der vereinigten Macht zu nehmen und sich, im Fall der Gegner vorbeigeht, schnell zur Seite vorzuschieben. In den meisten Fällen wird ein solches Vorschieben nicht mehr genau seitwärts geschehen können, sondern die neue Stellung muß etwas weiter rückwärts genommen werden.

3. Den Gegner mit vereinigter Macht von der Seite anzufallen;

4. auf seine Verbindungslinien zu wirken;

5. durch einen Gegenangriff seines Kriegstheaters genau das zu tun, was der Gegner tut, indem er uns vorbeigeht.

Wir führen dies letztere Mittel hier an, weil man sich den Fall denken kann, wo es wirksam wäre; allein da es im Grunde der Absicht der Verteidigung, d. h. den Gründen, warum diese gewählt worden ist, widerspricht, so kann es nur als eine Abnormität betrachtet werden, die nur große Fehler des Gegners oder andere Eigentümlichkeiten des individuellen Falles herbeiführen können.

Das Wirken auf die feindliche Verbindungslinie setzt eine Überlegenheit der unserigen voraus, und diese ist allerdings eine der Grundbedingungen einer guten Verteidigungsstellung. Aber wenn darum diese Wirkung dem Verteidiger auch stets einen gewissen Vorteil versprechen sollte, so ist sie doch bei der Verteidigung eines bloßen Kriegstheaters selten geeignet, die Entscheidung zu geben, welche wir als Zweck des Feldzuges vorausgesetzt haben.

Die Dimensionen in einem einzelnen Kriegstheater sind gewöhnlich nicht so groß, daß die Verbindungslinien eine große Empfindlichkeit kämen, und selbst wenn sie diese haben, so ist die Zeit, welche der Gegner zur Ausführung seines Schlages braucht, gewöhnlich zu kurz, als daß dieser bei der langsamen Wirksamkeit jenes Mittels noch dadurch gehemmt werden könnte.

Es wird also dieses Mittel gegen einen zur Entscheidung entschlossenen Gegner sowie auch dann, wenn wir selbst diese Entscheidung lebhaft wünschen, in den meisten Fällen ganz unwirksam sein.

Die drei anderen Mittel, welche dem Verteidiger übrigbleiben, sind auf eine unmittelbare Entscheidung, auf ein Treffen des Schwerpunktes mit dem Schwerpunkt gerichtet, sie sind also der Aufgabe entsprechender. Aber wir wollen es nur gleich von vornherein sagen, daß wir dem dritten einen großen Vorzug vor den anderen beiden einräumen,. und ohne diese letzteren ganz zu verwerfen, jenes in der Mehrheit der Fälle für das wahre Mittel des Widerstandes halten.

Bei einer geteilten Aufstellung ist man in Gefahr, in einen Postenkrieg verwickelt zu werden, bei dem gegen einen entschiedenen Gegner im günstigsten Fall nichts als ein bedeutender relativer Widerstand herauskommen kann, nicht aber eine Entscheidung, wie wir sie beabsichtigen; hat man aber auch durch einen richtigen Takt diesen Abweg zu vermeiden gewußt, so wird doch durch den vorläufigen geteilten Widerstand unser Stoß immer merklich geschwächt werden, und man kann niemals sicher sein, ob die zuerst vorgeschobenen Korps nicht unverhältnismäßige Verluste erleiden. Dazu kommt, daß der Widerstand dieser Korps, welcher doch gewöhnlich mit einem Rückzug auf die herbeieilende Hauptmacht endigt, den Truppen meistens in dem Licht verlorener Gefecht und verfehlter Maßregeln erscheint und die moralischen Kräfte auf diese Weise merklich schwächt.

Das zweite Mittel, sich mit der in einer Stellung vereinigten Macht dem Gegner dahin vorzulegen, wohin dieser ausweichen will, setzt in die Gefahr, zu spät zu kommen und also zwischen zwei Maßregeln stecken zu bleiben. Außerdem erfordert eine Verteidigungsschlacht Ruhe, Überlegung, Bekanntschaft, ja Vertrautheit mit der Gegend, und das alles ist bei einem eiligen Vorschieben nicht zu erwarten. Endlich sind die Stellungen, welche ein gutes Verteidigungsschlachtfeld bilden, doch zu selten, um sie auf jeder Straße und jedem Punkt derselben voraussetzen zu können.

Dagegen ist das dritte Mittel, nämlich den Angreifenden von der Seite anzufallen, ihm also eine Schlacht mit verwandter Fronte zu liefern, von großen Vorteilen begleitet.

Zuerst entsteht hierbei immer, wie wir wissen, eine Entblößung der Verbindungs-, hier der Rückzugslinien, und es liegt schon in den allgemeinen Verhältnissen des Verteidigers, demnächst aber vorzüglich in den strategischen Eigenschaften, welche wir von seiner Aufstellung gefordert haben, daß der Verteidiger dabei im Vorteil sein wird.

Ferner, und dies ist die Hauptsache, ist jeder Angreifende, der an seinem Gegner vorbeigehen will, in zwei ganz entgegengesetzte Bestrebungen verwickelt. Ursprünglich will er vorwärts, um den Gegenstand des Angriffs zu erreichen; die Möglichkeit aber, jeden Augenblick von der Seite angefallen zu werden, erzeugt das Bedürfnis, nach dieser Seite hin in jedem Augenblick einen Stoß, und zwar einen Stoß mit vereinter Macht zu richten. Diese beiden Bestrebungen widersprechen sich und erzeugen eine solche Verwicklung der inneren Verhältnisse, eine solche Schwierigkeit der Maßregeln, wenn sie für alle Fälle passen sollen, daß es strategisch kaum eine verwünschtere Lage geben kann. Wüßte der Angreifende mit Gewißheit den Punkt und den Augenblick, wo er angefallen werden wird, so könnte er mit Kunst und Geschick alles dazu vorrichten, aber in der Ungewißheit darüber und bei der Notwendigkeit des Vorschreitens kann es kaum fehlen, daß, wenn die Schlacht kommt, sie ihn in höchst dürftig zusammengerafften und also gewiß nicht vorteilhaften Verhältnissen findet.

Gibt es also für einen Verteidiger günstige Augenblicke zu einer Angriffsschlacht, so sind sie gewiß in solchen Verhältnissen am ersten zu erwarten. Bedenkt man noch, daß dem Verteidiger hierbei die Kenntnis der Wahl der Gegend zu Gebote stehen, und daß er seine Bewegungen vorbereiten und einleiten kann, so wird man nicht bezweifeln können, daß er auch unter diesen Umständen noch eine entschiedene strategische Überlegenheit über seinen Gegner behauptet.

Wir glauben also, daß ein Verteidiger, der sich mit vereinigter Macht in einer gut gelegenen Stellung befindet, das Vorbeigehen des Gegners ganz ruhig abwarten kann, und daß, wenn dieser ihn nicht in seiner Stellung aufsucht, und wenn die Wirkung auf dessen Verbindungslinie den Umständen nicht entspräche, ihm in dem Seitenanfall ein vortreffliches Mittel der Entscheidung bleibt.

Wenn Fälle der Art in der Geschichte fast ganz fehlen, so liegt es teils darin, daß die Verteidiger selten den Mut gehabt haben, in einer solchen Stellung auszuharren, sondern sich entweder geteilt oder dem Angreifenden durch Quer- und Diagonalmärsche noch eiligst vorgeschoben haben, oder eben darin, daß kein Angreifender einem Verteidiger unter solchen Umständen vorbeizugehen wagt, und daß gewöhnlich die Bewegung desselben dadurch in Stillstand gerät.

Der Verteidiger ist also in diesem Fall zu einer Angriffsschlacht gezwungen; die weiteren Vorteile des Abwartens, einer starken Stellung, guter Verschanzungen usw. muß er entbehren; die Lage, in welcher er den vorrückenden Feind findet, kann ihm in der Allgemeinheit der Fälle diese Vorteile nicht ganz ersetzen; denn eben um ihnen auszuweichen, hat der Angreifende sich dieser Lage ausgesetzt; aber sie bietet ihm immer einen gewissen Ersatz, und die Theorie ist also hier nicht etwa in dem Fall, eine Größe mit einem Male aus der Rechnung verschwinden, das pro et contra sich gegenseitig verschlingen zu sehen, wie es sooft geschieht, wenn kritische Geschichtschreiber ein fragmentarisches Stück Theorie einlegen.

Aber man glaube ja nicht, daß wir es hier mit logischen Spitzfindigkeiten zu tun haben, vielmehr erscheint dieser Gegenstand, je mehr man ihn praktisch betrachtet, als ein das ganze Verteidigungswesen umfassender, überall durchgreifender und dasselbe regelnder Gedanke.

Nur wenn der Verteidiger entschlossen ist, seinen Gegner, sobald er ihm vorbeigeht, mit aller Macht anzufallen, kann er den beiden Abgründen sicher ausweichen, an welchen die Verteidigung so nahe hinführt, nämlich einer geteilten Aufstellung und einem eiligen Vorschieben. In beiden nimmt er das Gesetz des Angreifenden an; in beiden behilft er sich mit Maßregeln der höchsten Notdurft und gefährlichsten Eile, und überall, wo ein entschlossener, nach Sieg und Entscheidung dürstender Gegner auf ein solches Verteidigungssystem gestoßen ist, hat er es zertrümmert. Hat aber der Verteidiger seine Macht zum gemeinschaftlichen Schlagen auf dem rechten Punkt versammelt, ist er entschlossen, mit dieser Macht im schlimmsten Fall seinen Gegner von der Seite anzufallen, so ist und bleibt er im Recht und gestützt auf alle Vorteile, die ihm die Verteidigung in seiner Lage darbieten kann. Gute Vorbereitung, Ruhe, Sicherheit, Einheit und Einfachheit werden der Charakter seines Handelns sein.

Wir können nicht umhin, hier eines großen geschichtlichen Ereignisses zu gedenken, welches von den hier entwickelten Begriffen nahe berührt wird, hauptsächlich um eine falsche Bezugnahme darauf zu verhüten.

Als im Oktober 1806 das preußische Heer in Thüringen das französische unter Bonaparte erwartete, befand sich das erstere zwischen den beiden Hauptstraßen, auf welchen das letztere vordringen konnte, nämlich der über Erfurt und der über Hof auf Leipzig und Berlin. Die frühere Absicht, gerade über den Thüringerwald nach Franken einzubrechen, und später, als diese Absicht aufgegeben war, die Ungewißheit, auf welcher der beiden Straßen die Franzosen kommen würden, hatte diese Zwischenstellung veranlaßt. Als eine solche hätte sie also zu der Maßregel des eiligen Vorschiebens führen müssen.

Dies war auch die Idee, im Fall der Feind über Erfurt gekommen wäre, denn dahin waren die Wege vollkommen zugänglich; dagegen war an ein Vorschieben auf die Straße von Hof nicht zu denken, teils weil man von dieser Straße zwei bis drei Märsche entfernt war, teils weil der tiefe Einschnitt der Saale dazwischenlag; auch war das nie die Absicht des Herzogs von Braunschweig gewesen, und es war keine Art Vorbereitung dazu getroffen. Dagegen war es immer die Absicht des Fürsten Hohenlohe, d. h. des Obersten Massenbach, der den Herzog in diese Idee mit Gewalt hineinziehen wollte. Noch weniger konnte davon die Rede sein, aus der auf dem linken Saaleufer genommenen Aufstellung zu einer Angriffsschlacht auf den vorrückenden Bonaparte überzugehen, d. h. zu einem solchen Seitenanfall, wie wir ihn oben angegeben haben; denn war die Saale ein Bedenken, um sich dem Feinde im letzten Augenblick noch vorzulegen, so mußte sie ein noch viel größeres sein, um in dem Augenblick zu einem Angriff überzugehen, wo er schon im Besitz des jenseitigen Ufers, wenigstens teilweis, sein mußte. Der Herzog beschloß also, hinter der Saale das Weitere abzuwarten, wenn man dem, was in diesem vielköpfigen Hauptquartier und in dieser Zeit der wahren Verwirrung und höchsten Unentschlossenheit geschah, noch den Namen eines individuellen Entschlusses beilegen kann.

Sei es mit diesem Abwarten wie ihm wolle, so folgte daraus, daß man dabei:

a) den Feind angreifen konnte, wenn er über die Saale kam., um die preußische Armee aufzusuchen, oder

b) wenn er sie stehen ließ, auf seine Verbindungslinie wirken, oder

c) wenn man es tunlich und ratsam fand, sich ihm durch einen schnellen Flankenmarsch noch bei Leipzig vorschieben konnte.

Im ersten Fall befand sich die preußische Armee wegen des gewaltigen Saaletales in einer großen strategischen und taktischen Überlegenheit, im zweiten in einer ebenso großen rein strategischen, weil der Feind zwischen uns und dem neutralen Böhmen nur eine sehr schmale Basis hatte, während die unserige außerordentlich breit war; selbst im dritten war sie, durch die Saale gedeckt, immer noch in keiner nachteiligen Lage. Alle diese Fälle sind auch im Hauptquartier, trotz Verwirrung und Unklarheit desselben, wirklich zur Sprache gekommen, aber freilich ist es nicht wunderbar, daß, während eine Idee sich im Wirrwarr und der Unentschlossenheit noch aufrechterhält, die Ausführung in diesem Strudel zugrunde gehen mußte.

In den beiden ersten Fällen wurde also die Stellung auf dem linken Ufer der Saale als eine wahre Flankenstellung betrachtet, und sie hatte unstreitig als solche sehr große Eigenschaften; aber freilich ist eine Flankenstellung mit einem Heere, das seiner Sache wenig gewiß war, gegen einen sehr überlegenen Feind, gegen einen Bonaparte eine sehr kühne Maßregel.

Nach langer Unentschlossenheit wählte der Herzog am 13. die letzte der drei angegebenen Maßregeln, aber es war zu spät. Bonaparte war schon im Überschreiten der Saale begriffen, und die Schlachten von Jena und Auerstedt mußten geschlagen werden. Der Herzog in seiner Unentschlossenheit hatte sich zwischen zwei Stühle gesetzt; für das Vorschieben verließ er die Gegend zu spät und für eine zweckmäßige Schlacht zu früh. Nichtsdestoweniger hat die starke Natur dieser Stellung sich dermaßen bewährt, daß der Herzog den rechten Flügel seines Gegners bei Auerstedt vernichten, während der Fürst Hohenlohe mit einem blutigen Rückzugsgefecht sich aus der Schlinge ziehen konnte; aber bei Auerstedt wagte man nicht, auf dem Siege zu bestehen, der unfehlbar, und bei Jena glaubte man auf einen rechnen zu können, der ganz unmöglich war.

In jedem Fall hatte Bonaparte ein solches Gefühl von der strategischen Bedeutung der Stellung an der Saale, daß er es nicht gewagt hat, ihr vorbeizugehen, sondern sich zu einem Übergang über die Saale im Angesicht des Feindes entschlossen hat. -

Durch das, was wir gesagt haben, glauben wir die Verhältnisse der Verteidigung zum Angriff im Fall des entscheidenden Handelns hinreichend angegeben und die Fäden, woran sich die einzelnen Gegenstände der Verteidigungspläne anknüpfen lassen, ihrer Lage und ihrem Zusammenhang nach gezeigt zu haben. Die einzelnen Anordnungen noch bestimmter durchzugehen, kann nicht unsere Absicht sein, denn es führt in ein unerschöpfliches Feld individueller Fälle. Hat der Feldherr sich einen bestimmten Richtungspunkt vorgesetzt, so wird er sehen, wie die geographischen, statistischen, politischen Umstände, die materiellen und personellen Verhältnisse seines Heeres und des feindlichen dahineinpassen, und wie sie das eine oder andere in der Verfahrungsweise bedingen.

Um aber die Steigerung der Verteidigung, welche wir in dem Kapitel von den Widerstandsarten kennengelernt haben, hier bestimmter anzuknüpfen und dem Auge wieder näher zu bringen, wollen wir das, was sich in Beziehung auf dieselben uns Allgemeines aufdringt, hier angeben.

1. Veranlassungen, dem Feinde mit einer Offensivschlacht entgegenzugehen, können folgende sein:

a) Wenn wir wissen, daß der Angreifende mit sehr geteilter Macht vorgehen wird, und wir also, selbst bei großer Schwäche, noch die Aussicht auf einen Sieg haben.

Ein solches Vorgehen des Angreifenden ist aber an sich sehr unwahrscheinlich und folglich jener Plan nur gut in dem Fall, daß wir bereits davon unterrichtet sind; denn darauf rechnen und alle seine Hoffnungen darauf stützen, in einer bloßen Voraussetzung ohne genügendes Motiv, führt gewöhnlich in eine nachteilige Lage. Die Umstände wollen sich dann nicht finden, wie man sie erwartet hat, man muß die offensive Schlacht aufgeben, ist zu einer defensiven nicht vorbereitet, muß mit einem unfreiwilligen Rückzug anfangen und fast alles dem Ungefähr überlassen.

Ungefähr so war es mit der Verteidigung beschaffen, welche im Feldzug von 1759 die Armee unter Dohna gegen die Russen führte, und die unter dem General Wedel mit der unglücklichen Schlacht von Züllichau endigte.

Nur zu sehr sind die Planmacher mit diesem Mittel bei der Hand, weil es die Sache so kurz abmacht, ohne viel zu fragen, inwieweit die Voraussetzungen, auf die es sich stützt, gegründet sind.

b) Wenn wir überhaupt zur Schlacht stark genug sind, und

c) wenn ein sehr unbeholfener und unentschlossener Gegner dazu besonders einladet.

In diesem Fall kann die Wirkung des Unerwarteten mehr wert sein als aller Beistand der Gegend in einer guten Stellung. Das ist das eigentlichste Wesen einer guten Kriegführung, die Macht moralischer Kräfte auf diese Weise ins Spiel zu bringen; - aber die Theorie kann es nicht laut genug, nicht oft genug sagen: es müssen objektive Gründe zu diesen Voraussetzungen vorhanden sein; ohne diese individuellen Gründe immer nur von Überraschung, von dem Übergewicht eines ungewöhnlichen Angriffs zu reden, darauf Pläne, Betrachtungen, Kritiken zu bauen, ist ein ganz unzulässiges, grundloses Verfahren.

d) Wenn die Beschaffenheit unseres Heeres sich zum Angriff vorzugsweise eignet.

Es war sicher keine leere oder falsche Vorstellung, wenn Friedrich der Große glaubte, mit seinem beweglichen, mutigen, vertrauensvollen, an Gehorsam gewöhnten, in Präzision geübten, von Stolz beseelten und gehobenen Heere mit seiner eingeübten schrägen Angriffsart ein Instrument zu besitzen, was in seiner festen und dreisten Hand zum Angriff vielmehr geeignet sei als zur Verteidigung; alle jene Eigenschaften gingen seinen Gegnern ab, und er hatte gerade in dieser Beziehung die entschiedenste Überlegenheit; davon Gebrauch zu machen, konnte ihm in den meisten Fällen mehr wert sein, als Schanzen und Hindernisse des Bodens zu Hilfe zu rufen. - Aber eine solche Überlegenheit wird immer selten sein; ein gut exerziertes, in großen Bewegungen wohlgeübtes Heer ist nur ein Teil davon. Wenn Friedrich der Große behauptet, die preußischen Truppen seien vorzüglich zum Angriff geschickt, und ihm das seit dem unaufhörlich nachgesprochen worden ist, so muß man doch nicht zu viel auf eine solche Äußerung geben: in den meisten Fällen fühlt man sich im Kriege beim Angriff leichter und mutiger als bei der Verteidigung; dies ist aber ein Gefühl, was alle Truppen haben, auch gibt es kaum ein Heer, von dem seine Feldherren und Führer nicht dieselbe Behauptung aufgestellt hätten. Man soll also hier nicht leichtsinnig dem Schein einer Überlegenheit nachgeben und darüber reelle Vorteile versäumen.

Eine sehr natürliche und sehr gewichtige Veranlassung zur Angriffsschlacht kann die Zusammensetzung der Waffen sein, nämlich viel Reiterei und wenig Geschütz.

Wir fahren in Aufzählung der Gründe fort:

e) wenn man durchaus keine gute Stellung finden kann;

f) wenn wir mit der Entscheidung eilen müssen;

g) endlich das gesamte Einwirken mehrerer oder aller dieser Gründe.

2. Das Abwarten des Gegners in einer Gegend, in der man ihn dann selbst anfallen will (Minden 1759) hat seine natürlichste Veranlassung darin:

a) daß kein so großes Mißverhältnis der Macht zu unserem Nachteil vorhanden sei, um eine starke und verstärkte Stellung zu suchen;

b) daß sich eine Gegend finde, die dazu vorzüglich geschickt ist. Die Eigenschaften, welche dies bestimmen, gehören in die Taktik, wir wollen nur erwähnen, daß sie vorzüglich in einem leichten Zugang von unserer Seite und in allerhand Hindernissen von der feindlichen Seite her bestehen werden.

3. Eine Stellung, um darin wirklich den feindlichen Angriff abzuwarten, wird man nehmen:

a) wenn das Mißverhältnis der Macht uns nötigt, in Hindernissen des Bodens und hinter Schanzen Schutz zu suchen;

b) wenn die Gegend eine vorzügliche Stellung der Art darbietet.

Die beiden Widerstandsarten 2. und 3. werden mehr Rücksicht verdienen in dem Grade, als wir die Entscheidung selbst nicht suchen, uns mit einem negativen Erfolg begnügen und von unserem Gegner erwarten können, daß er zögere, unentschlossen sei und zuletzt in seinen Plänen steckenbleiben werde.

4. Ein verschanztes, unangreifbares Lager erfüllt den Zweck nur:

a) wenn es auf einem ganz vorzüglichen strategischen Punkte liegt.

Der Charakter einer solchen Stellung ist, daß man darin gar nicht überwältigt werden könne; der Feind ist also gezwungen, jedes andere Mittel zu versuchen, d. h. seinem Zweck ohne Rücksicht auf die Stellung nachzugehen oder sie einzuschließen und auszuhungern; soll er dazu nicht imstande sein, so müssen die strategischen Eigenschaften dieser Stellung sehr groß sein.

b) Wenn man in dem Fall ist, Hilfe von außen zu erwarten.

Dies war der Fall des sächsischen Heeres in seiner Stellung bei Pirna. Was man auch bei dem üblen Ausgang der Sache gegen diese Maßregel gesagt hat, so bleibt doch gewiß, daß 17000 Sachsen niemals auf eine andere Art 40000 Preußen hätten neutralisieren können. Wenn die österreichische Armee bei Lobositz keinen besseren Gebrauch von der dadurch erhaltenen Überlegenheit machte, so beweist das nur, wie schlecht die ganze Kriegführung und Kriegseinrichtung war, und es ist nicht zu bezweifeln, daß Friedrich der Große, wenn die Sachsen, anstatt in das Lager von Pirna zu gehen, nach Böhmen gegangen wären, Österreicher und Sachsen in demselben Feldzuge bis über Prag hinausgetrieben und diesen Ort genommen haben würde. Wer diesen Vorteil nicht gelten lassen will und immer nur an die Gefangennehmung der ganzen Armee denkt, der weiß überhaupt keine Rechnung der Art anzulegen, und ohne Rechnung gibt es kein sicheres Resultat.

Weil aber die Fälle von a) und b) sehr selten sind, so ist die Maßregel der verschanzten Lager allerdings eine, die reiflich überlegt werden muß, und die nur selten eine gute Anwendung findet. Die Hoffnung, dem Feind durch ein solches Lager zu imponieren und dadurch seine ganze Tätigkeit zu lähmen, ist mit zu großer Gefahr verknüpft; nämlich mit der Gefahr, sich ohne Rückzug schlagen zu müssen. Wenn Friedrich der Große seinen Zweck bei Bunzelwitz damit erreichte, so muß man dabei die richtige Beurteilung seiner Gegner bewundern, aber freilich zugleich mehr, als in anderen Fällen gestattet ist, auf die Mittel geben, die er im letzten Augenblick gefunden haben würde, sich mit den Trümmern seines Heeres einen Weg zu bahnen, und auf die Nichtverantwortlichkeit eines Königs.

5. Befindet sich eine oder befinden sich mehrere Festungen in der Nähe der Grenze, so entsteht die Hauptfrage: ob der Verteidiger seine Entscheidung vor oder hinter ihnen geben soll. Das letztere wird motiviert:

a) durch die Überlegenheit des Feindes, die uns zwingt, seine Macht zu brechen, ehe wir sie bekämpfen;

b) durch die Nähe dieser Festungen, damit das Opfer an Land nicht größer sei, als wir gezwungen sind, es zu bringen;

c) durch die Verteidigungsfähigkeit der Festungen.

Eine der Hauptbestimmungen der Festungen ist es unstreitig oder sollte es sein, die feindliche Macht in ihrem Vorgehen zu brechen und denjenigen Teil, welchem wir die Entscheidung abfordern, beträchtlich zu schwächen. Wenn wir von den Festungen diesen Gebrauch so selten machen sehen, so rührt es daher, daß der Fall, wo eine Entscheidung von einem der beiden Teile gesucht wird, so selten vorkommt. Von diesem Fall aber handeln wir hier allein. Wir sehen es also als einen ebenso einfachen als wichtigen Grundsatz an, in allen Fällen, wo der Verteidiger eine oder mehrere Festungen in der Nähe hat, diese vor sich zu nehmen und die entscheidende Schlacht hinter denselben zu liefern. Wir wollen zugeben, daß eine Schlacht, die wir diesseits unserer Festungen verlieren, uns etwas weiter in unser Land zurückwirft, als wenn wir sie mit eben den taktischen Resultaten jenseits verloren hätten, wiewohl die Ursachen dieses Unterschiedes mehr in der Einbildungskraft als in materiellen Dingen ihren Grund haben; wir wollen uns auch selbst daran erinnern, daß eine Schlacht jenseits der Festungen in einer gutgewählten Stellung geliefert werden kann, während eine Schlacht diesseits in vielen Fällen eine Angriffsschlacht werden muß, nämlich wenn der Feind die Festung belagert und diese also in Gefahr ist, verloren zu werden; aber was sind diese feinen Nuancen gegen den Vorteil, daß wir den Feind in der Entscheidungsschlacht um ein Vierteil oder ein Dritteil seiner Macht schwächer finden werden oder, wenn es mehrere Festungen sind, vielleicht gar um die Hälfte?

Wir glauben also, daß in allen Fällen einer unvermeidlichen Entscheidung, sei es, daß der Gegner oder unser eigener Feldherr sie sucht, und wo wir unseres Sieges über die feindliche Macht nicht ohnehin schon ziemlich sicher sind, oder wo die Gegend nicht eine dringende Veranlassung gibt, die Schlacht weiter vorwärts zu liefern, - in allen diesen Fällen, sagen wir, muß eine nahegelegene und widerstandsfähige Festung die dringendste Veranlassung geben, uns von Hause aus hinter sie zurückzuziehen und die Entscheidung diesseits, also unter ihrer Mitwirkung zu geben. Nehmen wir dabei unsere Stellung so nahe an dieser Festung, daß der Angreifende sie weder belagern noch einschließen kann, ohne uns vertrieben zu haben, so setzen wir ihn auch noch in die Notwendigkeit, uns in unserer Stellung aufzusuchen. Uns erscheint daher von allen Verteidigungsmaßregeln in gefahrvollen Lagen keine so einfach und wirksam als die Wahl einer guten Stellung nahe hinter einer bedeutenden Festung.

Aber freilich würde die Frage sich anders stellen, wenn die Festung bedeutend weit zurückläge, weil man dann einen bedeutenden Teil seines Kriegstheaters einräumte; ein Opfer, welches, wie wir wissen, nur gebracht wird, wenn die Umstände es fordern. In diesem Fall nähert sich diese Maßregel mehr dem Rückzug ins Innere des Landes.

Eine andere Bedingung ist die Widerstandsfähigkeit des Platzes. Bekanntlich gibt es befestigte Plätze, besonders große, die mit dem feindlichen Heer in keine Berührung gebracht werden dürfen, weil sie einem gewaltsamen Angriff mit einer bedeutenden Truppenmasse nicht gewachsen sind. In diesem Fall müßte wenigstens unsere Stellung so nahe dahinter sein, daß die Besatzung unterstützt werden könnte.

6. Endlich ist der Rückzug in das Innere des Landes nur unter folgenden Umständen eine natürliche Maßregel:

a) wenn unser physisches und moralisches Verhältnis zum Gegner an einen glücklichen Widerstand an der Grenze oder in ihrer Nähe nicht denken läßt;

b) wenn Zeitgewinn eine Hauptsache ist;

c) wenn die Verhältnisse des Landes dazu die Hand bieten, wovon wir im fünfundzwanzigsten Kapitel bereits gesprochen haben.

Wir schließen hiermit das Kapitel von der Verteidigung eines Kriegstheaters, wenn auf der einen oder anderen Seite eine Entscheidung gesucht wird, diese als unvermeidlich ist. Aber wir müssen freilich daran erinnern, daß im Kriege die Fälle sich nicht so rein darstellen, und daß man also, wenn man unsere Sätze und Entwicklungen in Gedanken auf den wirklichen Krieg überträgt, auch schon das dreißigste Kapitel im Auge haben und sich in der Mehrheit der Fälle den Feldherrn zwischen beiden Richtungen, nach Maßgabe der Umstände der einen oder anderen näher, denken muß.

Neunundzwanzigstes Kapitel: Fortsetzung. Sukzessiver Widerstand

Wir haben im zwölften und dreizehnten Kapitel des dritten Buches gezeigt, daß in der Strategie ein sukzessiver Widerstand nicht in der Natur der Sache ist, und daß alle Kräfte, welche vorhanden sind, gleichzeitig gebraucht werden sollen.

Für alle beweglichen Streitkräfte bedarf dies keiner näheren Bestimmung; wenn wir aber das Kriegsgebiet selbst mit seinen Festungen, Bodenabschnitten und selbst mit seiner bloßen Flächenausdehnung auch als eine Streitkraft betrachten, so ist diese unbeweglich, und wir können sie also nur nach und nach in Tätigkeit bringen, oder wir müssen gleich so weit zurückgehen, daß alle die Teile, welche in Wirksamkeit treten sollen, vor uns liegen. Alle Beziehungen, welche ein Heergebiet zu der Schwächung des feindlichen Heeres hat, treten dann in Wirksamkeit. Der Feind muß unsere Festungen einschließen, er muß sich der Landesoberfläche durch Besatzungen und andere Posten sichern, er muß lange Wege zurücklegen, alles auf langen Wegen herbeiziehen usw. Alle diese Wirkungen treten für den Angreifenden ein, er mag vorschreiten vor der Entscheidung oder nach der Entscheidung, nur daß sie im ersten Fall noch etwas stärker sein werden als im letzten. Hieraus folgt also, daß, wenn der Verteidiger seine Entscheidung sogleich zurückverlegen will, er allerdings darin ein Mittel hat, jene unbeweglichen Streitkräfte alle zugleich ins Spiel zu bringen.

Von der anderen Seite ist es klar, daß dieses Zurückverlegen der Entscheidung, strenge genommen, auch keinen Einfluß haben kann auf die Wirkungssphäre, welche dem Angreifenden seinen Sieg gibt. Wir werden diese Wirkungssphäre beim Angriff näher betrachten, hier aber schon bemerken, daß sie so weit reicht, bis die Überlegenheit (nämlich das Produkt des moralischen und physischen Verhältnisses) erschöpft ist. Diese Überlegenheit erschöpft sich aber einmal durch den Verbrauch der Streitkräfte, den das Kriegstheater kostet, und dann durch den Verlust in den Gefechten; beide Teile können nicht wesentlich verändert werden, ob die Gefechte am Anfang oder am Ende, vorn oder hinten liegen. Wir glauben z. B., daß ein Sieg Bonapartes über die Russen 1812 bei Wilna ihn ebensoweit geführt haben würde wie der von Borodino, vorausgesetzt, daß er von eben der Stärke war, und daß einer bei Moskau ihn auch nicht weiter geführt hätte; Moskau war in jedem Fall die Grenze dieser Siegessphäre. Ja, es ist wohl keinen Augenblick zweifelhaft, daß eine entscheidende Schlacht an der Grenze (aus anderen Gründen) viel größere Siegesresultate gegeben haben würde und dann vielleicht auch eine weitere Siegessphäre. Es wird also auch das Zurückverlegen der Entscheidung für den Verteidiger von dieser Seite nicht bedingt.

Wir haben in dem Kapitel von den Widerstandsarten dasjenige Zurückverlegen der Entscheidung, welches als das äußerste betrachtet werden kann, unter dem Namen Rückzug ins Innere des Landes und als eine eigene Widerstandsart kennengelernt, bei der es mehr darauf abgesehen ist, daß der Angreifende sich selbst aufreiben soll, als daß er durch das Schwert der Schlacht zugrunde gerichtet werde. Aber nur wenn eine solche Absicht vorherrschend wird, kann das Zurückverlegen der Entscheidung als eine eigene Widerstandsart angesehen werden, denn sonst ist es klar, daß dabei unendlich viel Abstufungen gedacht werden können, und daß sich diese mit allen Mitteln der Verteidigung verbinden lassen. Wir sehen also die mehr oder weniger starke Mitwirkung des Kriegstheaters nicht als eine eigene Art des Widerstandes an, sondern nur als eine beliebige Beimischung der unbeweglichen Widerstandsmittel nach dem Bedürfnis der Verhältnisse und Umstände.

Glaubt nun aber ein Verteidiger von diesen unbeweglichen Streitkräften nichts zu seiner Entscheidung nötig zu haben, oder sind ihm die damit verknüpften anderweitigen Opfer zu groß, dann bleiben sie ihm für die Folge und bilden dann gewissermaßen neuankommende Verstärkungen, die er nicht hat abwarten können; und so können sie die Mittel werden, mit derselben beweglichen Streitkraft auf die erste Entscheidung noch eine zweite und auf diese vielleicht noch eine dritte folgen zu lassen, d. h. es wird auf diese Weise eine sukzessive Kraftanwendung möglich.

Wenn der Verteidiger an der Grenze eine Schlacht verloren hat, die nicht gerade eine Niederlage geworden ist, so kann man sich sehr wohl denken, daß er hinter seiner nächsten Festung schon imstande ist, eine zweite anzunehmen; ja, wenn er es mit einem nicht sehr entschiedenen Gegner zu tun hat, so reicht vielleicht ein beträchtlicher Bodeneinschnitt schon dazu hin, diesen zum Stehen zu bringen.

Es ist also die Strategie beim Verbrauch des Kriegstheaters wie in allem übrigen eine Ökonomie der Kräfte; mit je wenigerem man auslangt, um so besser; aber auslangen muß man, und es kommt natürlich hier, wie im Handel, auf etwas anderes an als auf bloßes Knausern.

Um aber einem großen Mißverständnis vorzubeugen, müssen wir darauf aufmerksam machen, daß dasjenige, was man nach einer verlorenen Schlacht noch an Widerstand leisten und versuchen kann, hier gar nicht der Gegenstand unserer Betrachtung ist, sondern nur wieviel Erfolg wir uns von diesem zweiten Widerstand im voraus versprechen, wie hoch wir ihn also in unserem Plan anschlagen dürfen. Hier gibt es fast nur einen Punkt, auf den der Verteidiger zu sehen hat, es ist sein Gegner, und zwar seinem Charakter und seinen Verhältnissen nach. Ein Gegner von schwachem Charakter, von keiner Sicherheit, von keinem großartigen Ehrgeiz oder in sehr gebundenen Verhältnissen wird sich, im Fall er glücklich ist, mit einem mäßigen Vorteil begnügen und bei jeder neuen Entscheidung, die ihm der Verteidiger anzubieten wagt, zaghaft innehalten. In diesem Fall darf der Verteidiger darauf rechnen, die Widerstandsmittel seines Kriegstheaters nach und nach in immer neuen, obgleich an sich schwachen Entscheidungsakten geltend zu machen, in welchen sich für ihn stets die Aussicht erneuert, diese Entscheidung für sich zu wenden.

Aber wer fühlt nicht, daß wir uns hier schon auf dem Wege zu den Feldzügen ohne Entscheidung befinden, und daß diese weit mehr das Feld sukzessiver Kraftverwendungen sind, wovon wir im folgenden Kapitel mehr sagen wollen.

Dreißigstes Kapitel: Fortsetzung. Verteidigung eines Kriegstheaters, wenn keine Entscheidung gesucht wird

Ob und auf welche Art es Kriege geben könne, in welchen keiner von beiden Teilen der angreifende ist, also keiner etwas Positives will, werden wir im letzten Buche näher in Betrachtung ziehen, hier haben wir nicht nötig, uns mit diesem Widerspruch zu beschäftigen, da wir für ein einzelnes Kriegstheater die Gründe zu einer solchen doppelseitigen Verteidigung füglich in den Verhältnissen, welche diese Teile zum Ganzen haben, voraussetzen können.

Aber nicht bloß solche Feldzüge werden ohne den Brennpunkt einer notwendigen Entscheidung sein, sondern es gibt auch, wenn wir uns an die Geschichte halten, eine Menge von Feldzügen, wo es nicht an einem Angreifenden, also nicht an einem positiven Wollen von der einen Seite fehlt, wo aber dieses Wollen so schwach ist, daß es nicht mehr um jeden Preis sein Ziel verfolgt und notwendig eine Entscheidung herbeiführt, sondern wo der Angreifende keine anderen Vorteile sucht, als die sich ihm aus den Umständen ergeben wollen. Er verfolgt hier entweder gar kein bestimmtes selbstgestecktes Ziel und erntet nur die Früchte, die sich ihm in dem Verlauf der Zeit darbieten, oder er hat zwar ein Ziel, macht es aber von günstigen Umständen abhängig.

Obgleich ein solcher Angriff, der von der strengen logischen Notwendigkeit eines Vorschreitens gegen das Ziel losläßt und fast wie ein Müßling den Feldzug durchschlendert, um sich rechts und links nach einer wohlfeilen Gelegenheitsfrucht umzusehen, sehr wenig von der Verteidigung selbst verschieden ist, die ja ihrem Feldherrn auch verstattet, solche Früchte zu brechen, so wollen wir doch die nähere philosophische Betrachtung dieser Kriegführung bis auf das Buch vom Angriff verschieben und uns hier nur an die Folgerung halten, daß in einem solchen Feldzug weder vom Angreifenden noch vom Verteidiger alles auf die Entscheidung bezogen werden kann, daß diese also nicht mehr den Schlußstein des Gewölbes abgibt, nach dem alle Linien der strategischen Überbogung hingerichtet werden können.

Feldzüge dieser Art sind nun, wenn man die Kriegsgeschichte aller Zeiten und Länder im Auge hat, nicht nur die Mehrzahl überhaupt, sondern eine solche Mehrzahl, daß die anderen wie Ausnahmen von der Regel erscheinen. Wenn nun auch in der Folge dies Verhältnis sich ändern sollte, so ist doch gewiß, daß es immer eine große Zahl solcher Feldzüge geben wird, und daß wir also bei der Lehre von der Verteidigung eines Kriegstheaters auf diese Seite derselben Rücksicht nehmen müssen. Wir werden versuchen, die Eigentümlichkeiten anzugeben, welche sich an den äußersten Grenzen dieser Seite zeigen. Der wirkliche Fall des Krieges wird meistens zwischen die beiden verschiedenen Richtungen fallen, bald der einen, bald der anderen näher liegen, und wir können daher die praktische Wirksamkeit dieser Eigentümlichkeiten nur in der Modifizierung sehen, welche durch ihre Gegenwirkung in der absoluten Form des Krieges hervorgebracht wird. Wir haben schon im dritten Kapitel dieses Buches gesagt, daß das Abwarten einer der größten Vorteile ist, den die Verteidigung vor dem Angriff voraus hat; es geschieht überhaupt im Leben selten, aber am allerwenigsten im Kriege alles, was nach den Umständen geschehen sollte. Die Unvollkommenheit der menschlichen Einsicht, die Scheu vor einem üblen Ausgang, die Zufälle, von welchen die Entwicklung der Handlung berührt wird, machen, daß von allen durch die Umstände gebotenen Handlungen immer eine Menge nicht zur Ausführung kommen. Im Kriege, wo die Unvollkommenheit des Wissens, die Gefahr der Katastrophe, die Menge der Zufälle unvergleichlich viel größer sind als in jeder anderen menschlichen Tätigkeit, muß deshalb auch die Zahl der Versäumnisse, wenn wir es so nennen wollen, notwendig viel größer sein. Dies ist nun das reiche Feld, auf dem die Verteidigung Früchte erntet, die ihr von selbst zuwachsen. Verbinden wir mit dieser Erfahrung die selbständige Wichtigkeit, welche die Bodenfläche im Kriegführen hat, so ergibt sich die auch im Kampf des Friedens, nämlich im Rechtsstreit geheiligte Maxime: beati sunt possidentes; und diese Maxime ist es, welche hier an die Stelle der Entscheidung tritt, die in allen auf gegenseitiges Niederwerfen gerichteten Kriegen den Brennpunkt der ganzen Bahn ausmacht. Sie ist von außerordentlicher Fruchtbarkeit, freilich nicht an Handlungen, die sie hervorruft, aber an Aufschlüssen und Motiven für das Nichthandeln und für alles dasjenige Handeln, welches im Interesse des Nichthandelns geschieht. Wo keine Entscheidung gesucht und erwartet werden kann, da ist kein Grund, etwas aufzugeben, denn dies könnte nur geschehen, um sich damit bei der Entscheidung Vorteile zu erkaufen. Die Folge ist, daß der Verteidiger alles oder wenigstens soviel als möglich behalten, d. h. decken, der Angreifende aber soviel als ohne Entscheidung geschehen kann, einnehmen, d. h. sich soweit als möglich ausbreiten will. Wir haben es hier nur mit dem ersteren zu tun.

Überall, wo der Verteidiger mit seinen Streitkräften nicht ist, kann der Angreifende in Besitz treten, und dann ist der Vorteil des Abwartens für ihn; es entsteht also das Bestreben, das Land überall mittelbar zu decken und es darauf ankommen zu lassen, ob der Gegner die zur Deckung aufgestellten Streitkräfte angreifen wird.

Ehe wir nun die Eigentümlichkeiten der Verteidigung näher angeben, müssen wir aus dem Buche vom Angriff diejenigen Gegenstände entlehnen, welchen derselbe im Fall einer nichtgesuchten Entscheidung nachzustreben pflegt. Es sind folgende:

1. die Einnahme eines beträchtlichen Landstriches, soweit dies ohne entscheidendes Gefecht zu erreichen ist;

2. die Eroberung eines bedeutenden Magazins unter eben der Bedingung;

3. die Eroberung einer nicht gedeckten Festung. Zwar ist eine Belagerung ein mehr oder weniger großes Werk, was oft große Anstrengungen kostet, aber es ist eine Unternehmung, die nichts von der Natur einer Katastrophe hat. Man kann im schlimmsten Fall davon ablassen, ohne dabei einen bedeutenden positiven Verlust zu machen.

4. Endlich ein glückliches Gefecht von einiger Bedeutung, wobei aber nicht viel gewagt und folglich nichts Großes gewonnen werden kann; ein Gefecht, was nicht als folgereicher Knoten eines ganzen strategischen Verbandes, sondern um seiner selbst willen, wegen der Trophäen, wegen der Waffenehre da ist. Für einen solchen Zweck liefert man natürlich das Gefecht nicht um jeden Preis, sondern erwartet entweder vom Zufall die Gelegenheit dazu oder sucht sie durch Geschicklichkeit herbeizuführen.

Diese vier Gegenstände des Angriffs bringen nun beim Verteidiger folgende Bestrebungen hervor:

1. die Festungen zu decken, indem er sie hinter sich nimmt;

2. das Land zu decken, indem er sich ausdehnt;

3. wo die Ausdehnung nicht zureicht, durch Seitenmärsche sich schnell vorzulegen;

4. sich dabei vor nachteiligen Gefechten zu hüten.

Daß diese drei ersten Bestrebungen die Absicht haben, dem Gegner die Initiative zuzuschieben und vom Abwarten den äußersten Nutzen zu ziehen, ist klar, und diese Absicht ist so tief in der Natur der Sache gegründet, daß es eine große Torheit wäre, sie von vornherein zu mißbilligen. Sie muß notwendig in dem Maße Platz greifen, als die Entscheidung weniger zu erwarten ist, und sie macht in allen solchen Feldzügen immer das Wesen der tiefsten Fundamente aus, wenn auch auf der Oberfläche des Handelns, in den kleinen, nicht entscheidenden Akten, oft ein ziemlich lebhaftes Spiel der Tätigkeit sein kann.

Hannibal so gut wie Fabius und Friedrich der Große so gut wie Daun haben diesem Prinzip gehuldigt, sooft sie eine Entscheidung weder suchten noch erwarteten. Das vierte Bestreben dient den drei anderen zum Korrektiv, ist die Conditio sine qua non derselben.

Wir wollen jetzt einige nähere Betrachtungen über diese Gegenstände anstellen.

Daß man sich mit dem Heer vor eine Festung stellt, um sie vor dem feindlichen Angriff zu schützen, hat auf den ersten Anblick etwas Widersinniges, es scheint eine Art von Pleonasmus zu sein, denn Festungswerke werden ja gebaut, damit sie dem feindlichen Angriff selbst widerstehen. Gleichwohl sehen wir diese Maßregel tausend- und abermals tausendmal vorkommen. So ist es aber mit der Kriegführung, daß die gewöhnlichsten Dinge oft am unverständlichsten zu sein scheinen. Wer könnte aber den Mut haben, auf den Grund dieses anscheinenden Widerspruches jene tausend und abermals tausend Fälle für ebensoviel Fehler zu erklären? Die ewig wiederkehrende Form beweist, daß es einen tiefliegenden Grund dafür geben muß. Dieser Grund aber ist kein anderer als der oben angegebene, in der moralischen Inertie liegende.

Stellen wir uns vor unserer Festung, so kann der Feind diese nicht angreifen, wenn er unsere Armee nicht vorher schlägt; eine Schlacht aber ist eine Entscheidung; sucht er diese nicht, so wird er die Schlacht nicht liefern, und wir bleiben ohne Schwertstreich im Besitz unserer Festung. Wir müssen es also in allen Fällen, wo wir dem Gegner die Absicht einer Entscheidung nicht zutrauen, darauf ankommen lassen, ob er sich dazu entschließt, denn es ist die größte Wahrscheinlichkeit, daß er es nicht tut. Bedenkt man, daß dabei in den meisten Fällen noch das Mittel bleibt, uns in dem Augenblick, wo der Feind gegen unser Vermuten zum Angriff anrückt, hinter die Festung zurückzuziehen, so ist bei dieser Aufstellung vor der Festung noch weniger Gefahr, und die nahe Wahrscheinlichkeit, den Status quo ohne Aufopferung zu erhalten, ist dann nicht einmal von einer entfernten Gefahr begleitet.

Stellen wir uns hinter der Festung, so geben wir dem Angreifenden einen Gegenstand hin, der recht für seine Verhältnisse gemacht ist. Er wird, wenn die Festung nicht etwa sehr bedeutend und er sehr unvorbereitet ist, die Belagerung wohl oder übel unternehmen; damit nun diese nicht mit der Einnahme endige, müssen wir zum Entsatz schreiten. Das positive Handeln, die Initiative ist also nun an uns, und der Gegner, welcher bei seiner Belagerung als vorschreitend gegen sein Ziel zu betrachten ist, ist im Posseß. Daß die Sache immer diese Wendung nimmt, lehrt die Erfahrung, und es liegt auch in ihrer Natur. Eine Belagerung ist, wie wir schon gesagt haben, nicht mit einer Katastrophe verbunden. Der schwächste, unentschlossenste, faulste Feldherr, der sich niemals zu einer Schlacht entschlossen hätte, schreitet unbedenklich zur Belagerung, sobald er an die Festung kommen kann, und wäre es auch nur mit dem Feldgeschütz. Im schlimmsten Fall kann er die Sache aufgeben, ohne einen positiven Verlust zu leiden. Zu dieser Wendung des Verhältnisses tritt noch die Gefahr, in welcher die meisten Festungen mehr oder weniger schweben, durch einen Sturm oder sonst auf eine unregelmäßige Art genommen zu werden, und dieser Umstand darf gewiß von dem Verteidiger in seinem Kalkül der Wahrscheinlichkeiten nicht übersehen werden.

Es ist also, diese beiden Momente aneinander abgewogen, natürlich, daß der Verteidiger den Vorteil, sich unter besseren Umständen zu schlagen, jenem anderen nachsetzt, sich höchst wahrscheinlich gar nicht schlagen zu brauchen. Auf diese Weise erscheint uns dann die Sitte, sich mit den Truppen im Felde vor seiner Festung aufzustellen, sehr natürlich und einfach. Friedrich der Große hat sie mit Glogau gegen die Russen, mit Schweidnitz, Neiße und Dresden gegen die Österreicher fast immer beobachtet. Dem Herzog von Bevern bekam diese Maßregel bei Breslau schlecht, hinter Breslau hätte er nicht angegriffen werden können; aber die Überlegenheit des österreichischen Heeres während des Königs Abwesenheit und der Umstand, daß die Annäherung des letzteren den Österreichern diese Überlegenheit bald zu nehmen drohte, machten auch, daß der Zeitpunkt der Breslauer Schlacht keineswegs ein solcher war, wo eine Entscheidung nicht zu erwarten gewesen wäre, daher denn auch die Stellung von Breslau weniger angemessen erscheint. Auch würde der Herzog von Bevern es gewiß vorgezogen haben, sich hinter Breslau aufzustellen, wenn dann der Ort mit seinen Vorräten nicht einem Bombardement preisgegeben wäre, welches der in solchen Fällen nichts weniger als billig denkende König dem Herzog sehr übel genommen haben würde. Daß der Herzog einen Versuch machte, Breslau durch eine davor genommene verschanzte Stellung zu sichern, kann man am Ende nicht mißbilligen, denn es war sehr möglich, daß der Prinz Karl von Lothringen, durch die Einnahme von Schweidnitz zufriedengestellt und durch des Königs Anmarsch bedroht, sich dadurch hätte vom weiteren Vorschreiten abhalten lassen. Das Beste wäre gewesen, es mit der Schlacht selbst nicht ernstlich zu meinen, sondern in dem Augenblick, wo die Österreicher zum Angriff vorrückten, sich durch Breslau abzuziehen; dann zog der Herzog von Bevern aus dem Abwarten alle Vorteile, ohne sie mit einer großen Gefahr zu bezahlen.

Wenn wir hier die Aufstellung des Verteidigers vor den Festungen aus einem höheren, durchgreifenden Grund hergeleitet und gerechtfertigt haben, so müssen wir doch auch bemerken, daß ein untergeordneter Grund hinzutritt, der freilich näher liegt, aber für sich allein nicht gelten konnte, weil er nicht durchgreifend ist. Es ist nämlich der Gebrauch, welchen die Armee von der nächsten Festung als Vorratsort zu machen pflegt; dies ist so bequem und hat so manche Vorteile, daß ein General sich nicht leicht entschließen wird, seine Bedürfnisse von weiter entlegenen Festungen zu beziehen oder in offenen Plätzen niederzulegen. Ist aber die Festung Vorratsort des Heeres, so ist in vielen Fällen das Aufstellen vor derselben durchaus notwendig und in den meisten sehr natürlich. Aber man sieht wohl, daß dieser naheliegende Grund, welcher von denen, die überhaupt nicht viel nach den entfernteren fragen, leicht überschätzt werden kann, weder hinreicht, alle vorgekommenen Fälle zu erklären, noch in seinen Beziehungen wichtig genug ist, um ihm die höchste Entscheidung einzuräumen.

Die Eroberung einer oder mehrerer Festungen, ohne dabei eine Schlacht zu wagen, ist so sehr das natürliche Ziel aller der Angriffe, die nicht auf große Entscheidung gehen, daß der Verteidiger die Verhinderung dieser Absicht zu einem Hauptgegenstand seiner ganzen Industrie macht. Daher sehen wir denn auf den Kriegstheatern, wo viele Festungen sind, sich fast alle Bewegungen darum drehen, daß der Angreifende einer derselben unvermutet beizukommen sucht und deshalb mancherlei Finten anwendet, der Verteidiger aber stets durch gut vorbereitete Bewegungen sich noch schnellstens vorzulegen sucht. Dies ist der durchgehende Charakter fast aller niederländischen Feldzüge von Ludwig XIV. bis auf den Marschall von Sachsen.

Soviel über das Decken der Festungen.

Die Deckung des Landes durch eine ausgedehnte Aufstellung der Streitkräfte kann nur in Verbindung mit beträchtlichen Hindernissen des Bodens gedacht werden. Die großen und kleinen Posten, welche man dabei bilden muß, können nur durch starke Stellungen eine gewisse Widerstandsfähigkeit bekommen, und da die natürlichen Hindernisse selten zureichend gefunden werden, so tritt die Verschanzungskunst hinzu. Nun ist aber wohl zu merken, daß der Widerstand, welchen man dadurch auf einem Punkt erhält, immer nur als ein relativer (siehe das Kapitel von der Bedeutung des Gefechts) und nicht als ein absoluter betrachtet werden kann. Es kann sich zwar wohl zutragen, daß ein solcher Posten unüberwältigt bleibt und also in dem einzelnen Fall ein absolutes Resultat erhält, allein da die große Zahl der Posten jeden einzelnen im Verhältnis zum Ganzen doch nur als schwach und dem möglichen Anfall einer großen Übermacht preisgegeben erscheinen läßt, so wäre es unvernünftig, auf den Widerstand jedes einzelnen Postens sein ganzes Heil zu bauen. Es ist also bei so ausgedehnter Aufstellung nur auf einen verhältnismäßig langen Widerstand, aber nicht auf eigentlichen Sieg zu rechnen. Aber dieser Wert der einzelnen Posten reicht auch für den Zweck und die Berechnung des Ganzen hin. In Feldzügen, wo man keine große Entscheidung zu fürchten hat, kein rastloses Vorschreiten zur Überwältigung des Ganzen, da sind Postengefechte, wenn sie auch mit dem Verlust des Postens endigen, weniger gefährlich. Selten ist damit etwas anderes als eben der Verlust dieses Postens und einiger Trophäen verbunden; der Sieg greift nicht weiter in die Verhältnisse ein, er reißt kein Fundament nieder, dem eine Menge Trümmer nachfallen. Im schlimmsten Fall, wenn nämlich das ganze Verteidigungssystem durch den Verlust des einzelnen Postens gestört worden ist, wird dem Verteidiger immer noch Zeit bleiben, sein Korps zu vereinigen und mit der Gesamtheit die Entscheidung anzubieten, die der Angreifende nach unserer Voraussetzung nicht sucht. Gewöhnlich geschieht es daher auch, daß mit dieser Vereinigung der Macht der Akt beschlossen und dem weiteren Vorschreiten des Angreifenden Stillstand geboten wird. Etwas Land, einige Menschen und Kanonen sind die Verluste des Verteidigers und die genügenden Erfolge des Angreifenden.

Einer solchen Gefahr, sagen wir, kann sich der Verteidiger für den Fall des Unglückes schon aussetzen, wenn er auf der anderen Seite die Möglichkeit oder vielmehr die Wahrscheinlichkeit erringt, daß es zu allem dem nicht kommt, und der Angreifende zaghaft oder vorsichtig, wie es eben zu nennen ist, vor seinen Posten stehen bleibt, ohne sich an ihnen den Kopf blutig zu rennen. Bei dieser Betrachtung müssen wir nur nicht aus dem Auge lassen, daß wir einen Angreifenden voraussetzen, der nichts Großes wagen will; einem solchen kann ein mäßiger, aber starker Posten mit Recht Stillstand gebieten: denn wenn er ihn auch unzweifelhaft überwältigen kann, so frägt es sich doch, um welchen Preis das geschehen wird, und ob dieser Preis nicht zu hoch für das ist, was er in seiner Lage mit dem Sieg anfangen kann.

Auf diese Weise zeigt es sich, wie dem Verteidiger der starke relative Widerstand, welchen eine in viele nebeneinanderliegende Posten ausgedehnte Aufstellung gewähren kann, in der Berechnung seines ganzen Feldzuges ein genügendes Resultat sein kann. Um den Blick auf die Kriegsgeschichte, den hierbei der Leser in Gedanken tun wird, gleich auf den rechten Punkt zu führen, wollen wir bemerken, daß diese ausgedehnten Stellungen am häufigsten in der letzten Hälfte der Feldzüge vorkommen, weil dann der Verteidiger den Angreifenden sowie seine Absichten und Verhältnisse für dieses Jahr erst recht kennengelernt, und bei dem Angreifenden sich das wenige von Unternehmungsgeist, was er mitgebracht hatte, verloren hat.

Bei dieser Verteidigung in einer ausgedehnten Aufstellung, wodurch das Land, die Vorräte, die Festungen gedeckt werden, müssen natürlich alle großen Hindernisse des Bodens wie Ströme, Flüsse, Gebirge, Wälder, Moräste eine große Rolle spielen, eine vorherrschende Wichtigkeit bekommen. Über ihren Gebrauch beziehen wir uns auf das früher Gesagte.

Durch diese vorherrschende Wichtigkeit des topographischen Elementes wird dasjenige Wissen und diejenige Tätigkeit des Generalstabes besonders in Anspruch genommen, welche als die eigentümlichsten desselben betrachtet zu werden pflegen. Weil nun der Generalstab derjenige Teil des Heeres zu sein pflegt, welcher am meisten schreibt und drucken läßt, so folgt, daß diese Teile der Feldzüge historisch mehr fixiert werden, und es entspringt zugleich die ziemlich natürliche Neigung, sie zu systematisieren und aus der historischen Auflösung des einen Falles allgemeine Auflösungen für die folgenden Fälle zu machen. Dies aber ist ein vergebliches und also falsches Bestreben. Auch bei dieser mehr passiven, mehr an die Örtlichkeit gebundenen Kriegsart ist jeder Fall ein anderer und muß anders behandelt werden. Die vortrefflichsten räsonierenden Memoiren über diese Gegenstände sind daher nur geeignet, mit ihnen vertraut zu machen, nicht aber als Vorschriften zu dienen; sie werden eigentlich wieder Kriegsgeschichte, nur eine diesen Kriegen eigentümliche Seite derselben.

So notwendig und achtungswert die Tätigkeit des Generalstabes ist, die wir hier nach der gewöhnlichen Ansicht als seine eigentümlichste bezeichnet haben, so müssen wir doch gegen die Usurpationen warnen, welche oft zum Nachteil des Ganzen daraus hervorgehen. Die Wichtigkeit, welche diejenigen Häupter desselben, die in diesem Zweige des Kriegsdienstes die stärksten sind, dabei bekommen, gibt ihnen oft eine gewisse allgemeine Herrschaft über die Geister und am ersten über den Feldherrn selbst, und daraus entspringt denn eine zur Einseitigkeit führende Ideengewohnheit; zuletzt sieht der Feldherr nichts mehr als Berge und Pässe, und was eine nach den Umständen bestimmte frei gewählte Maßregel sein sollte, wird Manier, wird zur zweiten Natur.

So hat im Jahr 1793 und 1794 bei dem preußischen Heere der Oberst Grawert, welcher die Seele des damaligen Generalstabes und bekanntlich ein rechter Mann der Berge und Pässe war, zwei Feldherren von der größten eigentümlichen Verschiedenheit, den Herzog von Braunschweig und den General Möllendorf, genau in denselben Wegen der Kriegführung erhalten.

Daß eine längs einem starken Bodenabschnitt gebildete Verteidigungslinie der Weg sei, welcher zum Kordonkrieg führen kann, ist einleuchtend. Sie würde in den meisten Fällen notwendig dahin führen müssen, wenn wirklich die ganze Ausdehnung des Kriegstheaters auf diese Weise unmittelbar gedeckt werden sollte, weil doch die meisten Kriegstheater eine Ausdehnung haben, gegen welche die natürliche taktische Ausdehnung der zur Verteidigung bestimmten Streitkräfte sehr gering ist. Allein da der Angreifende durch die Umstände sowie durch seine eigenen Anstalten an gewisse Hauptrichtungen und Straßen gebunden ist, und zu starke Ausweichungen davon selbst gegen den passivsten Verteidiger zu viel Unbequemlichkeiten und Nachteile herbeiführen würden, so kommt es für den Verteidiger meistens nur darauf an, von diesen Hauptrichtungen rechts und links eine gewisse Anzahl Meilen oder Märsche weit die Gegend zu decken. Diese Deckung selbst aber geschieht wieder, indem man sich begnügt, die Hauptstraßen und Zugänge mit Verteidigungsposten zu versehen und die zwischenliegende Gegend bloß mit Beobachtungsposten. Die Folge ist dann freilich, daß der Angreifende zwischen zwei Posten mit einer Kolonne durchgehen und also den auf einen dieser Posten beabsichtigen Angriff von mehreren Seiten tun kann. Darauf sind nun diese Posten einigermaßen eingerichtet, indem sie teils Flankenanlehnungen haben, teils Flankenverteidigungen (sogenannte Haken) bilden, teils durch eine zurückstehende Reserve oder durch einige Truppen des Nebenpostens Hilfe erhalten. Auf diese Weise schränkt sich die Menge der Posten noch mehr ein, und das gewöhnliche Resultat ist, daß ein in solcher Verteidigung begriffenes Heer sich in 4 oder 5 Hauptposten auflöst.

Für zu weit entfernte und doch einigermaßen bedrohte Hauptzugänge werden dann besondere Zentralpunkte bestimmt, die gewissermaßen kleine Kriegstheater innerhalb des großen bilden. So haben die Österreicher während des Siebenjährigen Krieges mit ihrer Hauptarmee meist 4 bis 5 Posten im niederschlesischen Gebirge eingenommen, während in Oberschlesien ein kleines, einigermaßen selbständiges Korps ein ähnliches Verteidigungssystem für sich hatte.

Je weiter nun ein solches Verteidigungssystem sich von der unmittelbaren Deckung entfernt, um so mehr müssen Bewegung, aktive Verteidigung und selbst offensive Mittel zu Hilfe genommen werden. Gewisse Korps werden als Reserven betrachtet, außerdem eilt ein Posten mit seinen entbehrlichen Truppen dem anderen zu Hilfe. Diese Unterstützung geschieht entweder, indem man wirklich von hinten zur Verstärkung und Erneuerung des passiven Widerstandes herbeieilt, oder indem der Feind in der Seite angefallen, oder indem er gar in seinem Rückzug bedroht wird. Bedroht der Angreifende die Seite eines Postens nicht mit einem Angriff sondern bloß mit einer Stellung, indem er auf die Verbindungen dieses Postens zu wirken sucht, so wird entweder das zu diesem Behuf vorgeschobene Korps wirklich angegriffen oder der Weg der Repressalien eingeschlagen, indem man auf die feindlichen Verbindungen zu wirken sucht.

Man sieht also, daß diese Verteidigung, so passiver Natur auch die Hauptgrundlage derselben ist, doch eine Menge aktiver Mittel in sich aufnehmen muß und damit auf mancherlei Weise in den zusammengesetzten Verhältnissen ausgerüstet sein kann. Gewöhnlich gelten diejenigen, welche sich der aktiven oder gar der offensiven Mittel am meisten bedienen, für die besseren; allein teils hängt dies sehr von der Natur der Gegend, der Beschaffenheit der Streitkräfte und selbst von dem Talent des Feldherrn ab, teils kann man überhaupt doch auch von der Bewegung und den übrigen aktiven Hilfsmitteln leicht zu viel erwarten und an der örtlichen Verteidigung eines starken Bodenhindernisses leicht zu viel aufgeben. Wir glauben hiermit, was wir unter einer ausgedehnten Verteidigungslinie verstehen, hinreichend auseinandergesetzt zu haben, und wenden uns nun zu dem dritten Hilfsmittel: dem Vorlegen durch eine schnelle Seitenbewegung.

Dieses Mittel gehört ganz notwendig zu dem Apparat derjenigen Landesverteidigung, von welcher hier die Rede ist. Teils kann der Verteidiger oft trotz der ausgedehntesten Stellungen nicht alle bedrohten Eingänge seines Landes besetzen; teils muß er in vielen Fällen mit dem Kern seiner Macht bereit sein, sich nach denjenigen Posten hinzubegeben, gegen welche sich der Kern der feindlichen Macht werfen will, weil diese Posten sonst zu leicht überwältigt werden würden; endlich muß überhaupt derjenige Feldherr, welcher seine Streitkräfte nicht gern in einer ausgedehnten Stellung zum passiven Widerstand festnageln läßt, seinen Zweck, die Deckung des Landes, um so mehr durch schnelle, wohlüberlegte, wohleingeleitete Bewegungen erreichen. Je größer die Stellen sind, welche er offenläßt, um so größer muß die Virtuosität in der Bewegung sein, um sich überall noch zur rechten Zeit vorzuschieben.

Die natürliche Folge dieses Bestrebens ist, daß man sich überall Stellungen aussucht, die man in solchem Fall bezieht, und die Vorteile genug darbieten, um den Gedanken eines Angriffs beim Gegner zu entfernen, sobald unser Heer oder auch nur ein Teil desselben in der Stellung angelangt ist. Da diese Stellungen immer wiederkehren, und sich dabei alles um die Erreichung derselben dreht, so werden sie gewissermaßen die Selbstlauter dieser ganzen Kriegführung, und daher hat man dieselbe auch wohl den Postenkrieg genannt.

So wie die gedehnte Aufstellung und der relative Widerstand in einem Kriege ohne große Entscheidung nicht die Gefahren hat, die ursprünglich darin liegen, so hat auch dieses Vorlegen durch Seitenmärsche nicht das Bedenken, welches im Augenblick großer Entscheidungen damit verknüpft sein würde. Einem entschlossenen Gegner, der Großes kann und will, und der also eine beträchtliche Kraftausgabe nicht scheut, sich im letzten Augenblick eiligst in eine Stellung vorschieben zu wollen, wäre der halbe Weg zur entschiedensten Niederlage, denn gegen einen rücksichtslosen Stoß mit voller Gewalt würde ein solches Hineilen und Hinstolpern in eine Stellung nicht Stich halten. Aber für einen Gegner, der das Werk nicht mit der vollen Faust, sondern nur mit den Fingerspitzen angreift, der von einem großen Resultat oder vielmehr von der Einleitung dazu nicht einmal Gebrauch machen kann, der nur einen mäßigen Vorteil sucht, aber zu geringem Preise, einem solchen kann diese Art des Widerstandes allerdings mit Erfolg entgegengestellt werden.

Eine natürliche Folge ist, daß auch dieses Mittel im allgemeinen mehr in der zweiten Hälfte der Feldzüge vorkommt als bei der Eröffnung.

Auch hier hat der Generalstab Gelegenheit, sein topographisches Wissen in ein System zusammenhängender Maßregeln auszubilden, welches sich auf die Wahl und Zubereitung der Stellungen und der dahin führenden Wege bezieht.

Wo am Ende alles darauf gerichtet ist, auf der einen Seite einen gewissen Punkt zu erreichen, auf der anderen es zu verhindern, da kommen beide Teile oft in den Fall, ihre Bewegungen unter den Augen des Gegners ausführen zu müssen, daher denn diese Bewegungen mit einer sonst nicht erforderlichen Vorsicht und Genauigkeit eingerichtet werden müssen. Ehemals, wo das Hauptheer nicht in selbständige Divisionen geteilt war und auch auf dem Marsch immer wie ein unteilbares Ganzes betrachtet wurde, war diese Vorsicht und Genauigkeit mit viel mehr Umständlichkeit und deshalb mit einem großen Aufwand von taktischer Kunst verbunden. Freilich mußten gerade bei diesen Gelegenheiten oft einzelne Brigaden eines Treffens vorauseilen, sich gewisser Punkte versichern und also eine selbständige Rolle übernehmen, bereit, mit dem Feinde anzuknüpfen, wenn auch das übrige nicht heran war; aber das waren und blieben Anomalien, und die Marschordnung blieb im allgemeinen immer darauf gerichtet, das Ganze in seiner ungestörten Ordnung hinzuführen und solche Aushilfen soviel als möglich zu vermeiden. Jetzt, wo die Teile des Hauptheeres wieder in selbständige Glieder zerfallen, und diese Glieder es wagen dürfen, selbst mit dem feindlichen Ganzen das Gefecht anzufangen, wenn nur die anderen nahe genug sind, es fortzuführen und zu beendigen, jetzt hat auch ein solcher Seitenmarsch, selbst unter den Augen des Gegners, weniger Schwierigkeit. Was sonst durch den eigentlichen Mechanismus der Marschordnung erreicht werden mußte, erreicht man jetzt durch das frühere Absenden einzelner Divisionen, den beschleunigten Marsch anderer und die größte Freiheit in Verwendung des Ganzen.

Durch die hier betrachteten Mittel des Verteidigers soll dem Angreifenden die Eroberung einer Festung, die Einnahme eines beträchtlichen Landstriches oder eines Magazins verwehrt werden. Sie wird ihm verwehrt, wenn vermittelst jener Wege ihm überall solche Gefechte angeboten werden, daß er darin entweder zu wenig Wahrscheinlichkeit des Erfolges, zu große Gefahr einer Rückwirkung im Falle des Mißlingens oder überhaupt einen für den Zweck und für seine Verhältnisse zu großen Kraftaufwand findet.

Wenn nun der Verteidiger diesen Triumph seiner Kunst und Einrichtungen erlebt, der Angreifende überall, wohin er den Blick richtet, durch weise Vorkehrungen sich jede Aussicht benommen sieht, einen seiner mäßigen Wünsche zu erreichen, so sucht das offensive Prinzip oft einen Ausweg in der Befriedigung der bloßen Waffenehre. Der Gewinn irgendeines bedeutenden Gefechts gibt den Waffen das Ansehen einer Überlegenheit, befriedigt die Eitelkeit des Feldherrn, des Hofes, des Heeres und des Volkes und damit einigermaßen die Erwartungen, welche natürlich an jeden Angriff geknüpft sind. Ein vorteilhaftes Gefecht von einiger Wichtigkeit bloß um des Sieges, um der Trophäen willen ist also die letzte Hoffnung des Angreifenden. Man glaube nicht, daß wir uns in einen Widerspruch verwickeln, weil wir uns hier noch unter unserer eigenen Voraussetzung befinden: daß die guten Maßregeln des Verteidigers dem Angreifenden alle Aussicht benommen haben, vermittelst eines glücklichen Gefechts einen jener anderen Gegenstände zu erreichen. Zu dieser Aussicht würden zwei Bedingungen gehören, nämlich vorteilhafte Verhältnisse im Gefecht und demnächst, daß der Erfolg auch wirklich zu einem jener Gegenstände führe.

Das erstere kann sehr wohl ohne das letztere stattfinden, und es werden sich also einzelne Korps und Posten des Verteidigers viel häufiger in der Gefahr befinden, in nachteilige Gefechte zu geraten, wenn der Angreifende es bloß auf die Ehre des Schlachtfeldes absieht, als wenn er auch noch die Bedingung weiterer Vorteile daranknüpft.

Wenn wir uns ganz in Dauns Lage und Denkungsart hineinversetzen beabsichtigte, daß aber ein folgenreicher Sieg, der den König gezwungen hätte, Dresden und Neiße sich selbst zu überlassen, eine ganz andere Aufgabe war, in welche er sich nicht einlassen wollte.

Man glaube ja nicht, daß dies kleinliche oder gar müßige Distinktionen sind, vielmehr haben wir es hier mit einem der am tiefsten gehenden Grundzüge des Krieges zu tun. Die Bedeutung eines Gefechts ist für die Strategie die Seele desselben, und wir können nicht genug wiederholen, daß bei ihr alle Hauptsachen immer aus der letzten Absicht beider Teile wie aus dem Schlußpunkt des ganzen Gedankensystems hervorgehen. Daher kann dann zwischen Schlacht und Schlacht ein solcher strategischer Unterschied sein, daß sie gar nicht mehr als dasselbe Instrument betrachtet werden kann.

Da nun der Verteidiger, obgleich ein solcher Sieg des Angreifenden kaum als eine wesentliche Beeinträchtigung der Verteidigung betrachtet werden kann, doch seinem Gegner auch diesen Vorteil nicht gern einräumen wird, zumal da man niemals weiß, was sich zufällig noch daran anknüpfen kann, so ist die beständige Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse aller seiner bedeutenden Korps und Posten noch ein besonderer Gegenstand seiner Industrie. Freilich hängt hier das meiste von dem klugen Betragen der Führer dieser Korps ab, aber sie können doch auch durch unzweckmäßige Bestimmungen von seiten des Feldherrn in unvermeidliche Katastrophen verwickelt werden. Wem fällt hier nicht das Fouquésche Korps bei Landeshut und das Fincksche bei Maxen ein?

Friedrich der Große hatte in beiden Fällen zu viel auf die Wirkung hergebrachter Ideen gerechnet. Er konnte unmöglich glauben, daß man sich in der Stellung von Landeshut mit 10000 Mann wirklich gegen 30000 mit Glück schlagen, oder daß Finck einer von allen Seiten überwältigend herbeiströmenden Übermacht widerstehen könne; sondern er glaubte, die Stärke der Landeshuter Stellung werde wie bisher als ein gültiger Wechsel akzeptiert und Daun in der Flankendemonstration eine hinreichende Veranlassung finden, die unbequeme Stellung in Sachsen mit der bequemeren in Böhmen zu vertauschen. Er hat dort Laudon und hier Daun diesmal falsch beurteilt, und darin liegt der Fehler jener Maßregeln.

Aber abgesehen von solchen Irrtümern, die auch Feldherren begegnen können, die nicht zu stolz, keck und eigensinnig sind, wie man es Friedrich dem Großen bei einzelnen Maßregeln wohl vorwerfen kann, so liegt in Beziehung auf unseren Gegenstand immer eine große Schwierigkeit darin, daß der Feldherr von der Einsicht, dem guten Willen, dem Mut und der Charakterstärke seiner Korpsführer nicht immer das Wünschenswerte erwarten kann. Er kann also nicht alles ihrem Gutdünken überlassen, sondern muß ihnen manches vorschreiben, wodurch ihr Handeln gebunden wird und dann leicht mit den augenblicklichen Umständen in Mißverhältnis geraten kann, Dies ist ein ganz unvermeidlicher Übelstand. Ohne gebieterischen, herrischen Willen, der bis auf das letzte Glied durchgreift, ist keine gute Heerführung möglich, und wer der Gewohnheit folgen wollte, immer das Beste von den Leuten zu glauben und zu erwarten, würde dadurch schon zu einer guten Heerführung ganz untüchtig sein.

Es müssen also die Verhältnisse eines jeden Korps und Postens immer scharf ins Auge gefaßt werden, um dasselbe nicht unerwartet in eine Katastrophe verwickelt zu sehen.

Alle diese vier Bestrebungen sind auf die Erhaltung des Status quo gerichtet. Je glücklicher und erfolgreicher sie sind, um so länger wird der Krieg auf demselben Punkt verweilen; je länger aber der Krieg auf einem Punkt bleibt, um so wichtiger wird die Sorge um den Unterhalt.

An die Stelle der Beitreibungen und Lieferungen tritt entweder von Hause aus oder doch wenigstens sehr bald die Verpflegung aus Magazinen; an die Stelle der jedesmaligen Beitreibung von Landfuhren tritt mehr oder weniger die Bildung eines stehenden Fuhrwesens, entweder von Landfuhren oder von solchen, die dem Heere selbst angehören; kurz, es entsteht jene Annäherung an eine enggeregelte Magazinalverpflegung, von der wir schon im Kapitel des Unterhaltes gesprochen haben.

Diese Seite der Sache ist es indessen nicht, welche auf diese Kriegführung einen großen Einfluß ausübte; denn da sie ihrer Bestimmung und ihrem Charakter nach schon an sehr enge Räume gebunden ist, so kann die Verpflegung dabei wohl Bestimmungen abgeben und wird sogar den größten Teil derselben abgeben, aber diese Bestimmungen werden den Charakter des Ganzen nicht ändern. Dagegen werden die gegenseitigen Einwirkungen auf die Verbindungslinien aus zwei Gründen eine viel größere Wichtigkeit bekommen. Erstlich, weil es in solchen Feldzügen an größeren und durchgreifenderen Mitteln fehlt, die Industrie der Feldherren also auf dergleichen schwächere geführt werden muß; zweitens, weil es hier nicht an der nötigen Zeit fehlt, um die Wirksamkeit des Mittels abzuwarten. Die Sicherung der eigenen Verbindungslinie wird also noch als ein Gegenstand von besonderer Wichtigkeit erscheinen. Ihre Unterbrechung kann zwar nicht ein Zweck des feindlichen Angriffs sein, aber sie kann ein sehr wirksames Mittel werden, den Verteidiger zum Rückzug zu zwingen und also andere Gegenstände preiszugeben.

Alle den Raum des Kriegstheaters selbst schützende Maßregeln müssen natürlich auch die Wirkung haben, die Verbindungslinien zu decken, ihre Sicherung ist also zum Teil darin enthalten, und wir haben nur zu bemerken, daß die Rücksicht auf jene Sicherung eine Hauptbestimmung bei der Aufstellung abgeben wird.

Ein besonderes Mittel der Sicherung aber besteht in den die einzelnen Zufuhren begleitenden kleinen oder auch ziemlich beträchtlichen Heerhaufen. Teils reichen die ausgedehntesten Stellungen nicht immer hin, die Verbindungslinien zu sichern, teils wird besonders da eine solche Bedeckung nötig, wo der Feldherr die gedehnte Aufstellung hat vermeiden wollen. Wir finden daher in Tempelhoffs Geschichte des Siebenjährigen Krieges unendlich viele Beispiele, daß Friedrich der Große seine Brot- und Mehlwagen durch einzelne Regimenter Fußvolk oder Reiterei, zuweilen aber auch durch ganze Brigaden begleiten ließ. Von den Österreichern finden wir es niemals angemerkt, welches seinen Grund freilich zum Teil darin hat, daß sich auf ihrer Seite kein so umständlicher Geschichtschreiber befindet, zum Teil aber auch eben darin, daß sie immer viel ausgedehntere Stellungen einnahmen.

Nachdem wir die vier von allen Angriffselementen der Hauptsache nach ganz freien Bestrebungen durchgegangen sind, welche die Grundlage einer Verteidigung ausmachen, die auf keine Entscheidung gerichtet ist, müssen wir noch etwas von den offensiven Mitteln sagen, womit sie mehr oder weniger untermischt, gewissermaßen gewürzt werden können. Diese Offensivmittel sind nun hauptsächlich:

1. das Einwirken auf die feindliche Verbindungslinie, wohin wir auch gleich die Unternehmungen gegen die Vorratsorte des Feindes rechnen wollen;

2. Diversionen und Streifereien in das feindliche Gebiet;

3. Angriffe feindlicher Korps und Posten und selbst des feindlichen Hauptheeres unter begünstigenden Umständen oder auch nur die Bedrohung damit.

Das erste Mittel ist in allen solchen Feldzügen unaufhörlich wirksam, aber gewissermaßen ganz in der Stille ohne ein faktisches Erscheinen. Jede wirksame Stellung des Verteidigers zieht aus der Besorgnis, welche sie dem Angreifenden in Beziehung auf seine Verbindungslinie gewährt, den größten Teil ihrer Wirksamkeit, und da in einem solchen Kriege, wie wir das oben bei der Verteidigung gesagt haben, die Verpflegung eine vorherrschende Wichtigkeit bekommt, die ebensogut für den Angreifenden stattfindet, so wird durch diese Rücksicht auf die aus den feindlichen Stellungen hervorgehenden möglichen offensiven Einwirkungen ein großer Teil des strategischen Gewebes bestimmt, wie wir das beim Angriff noch einmal berühren werden.

Aber nicht bloß diese allgemeine Einwirkung durch die Wahl der Stellungen, die, wie in der Mechanik der Druck, eine unsichtbare Wirksamkeit hat, sondern auch ein wahres offensives Vorschreiten gegen die feindliche Verbindungslinie mit einem Teil der Streitkräfte ist in dem Bereich einer solchen Verteidigung. Soll es aber mit Vorteil geschehen, so muß doch immer die Lage der Verbindungslinien, die Natur der Gegend oder die Eigentümlichkeiten der Streitkräfte eine nähere Veranlassung dazu geben.

Streifereien in das feindliche Gebiet, welche den Zweck einer Wiedervergeltung oder der Brandschatzung um des Gewinnes willen haben, können eigentlich nicht als Verteidigungsmittel betrachtet werden, sie sind vielmehr wahre Angriffsmittel; sie verbinden sich aber gewöhnlich mit dem Zweck der eigentlichen Diversion; diese aber hat die Schwächung der feindlichen, uns gegenüberstehenden Macht zur Absicht und kann also als ein wahres Verteidigungsmittel betrachtet werden. Da sie aber ebensogut beim Angriff gebraucht werden kann und an und für sich ein wirklicher Angriff ist, so finden wir es angemessener, davon im folgenden Buch umständlicher zu reden. Wir wollen also dieses Mittel hier nur aufzählen, um die Rüstkammer der kleinen Offensivwaffen, welche der Verteidiger eines Kriegstheaters hat, vollständig anzugeben, und nur vorläufig das eine bemerken, daß es an Umfang und Wichtigkeit bis auf den Punkt zunehmen kann, dem ganzen Kriege einen Schein und damit such die Ehre der Offensive zu geben. So sind Friedrichs des Großen Unternehmungen nach Polen, Böhmen, Franken vor Eröffnung des Feldzuges von 1759. Sein Feldzug selbst ist offenbar eine reine Verteidigung, aber diese Ausfälle in das feindliche Gebiet haben ihm einen Charakter von Offensive gegeben, der vielleicht wegen seines moralischen Gewichtes einen besonderen Wert hat.

Der Angriff feindlicher Korps oder des feindlichen Hauptheeres muß als ein notwendiges Komplement der ganzen Verteidigung gedacht werden für alle diese Fälle, wo der Angreifende sich die Sache zu leicht machen will und deshalb auf einzelnen Punkten große Blößen gibt. Unter dieser stillschweigenden Bedingung geschieht das ganze Handeln. Allein auch hier kann der Verteidiger wie bei der Einwirkung auf die Verbindungslinien des Gegners noch einen Schritt weiter in das offensive Gebiet tun und ebensogut wie sein Gegner die Lauer auf einen vorteilhaften Streich zu einem Gegenstande seiner besonderen Industrie machen. Um sich in diesem Felde einigen Erfolg zu versprechen, muß er entweder seinem Gegner an Kräften merklich überlegen sein, welches im allgemeinen gegen die Natur der Verteidigung ist, aber doch vorkommen kann, oder er muß das System und Talent haben, seine Kräfte mehr vereinigt zu halten, und durch Tätigkeit und Bewegung ersetzen, was er dabei auf der anderen Seite preisgeben muß.

Das erstere war im Siebenjährigen Kriege Dauns Fall, das letztere der Fall Friedrichs des Großen. Dauns Offensive sehen wir aber fast immer nur zum Vorschein kommen, wenn Friedrich der Große durch übertriebene Dreistigkeit und Geringschätzung ihn dazu einlud. Hochkirch, Maxen, Landeshut. Dagegen sehen wir Friedrich den Großen fast in beständiger Bewegung, dem einen oder anderen der Daunschen Korps mit seiner Hauptarmee etwas anzuhaben. Es gelingt ihm selten, wenigstens sind die Resultate niemals groß, weil Daun mit seiner großen Überlegenheit eine seltene Vorsicht und Behutsamkeit verband; aber man muß nicht glauben, daß darum des Königs Bestreben ganz ohne Wirkung geblieben wäre. In diesem Bestreben lag vielmehr ein sehr wirksamer Widerstand, denn in der Sorgfalt und Anstrengung, zu welcher sein Gegner gezwungen wurde, um nachteiligen Schlägen auszuweichen, lag die Neutralisierung derjenigen Kraft, welche sonst zum Vorschreiten des Angriffs beigetragen haben würde. Man denke nur an den Feldzug von 1760 in Schlesien, wo Daun und die Russen vor lauter Besorgnis, vom Könige jetzt hier, dann dort angegriffen und überwältigt zu werden, zu keinem Schritt vorwärts gelangen konnten.

Wir glauben nun hiermit alle die Gegenstände durchgegangen zu sein, welche bei der Verteidigung eines Kriegstheaters, wenn keine Entscheidung vorliegt, die herrschenden Ideen, die vorzüglichsten Bestrebungen und also den Anhalt des ganzen Handelns ausmachen werden. Wir haben sie hauptsächlich nur nebeneinander hinstellen wollen, um den Zusammenhang des strategischen Handelns übersehen zu lassen; die einzelnen Maßregeln, mit welchen sie in das Leben treten, Stellungen, Märsche usw. haben wir früher schon näher betrachtet.

Indem wir nun den Blick noch einmal auf das Ganze richten, muß die Bemerkung entstehen, daß bei einem so schwachen Prinzip des Angriffs, bei so geringem Verlagen nach einer Entscheidung von beiden Seiten, bei so schwachen positiven Anregungen, bei so vielen inneren Gegengewichten, welche auf- und zurückhalten, wie wir es uns hier denken, - daß da der wesentliche Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung immer mehr verschwinden muß. Bei Eröffnung des Feldzuges wird freilich der eine in das Kriegstheater des anderen vorrücken und dadurch gewissermaßen die Form des Angriffs annehmen; allein es kann sehr wohl sein und geschieht sehr häufig, daß er bald genug alle seine Kräfte darauf verwendet, auf dem feindlichen Boden das eigene Land zu verteidigen. So stehen denn beide einander gegenüber, im Grunde in gegenseitiger Beobachtung; beide bedacht, nichts zu verlieren, vielleicht auch beide in gleichem Maße bedacht, sich einen positiven Gewinn zu verschaffen. Ja, es kann geschehen, wie bei Friedrich dem Großen, daß der eigentliche Verteidiger darin seinen Gegner sogar überbietet.

Je mehr nun der Angreifende von der Stellung eines Vorschreitenden aufgibt, je weniger der Verteidiger durch ihn bedroht, durch das dringende Bedürfnis der Sicherheit an die strikte Verteidigung hingedrängt wird, um so mehr tritt eine Gleichheit der Verhältnisse ein, bei welcher dann die Tätigkeit beider darauf gerichtet sein wird, dem Gegner einen Vorteil abzugewinnen und sich gegen jeden Nachteil zu schützen, also auf ein wahres strategisches Manövrieren, und diesen Charakter haben denn auch offenbar alle die Feldzüge mehr oder weniger, wo die Verhältnisse oder die politischen Absichten keine große Entscheidung zulassen. Wir haben dem strategischen Manövrieren im folgenden Buche ein eigenes Kapitel gewidmet, allein wir sehen uns genötigt, weil dies gleichgewichtige Spiel der Kräfte in der Theorie häufig eine falsche Wichtigkeit bekommen hat, hier bei der Verteidigung, wo sie ihm vorzugsweise beigelegt wird, in eine nähere Erörterung deshalb einzugehen.

Wir nennen es ein gleichgewichtiges Spiel der Kräfte. Wo keine Bewegung des Ganzen ist, da ist Gleichgewicht; wo kein großer Zweck treibt, da ist keine Bewegung des Ganzen; es sind also in solchem Fall beide Teile, wie ungleich sie auch immer sein mögen, doch als im Gleichgewicht zu betrachten. Aus diesem Gleichgewicht des Ganzen treten nun die einzelnen Motive zu kleineren Handlungen und geringeren Zwecken hervor. Sie können sich hier entwickeln, weil sie nicht mehr unter dem Druck einer großen Entscheidung und einer großen Gefahr stehen. Es wird also, was überhaupt gewonnen und verloren werden kann, in kleinere Spielmarken umgesetzt und die ganze Tätigkeit in kleinere Handlungen zerlegt. Mit diesen kleineren Handlungen um diese geringeren Preise entsteht nun zwischen beiden Feldherren ein Kampf der Geschicklichkeit; aber da dem Zufall und folglich dem Glück im Kriege der Zutritt niemals ganz versagt werden kann, so wird dieser Kampf auch niemals aufhören, ein Spiel zu sein. Indessen entstehen hier zwei andere Fragen, nämlich: ob bei diesem Manövrieren der Zufall nicht einen kleineren und der überlegende Verstand einen größeren Anteil an der Entscheidung haben wird als da, wo alles in einen einzigen großen Akt zusammengedrängt ist. Die letzte dieser Fragen müssen wir bejahen. Je vielgliedriger das Ganze wird, je öfter Zeit und Raum, jene mit einzelnen Momenten, dieser mit einzelnen Punkten, in die Betrachtung kommen, um so größer wird offenbar das Feld das Kalküls, also die Herrschaft des überlegenden Verstandes; was der überlegende Verstand gewinnt, wird dem Zufall zum Teil entzogen, aber nicht notwendig ganz, und darum sind wir nicht genötigt, die erste Frage auch mit Ja zu beantworten. Wir müssen nämlich nicht vergessen, daß der überlegende Verstand nicht die einzige intellektuelle Kraft des Feldherrn ist. Mut, Kraft, Entschlossenheit, Besonnenheit usw. sind die Eigenschaften, die wieder da mehr gelten werden, wo es auf eine einzige große Entscheidung ankommt; sie werden also in einem gleichgewichtigen Spiel der Kräfte etwas weniger gelten, und die vorherrschende Wichtigkeit kluger Berechnung wächst nicht bloß auf Kosten des Zufalls, sondern auch auf Kosten dieser Eigenschaften. Von der anderen Seite können diese glänzenden Eigenschaften im Augenblick einer großen Entscheidung dem Zufall einen großen Teil seiner Herrschaft rauben und also dasjenige gewissermaßen binden, was die berechnende Klugheit in diesem Fall freigeben mußte. Wir sehen also, daß hier ein Konflikt von mehreren Streitkräften ist, und daß man nicht geradezu behaupten kann, es sei in einer großen Entscheidung dem Zufall ein größeres Feld eingeräumt als in dem summarischen Erfolg bei jenem gleichgewichtigen Spiel der Kräfte. - Wenn wir also in diesem Spiel der Kräfte vorzugsweise einen Kampf gegenseitiger Geschicklichkeit sehen, so muß das nur auf die Geschicklichkeit kluger Berechnung bezogen werden und nicht auf die ganze kriegerische Virtuosität.

Diese Seite nun des strategischen Manövrierens hat eben Veranlassung gegeben, dem Ganzen jene falsche Wichtigkeit beizulegen, von der wir oben gesprochen haben. Einmal hat man diese Geschicklichkeit mit dem ganzen intellektuellen Wert des Feldherrn verwechselt; dies ist aber ein großer Fehler, denn es ist, wie schon gesagt, nicht zu verkennen, daß in Augenblicken großer Entscheidungen andere moralische Eigenschaften des Feldherrn über die Gewalt der Umstände herrschen können. Ist diese Herrschaft mehr der Impuls großer Empfindungen und jener Blitze des Geistes, die fast unbewußt entstehen und also nicht an einer langen Gedankenkette fortlaufen, so ist sie ja darum nicht weniger eine echte Bürgerin der Kriegskunst, denn die Kriegskunst ist ja weder ein bloßer Akt des Verstandes, noch sind die Tätigkeiten des Verstandes darin die höchsten. Zweitens hat man geglaubt, daß jede erfolglose Tätigkeit eines Feldzuges von einer solchen Geschicklichkeit des einen oder gar beider Feldherren herrühren müsse, während sie doch ihren allgemeinen und hauptsächlichsten Grand immer in den allgemeinen Verhältnissen hatte, die der Krieg zu diesem Spiel machte.

Da die meisten Kriege zwischen den ausgebildeten Staaten mehr ein gegenseitiges Beobachten als Niederwerfen zum Zweck hatten, so hat natürlich der größte Teil der Feldzüge den Charakter des strategischen Manövrierens an sich tragen müssen. Von diesen hat man diejenigen, die keinen berühmten Feldherrn aufzuweisen hatten, unbeachtet gelassen; wo aber ein großer Feldherr war, der die Augen auf sich zog, oder gar zwei einander gegenüber wie Turenne und Montecuccoli, da hat man dieser ganzen Manövrierkunst durch den Namen dieser Feldherren noch den letzten Stempel der Vortrefflichkeit aufgeprägt. Die weitere Folge ist dann gewesen, daß man dieses Spiel als den Gipfel der Kunst, als die Wirkung ihrer hohen Ausbildung betrachtet hat und folglich auch als Quelle, an der die Kriegskunst vorzugsweise studiert werden müßte.

Diese Ansicht war in der Theorienwelt ziemlich allgemein vor den französischen Revolutionskriegen. Wie diese mit einem Male eine ganz andere Welt von kriegerischen Erscheinungen öffneten, die, anfangs etwas roh und naturalistisch, dann später unter Bonaparte in eine großartige Methode zusammengefaßt, Erfolge hervorbrachte, die das Erstaunen von jung und alt machten, da ließ man von den alten Mustern los und glaubte nun, das sei alles die Folge neuer Entdeckungen, großartiger Ideen usw., aber auch allerdings des veränderten gesellschaftlichen Zustandes. Man glaubte nun, das Alte gar nicht mehr zu brauchen und auch nie wieder zu erleben. Wie aber bei solchen Umwälzungen der Meinungen immer Parteien entstehen, so hat denn auch hier die alte ihre Ritter gefunden, welche die neueren Erscheinungen wie rohe Gewaltstöße betrachten, wie einen allgemeinen Verfall der Kunst, und die den Glauben haben, daß gerade das gleichgewichtige, erfolglose, nichtige Kriegsspiel das Ziel der Ausbildung sein müßte. Dieser letzteren Ansicht liegt ein solcher Mangel an Logik und Philosophie zum Grunde, daß man sie nur eine trostlose Verwirrung der Begriffe nennen kann. Aber auch die entgegengesetzte Meinung, als wenn dergleichen nicht weiter vorkommen würde, ist sehr unüberlegt. Von den neueren Erscheinungen im Gebiet der Kriegskunst ist das allerwenigste neuen Erfindungen oder neuen Ideenrichtungen zuzuschreiben und das meiste den neuen gesellschaftlichen Zuständen und Verhältnissen. Aber auch diese müssen nicht gerade in der Krise eines Gärungsprozesses zur Norm genommen werden, und es ist darum nicht zu bezweifeln, daß ein großer Teil der früheren Kriegsverhältnisse wieder zum Vorschein kommen wird. Es ist hier nicht der Ort, weiter auf diese Dinge einzugehen, sondern es ist uns genug, durch das Verhältnis, welches dieses gleichgewichtige Spiel der Kräfte in der ganzen Kriegführung einnimmt, durch seine Bedeutung und seinen inneren Zusammenhang mit den übrigen Gegenständen gezeigt zu haben, daß es immer das Produkt der gegenseitigen beengten Verhältnisse und des sehr ermäßigten kriegerischen Elementes ist. Es kann in diesem Spiel ein Feldherr sich geschickter zeigen als der andere und daher, wenn er ihm an Kräften gewachsen ist, auch manche Vorteile über ihn gewinnen oder, wenn er schwächer ist, vermöge dieser Überlegenheit des Talentes ihm das Gleichgewicht halten; aber es ist ein starker Widerspruch gegen die Natur der Sache, hier die höchste Ehre und Größe des Feldherrn zu suchen; es ist vielmehr ein solcher Feldzug immer ein untrügliches Zeichen, daß entweder keiner der beiden Feldherren ein großes kriegerisches Talent ist, oder daß der talentvolle durch seine Verhältnisse abgehalten wird, eine große Entscheidung zu wagen; wo aber das der Fall ist, da ist auch nimmermehr das Gebiet des höchsten kriegerischen Ruhmes.

Wir haben hier von dem allgemeinen Charakter des strategischen Manövrierens gesprochen; jetzt müssen wir noch eines besonderen Einflusses gedenken, den es auf die Kriegführung hat, nämlich den, daß es die Streitkräfte häufig von den Hauptstraßen und Orten in entlegene oder wenigstens in bedeutungslose Gegenden führt. Wo kleine, augenblicklich entstehende und wieder verschwindende Interessen die Bestimmungen abgeben, da wird der Einfluß der großen Lineamente des Landes auf die Kriegführung schwächer. Wir finden daher, daß die Streitkräfte sich oft auf Punkte hinschieben, wo man sie nach den großen einfachen Bedürfnissen des Krieges nie suchen sollte, und daß folglich auch der Wechsel und die Veränderlichkeit in den Einzelheiten des kriegerischen Ganges hier noch viel größer sind als in Kriegen mit großer Entscheidung. Man sehe nur, wie in den fünf letzten Feldzügen des Siebenjährigen Krieges trotz der sich immer gleichbleibenden Verhältnisse im großen ein jeder Feldzug sich anders gestaltet und, genau besehen, keine einzige Maßregel zweimal vorkommt, und doch ist in diesen Feldzügen noch ein viel stärkeres Angriffsprinzip von seiten der verbündeten Heere als in den meisten anderen der früheren Kriege.

Wir haben in diesem Kapitel von der Verteidigung eines Kriegstheaters, wenn keine große Entscheidung vorliegt, nur die Bestrebungen gezeigt, welche das Handeln haben wird, den Zusammenhang, das Verhältnis, den Charakter derselben; die einzelnen darin liegenden Maßregeln sind uns schon früher näher bekanntgeworden. Jetzt frägt es sich, ob denn für diese verschiedenen Bestrebungen keine das Ganze umfassende Grundsätze, Regeln und Methoden anzugeben sind. Hierauf antworten wir, daß wenn wir uns an die Geschichte halten, wir durchaus nicht durch stets wiederkehrende Formen daraufgeführt werden, und doch könnte man für ein Ganzes so mannigfaltiger veränderlicher Natur kaum ein anderes theoretisches Gesetz gelten lassen, als was in der Erfahrung seinen Ursprung hätte. Der Krieg mit großen Entscheidungen ist nicht nur viel einfacher, sondern auch viel naturgemäßer, von inneren Widersprüchen freier, objektiver, durch ein Gesetz innerer Notwendigkeit gebundener: darum kann die Vernunft ihm Formen und Gesetze vorschreiben; in diesem Krieg aber scheint uns das sehr viel schwieriger. Selbst die beiden Hauptgrundsätze der erst in unseren Zeiten entstandenen Theorie der großen Kriegführung, die Breite der Basis bei Bülow und die Stellung auf der inneren Linie bei Jomini haben, wenn man sie auf die Verteidigung eines Kriegstheaters anwendet, sich in der Erfahrung nirgends als durchgreifende, wirkungsvolle Grundsätze gezeigt. Sie sollten aber als bloße Formen gerade hier sich am wirksamsten zeigen, weil Formen immer wirksamer werden, immer mehr das Übergewicht über die anderen Faktoren des Produktes bekommen müssen, je mehr die Handlung sich in Zeit und Raum ausdehnt. Nichtsdestoweniger finden wir daß sie nichts sind als einzelne Seiten des Gegenstandes, besonders aber nichts weniger als durchgreifende Vorteile. Daß die Eigentümlichkeit der Mittel und der Verhältnisse schon einen großen, alle allgemeinen Grundsätze durchschneidenden Einfluß haben müsse, ist sehr einleuchtend. Was Daun die Ausdehnung und vorsichtige Wahl der Aufstellung war, das war dem Könige die immer zusammengehaltene, dem Gegner immer dicht auf den Leib rückende, zum Extemporieren stets bereite Hauptmacht. Beides ging nicht nur aus der Natur ihrer Heere, sondern auch aus ihren Verhältnissen hervor; das Extemporieren ist einem Könige viel leichter als jedem unter Verantwortung stehenden Feldherrn. Wir wollen hier noch einmal ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Kritik kein Recht hat, die verschiedenen Manieren und Methoden, welche entstehen können, als Stufen verschiedener Vollkommenheit zu betrachten und die eine der anderen unterzuordnen, sondern daß sie nebeneinander gehören, und daß in dem einzelnen Fall dem Urteil überlassen werden muß, den Gebrauch zu würdigen.

Diese verschiedenen Manieren, welche aus der Eigentümlichkeit des Heeres, des Landes, der Verhältnisse entstehen können, hier aufzuzählen, kann nicht unsere Absicht sein, wir haben den Einfluß jener Dinge schon früher im allgemeinen angegeben.

Wir bekennen also, daß wir in diesem Kapitel keine Grundsätze, Regeln oder Methoden anzugeben wissen, weil uns die Geschichte nichts dergleichen darbietet und man dagegen fast in jedem einzelnen Moment auf Eigentümlichkeiten stößt, die sehr häufig ganz unverständlich sind, oft sogar durch Wunderlichkeit überraschen. Aber darum ist es nicht unnütz, die Geschichte auch in dieser Beziehung zu studieren. Wo es auch kein System, keinen Wahrheitsapparat gibt, da gibt es doch eine Wahrheit, und diese wird dann meistens nur durch ein geübtes Urteil und den Takt einer langen Erfahrung gefunden. Gibt also die Geschichte hier keine Formeln, so gibt sie doch hier wie überall Übung des Urteils.

Nur einen das Ganze umfassenden Grundsatz wollen wir aufstellen, oder vielmehr wir wollen die natürliche Voraussetzung, unter welcher sich alles hier Gesagte befindet, noch in der Form eines eigenen Grundsatzes erneuern und lebendiger vor Augen stellen.

Alle die hier angegebenen Mittel haben nur einen relativen Wert. Sie befinden sich alle in dem Gerichtsbann einer gewissen Unvermögenheit beider Teile; über dieser Region herrscht ein höheres Gesetz, und da ist eine ganze andere Welt der Erscheinungen. Nie darf der Feldherr das vergessen, nie sich mit eingebildeter Sicherheit in dem engen Kreis als in etwas Absolutem bewegen; nie die Mittel, welche er hier anwendet, für die notwendigen, für die einzigen halten und sie dann auch noch ergreifen, wenn er selbst schon vor ihrer Unzulänglichkeit zittere.

Auf dem Standpunkt, auf welchen wir uns hier gestellt haben, mag ein solcher Irrtum fast als unmöglich erscheinen; aber er ist es in der wirklichen Welt nicht, weil die Dinge da nicht in so scharfen Gegensätzen erscheinen.

Wir müssen nämlich wieder darauf aufmerksam machen, daß wir, um unseren Vorstellungen Klarheit, Bestimmtheit und Kraft zu geben, nur die vollkommenen Gegensätze, also die äußersten jeder Weise zum Gegenstand unserer Betrachtung gemacht haben, daß aber der konkrete Fall des Krieges meist in der Mitte liegt und von diesem äußersten nur in dem Maße beherrscht wird, als er sich ihm nähert.

Es kommt also ganz allgemein darauf an, daß der Feldherr vor allen Dingen bei sich ausmache, ob der Gegner nicht Lust und Vermögen hat, durch eine größere und entscheidendere Maßregel ihn zu überbieten. Sobald er diese Besorgnis hat, muß er die kleinen Maßregeln zur Verhütung kleiner Nachteile aufgeben, und es bleibt ihm dann das Mittel, durch freiwillige Opfer sich in eine bessere Lage zu versetzen und einer größeren Entscheidung gewachsen zu sein. Mit anderen Worten: das erste Erfordernis ist, daß der Feldherr den rechten Maßstab ergreife, wonach er sein Werk einrichten will.

Um diesen Vorstellungen noch durch das wirkliche Leben mehr Bestimmtheit zu geben, wollen wir eine Reihe Fälle flüchtig berühren, wo nach unserer Meinung ein falscher Maßstab gebraucht worden ist, d. h. wo einer der Feldherren seine Maßregeln auf ein viel weniger entscheidendes Handeln seines Gegners berechnet hatte. Wir machen den Anfang mit der Eröffnung des Feldzuges von 1757, wo die Österreicher durch die Stellung ihrer Streitkräfte bewiesen, daß sie auf eine so durchgreifende Offensive Friedrichs des Großen nicht gerechnet hatten; selbst das Verweilen des Korps von Piccolomini an der schlesischen Grenze, während der Herzog Karl von Lothringen in die Gefahr kam, mit seinem Heere die Waffen zu strecken, ist ein solches vollkommenes Mißverstehen der Verhältnisse.

1758 wurden die Franzosen nicht nur vollkommen über die Wirkungen der Konvention von Kloster Zeven getäuscht, welches ein nicht hierher gehöriges Faktum ist, sondern sie irrten sich auch zwei Monate später ganz in der Beurteilung dessen, was ihr Gegner unternehmen könnte, welches ihnen das Land von der Weser bis an den Rhein kostete. Daß Friedrich der Große 1759 bei Maxen und 1760 bei Landeshut seine Gegner ganz falsch beurteilte, indem er ihnen keine so entschiedene Maßregeln zutraute, haben wir schon gesagt.

Einen größeren Irrtum in dem Maßstab aber finden wir kaum in der Geschichte als den von 1792. Man glaubte, mit einer mäßigen Hilfsmacht einem Bürgerkrieg den Ausschlag zu geben, und wälzte sich die ungeheure Last durch politischen Fanatismus aus seinen Angeln gehobenen französischen Volkes auf den Leib. Wir nennen diesen Irrtum nur groß, weil er sich hinterher so gezeigt hat, nicht weil er leicht zu vermeiden gewesen wäre. In der Kriegführung selbst ist nicht zu verkennen, daß man den hauptsächlichsten Grund zu allen folgenden unglücklichen Jahren in dem Feldzug von 1794 gelegt hat. Es ist von seiten der Verbündeten nicht nur in diesem Feldzuge selbst die kräftige Natur des feindlichen Angriffs ganz verkannt worden, indem man ihm ein kleinliches System von ausgedehnten Stellungen und strategischen Manövern entgegensetzte, sondern man hat auch in den politischen Uneinigkeiten zwischen Preußen und Österreich und in dem törichten Aufgeben Belgiens und der Niederlande gesehen, wie wenig die Kabinette eine Ahnung hatten von der Gewalt des einbrechenden Stromes. Im Jahr 1796 beweisen die einzelnen Widerstandsakte von Montenotte, Lodi usw. hinreichend, wie wenig die Österreicher verstanden, worauf es gegen diesen Bonaparte ankomme.

Im Jahr 1800 war es nicht die unmittelbare Wirkung des Überfalles, sondern die falsche Ansicht, welche Melas von den möglichen Folgen dieses Überfalles hatte, wodurch seine Katastrophe herbeigeführt wurde.

Ulm im Jahre 1805 war der letzte Knoten eines losen Gewebes gelehrter, aber äußerst schwacher strategischer Beziehungen, gut genug, einen Daun oder Lacy darin festzuhalten, aber nicht einen Bonaparte und Revolutionskaiser.

Bei den Preußen 1806 war die Unentschlossenheit und Verwirrung eine Folge, daß veraltete, kleinliche, unbrauchbare Ansichten und Maßregeln sich mit einigen hellen Blicken und einem richtigen Gefühl von der großen Bedeutung des Augenblicks vermischten. Wie hätte man bei einem klaren Bewußtsein und einer vollkommenen Würdigung seiner Lage 30000 Mann in Preußen lassen und daran denken können, in Westfalen ein besonderes Kriegstheater zu errichten, durch kleine Offensiven wie die, wozu das Rüchelsche und das Weimarsche Korps bestimmt waren, irgendeinen Erfolg zu gewinnen, und wie hätte in den letzten Augenblicken der Beratung noch von Gefahr der Magazine, Verlust dieses oder jenes Landstriches die Rede sein können!

Selbst 1812, in diesem großartigsten aller Feldzüge, fehlte es anfangs nicht an falschen, von einem unrichtigen Maßstab herrührenden Bestrebungen. Im Hauptquartier zu Wilna war eine Partei angesehener Männer, welche auf eine Schlacht an der Grenze bestanden, damit man Rußlands Boden nicht ungestraft betreten konnte. Daß man diese Schlacht an der Grenze verlieren könne, ja verlieren werde, sagten sich diese Männer wohl; denn obgleich sie nicht wußten, daß 300000 Franzosen auf 80000 Russen kommen würden, so wußten sie doch, daß eine bedeutende Überlegenheit des Feindes vorausgesetzt werden müßte. Der Hauptirrtum bestand in dem Wert, welchen sie dieser Schlacht beilegten; sie glaubten, es sei eine verlorene Schlacht wie jede andere, während doch fast mit Sicherheit behauptet werden kann, daß diese Hauptentscheidung an der Grenze eine ganz andere Reihe von Erscheinungen hervorgebracht haben würde. Selbst das Lager von Drissa war eine Maßregel, welcher noch ein ganz falscher Maßstab in Bezug auf den Gegner zum Grunde lag. Hätte man darin verweilen wollen, so mußte man sich von allen Seiten abschneiden und völlig isolieren lassen, und es fehlte dann dem französischen Heer nicht an Mitteln, das russische zum Niederlegen der Waffen zu zwingen. An ein solches Maß der Kraft und des Willens hatte der Erfinder dieses Lagers nicht gedacht.

Aber auch Bonaparte hat zuweilen einen falschen Maßstab gebraucht. Nach dem Waffenstillstand 1813 hat er geglaubt, die untergeordneten Heere der Verbündeten, Blüchern und den Kronprinzen von Schweden, durch Korps zu beschwichtigen, die zwar zu einem wirklichen Widerstand nicht hinreichten, aber doch der Behutsamkeit hinreichende Veranlassung sein konnten, nichts zu wagen, wie man das in den früheren Kriegen so häufig gesehen hatte. Er dachte nicht genug an die Reaktion eines tiefgewurzelten Hasses und dringender Gefahr, die in Blücher und Bülow wirkten.

Überhaupt hat er den Unternehmungsgeist des alten Blücher nirgends hoch genug angeschlagen. Bei Leipzig brachte dieser ihn allein um den Sieg; bei Laon hätte Blücher ihn zugrunde richten können, und daß es nicht geschah, lag in Umständen, die ganz außer dem Kalkül Bonapartes waren; bei Belle-Alliance endlich erreichte ihn die Strafe dieses Fehlers wie ein vernichtender Blitzstrahl.

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